Frankfurter Rundschau Spiel in der Puppenstube Von Axel Brüggemann Es ist ein Trend , dasss kleine Häuser mit der großen Oper ganz groß herauskommen wollen. Sicher: Karlsruhe und Bern haben es vorgemacht und in ihren Tristan-Versionen innovativen Werkstattcharakter bewiesen. Dem Meininger Theater soll der Ring in einem Rutsch bald ebenfalls Prestige bescheren - ein Unternehmen, das in Mannheim gerade schief gegangen ist. Und auch in Darmstadt ist Tristan jetzt Chefsache geworden. Operndirektor Friedrich Meyer-Oertel will das Mammutstück stemmen und - überhebt sich dabei gemeinsam mit seinem Ensemble. Die allgegenwärtige Wagnermanie wird zum Grundsatzproblem: Stadttheater können die gesanglichen Ansprüche mit eigenen Sängern kaum noch bewältigen (vorbei die Zeit, als deutsche Theater ein Wagnerensemble wie selbsverständlich am Haus hatten), und auch die stimmstarken "Wagner-Toruisten" sind rar. Überdies stehen Regisseure vor einer derart aufgeblähten Rezeptionsgeschichte, dass sie sich gut überlegen sollten, welche Botschaft eine Wagneroper heute noch transportieren soll, außer jener, der lokalen Eventkultur zu frönen und die Leistungsfähigkeit ihres Hauses effektiv in Szene zu setzen. Genau dieses aber scheint Ansinnen in Darmstadt - und kein anderes. Zweifel schon bei der Sängerbesetzung, die um Hausdiva Susan Owen (die lokale Claque lässt sie auch jetzt nicht im Stich) herumgebastelt ist. Ein kräftiger, aber äußerst ungenauer Sopran, der heldisch zuweilen gern mit laut verwechselt. Eine Stimme ohne einheitlichen Klang und Phrasierungslust. "Mild und leise" ist da wenig, wenn sich Owen fast im Freistil (mit mächtigem Primadonnengehabe) durch die Partie hangelt. Sie bleibt eben 'die Owen' und wird keine Isolde. Ihr zur Seite steht der diesjährige Bayreuth-Debütant Raimo Sirkiä. Doch auch der finnische Tenor leidet in seiner Gastrolle unter der anspruchsvollen Tristan-Tortur, schont sich im zweiten Aufzug bewußt, ohne im dritten Kraft und Höhe zu finden: Temposchwierigkeiten, Sprachschwierigkeiten, Präzisionsschwierigkeiten. Besonders in den Duetten ("Süsseste Maid! - Trautester Mann!") ist von "höchster Lust" nur wenig zu spüren - zwei Sänger sind über ihren Grenzen gefordert; selten gab es mehr falsche Tristan-Töne als hier. Solide dagegen die akkurat und durchdacht auftretende Brangäne, die Michaela Schuster als servile Dienerin interpretiert. Anton Keremidtchiev kann seine große Stimme als Kurwenal nicht immer in geordnete Bahnen lenken, und Peter Klaveness' Bass ist für die mächtige Rolle etwas zu hell, nicht durchschlagend genug timbriert. Im Graben bemüht sich Marc Albrecht um Schadensbegrenzung für diese abenteuerlichen Disposition. Er streicht wo es möglich ist, und sorgt mit dem vortrefflich abgestimmten Orchester für süffige Präzision, balanciert gewieft zwischen Ensembles und Soli, haut gern mal auf die Pauke und leitet dann wieder volltönende Piani. Allein das Vorspiel, das sich mit gigantischen, stets spannungsgeladenen Generalpausen aus dem a-Moll-Murmeln erhebt, zeigt die Klasse des Orchesters. Doch Albrecht nimmt - und das zeichnet ihn aus - Rücksicht auf das Ensemble, hält sein Orchester immer wieder zurück, passt sich an, gerät in Koordinationsschwierigkeiten, verschlurt so die anfangs angelegte Tiefenschärfe und motivische Stringenz. Auf der Bühne bleibt Regisseur Meyer-Oertel zwei Aufzüge lang passiv. Die Bühnen-Box von Hans-Martin Scholder, ein weißer Raum samt Ottomane, Schrank und Stehtisch, nutzt er