Wagner im Doppelpack von Ulrich Weinzierl Das Wiener Staatsopernpublikum war eigentlich auf Jubel eingestellt. Christian Thielemann am Pult wurde schon zu Beginn seiner ersten Premiere im Haus am Ring gefeiert, am Ende mit Ovationen bedacht. Zwecks ausgleichender Gerechtigkeit fegte freilich ein Buh-Orkan den Regisseur hinweg. Beide Reaktionen schienen überzogen. Fast ungetrübte Freude bereiteten indes die Sänger, vor allem prominente Rollendebütanten: Deborah Voigt sang mit beachtlicher Phrasierungskunst die Isolde, Thomas Moser gab (nach zwei Absagen in letzter Sekunde in Amsterdam und Berlin) nun einen kräftigen, gleichwohl sehr lyrischen Tristan. Das gesamte Vokalensemble, darunter Peter Webers machtvoller Kurwenal und die stimmlich auffallend helle Brangäne Petra Langs, bestach durch Sprachdeutlichkeit. Selbst die bizarrsten Wortschöpfungen Wagners waren unschwer zu verstehen. Günter Krämers Inszenierung fährt erster Klasse zur See: Gisbert Jäkel baute ihm einen eleganten Schiffsbauch nebst angedeutetem Maschinenraum - Segeln ist zweifellos außer Mode gekommen. Diese orientiert sich, nach Falk Bauers Entwürfen, an des Werks Entstehungszeit: an Gehrock, Zylinder und Vatermörder. Betrüblicherweise wurde Isolde allerdings in Unmengen Tülls samt Riesenschleppe verpackt. Sie sieht Paul Floras Karikaturen der Wagner-Heroinen zum Verwechseln ähnlich. Dafür gleicht Robert Holls edler König Marke einem Geheimrat seines Wehsals. Isolde hat zudem eine Macke. Nie verreist sie ohne die Ritterrüstung ihres von Tristan getöteten Verlobten. Im zweiten Aufzug dient der Brustpanzer als plötzliche Herzensfackel, während im Hintergrund projizierte Meereswellen schäumen und kräuseln. Hier erreicht die Produktion ihren szenisch-musikalischen Tiefpunkt. Thielemann, Kapellmeister Schönklang, schwelgt in prächtigsten, delikatesten Farbnuancen. Was beim sinfonischen Gedicht des Vorspiels trotz eines Hangs zum Manierismus noch faszinierte, wirkt nun fatal. Kein großer Bogen, keine Ekstase, kein Drängen und Sehnen, keine überwältigende Leidenschaft - nur zelebrierte Emotionsstörung. Kurzum: Langeweile auf höchstem Niveau. Für des verwundeten Tristans Schmerzensnarzissmus im dritten Akt hat der Dirigent eine weit bessere Hand. Recht bequem verenden Tristan und Isolde an ihrem Lieblingsplatz, der Rampe. Er darf sitzend den Liebestod sterben, sie stehend. Kaum Grund zu tiefer Trauer. Halbmast genügt. Zwei Todfeinde, Tristan, König Markes Brautwerber, und Isolde, deren einstigen Verlobten Morold er erschlagen hat, auf einer schicksalsschweren Überfahrt. In Christof Nels Frankfurter Inszenierung sitzen die beiden im Korridor eines abgetakelten Dampfers; zwischen ihnen nur die Magd Brangäne. Und doch eine unendliche Distanz. Ahnen die beiden nicht schon, dass sie sich bald verfallen werden? Als sie statt des von Isolde beabsichtigten Todestranks den von Brangäne vertauschten Liebestrank einnehmen, sind sie sich zum ersten Mal nahe. In die Augen blicken sie sich aber erst beim einzigen Kuss, als der gemeinsame Tod schon beschlossene Sache ist. Dazwischen liegt eine Liebesnacht, in der die beiden die Liebe mehr erörtern als sich gegenseitig zuflüstern. Nel macht ernst mit der "wahren Liebe", die sich laut Wagner vom Körperlichen ablösen müsse. Das "wahre Drama" findet im Inneren der beiden statt. Bei Nel regiert der ängstliche Blick, Augäpfel nach innen gestülpt. Auch auf der Bühne (Jens Kilian) gibt es kein Außen, nur Innenräume. Keine brausende See, stattdessen werden Windfähnchen im Korridor gehisst. Vom Wald, indem sich die ebenfalls klinisch weiße "Liebeshöhle" befindet, sieht man nur ein paar Gitterstabähnliche Baumstämme. Die Seelen sind Gefängnisse, aus denen allein der Tod die Liebenden befreien kann. Und deswegen sehen ihre Umarmungen wie ein verzweifeltes Aneinanderzerren aus. Folgerichtig ist Tristans Zuflucht Kareol ein schwarz vernageltes Halbtotenreich, in dem es durch die Decke regnet. Kein Todeshurra, statt verzückt stirbt der Held in Tristesse. Ob ihm Isolde dabei nur als Vision erscheint, bleibt offen. Eine schmerzhaft kühle Regie, die sich jeden Kitsch verbietet. Verzehrende Emotion kommt ja zu genüge aus dem Orchestergraben. Paolo Carignani und sein Orchester vollbringen eine Meisterleistung. Tief grundierte Streicherklänge, von kraftvoll ruppig bis klirrend hell, beschwingt blubbernde Holzbläser oder ekstatische Orchesterwellen machen diese Musik zum Erlebnis. Enttäuschend die Titelpartien: Francis Ginzers Isolde fehlt in den tiefen Regionen die Kraft, die sie braucht, um ihre Höhen abwechslungsreich zu gestalten. John Treleavens Tristan hat bessere Tage gesehen, in stilleren Passagen scheint sein lyrischer Tenor hervor. Phänomenal die Brangäne Louise Winters: Mühelos segelt sie über das Orchester hinweg und bleibt dabei leicht - wie ein Mozart-Mezzo. Termine: 29. Mai, 1., 4., 8., 19., 22., 26., 28. Juni; Karten: (069) 13 40 400 Artikel erschienen am 27. Mai 2003 |
