16. Juli 2001
Duschkabine und Disco-Dance Die Kammeroper mit Rossinis "La pietra del paragone" Von Klaus K. Füller Eine Oper, bei der auch das Publikum beide Akte lang mitspielen darf, ist zweifellos eine Rarität, auch wenn das Mitspielen im Verlauf von drei Stunden ein wenig monoton wurde, weil es nur im ständigen Auf- und Zuklappen von Regenschirmen bestand, den besorgten Blicken auf vollgesogenes Schuhwerk und philosophischem Nachdenken über das feuchte Hinterteil, das man sich zugezogen hatte, als man sich ein wenig zu unbesorgt auf einer der Bänke vor der Konzertmuschel im Frankfurter Palmengarten niedergelassen hatte. Schließlich hätte man sich ja auch ein Plastikkissen leihen können... Gioacchino Rossinis Opera buffa, die von Chor und Orchester und natürlich auch Sängern der Kammeroper Frankfurt präsentiert wurde, ließ das Publikum jedoch alle Widrigkeiten vergessen: La pietra del paragone - "Der Prüfstein der Liebe" - ist seine achte Oper und das erste Werk des gerade 20-jährigen Komponisten, das er auftragsgemäß für die Mailänder Scala schuf und mit dem er gleich einen Riesenerfolg erzielte. Warum die lustige Geschichte von den Bühnen der Welt verschwand und erst vor gut vierzig Jahren wieder ausgegraben wurde, aber erst vor zwanzig Jahren ihre authentische Gestalt zurück bekam, gehört zu den Geheimnissen der Operngeschichte. Das frühe Werk enthält bereits alles, was den Opern- und vor allem Rossini-Kenner erfreuen kann: eine abenteuerlich-virtuose Stretta am Ende fast eines jeden Formteils, aufregende Koloraturen, die Rossini bis ins Absurde steigert, Arien, Duette, Quartette, Sextette, sogar ein Oktett, Chöre. Opernbesucher, was könnte dir fehlen? Dazwischen gibt es ein ganz fatal schweres längeres A-cappella-Quartett, das sich bestens dafür eignet, die Qualität einer Aufführung zu testen. Die der Kammeroper Frankfurt war außerordentlich hoch. Längst hatte der Regen das Orchester zum Rückzug in die Orchestermuschel gezwungen, die doch eigentlich als Bühne für die Sänger(innen) dienen sollte. Diese wurden nun zwar im räumlichen Sinne zu Randerscheinungen, die ständig um das Orchester herumzukurven hatten, aber keineswegs im darstellerischen, respektive sängerischen Agieren. So stand das besagte Sängerquartett an der Rampe, ohne Blickkontakt zum Dirigenten Markus Neumeyer und ohne sich ansehen zu dürfen. Die Präzision, mit der man sich zusammenfand, war ein Beispiel für die Genauigkeit des Zusammenspiels und -singens über den ganzen Abend hinweg. Da war durchweg gute Arbeit geleistet worden. Die Inszenierung von Rainer Pudenz zeigte von Anfang an, dass sich hier jemand sehr genau mit Rossinis Partitur beschäftigt hatte, jeden Fingerzeig der Musik in flotte Bewegungsabläufe umsetzte bis hin zur Andeutung eines Disco-Dance. Das einfache Bühnenbild hatte, gemessen an der Entstehungszeit der Oper, surrealistische Züge: Duschkabine und Elektroherd, Getränkekartons und Flaschen mit Twist-off-Verschlüssen. Natürlich besaß der Journalist Macrobio bereits eine Spiegelreflexkamera. Was er so alles anstellte, erinnerte an die legendäre Glyndebourne-Persiflage von Mozarts Hochzeit des Figaro, durch die ein Reporter der Sun tobt, der eine Niederlage nach der anderen einstecken muss. Der Gedanke an Mozart wäre auch sonst aufgekommen, die Tonsprache Rossinis ähnelt der des Vorgängers passagenweise deutlich. Es war aber auch Markus Neumeyer, dessen energischer Durchgriff als Dirigent wie als Rezitativbegleiter am Cembalo hohe Spannung und Inspiriertheit erzeugte, Glück hatte er mit dem singenden "Personal". Klar war vom ersten Takt an, dass die so nobel singende Clarice (Annette Fischer), den misstrauischen, aber so liebessehnsüchtigen Grafen Asdrubale (Christoph Kögel, der neben seinen stimmlichen auch wahrhaft überzeugend komische Qualitäten hat) am Ende doch bekommen wird. Gegen sie hatten die weiblichen Konkurrenten, Baronessa Aspasia (Beate Ramerth) und Fulvia (Bettina Grothkopf), zwar von den Stimmen her alle Chancen, aber eben nicht von der von ihnen auszufüllenden Rolle. Chor und Orchester, allesamt junge Musiker, waren ebenfalls mit seh- und hörbarer Lust und Kompetenz am Werke. Es wird noch eine größere Anzahl von Aufführungs-Wiederholungen geben, hoffentlich bei besserem Wetter. Die Inszenierung könnte im übrigen jedem Opernhaus zur Zierde gereichen, Besondere Festival-Veranstalter sollten einen Blick auf sie werfen. Weitere Vorstellungen: 17., 18., 21., 22., 24., 25. sowie 27. bis 29. und 31. Juli. Außerdem 1. bis 5. August, jeweils um 20 Uhr. Copyright © Frankfurter Rundschau 2001
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