nicht, um Tristan etwa ins Barock (oder ins Fin de siècle wie die Kostüme von Eva Dessecker es andeuten) zu übersetzen. Er setzt auf eine private Liaison, erinnert uns an Wagners Eskapaden im Zürcher Exil, als er Mathilde Wesendonk verführte und die ursprünglich kleine Oper zum "Ehebruch unter Pauken und Trompeten" aufblies. Von Novalis' Romantik, dem Paar der Dunkelheit, bleibt außer knallend fallender Farbprospekte und der obligaten Fackel keine Spur. Meyer-Oertel veranstaltet ein Rampensingen, lässt seine Charaktere an der Wand entlang leiden, findet keine griffige Personenführung, um das Drama der "inneren Handlung" zu erklären. Erst im letzten Aufzug, zum Liebestod, schiebt sich die Szene mit lautem Quietschen auf die Hinterbühne: Der Guckkastenrahmen fällt, nackte Scheinwerfer auf der Bühne, und statt dionysischem Tod folgt ein Abgesang. Alles nur ein Spiel in der Puppenstube. Doch ein Tristan wie dieser bleibt letztlich, wenn das kleine Haus die große Oper auf die leichte Schulter nimmt, ein Spiel mit dem Feuer - bleibt Wagnermanie ohne Wonne. [ document info ]Copyright © Frankfurter Rundschau 2000 Dokument erstellt am 03.10.2000 um 21:17:47 Uhr Erscheinungsdatum 04.10.2000 |
Darmstädter Echo Friedrich Meyer-Oertel inszeniert Wagners Werk im Staatstheater Darmstadt Von Heinz Zietsch Mit einem Sextsprung eröffnen die Celli das Vorspiel, schrauben sich in wenigen Halbtönen abwärts, ähnlich verfahren Fagotte, Englisch Horn und Klarinetten, während sich die Oboen in Halbtönen (chromatisch) nach oben winden. Danach eine Pause, um Atem zu holen für einen neuen Anlauf. Die Pausen bringen keine Entspannung, sondern halten die Spannung aufrecht. Eine musikalische Geste, die das Unfassbare zu umschreiben versucht: die immer wiederkehrende Sehnsucht des Menschen nach Liebe. Richard Wagner hat sie in "Tristan und Isolde" zum Thema gemacht. Dieses Motiv, das in einem dissonanten Akkord kulminiert, dem "Tristan"-Akkord, der nicht mehr zurückgeführt wird in eine eindeutige Harmonie, sondern unaufgelöst stehen bleibt, um sehnsüchtiges Verlangen (nach Auflösung und Erlösung) hörbar zu machen, dieser Akkord hat um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Musik revolutioniert und bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts hinein nachgewirkt, weil er die traditionelle Harmonik gesprengt hat. Motiv und Akkord wiederholen sich mehrmals, werden pausenlos gesteigert, als müsste alles gipfeln in einem endlosen Rausch immer wieder neu zufließender Harmonien, die ausufern in eine unendliche Melodie. Es war weniger der "Ring", der im 19. Jahrhundert den Wagner-Rausch verursachte, zumal in Frankreich, als vielmehr der "Tristan". Baudelaire schrieb unter dem Eindruck der Musik Wagners seine Gedichte. Debussy, dessen Oper "Pelleas et Melisande" ohne "Tristan" undenkbar wäre, war ein glühender Wagnerianer, der sich aber gleichzeitig von seinem Idol ironisch zu distanzieren wusste, indem er das "Tristan"-Zitat musikalisch spöttelnd in einen Walzer verwandelte und mit einem Foxtrott kombinierte (in "Golliwog's Cake-walk" aus dem Klavierzyklus "Childrens Corner"). Mahler bewunderte Wagner, dessen Sinfonien auch als Antwort auf den "Tristan" zu begreifen sind, erst recht Schönberg, der bald erkannte, dass mit dem "Tristan" die traditionelle Harmonik am Ende angelangt war. Verdi hat - wohl unter dem Eindruck des Wagnerschen Werks - mehr als zehn Jahre keine Oper komponiert. Generalmusikdirektor Marc Albrecht beginnt mit äußerstem