medianotes.com Interview mit dem Regisseur Christof Nel Christof Nel, der in der Zwischenzeit auch 'Salome' und 'Madame Butterfly' an der Oper Frankfurt inszenierte und zuvor bereits 'Der Freischütz' und 'Falstaff in den Achtzigern, hatte bereits 1993 Wagners 'Die Meistersinger von Nürnberg' am Frankfurter Opernhaus auf die Bühne gebracht. Unter seiner Leitung wurde nun eine Überarbeitung vorgenommen, die am 26. Mai 2002 Premiere hat. In den folgenden Spielzeiten werden mit 'Tristan und Isolde', 'Parsifal' und 'Frau ohne Schatten' zwei weitere Wagner-Opern und eine Richard Strauss-Oper in Frankfurt hinzukommen. Birgit Popp sprach mit dem Regisseur vor der Premiere. B.P.: Mit welchem Gedankengang haben Sie diese Oper neu einstudiert, nachdem die eigentliche Premiere bereits 1993 stattfand? Christof Nel: Ich finde es ist sehr, sehr viel Erneuerungsarbeit in dieser Neuinszenierung. Es ist wie eine Revision. Die Auseinandersetzung mit dieser Lesart war nicht ausgeschöpft. Für mich war schön zu sagen, das Gebäude, das lasse ich, und die Menschen, die darin wohnen, die sehe ich mir noch einmal genau an - auch auf dem Hintergrund meiner eigenen Veränderung. B.P.: Können Sie ein konkretes Beispiel geben? C.N.: Wo ich weitergekommen bin, ist das Moment von Angst und das Moment von Großwerden in einer Gesellschaft, also das Erwachsen-Werden, das Reif-Werden und das Verhältnis zwischen den Generationen. Das ist häufiger aufgetaucht. Das Spannende ist ja, daß ein solches Kunstwerk unglaublich viele Schichten besitzt und jedes Mal, wenn man es liest, findet man bestimmte Schichten, die einen mehr ansprechen und die sicher immer wieder korrelieren mit Fragen, die man als Interpretierender selbst hat. Was mich bzw. uns, es ist ja auch ein ganz anderer Stab, besonders beschäftigt hat, ist die Frage, wie eine Gesellschaft mit dem Fremden umgeht. Dies ist als Frage geblieben. Dadurch, daß die Stolzing-Figur anders gezeichnet ist, daß die Beckmesser-Figur anders gezeichnet ist, findet man noch mehr Material zur Beleuchtung dieser Frage. Insofern, finde ich, daß in der Beschäftigung mit den Meistersingern noch mehr Reichtum hineingekommen ist, daß noch mehr Schichten aufgetaucht sind. Es wäre auch furchtbar, wenn es jetzt weniger Schichten werden, wenn ich jetzt weniger Fragen hätte. In meiner Entwicklung als Mensch, als Regisseur habe ich im Zuge des Älterwerdens mehr Erfahrung gesammelt. Das hat auch dazu geführt, daß ich als interpretierender Künstler anders denke, mehr Gewicht in die Figuren lege, die Menschen mehr ausdifferenziere. Ich sehe die Menschen heute nicht grundsätzlich anders, aber in diesem Punkt habe ich mich bewegt. Wenn ich mir heute das Video von der alten Inszenierung ansehe, stelle ich fest, daß darin sehr viel Zeichenhaftes war, z.B. die Person Evas. Heute bin ich in der Lage, Eva als Menschen näher zu kommen. Sie als realere Figur zu belassen. Eva nicht mehr so sehr als ein Zeichen zu sehen. Es ist mir mit allen Figuren so gegangen, deshalb hat sich auch das Klima verändert. Die Aussagen sind nicht weicher geworden. Sie sind entschieden und klar im Grundsatz geblieben, aber, die Figuren haben mehr Fleisch bekommen, das ist auch etwas Schönes. Für mich waren die Arbeiten, die ich in Frankfurt am Opernhaus machen durfte, die Madama Butterfly und die Salome, immer auch wichtige Auseinandersetzungen mit Frauenfiguren. Diese Auseinadersetzung mit Frauen ist immer auch ein Problem. In der Oper stehen viele Frauen im Mittelpunkt. Wenn man als Mann inszeniert, ist es immer eine problematische Frage, wie man sich ihnen annähert, sie sich erarbeitet, wie man sich mit ihnen auseinandersetzt. In diesem Punkt konnte sich bei mir noch etwas entwickeln, was auch mit anderen Arbeitsformen zu tun hat. Dazu gehört das bewußtere Hereinnehmen des psychoanalytischen Blickes und Denksystems ebenso wie sich mit Figuren, die mir vorher fremd waren, mehr zu identifizieren. B.P.: Aber auch die andere Besetzung hat eine große Rolle gespielt? C.N.: Auf jeden Fall. Es arbeiten jetzt grundlegend neue Menschen mit und es ist etwas Erstaunliches und Wunderbares, wie stark sich dadurch der Fokus ändert. Durch andere Menschen ergibt sich ein anderes Klima. Andere Schichten rücken in den Mittelpunkt. Wir besitzen wunderbare Darsteller. Es ist etwas ganz Wunderbares mit ihnen sechs Wochen lang das Stück neu zu erarbeiten, noch einmal liebevoll darauf blicken zu können. Z. B. wie Rootering als Hans Sachs seine Eigenart als Mensch und Sänger in die Produktion eindringen läßt. B.P.: Was ist Ihre Philosophie, was