S trandgut0003 Adriana Hölszkys "Die Wände" Bei Neureichs Ja was denn, wollen wir etwa wie die Sozialneider und Banausen argumentieren? Warum soll sich die Oper denn nicht in Ausstattungsorgien ergehen? Warum verstecken, wozu moderne Bühnentechnik in der Lage ist? Und warum sollten die Zuschauer nicht staunen dürfen über riesige silbrige Türme, über Leuchtbalken, Stege und Brücken, die auf halber Höhe in den Bühnenraum ragen? Und nicht jauchzen über das, was vom Himmel hoch sich herabsenkt, Balkone, glitzrige Sonnen und Monde und alles immer funkelnagelneu aus dem High-Tech- Arsenal? Ah, und erst die die Kostüme, ein wahrer Rausch der Kreationen der Bühnen-und Kostümbildnerin Rosalie - und so teuer, wie bei den Neureichs, die als einzige sich nicht schämen zu protzen und zu klotzen. Wohin auch sonst mit dem Geld? Wie bitte, es seien öffentliche und zweckbestimmte Gelder? Gelder, die einerseits Kunst, andererseits den Zugang der nicht ganz so Betuchten zu dieser Kunst ermöglichen sollen? Ach, Verantwortung für öffentliche Gelder im Zeitalter der Korruption, was für ein seltsamer Begriff. Trotzdem, bleiben wir für einen Moment beim ersten Legitimationsgrund, der Kunst. Denn es gab sie. Es gab enorme Gesangs- und Musikerleistungen (Leitung: Bernhard Kontarsky), und mit Bravour haben sich Sänger, Chöre und Instrumentalisten durch die zerbrechenden Klangmassive der Komponistin Adriana Hölszky gearbeitet. Zu hören war das aber vor allem dann, wenn man die Augen schloss, wenn man nur Ohrenmensch war und sich vom Pomp und der Aufgeblasenheit der Inszenierung nicht behindern ließ. Um welches Stück es überhaupt ging? Eine gute Frage, auch an den Regisseur Hans Hollmann. Nun, laut Programmheft waren es Genets "Wände", sein 1961 erschienenes Hauptwerk, das zum Hintergrund den Algerienkrieg hat und dessen Personal sich aus den Ärmsten der Armen zusammensetzt, dem Bodensatz der kolonialisierten Gesellschaft. Gewiss, man weiß, Genet ist kein Sozialdichter, seine Stücke haben keine politische Botschaft (höchstens die der permanenten Revolte); sie sind - Genet hat es selbst immer wieder betont- wie Zeremonien, wie Maskeraden, wie Feste aufzuführen. Es sind Stücke, die gegen die Wirklichkeit geschrieben sind, die sie wie einen Alptraum abschütteln und sie im Fest für einen phantasmagorischen Moment entmachten. Aber das heißt nicht, dass die Wirklichkeit nicht existiert. Im Gegenteil, sie ist ständig anwesend, sie ist Bedingung und Grundlage für das Fest, ohne sie hat das Fest keinen Sinn. Auf der Bühne allerdings ist kein Fest zu sehen, sondern nur eine Entfesselung aller Ausstattungskräfte. Man feiert sich selbst und die eigenen extravaganten Einfälle, man schwelgt im Schick und teuren Schnickschnack (für insgesamt fünf Aufführungen). So strapaziert werden die Sehnerven in dieser Inszenierung, bis man am Ende nichts mehr sieht - außer schwarz. Vielleicht aber, kleiner Trost am Rande, wirkt das Beispiel auch abschreckend und ruft Gegenkräfte für künstlerisches Maß und Ziel auf den Plan. Jutta Baier Die Wände |