Allgemeine Zeitung
23.02.2002

Eine Schwäche für dunkle Sachverhalte
Es gibt weder ein Richtig noch ein Falsch" Gavin Bryars über Opern, Emotionen und Tonalität

Von unserem Redaktionsmitglied
Johannes Bolwin

Opern-Uraufführungen sind selten. In Mainz war letztmalig die Eröffnung des Kleines Hauses der Anlass für eine (heute fast vergessene) Auftragsproduktion: Da wurde im Oktober 1997 Volker David Kirchners Labyrinthos" uraufgeführt. In Wiesbaden erregte vor zwei Jahren Gerhard Stäblers CassandraComplex" Aufsehen. Am heutigen Samstag nun hebt sich der Mainzer Vorhang zur Gutenberg-Oper G". Selten war die Spannung vor einer Premiere so groß. Dabei bewegen sich die Kosten der Oper, wie das Theater mitteilt, im Rahmen des Normalen". In etwa sei das mit dem von Georges Delnon inszenierten Saul" vergleichbar. Auch bei G" führt der Intendant selbst Regie; eingeplant sind elf Aufführungen.

Zum Produktionsteam gehört die Bühnen- und Kostümbildnerin Prof. Rosalie, die für viel professionelle Extravaganz bürgt. Vor allem aber das Komponistengespann Blake Morrison (Libretto) und Gavin Bryars (Musik) dürfte dafür sorgen, dass dieses Projekt auch weit jenseits von Main, Rhein und Neckar Beachtung finden wird: Aus England ist Schott London angereist, und zur Premiere hat sich, neben deutschen überregionalen Tageszeitungen, sogar die Neue Zürcher Zeitung angekündigt.

Erlebt man den derzeit bei der Mainzer Villa Musica wohnenden Gavin Bryars (59) aus der Nähe, dann fällt stets die gedankliche Schärfe seiner Formulierungen auf, die in eigentümlichem Kontrast zur nebelhaften Weichheit seiner Musik steht. Und Bryars wäre nicht Bryars, servierte er der im Mainzer Staatstheater versammelten Journaille seine vorlesungsreifen Ausführungen nicht mit trockenem Humor: Das gilt etwa für sein ambitioniertes, Monteverdi nachempfundenes Madrigalprojekt mit akribisch unterschiedenen Montags- und Dienstagskompositionen"; das gilt ebenso für sein entwaffnendes Bekenntnis, Oper nicht nur aus Freude am Ästhetischen zu komponieren, sondern auch schlicht des Geldes wegen.

Sein Hauptterrain ist die Kammermusik. Dabei steht Bryars seiner künstlerisch anarchischen" Herkunft zum Trotz für recht konservative, an Wagner, Strauss und vor allem alter Musik orientierte Überzeugungen: Er scheut die Extreme, bevorzugt Statisch-Flächiges und plädiert für Tonalität, was Hardcore-Modernisierern die Haare zu Berge stehen lässt. I enjoy tonal music", gesteht er, its the way my ears tell it to me". Wichtig sei es, die Welt der Musik in ihrer Vielfalt gelten zu lassen. Es gebe weder richtige noch falsche Entwicklung; entscheidend sei, dass die Musik etwas im Inneren auslöse, dass sie bewege. Emotionalität und östlich geprägte Kontemplation sind in diesem Grundakkord ebenso fest verankert wie eine Schwäche für dunkle Sachverhalte sowie für Fiktives, nicht leicht Greifbares. Gerade auch an Gutenberg hat ihn dieses Geheimnisumwehte gereizt. Entwaffnend ehrlich sein Eingeständnis, dass ihn bestimmte Musikstücke (bei Wagners Walküre" sei es immer die gleiche Stelle) zu Tränen rühren könnten sagt er und bricht es gleich in ironisierender Geste, die dem Ernst des Gesagten aber nichts anhaben kann.

Bryars, der die Theaterlandschaft seiner englischen Heimat schräg-humorig in düstersten Farben karikiert, zollt der deutschen desto größeren Respekt; vor allem mit Blick auf die üppigen Programme, finanziellen Ausstattungen. Diese kulturelle Grundversorgung schafft für Opern-Uraufführungen ein freundliches Klima.

