OPERA NOTES
Premierenbericht

Oper Frankfurt (am Main), Premiere 29. November 1998

Rigoletto

Von Birgit Popp

Zur Premiere ihrer Neuproduktion von Verdis 'Rigoletto' (1851), passierte das, was man so ziemlich als größte Katastrophe für eine Premiere bezeichnen könnte: ausgerechnet der Sänger der Titelpartie mußte aus Krankheitsgründen absagen. Schon bei der Generalprobe zwei Tage zuvor hatte sich das Unheil angekündigt, John Bröcheler sang nur mit verhaltenem Einsatz, markierte des öfteren und doch seine gewaltige Stimmpräsenz, seine Dramatik, sein Stimmvolumen schimmerten selbst dann noch eindrucksvoll durch und ließen musikalischen Hochgenuß erwarten. Aber dann mußte innerhalb nur eines Tages Ersatz gefunden werden. Eine Verschiebung wollte Intendant Martin Steinhoff auf jeden Fall vermeiden. Daß es dazu nicht gekommen ist, ist vor allem Eduard Tumagian zu verdanken. Der Bariton, der bereits 1994  den Rigoletto in Frankfurt gesungen hatte, sprang für seinen erkrankten Kollegen ein. Tumagian gab zumindest zeitweise dem Rigoletto einen mehr lyrischen Charakter mit guter Differenzierung zwischen dramatischen Ausbrüchen und liebevoll-leidenden Momenten. Ohne Probe, nur kurz in den szenischen Ablauf eingewiesen, verlieh er dem Rigoletto darstellerisch eine andere Note als von Regisseur Kurt Horres vorgesehen. Rigoletto am Hofe ein Fremdkörper, wirkte er auch in der Inszenierung in seiner realistischen Darstellung des mißgestalteten Hofnarrs als Fremdkörper. Dies, obwohl rein vom technischen Ablauf - hätte man es nicht gewußt - kaum zu bemerken war, daß er so kurzfristig eingesprungen war. Sein Rigoletto war ein Rigoletto, wie man ihn sich eigentlich vorstellt, etwas von krummer Gestalt, schiefer Kopfhaltung, hinkend, - und dennoch, irgendwie paßte dieser Rigoletto, so wie er eigentlich im Stück besungen wird, nicht so ganz in die kühle Inszenierung. Als einziger des Hofstaates in schwarzem, frackähnlichem Jackett, mit Kniebundhosen, weißer Halskrause und schwarzem Zylinder gekleidet, ist der Hofnarr außer Gilda - mit Ausnahme ihres Auftritts im zweiten Akt im Palast des Herzogs - und ihrer Gouvernante der einzige, der garderobemäßig an die eigentiche Handlungszeit der Oper im 16. Jahrhundert erinnert. Den gut aussehenden, hochgewachsenen John Bröcheler hätte man in dieser Kleidung schon fast mit dem Grafen Monterone verwechseln können.

Weniger mit Lorbeeren schmückte sich bei der Premiere Zoran Todorovich in der Rolle des Herzogs von Mantua. War's der psychische Druck durch die drohende Absage, das Premierenfieber oder der Respekt vor einer so berühmten Arie? Mit seinem durchaus geschmeidigen, aber manchmal zu sehr forcierten, lyrischen Tenor vermittelte er inklusive seines guten Aussehens passend den frivolen, leichtfertigen Charakter des Herzogs. Im ersten Akt gelang ihm dies mit der Arie 'Questa o quella per mi pari sono' stimmlich noch recht sauber, ebenso im zweiten Akt im Duett mit Gilda, doch als es im dritten Akt an die berühmte Tenorarie 'La donna è mobile' ging, versagte ihm am Ende fast die Stimme, als er bei 'di pensier' zum Spitzenton ansetzen wollte. Möge ihm bei den folgenden Vorstellungen mehr Fortune beschieden sein.

Ein Glanzlicht der Besetzung und auch vom Premierenpublikum mit dem meisten Applaus bedacht ist Elzbieta Szmytka als Gilda. Ihr in den Höhen sicherer, mit Leichtigkeit und Brillanz ausgestatteter Koloratursopran, ihre gekonnte Phrasierung, ihre Innigkeit ließen ihre Arie 'Gualtier Maldè' und ihr Duett in ihrer Sterbeszene mit ihrem Vater Rigoletto zu den Höhepunkten des Abends werden. Stimmlich wie darstellerisch gelang Hans-Joachim Porcher die Verkörperung der Rolle des unterkühlten Berufsmörders Sparafucile, dessen Berufsethik in der Loyalität zu seinem Auftraggeber besteht. Die Gefühle seiner Schwester Maddalena (Gudrun Pelker) zum potentiellen Mordopfer, dem Herzog, lassen ihn am Ende diese Berufsehre in den Hintergrund stellen und führen zum 'Opfertod' Gildas, die damit das Leben des, wenn auch treulosen, aber doch von ihr geliebten Herzogs rettet. Damit verhindert sie die Rache ihres Vaters und läßt den Fluch des von Rigoletto in seinem Leid über die Verführung seiner Tochter verhöhnten Grafen Monterones (Thomas Holzapfel) in Erfüllung gehen. Auch die weiteren Nebenrollen sind mit Wolfgang Vater (Graf Ceprano), Edeltraud Pruß (Gräfin Ceprano), Johannes Martin Kränzle (Marullo), Peter Marsch (Borsa) und Elsie Maurer (Giovanna) stimmlich wohlgefällig besetzt. Der (Herren-)Chor, wie bei vielen Opern Verdis mit tragender Rolle betraut, treibt die Szene einstudiert von Andrés Máspero eindringlich voran. Das Museumsorchester Frankfurt unter der Leitung von Olaf Henzold spielte präzise mit exakten Einsätzen, aber gelegentlich etwas laut auf;  wechselte mit Leichtigkeit die Stimmungen und Färbungen und verstand die Spannung bis am Ende zu halten.