im Grunde auf die Schichten anspielt, die hinter dem Stück steht? Was ist für Sie die wichtigste Aussage des Stückes? C.N.: Es geht in dem Stück ganz stark um Regeln und mich interessiert sehr, wenn man dies auf eine Gesellschaft überträgt, was durch dieses Festhalten an Regeln alles gebunden wird. Da wird die Angst gebunden. Es wird die Gewalt gebunden. Es wird die Destruktivität gebunden. Es wird Kreativität ermöglicht und gebunden. Daß man Regeln braucht, wenn man zusammenlebt, und gleichzeitig, daß diese Regeln zu so etwas wie ein Korsett werden, was erstarrt und etwas abschnürt; was sozusagen, die bewegte, die lebendige Energie im Menschen eher zurückdrängt. Diesen Zusammenhang, den finde ich wichtig. Es war beim Wiedererarbeiten so erstaunlich für mich, wieviel diese Regeln mit Angst zu tun haben. Sowohl mit Angst vor Frau, also vor wirklicher Beziehung, als mit Angst vor Fremden, als mit Angst vor Träumen, vor sich Fallen-Lassen, vor sich zu öffnen. Dieses Moment von Angst, als etwas, was eine Gesellschaft so unfruchtbar macht, wenn man nicht darüber hinaus kommt, das hat mich dieses Mal sehr angesprochen. B.P.: Spielt es für Sie in dieser Betrachtung eine Rolle, daß Walther einen Kompromiß mit seinem Preislied eingeht, das letztendlich in der Gesellschaft doch gewisse Kompromisse notwendig sind? C.N.: Ich finde, da kommt einer rein, der wirklich noch den Zugriff auf etwas Freies, auf etwas Spontanes hat, und daß diese Fähigkeit immer mehr eingemeindet wird. Insofern ist es auch ein Stück Regelung von Freiheit und vielleicht auch ein Zugrunde-Regeln. B.P.: Sie sehen aber auch einen sehr konkreten Zeitbezug? C.N.: Ja, bei der Wiederbeschäftigung mit der Oper habe ich als erstes einen Schock bekommen, wie sehr sich die Themen, die latent vorhanden waren, aktualisiert haben. In meiner Lesart ist die zentrale Frage, wie die Gesellschaft mit dem umgeht, was anders ist, was jung ist, was kräftig ist, was nicht zu den Regeln paßt. Sowohl an der Figur des Stolzing als auch des Beckmessers festgemacht. Die Frage nach dem Umgang mit dem Fremden, geht bis dahin, daß die Figur des Beckmessers völlig ausgelöscht ist. Er kommt im Libretto von Wagner am Ende nicht mehr vor, als sei er ausradiert. Ich bin sehr erschrocken, was sich in unserer Gesellschaft im Umgang mit Fremden radikalisiert hat, wie er unduldsamer und gewalttätiger geworden ist. Deshalb fand ich es gut, mich mit 'Die Meistersinger' neu auseinandersetzen zu können, damit die gesellschaftlichen Grundfragen, die alle bewegen, sichtbarer werden. Ich fand sie damals latenter. Ich, der im Jahr 1945 geboren wurde, habe, wenn ich mich mit dieser Frage auseinandergesetzt habe, immer ganz deutlich den Blick nach hinten gerichtet. Vielleicht auch in dem Glauben, es sei etwas anders geworden. Ich habe immer nach hinten geschaut, wenn ich über den Fremdenhaß, das Vertreiben, das Ausstoßen des Juden Beckmessers gesprochen habe. Heute ist er nicht mehr so ausschließlich nach hinten gerichtet. Mein Blick ist wieder mehr ins Jetzt gerückt worden. Deshalb bin ich dem Opernhaus dankbar, das ja für die Neueinstudierung große Mühen auf sich nimmt, daß ich noch mal eine Gelegenheit bekomme, das ins Heute versetzen zu können. B.P.: Der Regisseur ist der selbe geblieben, mit dem Frankfurter GMD Paolo Carignani steht ein anderer musikalischer Leiter am Pult. Nach einem deutschen Dirigenten, nun ein italienischer, welche Veränderung hat dies für Sie bedeutet ? C.N.: Ich mochte die damalige musikalische Präsentation von Herrn Boder sehr gerne. Mir liegt seine präzise Lesart auch sehr nahe und ich war gespannt, wie die Zusammenarbeit mit Herrn Carignani werden würde. Ich schätze ihn sehr, aber es ist das erste Mal, daß wir zusammenarbeiten. Ich war sehr erstaunt, daß manche Sänger deutscher klingen, als bei deutschen Interpreten. Ich war erstaunt, daß Paolo Carignani manche Sachen langsamer, wuchtiger und schwerer macht, als der Boder es damals gemacht hat - so zu sagen, unitalienischer. Paolo Carignani hat überraschende Seiten herausgearbeitet - über das Klangbild, über andere Tempi. Auch das gehört dazu, wie die selbe Architektur eine andere Blickweise auf andere Zellen zeigt. Mir gefällt es sehr, mit zwei so unterschiedlichen musikalischen Leitern dieses Stück zu erarbeiten. Ich möchte dabei nicht von besser oder schlechter sprechen. Ich mag es auch sehr, wie sich das Orchester weiterentwickelt hat und etwas anders klingt als vor acht Jahren. Das ist wirklich spannend für mich. Das Interview führte Birgit Popp (medianotes.com) | |