Piano. Kammermusikalisch durchsichtig, fast schütter breitet der Dirigent das Vorspiel aus, um die musikalischen Erschütterungen zu verdeutlichen, die der "Tristan" bewirkt, aber auch, um steigernd den Bogen zu spannen zu den ekstatischen und rauschhaft wuchernden Orchesterklängen. Wagners raffinierte Instrumentation leuchten der Dirigent und das Orchester glänzend aus. Selten hat man im Staatstheater ein derart feines, fast säuselndes und dennoch konturenreiches Piano der Streicher vernommen. Die Bläser gewinnen immer mehr an Format und servieren intensiv ausgespielte und volumenreiche Töne. Im zweiten Akt umschmeicheln sich dann die Töne gegenseitig, ähnlich wie sich auch Tristan und Isolde voller Sehnsucht zu umfassen versuchen. Bereits zu Beginn des zweiten Aktes wurde Marc Albrecht am Samstag im ausverkauften Großen Haus vom Premierenpublikum mit Beifall überhäuft und mit Bravorufen empfangen. Nicht nur, weil es seine letzte szenische Operneinstudierung ist vor seinem Weggang Ende Januar nächsten Jahres, sondern vor allem, weil er das Orchester zu einer großartigen Leistung animiert. Wagners "Tristan" kann auch als eine dreiaktige Opernsinfonie verstanden werden: Der musikalische Satz ist sinfonisch, und die Singstimmenbehandlung wirkt gerade in diesem Werk instrumental. Deshalb hat der Zuschauer manchmal Mühe, den gesungenen Text zu verstehen; trotzdem sollten die Sänger stärker auf Textverständlichkeit achten, als das bei der Premiere geschehen ist. Nach der gut fünfstündigen Aufführung (die beiden Pausen zwischen den drei Akten dauerten jeweils mindestens eine halbe Stunde) wurden Marc Albrecht und das Orchester vom Publikum mit Ovationen bedacht. Eine schöne Geste, dass der Dirigent das komplette Orchester mitsamt Instrumenten auf die Bühne holte. Schließlich ist es das Orchester, das im "Tristan" in erster Linie für Spannung zu sorgen hat. Als dann der Regisseur Friedrich Meyer-Oertel, der Bühnenbildner Hans-Martin Scholder und die Kostümbildnerin Eva Dessecker an die Rampe traten, waren auch ein paar wenige Buhs zu vernehmen, die aber von Beifall und Bravorufen alsbald übertönt wurden. Erstaunlich aber, dass ein wohl einzelner, dafür aber lautstarker Buhrufer, ausgerechnet Susan Owen, die Sängerin der Titelpartie, mit seinen Missfallensbekundungen niederzumachen trachtete. Nichts gegen Buhs, die auf eine Inszenierung gemünzt sind, aber einem Sänger gegenüber, der sich drei Akte lang fast ununterbrochen engagiert und Höchstleistungen bringen muss, ist ein solches Verhalten, gelinde gesagt, stillos und unhöflich. Derlei hat diese Sopranistin nicht verdient, auch wenn ihr mal am Ende schier die Stimme versagt, weil sie sich so intensiv in die Rolle der Isolde hineinversetzt hat. Susan Owen gestaltet ihre Partie geradezu expressiv und gestenreich. Die drei strapaziösen Akte über besitzt diese Sängerin ein enormes Durchhaltevermögen und verleiht dabei den Tönen stets genügend Konturen bis ins feine Piano hinein. Eine Sängerin, die sich auf Nuancen versteht und ihre Stimmkraft geschickt einzuteilen weiß. Raimo Sirkiä als Tristan - der einzige Gast in dieser Inszenierung - erfüllt wohl nicht ganz die Erwartungen, die man in ihn gesetzt hat. Seine baritonal gefärbte Tenorstimme hat nicht immer das nötige Durchsetzungsvermögen und klingt mitunter belegt und etwas angestrengt. Tadellos und perfekt in der Tongebung, beeindruckend in Gesang und Spiel verkörpert Michaela Schuster die Brangäne. Eine außerordentliche Sopranistin