____________________ Frankfurter Rundschau Dienstag 25 April 2000 Der Dämon des Machens Hindemiths "Cardillac" von 1926, neu inszeniert in Frankfurt Von Hans-Klaus Jungheinrich Der geniale und dämonische Goldschmied, der sich von seinen Werken nicht trennen kann und, um sie wieder in seinen Besitz zu bekommen, seine Käufer umbringt - eine erzromantische Figur. In E.T.A. Hoffmanns Novelle Das Fräulein von Scuderi dient sie indes als ein (fast schon psychoanalytisch entschlüsseltes) Exempel für pervertiertes Künstlertum, geeignet, die laxe Kunstmoral der Literatin Scuderi zu höherer Verantwortlichkeit zu läutern. Die Oper von Paul Hindemith lässt sich mit Hoffmanns kompliziert-mehrpoligem Erzählungsstoff nicht ein, sondern beschränkt sich auf das Psycho-gramm Cardillacs und die von diesem lange unerkannten Mörder ausgelöste Massenhysterie. Die theatergerechte Vereinfachung (mit modifizierten Personenkonstellationen) berücksichtigt gleichwohl die Künstlerthematik, ein Grundmotiv im Hindemithschen Opernschaffen (siehe Mathis, siehe Harmonie der Welt), auch eine Brücke dieses scheinbar neusachlichen Musik-"Machers" zur Romantik. Hindemith war insofern ein seltsamer Künstler, als er an mehreren seiner Werke später offenbar ein nagendes Ungenügen fand und sich zu gravierenden Umarbeitungen entschloss, die (wie im Falle des Zyklus Marienleben) vielfach sogar als Verwässerungen eingeschätzt wurden. Auch die Oper Cardillac ist davon betroffen. Der geradlinigeren Version von 1926 setzte der Komponist ein Vierteljahrhundert später eine reichere, eloquentere und mit barocken Musikzitaten aufgewürzte Zweitfassung entgegen. Sie wurde 1953 (unter Georg Soltis Leitung) auch in Frankfurt aufgeführt. Nicolas Briegers Neuinszenierung galt jetzt aber wieder der älteren Werkgestalt, die für die Opernpraxis inzwischen als die maßgebliche erscheint. Sie erbringt, pausenlos in 90 Minuten gespielt, einen kompakten Abend. Hindemiths Selbstverbesserungsmanie, die von der Praxis so wenig honoriert wird, enthält mithin ein Moment von Cardillacscher "Verrücktheit", als signalisiere die Hinnahme eines Perfektum den Tod, der allein durch zwanghafte Perfektionierung hinausgezögert werde. So schafft sich die allzu große Fertigkeit (Hindemith, der Metier-Versierte, der Alleskönner, der Virtuose) im Nichtvollendenkönnen (präziser: im Nichtanerkennen eines fertigen Ergebnisses) ihren speziellen Dämon. Dieser Idiosynkrasie des Machens setzt sich Brieger auf die Spur. Und damit erreicht seine Inszenierung, über das geschickte und ambitionierte Textbuch Ferdinand Lions, sogar über den im Grunde aufklärerischen Impuls Hoffmanns hinaus, ihre spezifische und atemberaubende Interpretationsqualität. Bereits in der Novelle steckt ein den kunstmoralischen Demonstrationszweck überschießendes Potential. Cardillac ist ein Faszinosum. Und, so edel es wäre, Kunst nur an ihrer "humanisierenden" Funktion zu messen: Sie ist gleichwohl doch immer auch verstrickt ins Böse. Die Sphäre der Cardillac-Handlung ist die Nacht: nicht die todes-und liebesselige des Tristan, sondern die des einsamen Schaffens, des Verbrechens, der lauernden und doch ohnmächtigen Verfolgungsinstanz der "chambre ardante", der lynchwütigen hysterischen Masse. Cardillac offenbart sich inmitten dieser Menschenwoge am Schluss selbst als Mörder und wird danach in einem kollektiven Blutrausch ge-tötet. Dieser Exzess ist die schmähliche Folie, von der sich die finale Erhöhung und Verklärung des Künstler/Mörders abhebt; die eben noch Blutdürstigen werden zum chorus mysticus , der dem zur Strecke Gebrachten Verständiges und Erhebendes nachruft. So endet vor der Leiche meistens das Stück, besinnlich und auch bedenklich als eine womöglich allzu harmonisierende Ehrenrettung der Ausnahme(un)menschlichkeit. In der Warnung vor Radikalität ist gleichsam deren Glorifizierung inbegriffen. Brieger