Dezente Exotik Bizets "Perlenfischer" Von Andreas Hauff Auch in der Ankündigung der Darmstädter Theaterzeitung kann man man es jetzt wieder herauslesen: Bizets Oper Les Pêcheurs de Perles (zu Deutsch Die Perlenfischer) sei wegen ihrer naiven Exotismen auf der Bühne schwer erträglich, doch immerhin seien ihre musikalischen "Perlen" hörenswert. Dass es sich bei dieser Ansicht um ein Vorurteil handelt, zeigte die konzertante Aufführung am Staatstheater Darmstadt unter dem neuen Ersten Kapellmeister. Raoul Grüneis dirigierte seinen ersten Opernabend umsichtig und exakt; anfänglich leichte Unsicherheiten bei einigen Einsätzen waren schnell unter Kontrolle; Chor und Orchester zeigten sich engagiert und gut präpariert. Grüneis brachte vor allem das dramatische Potenzial einer Partitur zur Geltung, die sich eben nicht auf lyrische Perlen für Wunschkonzerte reduzieren lässt, sondern in ihrer Gesamtheit das Ausgeliefertsein des Menschen an die Naturgewalten und an die Macht seiner Gefühle beschreibt. Unter dem ceylonesischen Flair der Handlung, das sich in den dezenten Exotismen der Musik durchaus reizvoll ausnimmt, verstecken sich archaische Grundmuster menschlichen Handels, Fühlens und Zusammenlebens, die unsere Zivilisation nur scheinbar überwunden hat. Ist ein Konflikt zwischen Amt und Privatleben, wie er Zurga, dem gewählten Anführer der Fischer, unterläuft, heutzutage unbekannt? Ist Zurgas Eifersucht auf das Paar Nadir und Leila nicht ebenso nachvollziehbar wie der Wunsch, die beiden Todgeweihten zu retten? Und ist es wirklich so unverständlich, dass eine Gesellschaft, die die tödlichen Risiken des Perlentauchens durch die Anwesenheit einer tief verschleierten, unberührten Priesterin zu bannen sucht, auf eine Tabuverletzung mit tödlicher Wut reagiert? Mit ihrem jugendlich wirkenden und ausgesprochenem beweglichem Sopran verlieh Doris Brüggemann der Figur der Leila klares stimmliches Profil. Fernando del Valle als Nadir pflegte attraktiven tenoralen Schöngesang, allerdings nicht ohne Schwächen in der Intonation. Souverän gab Thomas Fleischmann den Oberpriester als unbewegte Autorität. Den stärksten Eindruck hinterließ Hans Christoph Begemann, der mit kultivierter Stimme sowie wacher Mimik und Gestik der tragischen Rolle des Zurga wahrhaft menschliche Züge gab und so wenigstens stellenweise die Steifheit des konzertanten Arrangements verschmerzen half. Die nächsten Termine: 14., 24. und 28. November, 14., 21. und 28. Dezember. Karten über Tel. : 066151/29 38 38. |
Französisches Parfüm für die Ohren Glänzendes Debüt: Raoul Grüneis dirigiert Bizets "Perlenfischer" im Staatstheater Darmstadt Von Heinz Zietsch Georges Bizets 1863 uraufgeführte Oper "Les pêcheurs de perles" (Die Perlenfischer) hat ein Stück berühmt gemacht, das an entscheidenden dramaturgischen Stellen immer wiederkehrt: das Duett der Freunde Nadir und Zurga, die sich ihrer Liebe an ein Mädchen erinnern, dem sie einst in einem Tempel begegnet sind. "Au fond du temple saint" heißt diese wunderschöne Gesangsnummer, die eingeleitet wird von einer Soloflöte mit Harfe und süßlich säuselnden Violinen. Nur ein sentimentaler, kitschiger Schlager, der nahezu in jedem klassischen Wunschkonzert auftaucht? Raoul Grüneis, der sich mit seiner ersten Operneinstudierung in einer konzertanten Aufführung als neuer Erster Kapellmeister am Pult des Orchesters des Staatstheaters Darmstadt vorstellte, betonte die schlichte Eleganz, die zarte Noblesse dieser raffiniert-schwelgerischen Melodie, die so luftig ist, als verströme sie französisches Parfüm für die Ohren. Der Komponist der zwölf Jahre später entstandenen "Carmen" erweist sich bereits hier im Alter von 24 Jahren als ein außerordentlicher Melodiker und Operndramatiker. Denn als Leila, die einstige Liebe der beiden Freunde, auftaucht, erklingt diese Melodie erneut. Nadir und Zurga erkennen noch nicht, wer es ist, weil die Priesterin bei Todesstrafe gelobt hat, verschleiert und