Unendliche Einsamkeit Von GERHARD ROHDE Der Regisseur Christof Nel mißtraut dem Pathos, der unkontrollierten Ekstase, den tradierten Sehgewohnheiten, den bewährten Erscheinungsbildern theatralischer Werke, den harmonisierenden Interpretationen. Er mißtraut auch den oft zu hörenden Einwänden, daß Dichter and Komponist es sich aber so and nicht anders gedacht hätten. Wissen Dichter and Komponist das selbst immer so präzis? In jedem künstlerischen Prozeß wirkt ein irrationales, extrem subjektives Element, eine Art psychischer Krisenbewältigung; fließen persönlichste Erlebnisse and Imaginationen in das Kunstwerk ein, das nur scheinbar eine endgültige Objektivität behauptet. Diese Ebenen aufzudecken, der Palimpsest-Technik vergleichbar, ist die Aufgabe der nachschaffenden Interpretation. Christof Nel gehört zu diesen Regisseuren, die sich entschieden querstellen zu gängigen Interpretations- and Darstellungsmustern. Den Ausgangspunkt seiner Interpretation von Wagners „Tristan and Isolde" an der Frankfurter Oper bildet ein quasiaktueller Befund, der heute jedem Straftater vor Gericht den Freispruch garantierte: Tristans Vater starb bekanntlich unmittelbar nach der Zeugung des Sohnes, die Mutter bei der Geburt. So etwas muß sich ja für die Persönlichkeitsentwicklung entsprechend auswirken. Tristans Zustand ist der einer unendlichen Einsamkeit. Isolde, aus fernen Bindungen herausgerissen, stürzt ebenfalls in diese Verlorenheit. Wenn sich die beiden begegnen, entsteht eine Hoffnung: die metaphysische Liebe und Vereinigung im Tod. Doch Nel mißtraut auch dieser hochfliegenden Perspektive. So schnell entkommt der heutige Mensch seiner Verlorenheit nicht. Die Inszenierung holt die Protagonisten also auf den Boden der Erde hier und heute: Tristan and Isolde, wie sie da im ersten Akt weit voneinander entfernt auf einer langen Bank vor einer hohen weißen Wand auf einem zu imaginierenden Kreuzfahrtschiff sitzen (Bühnenbilder: Jens Kilian), starr den Blick vor sich, da ahnt man schon: Diese außere Distanz, die mit einer inneren korrespondiert, wird auch bei bestem Willen von beiden nicht überwunden werden können. Nel inszeniert das, durchschossen mit den kurzen Auftritten des Chores, von Kurwenal und Jungem Seemann, als eher statuarisches Tableau, durchsetzt mit gestischen Zeichen, die innere Befindlichkeiten der dramatis personae erhellen. Der zweite Akt ereignet sich in einem großen, hellen Zimmer mit Türen und einem riesigen Doppelbett. Viele Personen sind zunächst anwesend, Isolde trägt einen Hochzeitsmantel. Marke steht im gelben Regenmantel vor ihr, Tristan am Bett etwas nebenbei. Das Personal entfernt sich, das „Liebesspiel" kann beginnen. Die beiden geraten dann doch ziemlich in musikalischemotionale Fahrt, an Wagners komponierten Entfesselungen ist eben nur schwer vorbeizukommen. Eindrucksvoll gelingt der Einbruch des Tages: die Entdeckung des Paares durch Melot und Marke. Hinter dem hohen Fenster im Hintergrund erscheint bedrohlich die Palastwache des Königs in moderner Kampfrüstung. Gregory Frank singt mit hohem, klar konturierendem Baßbariton Markes Klagegesang: ohne Tremolo, vielmehr als nachdenkliche Selbstbefragung. Warum es so kommen mußte? Er spricht zunächst mehr zu sich als zum „Freund" Tristan. Es ist eine der stärksten Momente der Aufführung, auch musikalisch. Im dritten Akt dann das „Endspiel", Beckett-nah, in Schwarz-Grau der Saal der Burg, in den es hineinregnet. Tristan hockt in einem der vielen Ledersessel, das Ambiente erscheint stark renovierungsbedürftig. John Treleaven als Tristan, vor einer hohen, starken Schrägwand postiert, läuft zu großer Form auf. Die Rasereien, Verzweiflungen, Zusammenbruche werden gesungen, nicht gebrüllt: ein Leidender von heute. Isolde kommt zu spät, sie wird einsam bleiben. Erschöpft sinkt sie in die Arme Brangänes. Es ist die seelische Erschöpfung, an der so viele Menschen unserer Zeit leiden. Frances Ginzer singt and spielt den Liebestod ohne Pathos und falsche Verinnerlichung: als eine Etüde über Vereinsamung. Das besetzt Format und läßt etliche Schwankungen der Sängerin im Vorhergegangenen vergessen. Auch die weiteren Partien sind eindrucksvoll besetzt: Louise Winters tonschön-expressiv singende Brangäne, als resolute Gesellschafterin skizziert, Gerd Grochowskis markant singender Kurwenal - endlich einmal nicht der bärbeißige ,,Knecht", Nataniel Websters auch vokal scharfgezeichneter Melot: ein psychischer Weichei, das sich verstohlen die Hände reibt, Gerard Lavalles Steuermann, Michael McCrowns Hirte and Peter Marsh als Junger Seemann bilden ein geschlossenes Ensemble von hoher Qualität. Paolo Carignani und das vorzüglich disponierte Frankfurter Opernorchester schwingen ideal auf die Inszenierung ein: ein „Tristan" ohne Streicherfett and diffuse Klangnebel. Alles fließt, durchsetzt mit sensibel ausgekosteten Ruhemomenten, zügig dahin, manchmal fast ein wenig zu rasch, worunter die artikulatorische Deutlichkeit ein wenig leidet. Im dritten Akt findet Carignani zu einer beinahe „wunderbaren" Ausgewogenheit aller Elemente, die dramatische Entfesselung bleibt immerr konturiert, die leisen Momente erfüllt eine große Innenspannung. Insgesamt könnte die Aufführung in Folge noch an symphonischer Stringenz hinzugewinnen. Doch auch so war es für die Frankfurter Oper ein erneuter Beweis ihrer hemerkenswerten Leistungsfähigkeit. |
