14. Juli 2001

"Der Verrückte wird paranoid und dreht dann durch. Das ist Rossini."
Dirigent Markus Neumeyer über Rossinis "La Pietra del Paragone" in der neuen Inszenierung der Frankfurter Kammeroper

"Der Prüfstein der Liebe", eine wenig bekannte Opera buffa von Gioacchino Rossini, hat am heutigen Samstag im Palmengarten Premiere. Die Kammeroper Frankfurt hat sich in den vergangenen Jahren den Ruf erarbeitet, mit Tempo, Spielwitz und auf hohem Niveau wirklich komische Oper zu machen. Dirigent der Produktion ist Markus Neumeyer. Der bald 30-Jährige diplomierte Kapellmeister, selbst auch Sänger, Pianist und Kabarettist, war vor einem halben Jahr noch Meisterkurs-Schüler von Sir Colin Davis.
FR-Mitarbeiter Stefan Schickhaus traf Markus Neumeyer bei den Proben.

FR: Herr Neumeyer, kreuzen Sie einfach mal an: Die wichtigste Grundvoraussetzung, Dirigent der Frankfurter Kammeroper zu sein, ist a) Humor, b) ein stabiles Nervenkostüm oder c) ein Regenmantel.

Markus Neumeyer: Wenn ich zwei Kreuze machen darf, wären das der Humor und die Nerven. Starke Nerven braucht man, weil man hier ganz auf sich selbst gestellt ist. Wo es an richtigen Opernhäusern Korrepetitoren und Assistenten gibt, muss man bei uns von A bis Z alles alleine machen, das waren in den letzten Wochen immer Zwölf-Stunden-Tage. Mit Humor lässt sich das dann leichter ertragen, und der fällt bei der Kammeroper auch nicht schwer. Das Verhältnis ist hier sehr familiär und eng.

Wenn ich es wieder mit einem normalen Opernhaus vergleichen möchte, dann hüpft man bei uns eben nicht von Kämmerchen zu Kämmerchen und übt dort still vor sich hin, sondern man arbeitet immer im Team zusammen mit den immer gleichen, vertrauten Leuten. Hätten wir den Humor nicht, könnten wir uns über diese lange Zeit ja auch gar nicht ertragen.

Sind Sie und Ihre Musiker vom Chor und Orchester der Kammeroper die Einzigen, die ernst bleiben müssen? Auf der Bühne der Wahnsinn, im Orchester hehre Kunst?

Der Wahnsinn, der auf der Bühne tobt, ist unglaublich ernst, ist ganz seriös hergestellt. Sonst würde er auch nicht wirken. Der Wahnsinn, wie er auch in dieser Produktion wieder ganz klar herrscht, kostet sehr viel Überlegung und sehr viel Professionalität. Es ist ja nicht so, dass wir, weil wir ein kleines Opernunternehmen ohne festes Haus und eben ohne diesem ganzen Apparat sind, legerer an die Sache herangehen. Ganz im Gegenteil: Wir versuchen noch viel professioneller zu sein und wollen dem Publikum vermitteln, dass hier etwas Besonderes entsteht.

Kammeroper Frankfurt im Palmengarten macht Buffo-Oper: Unter dieser Rubrik sind die Sommerproduktionen mittlerweile im Gedächtnis des Stammpublikums gespeichert. Welche Buffa von Gioacchino Rossini da jetzt genau gespielt wird, ist eher sekundär. Tut man Rossini unrecht, seine ganzen komischen Opern in einen Topf zu werfen?

Nein, gar nicht. Es gibt bei vielen Rossini-Opern sogar ganz enge Verwandtschaften untereinander, Rossini zitiert oder gar kopiert sich gerne selbst. Hier bei Der Prüfstein der Liebe gibt es ein Terzett, das identisch ist mit einem aus der Cenerentola, die Ouvertüre hat er für Tancredi übernommen, Musik aus dem Barbier taucht auf. Diese hier war die Quelle für gleich mehrere der späteren, berühmt gewordenen Rossini-Opern. Rossini war eben ein Schnellschreiber, die meisten Opern hat er innerhalb von 14 Tagen geschrieben. 14 Tage arbeiten, dann Pizza essen.

Worin unterscheidet sich dann "La Pietra del Paragone" von den Opern der letzten Kammeroper-Produktionen?

Die Handlung ist sehr jung. Und sehr verzwickt, jugendlich verzwickt...

... was sie aber irgendwie alle sind. Es gibt doch immer große Confusione auf der Bühne!

Bei dieser noch mehr! Das geht so weit, dass man bei der Inszenierung erst einmal überlegen und sich Gedanken machen muss, wer wann auf der Bühne sein und von welcher Intrige und Verwechslung er überhaupt wissen darf.

Es wird in einer deutschen Übersetzung gesungen - lässt sichs nur so verstehen?

Ja, wir wollen einfach, dass die Zuhörer auch wissen, um was es geht. Auf italienisch könnte man manche Parlando-Stellen im Tempo sicher noch etwas schneller nehmen, die Sprache ist einfach dankbarer zu singen. Wobei ich es schade finde, dass immer weniger Opernhäuser solche Werke auf deutsch bringen. Man möchte zum Original vordringen, sicher; aber das geht auf Kosten der Verstehbarkeit.

So sicher wie die Confusione auf der Bühne ist die so genannte Orchesterpeitsche in der Partitur: Eine treibende Kraft, die das Tempo der Szene perfekt musikalisch umsetzt. Bekommen wir die Peitsche hier zu spüren?

Manche intellektuellen Kreise sprechen vom "Rossinischen Crescendo". Es ist einfach ein Spiel mit Kulminationspunkten, die Rossini lange herauszögert, wegnimmt, wieder hineingeht und so weiter. Als Dirigent hat man da viel Freiheit, wobei ich versuche, wegen der Open-Air-Bedingungen diese großartigen Steigerungen möglichst spät aufgehen zu lassen.
Würden die musikalischen Explosionen zu früh zünden, könnte man auf der Bühne nichts mehr hören. Aber es stimmt, diese ewig langen Kulminationen sind ganz typisch für Rossini. Er baut Spannung über Minuten auf, ohne dass eine schnelle Entspannung kommt. Das kann ganz schön auf die Nerven gehen - aber genau darauf legt er es ja auch an: Auf Penetration.

Also die ideale musikalische Sprache für Wahnsinn?

Ja. Irgend etwas Wichtiges passiert auf der Bühne, einer ist gerade verrückt geworden. Und dieser Verrückte wird jetzt auch noch wahnsinnig, paranoid und dreht vollkommen durch - genau so steigert sich die Musik. Das ist Rossini.

Bei der ersten Frage haben Sie ganz mutig den Regenmantel nicht angekreuzt. Haben Sie den Wetterbericht abgefragt, oder was macht Sie so sicher?

Wir spielen auf jeden Fall, wenn's regnet dann eben nur mit kleiner Szene, damit das Orchester auch noch unter die Überdachung passt. Wir können aber optimistisch sein, denn: Siebenschläfer war relativ gut! Da haben wir ganz feinsinnig aufgepasst.

Premiere ist heute, 14. Juli, weitere Vorstellungen bis 5. August täglich außer Montag und Donnerstag: Orchestermuschel im Palmengarten, Beginn jeweils 20 Uhr; Karten an der Abendkasse oder über Tel. : 1340-400.

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Dokument erstellt am 13.07.2001 um 21:46:13 Uhr
Erscheinungsdatum 14.07.2001