keusch zu bleiben. Das Publikum hingegen weiß, um wen es sich handelt - dank dieser ohrwurmartigen Melodie, mit der die Premiere am Samstag im Großen Haus in Darmstadt triumphierend nach zweieinviertel Stunden (die Pause inbegriffen) auch ausklang. Die konzertante Aufführung dauerte also kaum länger als ein normales Konzert. Gesungen wurde in französischer Sprache, den deutschen Text konnten die Zuhörer mit den Regieanweisungen (wohl als Ersatz für die fehlende Szene) mitverfolgen - er wurde am oberen Bühnenrand in Form eines breiten Schriftbandes projiziert. Auch für den Dirigenten wurde die Aufführung ein Triumph: Raoul Grüneis bot einen glänzenden Einstand. Bei allem Temperament und Tempo, das er mit dem Orchester vorlegte, er dirigierte äußerst bewegt mit vollem Körpereinsatz, bewahrte er doch die Übersicht und sorgte für feinste klangliche Details in einer Partitur, deren musikalische Urfassung nur in einem Klavierauszug vorliegt. Die Instrumentation des Werkes beruht somit auf Vermutungen. Grüneis setzte kraftvolle Akzente und Bezüge und verdeutlichte außerdem, dass das musikalische Material der "Perlenfischer" in jenes populäre Duett mündet und von ihm wieder ausgeht. Wann hat man in Darmstadt solch ein außerordentliches Debüt eines Ersten Kapellmeisters erlebt? Begeistert applaudierte das Publikum Grüneis und seiner Mannschaft. Sollte der Dirigent dieses hohe Niveau vielfältiger Schattierungskunst beibehalten, so muss man befürchten, ihn nicht lange halten zu können. Auch im Orchester, das wie in einem Konzert auf der Bühne saß, taten sich beachtliche Soli hervor: neben Flöte und Harfe vor allem Cello, Oboe, Englisch Horn und Schlagzeug, das für ein wenig exotisches Kolorit sorgte; schließlich spielt die Handlung auf der Insel Ceylon. Bei derlei Farbigkeit brauchte man die fehlende Inszenierung nicht allzu sehr vermissen. Mit blitzsauberen und wohl konturierten Tönen versah Doris Brüggemann die Partie der Tempelpriesterin Leila. Bewundernswert, wie sie selbst heikelste Sprünge meisterte und dabei nicht mal einen Hauch dieser Schwierigkeiten spüren ließ. Intensiv nutzte sie ihre breite Stimmpalette und versah ihre Rolle mit feinsten Nuancen. Als sie die Nacht besang, meinte man gar, ihre Stimme würde vor Leichtigkeit zu schweben beginnen. Eine außerordentlich zuverlässige Sopranistin. Das Darmstädter Theater kann stolz sein, eine solche Sängerin in seinen Reihen zu haben - selbst in größeren Häusern dürften solche Stimmen rar sein. Fernando del Valle bot als Nadir schönes Tenormaterial, vor allem in der Mittellage, hatte aber in den extremeren Bereichen wie auch im Piano gelegentlich mit Unebenheiten zu kämpfen, die seine Stimme dann leicht belegt klingen ließen. Hans Christoph Begemann kam in dieser konzertanten Aufführung seine Erfahrung als Liedgestalter zugute, facettenreich gestaltete er den Part des Zurga und wechselte in Sekundenschnelle von einer Atmosphäre in die andere. Wütend trat er auf, als er erfuhr, dass sein Freund Nadir erneut hinter Leila her ist, hatten sie doch einst, um ihrer Freundschaft willen geschworen, auf Leila zu verzichten. Mit seiner auch in der Tiefe wohl abgerundeten Stimme versah schließlich Thomas Fleischmann den Part des gestrengen Oberpriesters Nourabad. Er und Begemann kamen mit der französischen Sprache am besten zurecht. André Weiss hatte den Chor des Staatstheaters bestens vorbereitet, von dem in den "Perlenfischern" eine Menge abverlangt wird. Nach einem etwas unsicheren Beginn steigerte sich der Chor hernach mächtig und verlieh der Oper zusätzlich Farbe. Bleibt zu hoffen, dass diese frühe Bizet-Oper einmal ins Repertoire aufgenommen wird, nicht nur des Ohrwurms wegen - man kann in diesem Werk hörenderweise noch nach anderen Perlen abtauchen und dabei auf eine packende Gewittermusik stoßen, die Grüneis so dirigierte, als wäre er der Donnergott höchstpersönlich und würde mit seinem Taktstock Blitze ins Orchester schleudern.