Ja, und dann wäre da noch die Inszenierung: Ein 'film noir' der dreißiger oder vierziger Jahre in Rot- und Pinktöne in der Kulisse eines Schlosses aus dem 16. Jahrhundert getaucht. Diese Palasthalle mit Bogengang bleibt als Einheitskulisse auch für die Szenen vor dem Hause Rigolettos im ersten und für die Szene rund um die Schenke im dritten Akt bestehen. Das praktische und ansehnliche Turmhaus wird samt eines überdimensional hohen Gitterzaunes, der es zu Gildas Gefängnis macht, in die Halle hinein plaziert. Ebenso später die aus einer viel zu klein geratenen Wellblechhütte bestehende Spelunke samt mehrerer größeren Abfallberge, die den Sängern das Agieren nicht gerade erleichtern. Alle männlichen Gestalten des Hofstaates außer Rigoletto sind in Einheits-Zweireiher, langen Mänteln und breitkrempigen Hüten gekleidet. Im ersten Akt beim 'Fest' ist der Hofstaat in Pink und Rot gehüllt, ab der nächtlichen Entführungsaktion sind die Höflinge in graues Outfit gesteckt (Kulisse und Kostüme: Andreas Reinhardt). Das Fest im ersten Akt ist allerdings von Anfang an mehr von Gewalt getragene Prügelszene, denn von der fröhlich-frivolen Stimmung geprägt, die eigentlich Verdis Musik vermittelt und die bei Verdi erst langsam in die düstere, Gewalt betonte Atmosphäre umschlägt. Dennoch, die in Rot und Pink getauchte Szene vermittelt das Orgienhafte in recht treffender Weise. Was die fast ständige Verwendung der Sonnenbrillen bei allen Beteiligten betrifft, so ist wenig Systematik zu entdecken. Insbesondere, wann sie von den Protagonisten Gilda und Rigoletto getragen werden und wann nicht. Sollten ihre Nicht-Verwendung als Symbol von Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit dienen, dann fragt man sich, warum Gilda keine Sonnenbrille beim Duett mit ihrem Vater im ersten Akt trägt. Ihre Liebe zu ihm ist zwar aufrichtig, die Wahrheit über das, was sich in der Kirche zuträgt, berichtet sie ihm jedoch nicht. Im dritten Akt in der zum Quartett hinleitenden Szene trägt sie eine Sonnenbrille, obwohl sie ganz aufrichtig von den in ihr immer noch vorhandenen Gefühlen zum Herzog berichtet.

Mehr als das Nachdenken über die Inszenierung, bleibt das Sinnen darüber, was Victor Hugo, dessen Versdrama 'Le roi s'amuse' (1832) größtenteils vom Librettisten Francesco Maria Piave fast wörtlich übernommen wurde, und Verdi mitteilen wollten. Daß es Menschen gibt, die Dank ihres Standes, Geldes oder Amtes die Macht besitzen, ungestraft alles zu tun, was sie wollen; die über Gefühle, Leid und Sorgen ihrer Mitmenschen unberührt und brutal hinweggehen können, ohne selbst Schaden zu nehmen? Die ihren 'Spaß zu haben' auf oberster Stufe stellen können, ohne Rücksicht auf menschliche Verluste zu nehmen oder, um sich gar an ihnen zu ergötzen ? Oder die Feststellung, daß es - zumindest auf Erden - keine gerechte 'Rache', aber auch keine gerechte 'Strafe' gibt und Selbstjustiz kein Ausweg ist? Daß die Frauen das Spielobjekt der Männer sind und obwohl der Lasterhaftigkeit der Männer bewußt, sie doch zu allen Opfern bereit in Liebe zu ihnen erglühen, in der Hoffnung, doch etwas Wahres und Echtes zu finden? Daß alles doch nur vom Schicksal vorbestimmt ist ? Daß Rigoletto Opfer und Täter zugleich ist? Aktuelle Themen - im 16., 19. und 20. Jahrhundert wie in der Zukunft gleichermaßen die Menschheit bewegende Themen, die Verdis Musik dramatisiert und plastischer macht, mit, trotz und notfalls auch gegen aller Inszenierungsvarianten.

Gespannt darf man auf die Vorstellungen mit John Bröcheler sein, der den Rigoletto in dieser Inszenierung immerhin sechs Wochen lang geprobt hatte. Insofern müßte das Resultat noch etwas anders als am Premierenabend ausfallen.

Weitere Vorstellungen:
2., 4., 6., 25., 28. Dezember 1998 und 2. Januar 1999

CD-Tip:
'Rigoletto', RCA/BMG-Ariola, 1963, Robert Merrill, Anna Moffo, Alfredo Kraus, Ezio Flagello, Orchester der RCA Italiana, Georg Solti
'Rigoletto', Deutsche Grammophon, 1979, Piero Cappuccilli, Ileana Cotrubas, Plácido Domingo, Nicolai Ghiaurov, Wiener Philharmoniker, Carlo Maria Giulini

Lese-Tip:
'Rigoletto', Textbuch, Einführung und Kommentar, Kurt Pahlen, Piper Schott.