OPERA NEWS
July 2000

Deutsche Staatsoper, Berlin:
Meyerbeer’s Robert le Diable

Review by JOCHEN BREIHOLZ

There once was a time when Robert le Diable was counted among the most popular of operas. In the first three years after its 1831 world premiere in Paris, seventy-seven companies in ten countries presented Giacomo Meyerbeer's dark, medieval tale of a man torn between two women and a satanic father. With Wagner's growing influence on the development of opera, Robert's lucky star faded, and by the end of the nineteenth century, it stood at the threshold of oblivion. The piece was last performed at Berlin's Staatsoper, under the baton of Richard Strauss, in 1902. After World War II, only three productions worldwide could be traced.

The version unveiled by Staatsoper on March 11 marked the premiere of the new critical edition, published this spring by Ricordi and based on autographs of the score found in a Krakow library, plus additional material from the Bibliothèque National in Paris. And there were special treats: for the world premiere, Meyerbeer composed an aria that Nicholas (Prosper) Levasseur, creator of the role of Bertram, refused to sing, because he found it too difficult and too high. In the performing history of the work, no bass had ever dared to take on the challenge of this aria, so when Kwangchul Youn sang it on opening night, it was heard for the first time ever. Meyerbeer's ballet for the prima ballerina Maria Taglioni at the Berlin premiere, in 1832, also was performed here. Why has this grand opera been ignored for so long? Marc Minkowski bit into the lush score as if it were a ripe, deliciously exotic fruit, making his audience taste its almost decadently rich flavor. The arias, duets, trios and ensembles -- strikingly modern for their time, surprising in their clever dramatic effects -- possess an incomparable, highly theatrical style and foreshadow Wagner as much as Verdi.

The cast assembled for this Robert left little to be desired. As Alice, Marina Mescheriakova stunned the audience with her lavish soprano, which seemed almost too full-bodied for the intimate space of the Staatsoper. Even more amazing was that from one moment to the next this artist could reduce her voice to a tender, soaring piano. As Isabelle, Nelly Miricioiu revealed impeccable technical control of her soprano. Wisely, the singer occasionally used a harsh quality for even more expression and insight into the character; she turned her great aria "Grâce pour toi" into one of the evening's high points. Histrionically, she was beyond fault as well. As the evil Bertram, Youn enveloped the audience in waves of velvety sound, throwing in a lesson in French style, and Stephan Rügamer limned the part of Raimbaut with his smooth tenor and fresh, passionate acting. Only Chinese tenor Jianyi Zhang, lacking presence in the title role, struggled, especially in his forced upper register.

Claiming that Meyerbeer's monumental grand opera anticipated such historical Hollywood epics as Ben Hur and Ivanhoe, director Georg Quander set Robert in a 1950s movie theater. The story developed like Woody Allen's Purple Rose of Cairo, with the projectionist (Zhang) identifying with the movie's medieval hero and entering the world behind the screen. Ruth Schaefer's sets and costumes perfectly captured the spirit of the '50s, as well as the splendor of courtly life in the Middle Ages, all appropriately designed in wonderful, rich colors. This Robert lasted more than five hours, every minute of it worthwhile.

Copyright © 2000 The Metropolitan Opera Guild, Inc.

 