Schiffsreise ins Innere der Nacht Von Hans-Klaus Jungheinrich Schiffsreisen dauern lange; da lernt man einander kennen. Wagneropern sind solche aufwändigen, umständlichen, ergiebigen Seepartien. Zwischen Anfang und Ende einer Aufführung kann sich leicht nicht nur die Tages-, sondern auch die Jahreszeit ändern. Jedenfalls verlässt man das Theater anders, als man es betreten hat: durchgeknetet; mit schwankendem Realitätsbewusstsein. Isoldes "Ertrinken, versinken/, unbewusst, höchste Lust" forciert solche Entrückung thematisch. Die Zeitreise per Kunst soll in die Nacht des Unbewussten, ja, der Selbstauslöschung, führen. Der Schluss des Dramas Tristan und Isolde feiert die Utopie der Liebe, die sich (nur) im Tode erfüllt. Welch Glück für Kunst und Philosophie, dass König Marke, der verständnisvolle Gehörnte, zu spät kommt, um dem Liebespaar eine triviale Lebensgefährtschaft zu ermöglichen. Gute Bekannte Die Schiffsreise der Tristan-Premiere zwischen hellem Nachmittag und spätem Abend im Frankfurter Opernhaus war mithin ausgedehnt genug, dass man sich an die Mitpersonen, die Akteure auf der Bühne, gewöhnen und ihre merkwürdigen Geschichten auf sich wirken lassen konnte. Da saßen sie zunächst auf der Bank eines gewaltigen Innendecks, verstört und in sich verschlossen, dann aber doch mehr und mehr in typisch Wagner'sche Eloquenz ausbrechend. Isolde (Frances Ginzer), eine etwas aufgebrachte Alltagserscheinung (Kostüme: Margit Koppendorfer) ohne Prinzessinnen-Nimbus oder mythologischen Harnisch, im gesanglichen Duktus fest, zuversichtlich, ausdauernd und substanzreich, wenn auch mit seltsamen Vokalverfärbungen, die kaum eine ausreichende Textverständlichkeit herstellten. Knapp und spröde im Anfangsakt noch der Part Tristans. Der Tenor John Treleaven wirkte in den Ekstasen des Mittelakts eher verhalten, gelegentlich sogar schon leicht matt intonierend. Umso erstaunlicher die nicht pauschal herausgeschrieenen Schmerzens- und Sehnsuchtsanläufe im Finalakt (hier wird ansonsten nicht selten stimmtechnische Überforderung notfallmäßig in die überrealistische Suggestion von Leidensdruck umgemünzt), die in sicheren Steigerungen und Ausbrüchen geradezu kultiviert anmuteten. Gut präsent vom Beginn an die Brangäne von Louise Winter, lebhaft besorgte Begleiterin Isoldes, zu somnambuler Mezzomagie sich aufschwingend in ihren Wächtergesängen. Ihre männliche Komplementärfigur: Tristans Schildknappe Kurwenal (Gerd Grochowski), eine schlanke Gestalt mit der stämmigen Baritonritterlichkeit seines Organs verbindend. Insektenhaft dünn und drahtig der Melot von Nataniel Webster, hier auffällig gemacht als ehrpusselig eifernder Einpeitscher des König Marke, den Gregory Frank, in herrscherlich gelbem Mantel auftretend, differenziert klangvoll verkörpert in der abgründigen Unberatenheit seiner menschlichen Enttäuschungen. Ein Genie des Verzeihens: So phantasierte sich Tristan Wagner seinen Nebenbuhler Marke/Otto Wesendonck. Hinter den mythischen Personen stehen natürlich als imaginäre Mitreisende die hellsichtig modern psychologisierten Akteure des wirklichen Lebensdramas, aus dem die Opernentstehung erwuchs. Sie alle werden uns im Laufe der Aufführung zu guten Bekannten, an deren Geschick wir innigen Anteil nehmen. Doch nichts führt an der tödlichen Konsequenz dieser Schifffahrt ins Innere der Nacht vorbei. So beklemmend der Anfangsakt war (mit lauernden und hämisch aus geöffneten Türen und finsteren Gängen auf die Hauptpersonen blickenden, endlich in überdevoten Jubelgesten die Landung vor dem unsichtbar bleibenden König besorgenden Seeleuten), so drohend auch der Fortgang im 2. Akt mit aus dem Dunkel spähenden Jägern hinter den Jalousien des gleißenden, weiten Innenraums, dessen Hauptrequisit eine riesige Bettstatt bildet (Bühnenbild: Jens Kilian). Es kommt hier zu einer absichtsvoll hilflos angedeuteten Vereinigung des Paares, dessen weiteres Miteinander sich dann vor allem auf die Drapierung des Bettes mit weißen Lilien (Todessymbol) erstreckt. Ungewöhnlich dramatisch danach der (zunächst als mimischer Kammerdialog mit Melot fungierende) Marke-Monolog. Der Regisseur Christof Nel vermittelt der szenischen Erzählung sowohl die Souveränität einer immensen Erfahrung wie den unverbrüchlichen Impetus neuer, alle routinierten Routen verlassender Perspektivik. Verlebendigt werden nicht nur die Zentralfiguren; auch von den Rändern her kommt Bewegung ins Geschehen, ohne dass sich derlei zu episodischem Beiwerk verselbständigen würde. So zeigt sich im zweiten Akt das Katastrophische einer von Gewalt bestimmten Hof- und Jagdgesellschaft (übrigens in engem interpretatorischen Konnex zu sonst unbeachteten musikalischen Charakteren wie zum Beispiel den im Hintergrund wuselnden Hornfanfaren). Und Tristans erwartungsvolle Einsamkeit auf Kareol wird im Schlussakt bevölkert und gespiegelt von mitleidenden, hernach sich unbändig mitfreuenden Gestalten (wie dem quirligen Hirten von Michael McCown). Auch die Liebesnacht des zweiten Aktes vollzieht sich in fast unverminderter Helligkeit, so dass der Einbruch des "öden Tags" beim Auftritt Markes und seines Gefolges allein durch den Kontrast der die Außenwelt repräsentierenden "feindlichen" Körper evoziert wird - eine kühne, überzeugende Imaginationsleistung. Dunkel gehalten ist dagegen der dritte Akt, wieder ein Innenraum, ein mit lieblos um eine unwirtlich feuchte Stelle gruppierten Sesseln passager anmutendes Interieur. Es wird für fast alle zur Todesfalle. In jedem Sessel hängen ein, zwei Erledigte. Die romantische Überhöhung eines auf Zweisamkeit zugeschnittenen Liebestods versagt sich Nel. So endet auch Isoldes Schlussgesang