In Germany you are lucky", sagt ein Komponist, der von der BBC zeitweise boykottiert wurde; dessen Auftrags-Oper Dr. Ox's Experiment" (1994-96) an der English National Opera erst hochtrabend angekündigt, dann zugunsten eines Donizetti abgesetzt wurde.

Da braucht man Enthusiasmus, Gelassenheit und gute Nerven. Und vielleicht kommt man dorthin, wo Bryars derzeit steht, wirklich nur mit viel britischem Humor.

Wiesbadener Tagblatt
22.02.2002

Nur über Themen
Mainzer Theater vor Uraufführung der G"-Oper

Beichte und letzter Wille des Johannes Gensfleisch, bekannt auch als Gutenberg, Meisterdrucker, ehedem aus Straßburg und Mainz" so lautet der Untertitel der Oper G" von Gavin Bryars. Am Samstag, 23. Februar, ist im Großen Haus des Mainzer Staatstheaters in der Ausstattung von Rosalie und unter Regie von Intendant Georges Delnon Premiere.

Mit welchen Gefühlen sehen Sie der Premiere entgegen?

DELNON: Die Resonanz zeigt, dass das Publikum hohe Erwartungen hat. Man spricht davon und das ist schon viel bei neuer Musik, die ja leider oftmals hinter verschlossenen Türen stattfindet.

Wie glauben Sie, moderne Musik vermitteln zu können?

DELNON: Der Weg, neue Musik ins Bild zu setzen, geht wohl nur über Themen. Wie etwa das Thema Gutenberg. Ich könnte mir aber genauso gut Wissenschaft oder Sport im Kontext zur Musik vorstellen. Es geht darum, in einer sinnlichen und poetischen Art der Auseinandersetzung neue Musik attraktiv und interessant zu gestalten.

Auch nach G"?

DELNON: Ja, ich habe das für die nächste und übernächste Spielzeit vorgesehen. Dabei will ich keine Richtung vorgeben, sondern unserem Publikum nur die Möglichkeit der Auseinandersetzung mit modernen Kompositionen bieten.

Wann kamen Sie erstmals mit Gavin Bryars in Berührung?

DELNON: Eigentlich über meine Mutter. Sie erlebte 1984 die Uraufführung der Bryars-Oper Medea" in Lyon. Die Leute haben so gebuht, wie sie, biedere Schweizerin, es noch nie zuvor erlebt hatte. Aber sie selbst war begeistert, völlig aufgewühlt. Heute höre ich Bryars auch gerne zu Hause zur Entspannung.

Zur Oper G". Wie ist ihr Spannungsrahmen in den zweieinhalb Stunden aufgebaut?

DELNON: Da ist keine innere Dramatik, keine theatralische Spannung in der sehr lyrischen, sehr epischen Musik, die Bryars mit besonderem Blick auf das Mainzer Ensemble entwickelt hat. Das Spannungsverhältnis entsteht im Zusammenwirken mit dem Bühnenbild. Das eigentlich Spannende ist, dass wir nur wenig über Gutenberg wissen. Über seine Visionen und sein Privatleben. Über seine Liebe zur Kunst.

Eine Liebe, die einschränkt?

DELNON: Ja, sicher. Zumindest stellt sich die Frage ob bei übergroßer Liebe zur Kunst überhaupt noch eine Liebe zum Menschen möglich ist. Und es stellt sich in G" die Frage, ob etwas zu Grunde gehen, zerstört werden muss, bevor Neues entstehen kann.

Das Passionsthema?

DELNON: Filigran zieht sich in der Tat ein christlicher Faden durch die Oper. G" wird zum Gottesmann, scheitert aber letztlich.

Das Gespräch führte Bernd Funke.

