Pressestimmen der Kölner Inszenierung

EXPRESS

Vor 78 Jahren war in Köln die Uraufführung. Jetzt wurde an der Kölner Oper der Versuch einer Wiederbelebung unternommen. Erich Wolfgang Korngolds Oper "Die tote Stadt" in der Inszenierung von Intendant Günther Krämer, die in ihrer Atmosphäre oftmals an Hitchcock erinnert, endete mit einem lebhaften Publikumsstreit.

Während die Sopranistin Nina Warren in der Rolle der Marietta und den Tenor Hubert Delamboye als Paul jubelnden Applaus bekamen, mischten sich beim Erscheinen Günther Krämers auch Buh-Rufe unter den Beifall. Wahre Begeisterungsstürme rief auch das Bühnenbild (Martin Warth) hervor.

Kölnische Rundschau

Das Changieren zwischen Wahn und Wirklichkeit und der filmreife Finalcoup reizten Günter Krämer nach Düsseldorf 1986 schon zum zweiten Mal, jetzt gemeinsam mit Spoleto, Korngolds Welterfolg zu inszenieren. [...] Der Generalintendant hat eine hochartifizielle Inszenierung besorgt, für die ihm Martin Warth die in der Tiefe gestaffelte Bühne schuf mit hohen, transparenten Raumteilern. Ausgeklügelte Lichteffekte (Fabrice Kebour) geben die Spielräume dahinter frei.

Krämers Regiewitz ist die Durchmischung von Traum und Realität. Das macht es nicht leicht durchschaubar, aber spannend. [...] Wie in "Hamlet" treibt es auf die Klimax zu, und solche Parallele erfreut den Gebildeten.

[...] In Köln sind beide Hauptpartien wie in Spoleto mit Hubert Delamboye und Nina Warren besetzt. Beide lassen auf schönem Niveau hören, welch schwierige, aber dankbare Partien Korngold komponierte. Schön Nina Warren als leichtlebige Theaterperson, die plötzlich mit dem Tod konfrontiert wird und dann doch mit einem Schulterzucken entkommt. Bruno Caproni sang den Freund mit warmem Bariton, in der Rolle des Victorin ließ John Pierce sympathische Tenorqualitäten vernehmen. Wie Philippe Auguin überhaupt allenthalben seriöse, gute Vokalleistungen abrufen konnte, insbesondere bei Janis Taylor, Pauls Hausdame Brigitta.

Auguin hat das Gürzenich-Orchester zu einer sehr respektablen Leistung angehalten. Korngold verlangt so ziemlich alles, was zwischen Puccini und Strauss im Operngraben drankommt. (...) Daß Korngold zum Film ging, war wohl nicht nur Not, sondern auch Talent: sein Bühneninstinkt hat mitunter Kinoqualität.

 

Opernhaus Köln:
Erich Wolfgang Korngold "Die tote Stadt"

von Marion Wolff

Ich les' ja immer soviel und am liebsten Liebesromane. Und Krimis, auf die steh' ich total. Sex 'n' Crime, davon kann ich ja gar nicht genug kriegen. Das weiß auch meine beste Freundin. "Ich hab eine Überraschung für Dich, ein ganz tolles Weihnachtsgeschenk", brüllt sie mir durch den Telefonhörer ins Ohr. "Ich lad' Dich ein, jo, janz für ömesöns." Das laß ich mir ja nicht zweimal sagen. "Na, wohin denn, etwa ins Kino?" "Na, viel besser, in die Oper!". Da fällt mir das Gesicht runter. "Oper? Schon wieder?" Doch die Gute läßt nicht locker. Da gab es wieder 'ne ganz tolle Liebesgeschichte, aber vom Feinsten, gut verpackt als Psychothriller. Da kann ich einfach nicht widerstehen. So beginnt die Ankleidezeremonie von neuem, den Bauchweg-Gürtel angelegt, in das kleine Schwarze gezwängt, und los geht's.