nicht in entmaterialisierter, transzendentaler Verklärung. Abgesichertes Refugium Der in ihren Generalabschied sich Hineinversenkenden, die doch auch eine gebrochene, zerstörte Frau bleibt, assistiert Brangäne, die ewige Helferin, bis zum letzten Augenblick. Die Innenwelt, die in Nels Sicht so sinnfällig verdeutlicht wird, erweist sich gleichwohl nicht als ein abgesichertes Refugium; der Riss zur äußeren Realität bleibt bestehen. Wagners Schopenhauerianismus wird schlüssig relativiert. Liebe, Leben, Tod: unversöhnbar. Ein anderer, schärferer Pessimismus. Den Reisebekanntschaften zum angenehmen Dolmetsch werden in Frankfurt die fast lückenlosen Übertitel; sie sind ungemein nützlich. Die komplette Textbedienung weist auch deutlich auf den Abstand zwischen dem Wort- und Musikautor Wagner hin. Für die grandiose Höhe des letzteren war der Dirigent Paolo Carignani ein vehementer, im Laufe des Abends noch spürbar sich erwärmender "Übersetzer". Von weniger Wagner-Erfahrung als Nel geprägt, trumpfte er gleichsam mit der Frische und Erstmaligkeit seiner exzellent präparierten Tristan-Diktion auf. Das beinahe noch leicht verhuschte Eingangs- Vorspiel wartete noch nicht mit der voll dargebotenen Motivfracht auf. In der Folge dann weniger ausladendes Pathos als behände abgestufte Hitzegrade. Bewegliche Führung des Orchesters und des (von Andrés Máspero forgfältig einstudierten) Chores. Im geklärten, aufgelichteten Klangbild oft atemberaubend zum Blühen und Glühen gebracht vor allem die Streicher. Kantable Entwicklungen von bezwingender Formkraft. Auch das ein modern profilierter, ganz antitraditionalistischer Wagner-Aspekt. Oper Frankfurt: 29. Mai, 1., 4., 8., 19., 22., 26. und 29. Juni. [ document info ]Copyright © Frankfurter Rundschau 2003 Dokument erstellt am 26.05.2003 um 17:56:24 Uhr Erscheinungsdatum 27.05.2003 URL: http://www.fr-aktuell.de/ressorts/kultur_und_medien/konzertkritiken/?cnt=220245 |
27.5.2003 Wagners "Tristan und Isolde" erlebte nach einem Vierteljahrhundert Abstinenz eine umjubelte Premiere an der Frankfurter Oper. Liebestod im Ledersessel Von Michael Dellith Gewöhnlich beginnt eine Opernkritik mit der ausführlichen Würdigung der Inszenierung, doch diesmal soll die Beurteilung der Regie-Leistung hintangestellt werden und zunächst die musikalische Seite dieses Premierenabends beleuchtet werden. Denn Wagners "Tristan und Isolde" lebt wie kaum ein zweites Musikdrama von dem, was sich im Orchestergraben abspielt. Die dicht geknüpfte, symphonisch angelegte Komposition ist Handlungs- und Ausdrucksträger zugleich; die szenische Umsetzung auf der Bühne erscheint dabei nachrangig. So gebührt dem Frankfurter Generalmusikdirektor Paolo Carignani und seinem grandios aufspielenden Opernorchester größte Anerkennung. Carignani entwickelte Wagners "unendliche Melodien" behutsam aus sich selbst heraus, ohne aufgestülptes Pathos. Besonders bewundernswert dabei: die präzise Zeichengebung, mit der er umsichtig den großen Orchesterapparat durch die extremen Gefühlswelten lenkte, die Wagner hier evoziert; bemerkenswert die Ruhe und Konzentration, aus der Carignani die Kraft für die in kühner Harmonik vorwärts drängende Tonsprache schöpfte, deren ekstatischer Sogwirkung sich niemand entziehen konnte. Die dynamischen Höhepunkte waren klug disponiert. Umso überwältigender gerieten die Momente höchster Expressivität. Das klangliche Fundament für die gesanglichen Höchstleistungen auf der Bühne war also bestens bereitet. Stimmlich charaktervoll setzten sich die beiden Protagonisten in Szene: John Treleaven aus Cornwall, der schon als Peter Grimes in Frankfurt Furore machte, verkörperte den Tristan weniger als strahlenden Heldentenor, vielmehr als einen seelisch Leidenden, mit lyrisch-sanften Zwischentönen. Ihm zur Seite stand als Isolde die Kanadierin Frances Ginzer mit ihrem kraftvoll dominierenden Sopran. Ihr "Liebestod" hätte durchaus noch zarter entfaltet werden können. Ganz hervorragend fügten sich Louise Winter als Brangäne mit ihrem lodernden Mezzo und – als Frankfurter Ensemblemitglieder – Gregory Frank als wandlungsfähiger König Marke sowie Gerd Grochowski als jugendlich agiler Kurwenal ein. Nicht zuletzt seien die mit heimischen Kräften sehr überzeugend besetzten Nebenpartien und die vom scheidenden Chordirektor Andrés Máspero vorbildlich geschulten Herren des Opernchores erwähnt. Und die Inszenierung? Christof Nel ist in Frankfurt kein Unbekannter. "Meistersinger", "Salome", "Butterfly" und "Frau ohne Schatten" hat er hier herausgebracht. Es war klar, dass sein zusammen mit Jens Kilian (Bühnenbild) und Margit Koppendorfer (Kostüme) entwickelter "Tristan" keine romantisch verklärte Ausstattungsoper im Mittelaltergewand werden würde. Nel bringt reale, zeitlos-moderne Menschen, gewandet in Straßenkleidung (Gouvernantenkostüm für Brangäne und Lederjacke für Tristan) auf die Bühne, will die inneren Vorgänge ihrer Psyche nachvollziehbar machen. Und das vor karger Kulisse: im ersten Akt mit einer grau-weißen Wand im klaustrophobisch anmutenden Unterdeck eines Frachters, im zweiten Akt mit einem ganz in weiß gehaltenen riesigen Schlafgemach und im dritten Akt mit einer trostlos schwarzen Szenerie samt umgestürzter Ledersessel – das richtige Ambiente für das Blutbad am Ende. Nel zeigt wie so oft Kreaturen, die sich unbeholfen bewegen, hin- und hergerissen zwischen Pflichterfüllung und leidenschaftlicher Entgrenzung, getrieben von ihren Sehnsüchten, gefangen in ihren Konventionen. Das alles mag ja zu einer Oper über Liebe, Treue und Verrat und deren unheilvoller Verquickung, die nur zum Tod führen kann, passen. Doch warum nur muss dies mit einem zuweilen die Trivialität berührenden pädagogischen Zeigefinger geschehen? Ganz so einfach, wie Nel uns glauben machen will, lassen sich die Geheimnisse dieses Werkes nicht lüften. Nach fünfeinhalb Stunden gab es Beifallsstürme für Sänger, Dirigent und Instrumentalisten – und die obligatorischen Buhs für das Regie-Team. |