 

21.2.2002

Die zwei Persönlichkeiten des Johannes Gensfleisch
Am Samstag wird "G" am Staatstheater Mainz uraufgeführt,
eine Gutenberg-Oper des britischen Komponisten Gavin Bryars

Von Andreas Hauff

Schon zum Gutenberg-Jahr 2000 hätten die Mainzer ihre Gutenberg-Oper bekommen sollen. Doch dann blieb das marode Große Haus des Staatstheaters länger geschlossen als geplant - und das Auftragswerk des britischen Komponisten Gavin Bryars zunächst in der Schublade.

Doch jetzt, am kommenden Samstag, hat G Uraufführung. Und damit das Publikum weiß, worum es geht, hat Blake Morrison, der Autor des Textes, dem Werk einen ziemlich barocken Untertitel gegeben: "Beichte und letzter Wille des Johannes Gensfleisch, bekannt auch als Gutenberg, Meisterdrucker, ehedem aus Straßburg und Mainz."

Um eine Biografie gehe es ihm nicht, erklärte Gavin Bryars bei einer Einführungsveranstaltung im Staatstheater. Das Leben Gutenbergs sei ohnehin nur skizzenhaft überliefert und wenig dramatisch. Vielmehr hätten Morrison und er, anknüpfend an Bekanntes, die Beziehung zwischen einem genialen Einzelnen und seiner Umgebung als Thema ins Auge gefasst.

Gerahmt wird die Handlung von einem Prolog und einem Epilog des alten Gutenberg. Dazwischen erlebt der berühmte Drucker in visionärer Rückschau wichtige Stationen seines Lebens. Der erste Akt spielt in Straßburg: Hier ist Gutenberg noch ein etwas windiger Geschäftsmann auf der Suche nach einem Broterwerb. Im zweiten Akt in Mainz dagegen ist er beruflich und menschlich gereift.

Um den Unterschied der beiden Lebensphasen deutlich zu machen, wird die Figur von zwei verschiedenen Sängern dargestellt. Auch die Musik der beiden Akte sei unterschiedlich, so Bryars: Während im ersten noch zynische, ironische und leicht aggressive Untertöne zu hören seien, habe der zweite Teil eine Tendenz zum Elegischen und Feierlichen.

Eine dramatisch packende Partitur wird man von dem 1943 in Yorkshire geborenen Komponisten nicht erwarten dürfen. Vom Jazz kommend, steht der unorthodoxe Tonsetzer inzwischen der Minimal Music nahe. Seine Werke erinern etwas an Philip Glass und Steve Reich; sie verzichten weitgehend auf dissonante Reibungen, keineswegs aber auf melodische Linien.

Blake Morrisons vielschichtig angelegtes Gutenberg-Szenario gab dem Komponisten zudem Gelegenheit, seine Vorliebe für Alte Musik aus Mittelalter und Renaissance in die Partitur einfließen zu lassen. Bryars, der Philosophie studiert hat und sich für den Buddhismus interessiert, ist überzeugt, dass Musik in tiefere Bewusstseinsschichten führt.

Kapellmeister Gernot Sahler, der mit dem Philharmonischen Orchester der Landeshauptstadt die Partitur einstudiert, spricht von einer Verklärung der Handlung durch Musik. Welche Haltung des Hörers angebracht sei? "Man muss sich darauf einlassen. Ich schalte meine Gedanken ab und lasse mich treiben". Auf diese Weise stelle sich schließlich auch Aufmerksamkeit für die zahlreichen Details der Partitur ein.

Das Werk sei schwer zu musizieren, so Sahler, es fordere die volle Besetzung eines großen Richard-Strauss-Orchesters, bewege sich aber über weite Strecken nur im Piano und Pianissimo.

Ausstatterin Rosalie lässt bereits mit ihrem Plakat keinen Zweifel daran, dass sie G nicht nur im Mittelalter ansiedelt: Neben einem Tintenklecks und der "G"-Type ist ein digitaler Code abgebildet. "Eigentlich", sagt sie, "müsste das Stück mindestens G hoch 2 heißen." Und verrät noch: Der Rhein werde eine wichtige Rolle spielen in ihrem Bühnenbild.

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Dokument erstellt am 20.02.2002 um 21:48:21 Uhr
Erscheinungsdatum 21.02.2002