Darmstadt: Andere "Perlenfischer" Von Heinz Zietsch Nur wenige Tage nach der Premiere der konzertanten Aufführung von Bizets Oper "Die Perlenfischer" im Staatstheater Darmstadt wurden in der zweiten Aufführung alle Partien neu besetzt. Auch hatte ein anderer Dirigent die musikalische Leitung inne: Franz Brochhagen. Er sorgte für ein zügiges Tempo, so dass die Aufführung nach kaum mehr als zwei Stunden zu Ende war und das Publikum im nur etwa zur Hälfte besetzten Großen Haus allen Beteiligten begeistert applaudierte. Der Dirigent setzte mehr auf kantige Dramatik denn auf Klangschwelgerei. Die vier neuen Sänger brachten ebenfalls andere Sichtweisen ins Spiel. Mary Anne Kruger versetzte sich intensiv in die Rolle der Leila und gestaltete sie schwerer als Doris Brüggemann in der Premiere. Dadurch klang Krugers Sopran runder, tiefer, aber auch in den Nuancen weniger leicht und beweglich. Andreas Wagner sang den Nadir sehr sauber und wendig, doch von der Stimmkraft her flacher als del Valles strahlender Tenor. Glänzend, mit wohltönenden warmen Baritonschattierungen war Anton Keremidtchiev als Zurga zu vernehmen. Seine imponierende Stimme realisierte allerdings nicht so rasch die jähen Stimmungsumschwüngen, wie das Begemann in der Premiere gelang. Hans-Joachim Porcher beeindruckte als Nourabad mit ausgewogener, gut sitzender Tiefe. Insgesamt aber vermochte dieses Gesangsensemble seine Stimmen differenzierter einzusetzen, sobald sie als Quartett sangen. Eine hörenswerte Alternativbesetzung in einer hörenswerten Oper, deren wunderbare Melodien sich ins Ohr einschmeicheln. |
Egotrip.de November 2001 Schöne Stimmen und "süffige" Musik George Bizets "Perlenfischer" als konzertante Aufführung Jedes Jahr präsentiert das Darmstädter Staatsthea- ter eine konzertante Opern-Inszenierung, das heißt "Musik pur" ohne jegliches Bühnengeschehen. Im letzten Jahr war es Wagners "Walküren", in dieser Saison George Bizets Melodram um Freundschaft, Liebe, Eifersucht und Verzicht. Bei der Entschei- dung für eine konzertante Aufführung spielen die Kosten sicherlich eine wesentliche Rolle, aber auch die Frage der Spielbarkeit. Bei den "Perlenfischern" dürfte Letzteres im Vorder- grund gestanden haben, denn das Libretto ist ziem- lich unlogisch und kommt der Grenze zum Kitsch gefährlich nahe, wobei jedoch der Witz und die Pracht der ebenso krausen "Zauberflöte" fehlen.