27. Mai 2002 Opernpremiere: Christof Nel inszeniert Richard Wagners Werk in Frankfurt Tristan – ratlos Von Albrecht Schmidt FRANKFURT. Über 25 Jahre haben die Frankfurter auf einen neuen „Tristan" gewartet. Nun hat sich Christof Nel an eine Inszenierung der Wagner-Oper herangewagt. Als provokanter Bühnen-Entrümpler konnte sich der Regisseur an den Frankfurter Städtischen Bühnen auf die geharnischten Publikumsproteste einstellen, die sich am Sonntag nach der Premiere artikulierten. Während Orchester und Sänger mit Bravos bedacht wurden, prasselten Buhrufe und Pfiffe auf Christof Nel sowie auf seine Bühnen- und Kostümbildner Jens Kilian und Margit Koppendorfer nieder. Radikalkuren ist man von Nel gewöhnt. So konnten die bei ihm üblichen kalkweißen Wände im beklemmend engen Schiffsflur ebensowenig verwundern wie die Personenzeichnung: Isolde in schlichter Kittelschürze und Tristan in salopper Windjacke als ein Paar, das zum Scheitern verurteilt ist. Ratlos sitzen die beiden bei ihrem Liebesduett auf der Bettkante. Weiße Lilien verwandeln das Liebeslager in eine Todesstätte. Das alles wirkt unterkühlt und desillusionierend. Im letzten Akt verkommt die Inszenierung zu bloßem Aktionismus. Umgestürzte Ledersessel und eine Regenpfütze suggerrieren Zerstörung und Morbidität. Wenn es am Ende zum Gemetzel im Regenloch kommt, wenn König Marke sich in Tristans Blut suhlt und sich die Leichen in den Fauteuils häufen, dann ist die Würde verletzt, die Isoldes Liebestod verdient. Ihre unbestreitbaren Qualitäten hat die Frankfurter „Tristan"-Produktion in der Musik. John Treleaven ist ein kraftvoller, tenoral geschmeidiger Tristan mit guter Textverständlichkeit und anhaltender Bühnenpräsenz. Frances Ginzers Isolde müsste für Wagners unendliche Melodien noch den längeren Atem entwickeln. Das Museumsorchester unter der Leitung von Paolo Carignani begann enttäuschend: Intonationsmängel und Spannungsverluste kennzeichneten das allzu zerklüftet wirkende Vorspiel. Im Laufe des Abends jedoch zeigte sich Carignanis Modulationsfähigkeit und führte zu einem hervorragenden Gesamteindruck. Weitere Aufführungen: am 29. Mai sowie am 1. , 4., 8., 19., 26. und 29. Juni – jeweils ab 17 Uhr. |
27.5.2003 Frankfurt: Richard Wagners "Tristan und Isolde" in Christof Nels Inszenierung
Brangäne (Louise Winter) und Kurwenal (Gerd Grochowski) auf hoher See. Photo: Monika Rittershaus Von Volker Milch Das Ausbuhen des Regisseurs Christof Nel ist in Frankfurts Opernhaus wohl schon eine liebe Gewohnheit. An seiner Inszenierung von Richard Wagners "Tristan und Isolde" kann es kaum gelegen haben, denn diese gibt sich bei aller Intensität reibungsärmer als andere Arbeiten seiner Frankfurter Serie. Es lässt sich in Jens Kilians kühlem Breitwand-Bühnenbild sogar ein richtiges Schiff bestaunen. Oder vielmehr der Bauch eines solchen. Hier herrscht dicke Luft: Isolde brütet vor sich hin, während Dunkelmann Tristan angestrengt wegschaut. Dazwischen eine redlich sich bemühende Brangäne, die wunderbar warm timbrierte Louise Winter. Frankfurt macht seinem Ruf, unter dem Intendanten Bernd Loebe eine erste Adresse für große Stimmen zu sein, wieder alle Ehre. Allen voran sorgt John Treleaven für ein Tristan-Wunder: Die Partie wird nicht zum quälenden Kraftakt, sondern in exquisitem Legato-Gesang zum kaum getrübten belcantistischen Genuss, sogar noch im dritten Aufzug. Eine im Liebestod nicht minder potente Partnerin ist Frances Ginzer als Isolde. Das Ensemble-Niveau bestätigen aber auch Gregory Franks Marke, Gerd Grochowskis Kurwenal und Nathaniel Websters Melot. Mit seltener Deutlichkeit führt Christof Nel im ersten Aufzug vor, dass dieser Tristan ein Liebender mit rauer Vergangenheit ist: Morolds Haupt, einst abgeschlagen von Tristan und verschickt an Morolds Verlobte Isolde, dient den Seeleuten zum Ballspiel und wird schließlich an den Haken gehängt. Brutaler kann die Situation der Überfahrt nicht präzisiert werden. Derweil besingt der junge Seemann, fesch an die Wand gelehnt, die "irische Maid" wie Hans Albers die Reeperbahn: Das kann man Reizklima nennen, und für die passende frische Brise aus dem Orchestergraben sorgt Paolo Carignani an der Spitze eines in Bestform aufspielenden Opernorchesters. Carignanis "Tristan"-Auffassung verliert sich nicht an schmachtende Chromatik, sondern ist kernig, drängend, von manchmal zu kompakter Klanglichkeit, erstaunlich zügig im dritten Aufzug. Das Bühnenbild, im ersten Aufzug wie ein Breitwand-Film ein paar Meter über dem Orchestergraben schwebend, stützt die Stimmen gegenüber dem Orchester. Morolds blutig eingetüteter Kopf trübt im ersten Aufzug indes nachhaltig die Stimmung: Bis zum Genuss des Liebestrankes