Offenbach-Post 16.03.2000 Ensemble Modern spielt Zeitgenössisches von Beat Furrer und Guo Wenjing Vorgeschmack auf die zweite Produktion des Projektes "Klangfiguren" der Oper Frankfurt, das sich zeitgenössischem Musiktheater widmet: Mit Guo Wenjing und Beat Furrer waren jetzt zwei Komponisten bei "Happy New Ears", der Werkstatt-Konzertreihe mit dem Ensemble Modern zu Gast, um Ausschnitte aus ihren Werken vorzustellen. Zunächst "Drama" des 1956 in Sezuan geborenen Guo. Die 20-minütige Komposition für drei Schlagzeuger aus dem Jahr 1995 ist nach Aussagen Künstlers "in dieser Instrumentation eine absolute Novität". Nicht nur Percussion wie Gongs, Cymbals und Becken kommt hier zum Einsatz, sondern auch Stimme, Pfeifen und Gurren der Spieler. Rumi Ogawa, Rainer Römer und Boris Müller setzten dies bravourös um. [...] Guos Kammeroper in vier Szenen mit dem Titel "Wolf Cub Village" hat im Juni im Bockenheimer Depot Premiere. Dann wird auch Beat Furrers Musiktheater "Die Blinden" zu hören sein. [...] Zu den Instrumenten Klarinette, Schlagzeug, Klavier, Violine und Violoncello gesellt sich eine Sopranstimme (Petra Hofmann), die zunächst ein geheimnisvolles Bettgeflüster anstimmt, das kaum noch klingende Töne enthält. Einmal mehr atemberaubend die Interpretation des Ensemble Modern. [...] (josch) |
Frankfurter Neue Presse Psychodrama verwandelt sich in Klang Von Gabriele Nicol [...] Es eint die beiden, den Chinesen und den Austro-Schweizer, nicht viel, aber doch eines: ihre spezielle Form von ausdrucksstarkem Minimalismus. In Guos "Drama" (1995) für drei Schlagzeuger und deren drei Stimmen ist es die Beschränkung auf sparsamste Besetzung. [...] Furrers "Aria" (1999), die wohl Teil einer neuen Oper wird, braucht etwas mehr: einen Sopran (Petra Hoffmann), der freilich bis auf wenige Tonmomente eher geräuschhaft anwesend ist, und ein Sextett fast aller Orchesterfarben, die sich nur als Klangahnung in Erinnerung bringen. Stärker kann man Klang eigentlich nicht reduzieren - aber das schärft das Zuhören bei einem Prozess, in dem im Grunde vom Verstummen einer Liebe die Rede ist. [...] Ein spannender Abend. |
____________________ Frankfurter Rundschau 14.03.2000 Happy New Ears [...] "Drama" nennt der 44-jährige Komponist aus der Provinz Sezuan die Folge starrer metrischer Raster, die zu fast sprachgestisch wirksamen Profilen ausgeformt werden. Beste asiatische Tradition war die Ausdrucksfülle dieser Klapper-Maskerade, die man von tibetanischen Mönchsorchestern her kennt. Auch deren oft grelle vokale Interjektionen hat sich Guo zu Eigen gemacht. [...] Auf dramaturgischer Zielgerade folgt ein höchst intrikater Kontrapunkt vom fast gleichaltrigen Schweizer Komponisten Beat Furrer. Dessen Kammeroper Die Blinden und Guo Wenjings WoIf Cub Village werden im Juni im Rahmen des Frankfurter Klangfiguren-Projekts produziert werden. Wie geborstenes Verbundglas, splittrig und höchst bröckelig, mit scharfen Schnittkanten und doch perfekt verklammert und gegeneinander austariert, zeigte sich Aria. Das Werk, erst im vergangenen Jahr entstanden, ist die Vertonung eines Gedichts von Günter Eich, das die ätherische Stimme Petra Hoffmanns in gleicher Weise zerlegte wie es das geforderte und vom Komponisten luzide dirigierte Ensemble Modern in Hinblick auf die instrumentale Textur tat: eine Schicht zischelnder, vegetativ anmutender Friktionen, darüber quirlige Kürzel und als Spitzen einige leuchtende Vokalisen. Das fernöstliche Sprichwort war durch Furrer treffend variiert worden: In der Brechung liegt die Kraft. (usk) |
Wiesbadener Kurier Zeitgenössische Opern-Einakter im Bockenheimer Depot Wahn und Wahrnehmung Während sich die Meldungen über Intrigen hinter den Kulissen überschlagen, der Intendant Martin Steinhoff offenbar schrecklich mit dem Generalmusikdirektor Paolo Carignani zerstritten ist, freut sich die Oper Frankfurt über immer bessere Auslastung und ist auch bei Projekten, die nicht unbedingt den großen 'Ansturm versprechen, nicht faul. Sehr ambitioniert ist die bis ins Jahr 2004 geplante Reihe "Klangfiguren", mit der bekannte und unbekannte Werke zeitgenössischen Musiktheaters zur Diskussion gestellt werden. Im Bockenheimer Depot nun kombinierte die Choreografin und Regisseurin Rosamund Gilmore zum Auftakt der "Klangfiguren" die Einakter "Wolf Cub Village" des Chinesen Guo Wenjing und "Die Bilden" von Beat Furrer zu einem beklemmend düsteren Abend: äußerst präzise ihre choreografische Personenführung, fesselnd die Wechselwirkung von gestischer und musikalischer Hochspannung. Das Libretto von Guo Wenjings Kammeroper geht auf Lu Xuns Tagebuch eines sich unter Menschenfressern wähnenden Wahnsinnigen (?) zurück und lässt sich als Parabel auf allerlei schreckliche Wirklichkeiten lesen, bei denen es nicht ganz einfach ist, zwischen Wahn und Wahrheit zu unterscheiden. Musikalisch spielt diese grausame Geschichte in einer überwiegend kammermusikalisch feinen, fast märchenhaft versponnenen Klagwelt, die sanft im Rauschen eines veritablen Sommerregens ausklingt. Das Bassin, in dem sich Madman (Peter Marsh) und die kafkaesk grauen "Dorfbewohner" begegnen, füllt sich langsam mit Wasser. Süß sind die Melismen des Bauernmädchens und des Geistes (Deborah Lynn Cole), die Tradition westlicher Sakralmusik scheint präsenter zu sein als chinesische Folklore.Der Rhythmus, die Motorik der Komposition aus dem Jahr 1994 erinnert an Strawinsky. Unzugänglicher, rauer, härter ist Beat Furrers Musiktheater nach Texten von Maeterlinck, Rimbaud, Hölderlin und Platon: ein Raum-Konzert ohne eigentliche Handlung. Es gibt da einen richtigen Platon-Chor, der aus dem Höhlengleichnis singt, und den verschiedenen Text-Ebenen entsprechen musikalische Schichten, denen sich das Ensemble Modern, die Solisten und das Vokalensemble unter der Leitung von Ed Spanjaard eindrucksvoll widmen. Mit den Aspekten der Wahrnehmung, die in beiden Werken auf ganz unterschiedliche Weise thematisiert wird, spielt auch Rasmund Gilmores Inszenierung im Bühnenbild von Carl Friedrich Oberle: Zwei Tribünen stehen einander gegenüber, in der Mitte das Bassin, in dem gespielt wird und um das herum sich zwei Tänzer bewegen. Nach der Pause wechselt das Publikum die Tribüne und mit ihr die Perspektive, wird Zeuge eines Rückspiels das ein absurdes Endspiel zu sein scheint. |