Berliner Morgenpost
13.3.2000

Dies vorweg: Die Aufführung ist überaus hörenswert. Optisch ist sie über weite Strecken hin faszinierend... Fünf geschlagene Stunden lang beschäftigt Robert der Teufel von Giacomo Meyerbeer, nach annähernd hundert Jahren heimgekehrt in die Lindenoper, das am Ende durchaus begeisterungsvolle Publikum. Das Stück ist ein Alptraum, der süchtig macht. [...] Meyerbeer erfand am laufenden Band eine Musik, aus der spätere Generationen nicht zu knapp ihre eigenen Werke betankten; Richard Wagner und Verdi nicht ausgenommen. Er revidierte sein ausladendes Stück immer aufs Neue. 23 Kilo wog am Ende die revisionsbedürftige Partitur des Jahrhundertstücks, aus der die Musikwissenschaft dankenswerter Weise die jetzt aufgeführte, ausführliche Version herausgeforscht hat. [...] Es war fraglos ein Glücksgriff, dass sich die Lindenoper Marc Minkowski für die musikalische Einstudierung gewann. Er ist ein Mann der historischen Aufführungspraxis, in der Meyerbeer, sie immerfort sprengend und erneuernd, noch gründet. Minkowski gibt dieser musikalischen Melange aus Rückblick und Zukünftigkeit den durchaus zutreffenden, eigenwilligen Klang. Er lässt die Arien und Ariosi individuell auszieren. Er schneidet die Virtuosität des Gesangsduktus nicht zurück, aber hält sie an der Taktstock-Kandare. Die Staatskapelle fasst auf Anhieb vorzüglich Tritt. Sie spielt deutlich und genau Meyerbeer. Sie schenkt Berlin den großen Musik-Berliner vorzüglich restauriert zurück. Die weitere Überraschung: Georg Quander, der Intendant im Gewand des Regisseurs, pokert hoch, aber gewinnt am Ende. Er rührt das heroisch krause Geschehen zum Kintopp hoch. Er feiert ebenso überlegt wie überlegen und angekichert Filmfestspiele im Opernhaus, bei denen die Darsteller (wie weiland bei Woody Allen) immer wieder die Leinwand sprengen und in die Wirklichkeit herüberspringen. [...] Robert der Teufel gleicht einem Musik-Vulkan, von dem man nie weiß, was er im nächsten Augenblick herausschleudern wird: Glut oder Asche, Felsbrocken oder sich dahinwälzende, kochende melodische Lava. Die Lindenoper jedenfalls hat sich an ihr nicht die Finger verbrannt.

Klaus Geitel

 

Kölnische Rundschau
13.3.2000

[...] Einhellige Begeisterung vereinte sich hingegen über dem Dirigenten des Abends, Marc Minkowski. Jedenfalls ließen die frische, würzige Schärfe, die kühle Brillanz und dramaturgische Bündigkeit, zu der er die Staatskapelle führte, die Qualitäten der Partitur in bestem Licht erscheinen. Eine CD-Einspielung –Minkowski denkt darüber nach – wäre sehr zu wünschen, zumal inzwischen eine kritische Partiturausgabe (2300 Seiten!) vorliegt, von der schon diese Berliner Aufführung zehren konnte. [...] Kaum glaublich beispielsweise, dass ein so eindringliches  Stück wie Bertrams Abschiedsarie, in der seitherigen Aufführungspraxis durch eine vergleichweise neutrale Kurzfassung ersetzt, hier das erste Mal nach über 150 Jahren wieder in ihrer Urform erklang [...]

Gerald Felber

 

Berliner Zeitung
13.3.2000

[...] Ein Glücksfall aber vor allem war die Entscheidung für diesen Dirigenten, für Marc Minkowski, der mit der gut disponierten Staatskapelle den interessierenden Ton traf: eine trockene, schnelle, reaktionssichere Expressivität, die den Effekt sicherstellte, ohne ihn an die Sentimentalität zu verschenken, und zugleich die sprechende Linie in den rezitativischen Partien.

Stephan Speicher

 

Süddeutsche Zeitung
13.03.2000

[...] Manchmal, in den großen und heiteren Momenten, hat das Glück einen Namen. In der Berliner Lindenoper, in Giacomo Meyerbeers Robert le Diable, heißt dieser Name Marc Minkowski. Denn der kaum mehr als vierzig Jahre alte Dirigent, wohl der begabteste, leidenschaftlichste und sympathischste der jüngeren Alte-Musik-Macher, tanzt diesen erstmals nach  der neuen kritischen Ausgabe aufgeführten 'Teufel' als einen unwiderstehlichen Cancan unterbewußter Wünsche und  Sehnsüchte.