bleibt das starke Paar auf maximaler Distanz, und auch danach geht Nel mit körperlicher Nähe sehr sparsam um. Die Nähe von Eros und Thanatos kulminiert im dritten Aufzug in einem schrecklich schönen Bild des kollektiven Todes-Taumels: Die Burg Kareol ist eine düstere, "übel gepflegte" Club-Lounge, ein Vorraum zum Reich der Schatten, mit vielen schwarzen Sesseln ausgestattet. Die Mannen erstechen sich hier gegenseitig in paarweiser Umarmung, Tristans eigene Verwundung und seinen Todestrieb multiplizierend. In ihrer Statuarik erinnert die Frankfurter Produktion ein wenig an die kühle Liebes-Geometrie von Heiner Müllers Bayreuther "Tristan"-Sicht, allerdings ohne deren oratorische Konsequenz. Die Konkretion ist in Frankfurt Teil des Konzepts: Nicht metaphorisch, sondern realistisch will Nel den Tristan begreifen. Das Gefühl steht im Mittelpunkt, und der Hintergrund ist Gewalt: Kostüme und Interieur führen, nicht unbedingt zwingend, in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der Dualismus von Nacht und Tag grundiert den "Tristan", und in der kalten Helligkeit der ersten beiden Aufzüge ist die Sehnsucht nach bergender Nächtlichkeit nachvollziehbar: Aber es will in Jens Kilians Bühnenbild einfach nicht dunkel werden. Das cremefarbene Edel-Interieur bleibt klinisch ausgeleuchtet, während die Liebenden mit Lilien für den Blumenschmuck sorgen: Das Bett wird so in symbolischer Ausführlichkeit zur Bahre aufgerüstet. Die höchste Lust fällt einen Aufzug später allerdings aus, szenisch jedenfalls: Isolde sieht im Liebestod eher gequält aus. |
27. Mai 2003 - Bereich: kultur AUF DER BÜHNE "Tristan" in Frankfurt Von WOLF-DIETER PETER Wagners scheiternder Liebestraum begann mit einem fesselnden ersten Eindruck: sängerfreundlich auf halber Bühnenhöhe das Zwischendeck eines weißen "Traumschiffs" und verloren auf zwei getrennten Bänken Tristan und Isolde. Doch dann signalisierte schon die Hässlichkeit der Kostüme von Margit Koppendorfer, was Regisseur Christoph Nel will: nur ja keinen "Verzückungsfirlefanz", sondern auch dieses Stück großbürgerlicher Höchstkultur ganz diesseitig und ganz kritisch. Also laufen die Matrosen viel in Hosenträgern auf und ab, stellen die unverzichtbaren Koffer zur Ankunft bereit und schwenken taktweise weiße Taschentücher in Richtung König Marke. Schlimmer wirkt, dass Nel den Welten sprengenden Realitätsverlust der utopisch grenzenlosen Liebe in ein enges, geschlossenes Staatspalais-Schlafzimmer verlegt, in dessen Edel-Ambiente trotz vieler Bediensteter noch Farbtopf und Werkzeugkasten herumstehen. Und nachdem die Liebenden mit Lilien durchweg nur Ikebana-Blumenspiele treiben, kann Brangäne ihre Wachrufe auch gleich im Zimmer singen. Schmerz, Qual und Tod des 3. Aufzugs finden in einem verfallenen, schwarzen Raum statt, doch die Personenregie und vor allem der blutig und wüst gedachte Schlusskampf zwischen Tristan- und Marke-Partei geraten unbeholfen. Rettung kam von der musikalischen Seite: der junge Kurwenal von Gerd Grochowski, der textgenaue Marke von Gregory Frank beeindruckten ebenso wie die klangschöne Brangä-ne von Louise Winter. Das Liebespaar von Frances Ginzer und John Treleaven muss sich Text und viele Töne ihrer Riesenpartien noch erobern. Dafür knüpfte Paolo Carignani mit dem sehr gut spielenden Orchester an die beste Tradition italienischer Wagner-Dirigenten an. |
Szene mit Frances Ginzer als Isolde, John Treleaven als Tristan). Bild: Monika Ritterhaus O sink hernieder, Nacht der Liebe: Christof Nel inszeniert in Frankfurt Wagners Oper "Tristan und Isolde" Von Johannes Bolwin Endstation Sehnsucht. Irgendwo im emotionalen Kosmos zwischen tödlichem Hass, Rache, Liebestrank, Liebestod. Auf rätselhaft konstruierten, auch harmonisch und tonal nie zum Ziel führenden Umlaufbahnen umkreisen sich zwei; inmitten der Schwärze aus Normen, Zwängen und widerstreitenden Loyalitäten sind sie wie hilflose Lichtpünktchen. Zwei Trabanten der Liebe, die sich doch nie finden und schließlich in diffusen Weiten verschwinden. Keine andere Oper hat das Liebes-Thema derart raffiniert und im Wortsinne erschöpfend durchleuchtet wie Wagner in "Tristan und Isolde"; uraufgeführt 1865, also 15 Jahre nach "Lohengrin", der freilich da und dort noch durchschimmert. Ein Kultstück, das viel Deutungsraum bietet, auch weil es so komplex ist. Für die Frankfurter Oper versucht der hochgehandelte Regisseur Christof Nel, diesen Weiten Struktur zu geben - und beißt sich dabei die Zähne aus. Vielleicht ist es ein Wagnis, Wagners "Tristan", durch zwei der Erholung der Solistenstimmen dienende 40-minütige Pausen auf gut fünfstündiges Format gedehnt, im Sommer auf die Bühne zu bringen. In Frankfurt herrschen am Vorstellungstag subtropische 30 Grad. Auch im proppevollen Opernhaus tendiert die Luftfeuchtigkeit gegen 90 Prozent, während von draußen zur Pause (dem Opern-Partyservice sei dank) Bratwurstschwaden ins Foyer strömen, hier also nach all der Seelenpein auch kein kühlendes Labsal winkt. Aber die Gründe, weshalb diese Oper nach viel versprechendem Start zu einer Quälerei wird, liegen jenseits des Atmosphärischen. Nel gilt als Anti-Utopist. Als einer, der schonungslos nach realen Gegebenheiten und Gefühlsbeziehungen fahndet und im Zweifel dem rostigen Blecheimer gegenüber edlem Minne-Geschmeid den Vorzug gibt. Das muss, der