In der Oper war nicht viel los, klar, wie kann man auch am 23. Dezember noch 'ne Premiere machen. Aber der Herr Krämer, der das Stück auf die Bühne gebracht hat, meinte, es gäb' immer irgendwas, weswegen man keine Zeit hätte, den hat das also nicht gejuckt. Und da geht's auch schon los. Mein Gott, das ist tatsächlich 'ne Überraschung. Hitchcocks Vertigo läßt grüßen. Aber erst mal kurz die Story. Das ist so nicht mehr ganz junger Typ, der Paul, dem ist die Frau gestorben. Mancher soll ja über so was ganz froh sein, der Paul aber nicht. Der ist traurig. Zieht sich in seine Bude im belgischen Brügge zurück und lebt von der Erinnerung an seine Ehemalige, die schöne Marie. Und während er so träumend vor sich hin singt, rennt die Marie im engen Kostümchen, Blondhaarperücke und Sonnenbrille hinter 'nem durchsichtigen Vorhang hin und her. Die sieht original aus wie die Kim Novak aus dem "Reich der Toten", fehlt nur noch, daß aus irgendeiner Ecke der olle Hitchcock über die Bühne latscht. War aber nicht. Auch Regisseur Krämer kam nicht, dabei hat der auch Leibesfülle, genau wie Hitchcock, sieht aber besser aus, find ich. Dafür kam ein anderer: Pauls Freund Frank. Und damit zurück zur Geschichte. Dem Paul ist was total Seltsames passiert. Er hat 'ne Frau kennengelernt, die könnte die Zwillingsschwester von seiner geliebten Marie sein. Und die sieht nicht nur so aus wie Marie, sondern heißt auch noch so ähnlich: Marietta. Eine Schauspielerin. Und der Paul ist hin und weg. Dabei weiß das arme Ding erst gar nicht, was der nette alte Mann eigentlich von ihr will. Als wenn das nicht sonnenklar wäre, aber ich glaub, die hat das verdrängt. Was können denn alte Kerls schon von einem hübschen, jungen Ding wollen. Und genau das ist dem Paul eigentlich total peinlich. Er ist scharf auf die Kleine, hat aber ganz schlimme Gewissensbisse, weil er als frommer Katholik ja so was nicht fühlen darf. Außerdem erscheint ihm immer wieder seine Ehemalige, der er versprechen muß, nicht fremd zu gehen. Naja, und man(n) weiß ja aus Erfahrung, das so 'ne Affäre nicht immer so glatt über die Bühne geht. Und warum sollte es hier anders sein. Paul Freund Frank ist ebenfalls in diese Marietta verknallt, also muß er sich gegen den erst mal durchsetzen. Brigitta, seine treue Haushälterin geht vor lauter Scham und Kummer ins Kloster, aber Paul rennt weiter seinem Trugbild vom "Glück, das mir verblieb..." hinterher.

Pauls Frauenbild ist echt nicht originell, die alte Leier von der Heiligen und der Hure. Aber - die Hure kann er anfassen, die Heilige steht auf einem Podest, ist tot und stellt keine Ansprüche. So weit ganz prima. Nur, die Frau, die ihn anmacht, lebt. Und wie die lebt, die singt und lacht. Erst mit und dann über Paul. Die hat nämlich geblickt, mit was für 'nem Spinner sie es da zu tun hat. Da will er doch tatsächlich aus ihr eine zweite Marie machen, mit deren Anziehsachen und 'nem alten Haarteil. Aber statt jetzt sensibel mit dem Verrückten umzugehen, macht sie sich über seine Spielchen lustig. Und über seine tote Frau. Das ist dem Paul am Ende zuviel und er dreht durch. Das Orchester gibt sein Bestes und ich krieg' 'ne Gänsehaut. Die hatte ich immer wieder zwischendurch - und das nicht nur von der Klimaanlage. Rasend vor Wut (kein Wunder, bei der Musik da aus dem Orchestergraben) macht Paul diese Marietta alle. Um Gotteswillen, da liegt sie und sagt nichts mehr, oder besser, singt. Gesungen haben die übrigens wirklich gut, jedenfalls die meiste Zeit. Aber eigentlich ist das noch viel mehr was zum Gucken als zum Hören. Wirklich fast wie im Kino. Und genau wie im Kino hat der Paul noch mal wirklich Schwein gehabt - alles nur geträumt. Marie immer noch tot, Marietta nie tot gewesen. Das Schönste aber ist, der Paul hat begriffen: Tote kommen nicht wieder, entweder man geht zu ihnen oder kapiert, daß das Leben weiter geht. Und Paul hat wohl kapiert, denn zusammen mit seinem Freund Frank hat er ab aus der toten Stadt Brügge.

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