[...] Wir hören Meyerbeer als Offenbarung. Weil Minkowski ihn nicht vom Antisemiten Richard Wagner und der verschlampten modernen Aufführungstradition her begreift. Sondern als Konsequenz einer Entwicklung, die über Lully, Händel, Rameau, Mondonville und Gretry - Minkowski hat viele Stücke dieser Komponisten mit seinen 'Les Musiciens du Louvre' und wie Erleuchtungen ins Heute befördert - zu Meyerbeer führt. Also weiß und will Minkowski, dass es keinen Mischklang geben darf, dass Holzbläser, kombiniert mit Harfe, nur in völliger Klarheit gespielt ihren soghaften Reiz entfalten, dass hier französische Folklore en masse eingearbeitet wurde, dass  Meyerbeer barocken Kontrapunkt und Mittelstimmen-Wunder so gut beherrscht, dass er damit im romantischen Klangbild mehr Teufeleien zaubern kann als mit äußerlichen Effekten. [...]

All das macht Minkowski, der seine durchwegs guten Sänger  nie zudeckt, schaurig schön hörbar. So schälen sich nicht nur die historisch überkommenen Modelle wundervoll plastisch und immer vergnügt hüpfend heraus. Es lassen sich nun all jene kühnen Neuerungen, grandiosen Bruchstellen und Übersteigerungen in Meyerbeers erster für Paris geschriebenen Oper als schockierende Novitäten erleben - noch einmal und heute. Denn dieses 1831 an der Opéra erstaufgeführte Megastück bleibt der Angelpunkt für das große, auf Spektakel gemachte Musiktheater: Bis hin zu Arnold Schönbergs Moses und Aron und Bernd Alois Zimmermanns Soldaten haben hier alle Komponisten gelernt, wie man Musik, Text, Theater, Decors, Tanz und Bewegung zu jener überwältigenden Melange zusammenschmelzen kann, die Oper sein soll.

Erst kürzlich haben die Forscher Peter Kaiser und Wolfgang Kühnhold zum Auftakt der Meyerbeer-Werkausgabe jene kritische Edition des Robert vorgelegt, die nun erstmals die Grundlage abgibt für eine Bühnenproduktion. Denn wie viele für Paris geschriebene Opern - Offenbachs Hoffmann, Bizets Carmen, Gounods Faust, Verdis Don Carlo - gibt es auch vom Robert keine definitive Fassung. Diese Stücke sind aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte zwischen patchwork und/oder work in progress angesiedelt. Die kritische Robert-Ausgabe bringt nun alle Alternativen und Szenen zusammen; in Berlin gibt es daraus vier Stunden Musik zu hören. [...]

Reinhard J. Brembeck

 

Neue Zürcher Zeitung
13.3.2000

[...] Angekündigt war Robert le diable, jenes Werk, mit dessen Uraufführung 1831 in Paris Giacomo Meyerbeer auf einen Schlag berühmt geworden ist. Wie Les Hugenots und Le Prophète, die später entstandenen Opern Meyerbeers, hat Robert le diable nicht nur die Entwicklung des Musiktheaters massgeblich beeinflusst, sondern zählt auch zu den erfolgreichsten Stücken überhaupt, wenigstens bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Danach freilich ist Meyerbeer gründlich in der Schublade verschwunden; und auch wenn es in jüngerer Zeit da und dort Wiederbelebungsversuche gegeben hat, kann von einer Renaissance keine Rede sein. Meyerbeer ist Gegenstand der Musikforschung, und dort werden grosse Stücke auf ihn gehalten. Von der Überwindung des national geprägten Stils ist die Rede und seinen Neuerungen hinsichtlich der musikalischen Dramaturgie wie der Szenerie. Dass das Interesse, diese Befunde an der Praxis zu überprüfen, erheblich ist, liegt auf der Hand.