Verdacht liegt nahe, beim mystischen, unwirklichen Tristan-Stoff zwangsläufig auf die schiefe Bahn führen. So fällt die Regie der im Traum- und Wahnhaften angesiedelten Geschichte grob in den Rücken, leider ohne neue Erkenntnisse (die es vielleicht gar nicht gibt) zu bieten. Im Überschwang der Gefühle donnert Isolde keine hehre Fackel an die Burgmauer, sondern eine schnöde Elektro-Leuchte auf den Veloursteppich, wo sie knirschend zerspringt. Und das Elend nimmt seinen Lauf. Es öffnen sich keine magischen Räume; Lichtzaubereien, die man angesichts des verführerisch blau leuchtenden "Tristan"-Plakats erwarten könnte - Fehlanzeige. Auch auf Jens Kilians Bühne herrscht graue, triste Sachlichkeit, die zum Finale gar ins Bankrotthafte kippt: Das ersehnte Reich der Nacht, in das Isolde dem erbärmlich verendeten Ritter nach finalem Gemetzel folgt, ist eine Trümmerhalde; Leichen und Sperrmüll-Inventar zwischen Pfützen und Blutlachen. Fast den ganzen Akt verbringt "Tristan" John Treleaven in einem Sessel, von wo aus der Verwundete, eingekeilt zwischen Kissen und Decken, singen muss. Sein anfangs überragend standfester, eleganter Tenor büßt hörbar an Substanz; nur mit letzter Kraft wird die Ziellinie überquert. Gerade Tristans Verwundung nimmt die Inszenierung zum Schaden des Ganzen zu wörtlich, die diversen Sterbe-Anläufe des Ritters wirken unfreiwillig grotesk. Pantomimische, enorm störende Pseudokomik des Begleitpersonals ebnet Isolde (ein stimmliches Glanzlicht: Frances Ginzer) den letzten Weg durchs Schlachthaus; unvermittelt sackt sie Brangäne (mit viel vokaler Substanz: Louise Winter) in die Arme. Die Sehnsucht stirbt in der realen Apokalypse, man ist froh, dass der Vorhang fällt. Angesichts dessen verblassen manch schöne Momente dieser von Musikchef Paolo Carignani präzise und detailgenau, mit Gefühl für weite Bögen geleiteten Aufführung: Etwa die anrührende Gestaltung der Art und Weise, wie sich Isolde und Tristan im zweiten Akt auf der Bettkante näher kommen. Hervorragend meistern beide die gefürchteten Umschwünge vom donnernden Forte zum einsamen Pianissimo; wunderschön, intonatorisch makellos das Liebesduett "O sink hernieder, Nacht der Liebe". Doch die weißen Lilien, die verstreut werden, riechen herb nach Tod. Das Ehebett - ein Grab. Am Ende kommt es knüppeldick. Aufführungen: 8., 19., 22., 26. Juni. |
Christof Nel inszeniert in Frankfurt "Tristan und Isolde" Schlicht "Handlung" nannte Richard Wagner "Tristan und Isolde". Keine bürgerliche Liebesgeschichte vollzieht sich da in drei Aufzügen, vielmehr eine große Reflexion über die Unmöglichkeit von Liebe und Leben in der Welt. VON HELMUTH FIEDLER Um den "Tristan", betörender Klang-Suchtstoff, wirkungsvollste aller Wagner-Drogen, kommt kein Regisseur von Rang herum. Auch der gebürtige Stuttgarter Christof Nel nicht, der sich in Frankfurt nach zwei spektakulären Strauss-Neudeutungen erstmals Wagners ultimativem Opern-Abenteuer stellte. Wie zuletzt in "Frau ohne Schatten" besorgte Jens Kilian das Bühnenbild, zwei Aufzüge ganz in coolem Weiß: Hoch oben ein Gang mit zwei Schiffskabinen, danach Assoziationen an das Schleiflack-Schlafzimmer der Stuttgarter "Walküre"-Inszenierung, schließlich, im nachtschwarzen Finale, verstreute Möbelstücke einer offensichtlich kaputtgegangenen Bürgerwelt, aus der auch die Schiffsbesatzung im adretten Angestellten-Outfit zu stammen scheint. Zudem verzichtet die Inszenierung zunächst fast ganz auf Gesten der Kommunikation; lebendige Personenregie wird oft nur angedeutet. Nels Verweigerung sich anbietender Liebes-Ekstasen entrückt das Werk jeglicher Affinität zu schwiemelig-schwitzigen Altherren-Fantasien. Erregung und Hitze finden in der Musik statt, nicht im pseudoerotischen Hin und Her zwischen Tristan und Isolde. Sogar die vermeintliche Liebesstatt wird zu mit Blumen bekränzten vorweggenommenen Grabstätte. Christof Nels mit heftigen Buhs bedachte Deutung muss all jene befremden, die 26 Jahre nach Christoph von Dohnanyis letztem Frankfurter "Tristan" nach heroischer Trunkenheit dürsten. Dazu passte auch, dass Opern-GMD Paolo Carignani zusammen mit dem flexiblen Museumsorchester die Gefühlslagen zwischen "äußerstem Wonneverlangen und Todessehnsucht" (Wagner) zwar durchaus von ihren Polen her erfasste, dabei aber jeden Bombast vermied und den steten Fluss der Musik dynamisch fein ausbalancierte. Vokal war dies der Abend John Treleavens, der schon vor zwei Jahren unter Sir Simon Rattle einen kraftvoll-differenzierten Tristan gesungen hatte und auch diesmal die Rolle bis in die finalen Fieberfantasien sitzend mit unverminderter Intensität gestaltete. Frances Ginzer, erst im finalen, konventionell inszenierten Liebestod am Ende ihrer stimmlichen Kraft, verkörperte bis dahin eine höhensichere Isolde individuell gefärbter Ausdruckshoheit. Bewegend der Marke von Gregory Frank, ein König der Bassdeklamation, des finsteren Gefühls absoluter Enttäuschung und des Zorns. Wie Isolde im gouvernantenhaft-spießigen Kleid (Kostüme: Margit Koppendorfer), überzeugte die als Brangäne debütierende Louise Winter mit rückhaltlosem Einsatz, nicht zu vergessen Gerd Grochowski als charaktervoll dienender Kurwenal und Nataniel Webster, ein fies-grotesker Melot. Aktualisiert: 31.05.2003, 05:04 Uhr |
