egotrip.de Wiesbadens Oper gastiert mit Glucks "Orpheus und Eurydike" Opernpremieren waren in Darmstadt in den letzten Jahren musikalische Ereig- nisse, die man nicht verpassen durfte. Man denke nur an "Alcina" oder den "Rosenkavalier". Daher war auch die Gastspiel-Premiere der Wiesbadener Oper ausverkauft. Schließlich stand mit "Orpheus und Eurydike" von Christoph Willibald Gluck ein Klassiker auf dem Programm, der auch konservative Opernfreunde immer wieder mit dieser Musikgattung versöhnt. Die erste Szene begann verheißungsvoll: zur Ouvertüre erscheint eine freudig bewegte Gesell- schaft auf der Bühne, um die Hochzeit der Tochter von Orpheus und Eurydike zu feiern, bis plötzlich der Tod von Eurydike verkündet wird. Hinter dem verzweifelnden Orpheus, dargestellt von Gabriela Künzler, entfernt sich Eurydikes Seele hin zum Licht der Ewigkeit. Die inhaltsschwere Pantomime überzeugt durch ihre Intensität. Der erste Einsatz von Gabriela Künzler weckte allerdings bereits Verwunderung und leichte Ent- täuschung. In den tieferen Lagen, die besonders in den trauernden Passagen überwiegen, konnte sie sich kaum gegen das Orchester durchsetzen, obwohl dieses durchaus nicht zu forciert spielte. Die Stimme fehlte einfach die Fülle und sie ver- schwand of hinter der Musik des Orchesters oder des Chores. Wer dies für eine Anfangsschwäche aufgrund von Lampenfieber gehalten hatte, sah sich bald getäuscht. Die Schwäche währte fort bis zum Ende der Oper, nur in den höheren Lagen, und da auch nur bei expressiven Passagen, gewann Gab- riela Künzlers Stimme Kontur und Kraft. Kurz- fristig blitzte dann eine Ahnung auf, wie dieser Gesang klingen könnte. Nun hat jedoch Orpheus im ersten Akt in Amor noch einen szenischen Widerpart, der die Hand- lung dramaturgisch und musikalisch beleben soll. Leider wirkte Raphaela Weil selten wie die Inkar- nation eines Amor. Das lag gleichermaßen an dem nüchternen Kostüm wie an der burschikosen Gestik und der eher sachlichen Intonation. Sie wirkte eher wie eine Gouvernante denn wie ein Abbild des antiken Amors. Die gesprochenen Partien bewegten sich teilweise auf die Ebene des Sprechtheaters und wirkten damit wie ein Medien- bruch. Lichtblick in dieser unstimmigen Darstellung war der Chor, der szenisch wie stimmlich durchaus überzeugte. Vor allem in den Szenen des zweiten und dritten Aktes in der Unterwelt beeindruckten Kostümierung und musikalische Interpretation des Chores, so wenn er Orpheus als düstere Phalanx sein "Nein" entgegenschleudert oder ihn später im Elysium durch Betörung von seinem Vorhaben abzubringen versucht. Der Versuch, die Zwischenakt-Musiken durch stumme Bilder zu untermalen, gelingt nach dem eindrucksvollem Beginn mit dem Ouvertüren-Bild in den weiteren Phasen nicht mehr in gleichem Masße. Die tragische Wirkung des Eingangsbildes lässt sich nicht wiederholen, und so steht Gabriela Künzler während der musikalischen Überleitung etwas unmotiviert in den Kulissen oder markiert mimisch fortgesetzte Trauer. Das Bühnenbild präsentiert sich dagegen stimmig und beeindruckend. Während die Szenen der "Oberwelt" in einer eher nüchternen, büroartigen Kulisse ablaufen, hebt sich beim Übergang in die Unterwelt die Rückwand und gibt den Blick auf eine farblich changierende Sonne vor einem dunk- len Hintergrund frei. Ein einzelner Baumstumpf verstärkt den Eindruck der trostlosen Düsternis des Totenreiches. Wenn allerdings sich Amor neckisch in diesem Baum räkelt, fürchtet man bisweilen ein statisches Unglück.... Die Beleuchtung dieser Szenerie passt sich dem Tenor der Handlung an: die Auseinandersetzung mit den Schatten der Unterwelt erscheint in einem düsteren Rot, während die Bewohner Elysiums eher in freundlichen Farben wandeln. Stimmlich und szenisch gewinnt die Aufführung mit dem Auftritt von Eurydike im dritten Akt, nicht zuletzt, weil die Sopranstimme von Heidrun Kor- des wesentlich besser durchdringt als der Alt von Gabriela Künzler. In den dramatischen Duetten des dritten Aktes gewinnen Musik und Handlung endlich an Leben und vermitteln etwas von der Tragik der Liebenden, die sich aufgrund der Be- dingungen ein zweites Mal verlieren müssen. Hier wird auch spürbar, welchen Fortschritt - und Bruch - Glucks Oper gegenüber dem zu seiner Zeit üblichen konventionellen Stil darstellt. Hier werden zum ersten Male Individuen in ihrer per- sönlichen Not und Tragik dargestellt, das heißt die höfische Unterhaltung schlägt um in die Kon- frontation mit menschlichem Elend. Die Einbettung in einen antiken Stoff ist das letzte Zugeständnis an eine gesellschaftliche Konvention, bevor Mozart mit seinen Opern bürgerliche Menschen mit ihren Sorgen auf die Opernbühne bringen wird. Auch die Musik passte sich dem Duktus an, oder war sie der Urheber? Bisweilen beschleicht den Zuhörer das Gefühl, das Enrico Dovico am Pult das verkleinerte Orchester bewusst verhalten führt, um Gabriela Künzler nicht vollens zu übertönen. Das führt dann aber über lange Strecken zu spannungsloser Musik mit wenig Höhepunkten. Einige unrunde Einsätze der Streicher ergänzten den Gesamteindruck. Wie ein Tüpfelchen auf dem "I" präsentierte sich der verunglückte Schluss. Nach dem Verklingen der letzten Noten verdunkelte sich die Bühne und der Vorhang senkte sich. Gerade als das Publikum zaghaft zu klatschen begann, blieb der Vorhang auf halber Strecke stehen und die Bühne erhellte sich wie zu einer neuen Szene. Erst der reichlich ver- spätete Auftritt der Darsteller signalisierte das Ende der Aufführung und entlockte dem Publikum freundlichen Beifall ohne große Begeisterung. Schade, aus dieser Inszenierung hätte man mehr machen können. Bühnenbild und Choreografie schufen dafür die Voraussetzung, aber die musi- kalische Darbietung überzeugte nicht. |