mit beachtlichem Stimmpotential. Sie dürfte noch eine große Zukunft vor sich haben. Beeindruckend auch der Bass von Peter Klaveness als König Marke, der Bariton von Anton Keremidtchiev als Kurwenal und der Tenor von Markus Brück als Melot. In weiteren Rollen waren noch Dan Karlström, Hans Christoph Begemann und Andreas Wagner zu vernehmen. Andre Weiss hat den Herrenchor des Staatstheaters einstudiert. Friedrich Meyer-Oertels Inszenierung erzählt die Geschichte von Tristan und Isolde im Mobiliar und den Kostümen der Wagnerzeit. Gezeigt wird ein Bürgersalon, der im dritten Akt zerstört und unansehnlich geworden ist. Sobald Tristan und Isolde ihrer Liebe gewahr werden, öffnet sich die Enge des Raums. Die beiden Liebenden sind für einander frei geworden. Im zentralen zweiten Akt spannt sich ein mit grellen Farben bunt bemalter Vorhang von oben bis herunter zum Bühnenboden: ein abstraktes Gemälde, das je nach Beleuchtung verschiedene Farbnuancen bekommt. Als Tristan und Isolde in flagranti von König Marke und seinen Mannen ertappt werden, fällt der Vorhang herunter, die Welt ist wieder fahl und farblos geworden. Eine neue Sicht auf den "Tristan" bietet die auch in der Personenführung genau kalkulierte Inszenierung des Darmstädter Operndirektors zunächst nicht - die hat er sich für den überraschenden Schluss vorbehalten, der als "Isoldes Liebestod" kolportiert wird. Doch bei Wagner ist vom Liebestod keine Rede. Es ist nicht eindeutig, ob Isolde stirbt oder weiterlebt. In Meyer-Oertels Version steigt Isolde von der Guckkastenbühne herunter, die sich dann nach hinten bewegt, und steht allein auf der Bühne, um mit ihrem Schlussgesang einer kosmischen, das All umfassenden Liebe zu huldigen. Derweil erwachen der tote Tristan und seine im Kampf gefallenen Vasallen wieder zu neuem Leben. Hier widerspricht der Regisseur Wagner, der in seinem "Tristan" verkündet, die wahre, absolute Liebe sei nur im Tod erfüllbar. Transzendiert also Meyer-Oertel den Schluss zu einer Art Auferstehung? Fordert er einen neuen Menschen im Sinne des revolutionären Wagner, wie man ihn vom "Ring" kennt? Womit der "Tristan" politischer wäre, als man bisher geglaubt hatte. Oder will dieser Schluss nur ganz lapidar sagen: Wahre Liebe heißt leben? Folglich dürfen Tristan und Isolde auch nicht sterben. |
Darmstädter Echo Andere Stimmen zu "Tristan und Isolde" in Darmstadt "Tristan und Isolde dürfen nicht sterben" war die Kritik zu Friedrich Meyer-Oertels Inszenierung am Staatstheater Darmstadt in dieser Zeitung überschrieben. Auch andere Rezensenten beschäftigten sich mit der Premiere der Wagner-Oper am Samstag. Hier eine Auswahl anderer Stimmen: Axel Zibulski lobt im Wiesbadener Kurier: "Dass ein Piano nicht gleich ein Piano ist, beweisen bereits im Vorspiel subtile dynamische Abstufungen. Und wie man entrückende Stimmungen färbt, zeigt Albrecht beispielsweise nach der Einnahme des "Liebestranks": Solche Sublimierungen der inneren Handlung gelingen dem Orchester in überwältigender Suggestion, durch ein feinfühliges Auskosten harmonischer Schwebelagen und mit schillernden Klangfarben." Auch Michael Dellith, Kritiker der Frankfurter Neuen Presse, war zufrieden: "Da scheinen die heutigen Sänger weitaus robuster. Und wenn sie von der Regie nicht noch zusätzlich strapaziert werden, erweist sich der 'Tristan' durchaus als singbar. In diesem Punkt muss man der Darmstädter Inszenierung von Friedrich Meyer-Oertel ein Lob aussprechen: Sie gibt der Musik genügend Freiraum