lässt es dabei nicht bewenden. Er versetzt Cardillac - die Bühne hat sich nochmals gedreht - wieder in seine Werkstatt. Dort bosselt er weiter, unberührt, als ewiger Macher. Die Chorsequenz bekommt damit eine unterschwellig ironische Tönung: Die Zwänge des Machens sind unausrottbar, Kunst-Trieb ist auch durch Katastrophen unbelehrbar. Eine Sicht, die von ferne auch wieder auf Hoffmann rekurriert, indem sie Hindemith/Lions Versöhnungstendenz unterläuft. Nicht nur mit der wichtigen finalen Pointe, sondern in jedem Detail der sorgfältig durchgearbeiteten Aufführung zeigte sich Briegers unaufdringlich prägnante Meisterschaft. In Hermann Feuchters Bühnenbild und Andrea Schmidt-Futterers Kostümen wurde die Sphäre des expressionistischen Films (Murnau, Langs M) beschworen. Chöre und Bewegungschöre wurden eindringlich geführt. Riesige kreisrunde Öffnungen ergaben bildkräftige Chiffren: als Drehtür bei der Schlusskatastrophe, als monströses Fenster-Laufrad bei der erotisierten Mord-Pantomine des 2. Bildes (das Laufrad, vielleicht auch als Symbol bewusstlosen "Machens"). Von phänomenaler appellativer Präsenz der ergiebige, der geradezu monumentale Chorpart (Einstudierung: Andrés Máspero). Der Bariton Claudio Otelli verkörpert die Titelgestalt mit voluminöser Vokalität und darstellerischer Vehemenz. Das Monologische dieser Figur äußert sich auch in der konventionellen, uninteressierten Beziehung zu seiner Tochter, die von Gunnel Bohmann gesanglich kraftvoll, als Erscheinung schattenhaft imaginiert wird. Dritte entscheidende Gestalt ist der Offizier (mit einigen Facetten des Hoffmannschen Gesellen Bruson), klar konturiert mit dem Tenor Christopher Lincoln. Scharf angeschnitten auch Kavalier und Dame im filmischen Stil (Michael König, Monika Krause). In der Grauzone zur Anonymität weitere Chargen, darunter auch als Zutat ein Saxophonspieler als ein zur Musik hinleitendes Signet. Diese entfaltete unter der Leitung von Klauspeter Seibel eine stürmische, hochdramatische, aber auch im fein ziseliert Lyrischen überzeugende Suggestivität. Das Orchester war prächtig disponiert. Etwas ferngerückt schien angesichts dieses Eindrucks die ästhetische Debatte um Hindemiths antiromantisches "Musizieropern"-Konzept. Der Cardillac von 1926 ist, nicht anders als Weills Opern, schlagkräftige und genau dosierte Bühnenmusik, so autark sich ihre immanenten Formenspiele auch gerieren mögen. Termine: Oper Frankfurt, 26. und 30. 4.; 12. und 14. 5. Copyright © Frankfurter Rundschau 2000 |
Pressestimmen Cardillac Ein klareres kompositorisches Bild von der Getriebenheit des besessenen Goldschmieds in seinem Schaffensfieber etwa lässt sich kaum denken als in jenem unersättlichen, rastlosen, zugleich komplexe polyphone Architekturen konstruierenden Kontrapunkt, der das gesamte Werk durchzieht... Klauspeter Seibel brachte die artifizielle Farbigkeit der Partitur mit dem hoch engagierten Museumsorchester gelungen zur Geltung. Julia Spinola, Frankfurter Allgemeine Zeitung In jedem Detail der sorgfältig durchgearbeiteten Aufführung zeigte sich Briegers unaufdringlich prägnante Meisterschaft. In Hermann Feuchters Bühnenbild und Andrea Schmidt-Futterers Kostümen wurde die Sphäre des expressionistischen Films (Murnau, Langs M) beschworen. Von phänomenaler appellativer Präsenz der ergiebige, der geradezu monumentale Chorpart (Einstudierung: Andrés Máspero). Hans-Klaus Jungheinrich, Frankfurter Rundschau Bravo-Rufe gab's zu Recht nicht nur für den sängerisch wie schauspielerisch äußerst profiliert agierenden Opernchor, sondern auch für den Bariton Claudio Otelli, der den psychopathischen Titelhelden mit Emphase verkörperte. Michael Dellith, Frankfurter Neue Presse Kurzum: ein bis hin zum unspektakulären Abgesang, bei dem der tote Cardillac wundersam an seine Werkbank zurückkehrt, fesselnder Abend. Klaus Ackermann, Offenbach-Post |