Um so grösser war die Spannung, als die musikalische Leitung in den Händen von Mark Minkoski lag, einem Spezialisten der historischen Aufführungspraxis, der sich aber auch im Bereich der Klassik und der frühen Romantik einen Namen gemacht hat. Unter seiner enorm körperhaften Zeichengebung  ist es der Staatskapelle Berlin denn auch gelungen, die Besonderheiten der Partitur in hellstes Licht zu stellen. Dass sich der Kontrast zwischen Gut und Böse, der das Stück dramaturgisch trägt, ganz klar in der Instrumentation niederschlägt, dass das Himmlische in ätherischen Klängen von hohen  Streichern und Holzbläsern, die Bereiche der Hölle dagegen bei vier Kontrabässen und Pauken aufgehoben sind, wurde handgreiflich zum Ausdruck gebracht - und so war denn auch nachzuvollziehen, worüber sich die Meyerbeer feindlich gesinnten Berliner Musikkritiker damals so fürchterlich geärgert haben. Auch die einzigartige Spannung im Finale, in dem der endgültige Höllensturz des Bösen bis an die Grenze des Erträglichen hinausgezögert wird, kam voll zur Wirkung [...]

Peter Hagmann

 

Der Standard
13.3.2000

[...] Aber Meyerbeers grand opéra, in dem ein selbstbewusstes Bürgertum geistreich über politische Gegensätze, falsche Frömmigkeit und psychische Konflikte diskutierte, ist äußerst lebendig und durchaus nicht überholt, schon allein die Frage, wie sich verhalten, wenn der liebende Vater ein Teufel ist, könnte nach wie vor brisant sein [...]

Bernhard Doppler

 

Der Tagesspiegel
13.3.2000

[...] Anschauen sollte man sich Robert den Teufel unbedingt. Allein weil die Oper eine der wichtigsten der ganzen Operngeschichte ist. Außerdem, weil man sie sonst nirgendwo auf der Welt halbwegs vollständig sehen kann und schließlich, weil das ganze editorische Drumherum dieser Staatsopern-Ausgrabung (erste Aufführung nach der druckfrischen, historisch-kritischen Werkausgabe) so mustergültig ausgefallen ist, wie man es sich nur wünschen kann. Eine überfällige Wiedergeburt also von Giacomo Meyerbeers erster 'Grand Opéra', die bei ihrer Uraufführung anno 1831 sowohl wegen der Neuartigkeit ihrer Orchestersprache als auch wegen ihrer revolutionären Theatereffekte Sensation machte [...]

Jörg Königsdorf

 

Braunschweiger Zeitung
16.3.2000

Musikalisch ist die Sache ein Ereignis. Und wenn man Richard Wagner auch noch so sehr mag, was Giacomo Meyerbeer anbelangt, hätte er gerechterweise bei seiner anfänglichen Verehrung bleiben sollen. Dessen Robert le diable, wie er jetzt an der Berliner Lindenoper von Marc Minkowski und der Staatskapelle Berlin dargeboten wurde, erwies sich jedenfalls als packendes Stück Musiktheater. Grob gesagt, erinnert Meyerbeers Tonsprache an diejenige Verdis. Ebenso melodisch einfallsreich und doch nicht mehr starr ans Arien-Rezitativ-Schema gebunden; ebenso mit Freude an stimmlicher Brillanz verziert, aber doch über bloße Belcanto-Artistik schon hinaus; ebenso auf große, sich steigernde Ensemble-Szenen hinführend, die der Handlung Besinnungspausen zumuten, aber eben nicht mehr in unglaubwürdigen Rhythmen von der Forderung des Inhalts gelöst sind. Minkowski hat das alles mit Prägnanz herausgearbeitet, ohne nur je den üppig orchestralen Klang aufzugeben. Er jubelt uns Meyerbeer nicht als filigranen Rossini-Ersatz unter, sondern gibt dem Begründer der Grand Opéra sinnliche Opulenz. Da darf die Staatskapelle mit Pauken und Blech auftrumpfen und vermag doch subtile Details für Harfe und Trommel auszukosten. [...]

Andreas Berger