zur Entfaltung. (...) So kommt die eigentliche Sensation des Darmstädter 'Tristan' aus dem Orchestergraben. Wie Albrecht dort seinen Musikern einen zunehmend flexibleren und farbigeren Wagner-Klang ohne triefendes Sentiment entlockte (intensiv bei den Streichern, wohl intoniert bei den Bläsern), das war höchst bewundernswert, Die musikalischen Leistungen fand auch Ellen Kohlhaas von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bemerkenswert. Bühne, Kostüme und Regie gefielen ihr weniger: "Im ersten Darmstädter ,Tristan' seit mehr als 60 Jahren sind Licht und Raum entscheidende Erzählelemente, vor allem auch deshalb, weil die Personenführung in dem schwer zu inszenierenden Werk weitgehend in Konventionen von Klischeegestik und Rampensingen verharrt. Spannung in der Innenschau will kaum aufkommen." Susanne Kaulich vom Mannheimer Morgen kritisierte hingegen die musikalische Seite dieser Opernpremiere: "Da konnte Dirigent Marc Albrecht auch noch so viel kammermusikalisch fein Gewobenes und Durchsichtiges vom zunehmend nervöser spielenden Orchester fordern, Bögen und Tempi auf Kosten zupackender Dramatik auch noch so dehnen, um den Sängern Gelegenheit zu geben, die Stimmen einschwingen zu lassen: Wenn's denn eben in diesem Werk temperamentvoll zur Sache gehen muss, dann wurde es für die Sänger mehr als einmal brenzlig, und man kam auch als Zuhörer in angstvolles Zittern." (rf) |
egotrip.de Oktober 2000 "Der Tod aus Liebesnot" Richard Wagners "Tristan und Isolde" in Darmstadt Dass Liebe und Tod Geschwister seien, ist eine der Literatur wohl bekannte Erkenntnis – dem praktischen bürgerlichen Leben gottlob weniger. Und von Shakespeares "Romeo und Julia" bis zu Richard Wagners "Tristan und Isolde" spannt sich ein über vierhundertjähriger Bogen zu diesem Thema. Bei letzterem hat bekanntlich die unerfüllte Liebe zu der Bankiersfrau Mathilde Wesendonck maßgeblich zur Entstehung dieses Musikwerks – darf man sagen "Oper"? – beigetragen. Wie bei allen seinen Musikdramen hat Wagner auch hier als selbstverstandener Universalkünstler – und in seinen eigenen Augen überstieg bekanntlich das dichterische Talent das musikalische – sowohl Text als auch Musik erarbeitet, ersteren aus alten Sagen des 12. Jahrhunderts. Wagner reduziert jedoch diese durchaus handlungsreiche Legende auf ihren eigentlichen Kern: die Liebe als lebenssprengende Urgewalt, die sich nur im Tode realisieren lässt und damit eindeutig transzendentalen, ja religiösen Charakter annimmt. Darf man beim "Tristan" von Handlung sprechen? Wagner tut es, aber mehr im übertragenen Sinne. Isolde liebt Tristan, der für seinen König Marke um sie freien soll. Aus Rache über seine der Ehre geschuldeten Abweisung plant sie, mit einem als Sühnetrunk kaschierten Todestrunk gemeinsam mit ihm aus dem Leben zu gehen, greift jedoch irrtümlich zu dem für das Brautpaar vorgesehenen Liebestrunk. Umgehend erkennen beide ihre vorbestimmte Liebe für einander. Doch Neid und Intrige entdecken diesen Umstand dem eigentlichen Bräutigam Marke, der die beiden in einer unvorsichtig genossenen Liebesnacht überrascht. Tristan wird schwer verwundet und siecht in seinem Schloss dahin. Im Fieberwahn träumt er von Isoldes Liebe, und als er sie kommen zu hören vermeint, reißt er sich die alten Wunden auf – auch dies metaphorisch? –, und die nun tatsächlich eintreffende Isolde kann nur noch seinen Tod beweinen. Auch der spät im Sinne Sarastros bekehrte Marke kommt zu spät und sieht nur noch Tote um sich herum.