Worum geht es hier? Die zwei jungen Ceylonesi- schen Perlenfischer Nadir und Zurga schwören sich am Vorabend des rituellen Beginns der Perlensai- son ewige Freundschaft, nachdem sie sich einst wegen der schönen Priesterin Leila als Rivalen gegenüber gestanden hatten. Eine verschleierte, keusche Priesterin von außerhalb soll eine Nacht lang den Segen des Himmels für die Perlenfischer erflehen und darf dabei von niemandem gestört werden. Natürlich ist die Geheimnisvolle niemand anders als Leila, und Nadir erkennt sie sofort an der Stimme. Nachts kommt er zu ihr auf die einsame Klippe, und sie gestehen sich gegenseitig ihre Liebe. Als der Oberpriester Nourabad sie entdeckt, sind beide dem Tode geweiht. Zurga, den die Fischer zum Anführer gewählt haben. möchte sei- nen Freund schonen und die beiden laufen lassen. Als man der Frau jedoch den Schleier vom Gesicht reißt, erkennt er Leila und verurteilt aus Hass und Eifersucht beide zum Tod auf dem Scheiterhaufen bei Sonnenaufgang. Als ihm Leila für ihre Mutter eine Kette übergibt, die sie einst von einem Manne erhalten hatte, dem sie mutig das Leben gerettet hatte, erkennt Zurga seine Kette, zündet zur Ablen- kung die Fischerhütten an und lässt die beiden Liebenden fliehen. Soweit das Libretto, das dem jungen Bizet zur Vertonung vorgelegt wurde, ohne dass er einen Einfluss auf den Inhalt gehabt hätte. Also unterlegte er die konstruierte Handlung mit einer intensiven, streckenweise rauschhaften Musik. Den Sängern, vor allem Leila (Mary Anne Kruger) und Nadir (Andreas Wagner) eröffnet Bizet die Möglichkeit, mit ihrem Können zu brillieren, gesteht er ihnen doch ausgedehnte und effektvolle Arien zu. Darüber hinaus illustriert er das Geschehen mit sinfonischen Elementen. Die Nachtszene auf dem Felsplateau ist ein leuchtendes Beispiel, wie man im 19. Jahr- hundert "politisch korrekt" die erotische Ekstase darstellte. Formal als Darstellung eines aufkommenden Sturmes apostrophiert, erzählt die Musik an dieser Stelle in Wahrheit von der Leidenschaft der beiden jungen Leute, die man angesichts des religiösen Hintergrunds und der damaligen Prüderie direkter nicht hätte darstellen kön- nen. Doch der Zufall eines plötzlich aufkom- menden ("Deus ex machina") verweist auf den wahren Hintergrund. Mit seiner Musik versuchte Bizet, die innere Verfassung der Personen widerzugeben. Er konnte sich in die Situation der einzelnen Rollen versetzen und aus dieser Sicht heraus musikalisch interpretieren. Seine Musik wirkt impulsiv und direkt, selten über den Kopf und meist über das Herz gesteuert. Das ermög- licht ihm besonders eindringliche Passagen, so wenn Leila und Nadir sich ihre Liebe geste- hen oder wenn Leila selbstlos von Zurga das Leben Nadirs erfleht. Die konservativeren Zeit- genossen warfen ihm ungewöhnliche Harmo- nik vor, mit ein Grund, weshalb die Oper nach der Uraufführung mehr oder weniger in der Ver- senkung verschwand. Für heutige Ohren, die Webern und Schönberg gewohnt sind, klingt Bizets Muisk jedoch in keiner Weise harmo- nisch gewöhnungsbedürftig. Bereits Richard Strauss war hier bereits deutlich weiter. Allerdings fehlt bei dieser Oper der große musikalische Bogen, der auch in einer konzer- tanten Aufführung die Spannung bis zum letzten Augenblick aufrecht erhält. Obwohl für diese Aufführung exzellente Sänger auf der Bühne standen, wirkt die Konzertversion eher wie eine Sammlung "schöner Stimmen", wie man sie vom Wunschkonzert am Sonntag Nachmittag kennt. Das liegt jedoch weniger an den Musikern oder Solisten als vielmehr an der Gesamtstruktur der Oper. Und hier drängt sich zum Schluss wieder der Vergleich zur Walküre aus dem Jahr 2000 auf. Waren die Zuhörer dort bis zum letzten Ton förmlich gebannt und in den Sog der Wagner-Musik ezogen, auch wenn die Sänger in normaler Abendgarderobe auftraten, so genoss man hier die schönen Melodien und die gekonnte Darbietung der Gesangspartien. Und daran mangelte es wahrlich nicht. Anne Mary Kruger glänzte als Leila nicht nur durch eine bis in die höchsten Lagen klare und ausdrucksvolle Stimme, sondern konnte auch viel von der seelischen Verfassung der Protagonistin vermitteln. Der Tenor Andreas Wagner stand ihr als Nadir kaum nach, kraftvoll vor allem in den höheren Lagen und mit viel Temperament. Anton Keremiedtchiev glänzte als Zurga mit einem voll tönenden Bariton und sicherer Stimmführung. Hans-Joachim Porcher hatte diesmal den kleinsten Part, doch sein kräftiger Bass rundete das Stimmbild des Quartetts harmonisch ab. Franz Brochhagen dirigiert das Orchester und den von André Weiss wie üblich sehr gut ein- gestellten Chor mit viel Übersicht und Routine und sorgt damit für die Basis eines gelunge- nen musikalischen Abends. Das Publikum dankte den Künstlern mit lang anhaltendem Beifall. Leider waren bei dieser zweiten Auf- führung die Ränge nur spärlich besetzt, da am selben Abend das Fussballspiel gegen die Ukraine lief. Gegen Fussball hat die Oper denn doch schlechte Karten.... |