Das Sterben auch der Getreuen und Gegner Tristans in einem dramaturgisch eher dünn begründeten Kampf – warum lässt man den angeblich besänftigten König Marke nicht kampflos zum sterbenden Tristan – überhöht nur die schicksalhafte Tragik des Sterbens einer unmöglichen Liebe. Doch die Ächtung einer gesellschaftlichen "Mesalliance" spielt bei Wagner nur eine untergeordnete Rolle, wenn auch der Wesendonck-"Skandal" darauf schließen lässt. Längst hat Wagner das Thema überhöht zum unauflöslichen Gegensatz von Liebe und (Alltags-) Leben. Liebe heißt Sehnsucht, und Erfüllung gebiert neue Sehnsucht, die sich schließlich nur im Tod auflösen lässt. Doch, obwohl gerade der gemeinsame Tod Ziel und logischer Schlusspunkt der absoluten Liebe ist, überlebt Isolde das Gemetzel. Warum? Vielleicht um Mathilde Wesendonck zu schonen, nachdem bereits die Spatzen die Geschichte von den Dächern pfiffen? Wie dem auch sei, für den Zuschauer ergibt sich im Gegensatz zu "Romeo und Julia" und "Hamlet" die tröstliche Erkenntnis, dass doch noch jemand am Leben bleibt...... Diese Handlung könnte man im Sinne des klassischen Dramas in Dialoge und entsprechend zugespitzte Szenen umsetzen, doch das hätte Wagners Zielrichtung nicht entsprochen. Er verlegt die Handlung weitgehend in innere Monologe der Protagonisten. Selbst die Herleitung bestimmter Handlungsmotive kommt aus diesen Erzählungen und nicht aus den berühmten Botenberichten oder Effekt heischenden Szenen. Dadurch entfällt auch weitgehend der Bedarf an Rezitativen, und die Darsteller müssen quasi permanent diese inneren Monologe in Gesang umsetzen. Da Intensität des Ausdrucks die äußerliche Handlung ersetzen muss, stellt dies höchste Anforderungen an Konzentration und Kondition der Sänger. Dass sie auch über das entsprechende Stimmvolumen verfügen müssen, versteht sich von selbst. So dienen denn auch die zwei halbstündigen Pausen während der über fünf Stunden währenden Aufführung weniger zum Essen und Trinken für die Zuschauer sondern der Erholung der Akteure. Die Musik Wagners nimmt die Vorgabe eines inneren, nahezu modern-psychologisierenden Handlungsgangs auf und setzt sie in sinfonischer Weise um. Das Orchester dient nicht zur Begleitung oder gar Untermalung "schöner" Stimmen, sondern tritt als eigener Interpretationskörper neben die Akteure auf der Bühne. Dabei werden die einzelnen Instrumentengruppen gezielt zur Darstellung der emotionalen Abläufe eingesetzt. Das "Tutti" tritt oft gegen intensiv ausgeführte Motive der Bläser oder Streicher in den Hintergrund. Dabei spielen immer wieder der weiche Ton der Klarinette oder der mal schrille Diskant, mal die hauchzart verklingenden hohen Lagen der Violinen eine Rolle. Klar von einander getrennte Motive wie noch bei Mozart-Opern gibt es hier kaum, sieht man einmal von dem durchgängig auftretenden "Sehnsuchts"-Motiv ab. Die Musik folgt der emotionalen Situation der Personen bis in die feinste Verästelung und steigert ihre Intensität bis zum verlöschenden Ausklang im Todesmotiv.
Den Ausführenden muss man angesichts der physischen und psychischen Leitung das höchste Lob zollen. Susan Owen als Isolde glänzt mit einem in allen Lagen kraftvollen und raumfüllenden Stimmvolumen. Die Interpretation durchläuft überzeugend alle Stufen vom vermeintlichen Hass am Anfang über den plötzlichen Umschwung der Liebeserkenntnis bis zur innig-seligen Verschmelzung der Liebesnacht im zweiten Akt. Zum Schluss brilliert sie mit einer beeindruckenden Abschlussarie, wenn man es denn so nennen darf, die fast schon konzertanten Charakter aufweist. Raimo Sirkiä als Tristan steht ihr kaum nach, obwohl er es zeitweise gegen das Orchester schwer hat. Die tieferen Frequenzen der Männerstimmen haben bekanntlich weniger Durchdringungskraft als die hohen Stimmlagen. Auch er jedoch gestaltet den emotionell extremen Part absoluter Liebeserfahrung und innerer Zerrissenheit so überzeugend, dass die eher gesetzte äußere Erscheinung des Liebespaares mit zunehmender Spieldauer vollständig in den Hintergrund tritt. |