Vaternot und Mutterweh Von Peter Hagmann Zeitgleich mit der Premiere des Stücks an der Wiener Staatsoper ist «Tristan und Isolde» von Richard Wagner an der Oper Frankfurt herausgekommen. Wenn dort von der Unabwendbarkeit des Scheiterns die Rede sein musste (vgl. NZZ vom 27. 5. 03), so kann hier von einer Produktion berichtet werden, welche die Wiener Inszenierung auf mancher Ebene in den Schatten stellt. Gewiss ist das Frankfurter Museumsorchester nicht mit den Wiener Philharmonikern zu vergleichen; die technische Zuverlässigkeit, etwa im Bereich der Intonation, und die klangliche Verfeinerung, die sich im Wiener Graben einstellten, bleiben den Musikern aus Frankfurt unerreichbar - auch wenn ihnen zu attestieren ist, dass sie sich der anforderungsreichen Partitur Wagners mit aller Sorgfalt annehmen. Aber wie der Frankfurter Generalmusikdirektor Paolo Carignani den Notentext liest, zeichnet sich gegenüber dem erhitzten Zugang von Christian Thielemann doch durch einige Vorzüge aus. Während Thielemann jede Phrase zweimal zu unterstreichen scheint, hält Carignani das Geschehen mit ruhiger Hand im Fluss; eher rasche Tempi und sparsame Agogik lassen den vorwärts drängenden Zug heraustreten, welcher der Chromatik Wagners innewohnt - und so ist hier auch zu spüren, wie unausweichlich die scheinbar so statische «Handlung» Wagners ihrem Ende zustrebt. Unter einem wesentlich besseren Stern als in Wien stand (in der zweiten Vorstellung) auch die Frankfurter Besetzung. Der aus Cornwall stammende Tenor John Treleaven (Tristan) verfügt über so viel Reserven, dass er sich keine Zurückhaltung auferlegen muss, um in dem anspruchsvollen dritten Aufzug voll und ganz präsent bleiben zu können. Die Verzweiflung Tristans musste allerdings auch nicht in den Schrei gesteigert werden, denn der Dirigent wusste die instrumentale Dynamik geschickt zu dosieren. Und nicht zuletzt war erstaunlich viel zu verstehen; unterstützt durch die in Frankfurt regelmässig angebotene Übertitelung, konnte man dem Text in allen Einzelheiten folgen. Bei Frances Ginzer (Isolde), die mit einigen Verzerrungen in den Vokalfarben und ungenauer Behandlung der Konsonanten aufwartete, lässt sich das weniger behaupten, dafür bringt die kanadische Sopranistin einen Reiz des Timbres und eine Farbenpracht ins Spiel, die sich bei ihrer Partie nicht von selbst verstehen. Auf sehr respektablem Niveau auch die kleineren Partien - jene des Kurwenal etwa, die in der kernigen Stimme von Gerd Grochowski eine Virilität eigener Art fand. Christof Nel wiederum gehört zu jener langsam verschwindenden Kategorie von Regisseuren, die sich etwas zu denken und es dann szenisch darzustellen erlauben. Zusammen mit der Psychoanalytikerin Martina Jochem vertritt er eine Sicht, die das archaisch Psychologische in Wagners Stück heraushebt. «Vaternot» und «Mutterweh», wie es Tristan nennt, sind hier die Stichworte - und am schlüssigsten wird die Inszenierung tatsächlich im dritten Aufzug, den der Bühnenbildner Jens Kilian in einer rabenschwarzen, von umgekippten Lederfauteuils verstellten Ruine spielen lässt; dort wird deutlich, was Tristan brauchte, um Isolde lieben zu können, und worüber der pragmatisch lebenskräftige Kurwenal verfügt und darum seinem Freund so berührend zugetan sein kann. Zugleich ist Nel aber auch Theatermensch durch und durch. Wie das durch Unausgesprochenes belastete, brütende Paar im ersten Aufzug durch die Diesseitigkeit der Schiffsmannschaft gestört und wie die Liebesszene des zweiten Aufzugs durch die hinter dem Fenster lauernden Jäger bedroht wird, ist von eindrücklicher Wirkung. Und wenn sich die beiden Protagonisten am Ende von «O sink hernieder, Nacht der Liebe» ziemlich klobig aufs Ehebett legen, kommt auch jene Ironie zur Geltung, die schon immer zu den Markenzeichen Christof Nels gehört hat. |
Opernnetz Einsamkeiten John Treleaven ist ein Tristan-Heldentenor von phänomenaler Standfestigkeit, mit ungebrochener Durchsetzungskraft, aber auch mit differenzierten Zwischentönen als selbstzerstörerisch vereinsamter Egomane. Eine kaum für möglich gehaltene Steigerung seines Tristan in Amsterdam! Die stimmlich bisweilen in der Artikulation überangestrengt wirkende Frances Gincer hat es schwer in ihrer aussichtslosen Abwehr männlicher Dominanzen; ihr Liebestod gewinnt zwar tragische Statur, verebbt aber trotz aller Geschmeidigkeit bisweilen in Tonlosigkeit. Gregory Frank ist ein aufrechnender Marke von kraftvoll-resignativer Statur, seine Stimme tönt in vollem Legato und setzt sich mit fulminantem Material im brausenden Orchester durch. Gerd Grochowski ist der unbedingt "treue" Kurwenal, verleiht der Rolle seinen prächtig-gehaltvollen Bariton. Die Grangäne Louise Winters ist das Pendant Kurwenals, ihre Rufe gelingen zurückhaltend - intensiv; eine Leistung weitab aller Exaltiertheit! Das Frankfurter Ensemble lässt auch in den "kleinen" Rollen keine Erwartungen unerfüllt. Christof Nel inszeniert ein bürgerliches Intrigenspiel, focussiert die Rollen auf existentielle Paradigmen, sucht nach archaischen Wurzeln existenzbedrohender Vereinsamung. Diese fast unerträglich lastende Einsamkeit der Personen, ihr kommunikativ selbstbezogener Rechtfertigungszwang, die tragische Isolation Isoldes geben ein völlig neues "Tristan"-Bild: keine Verzückungs-Orgien, dafür Einblicke in die Allgegenwart der Isolierung. Jens Kilian baut dazu archetypische Räume: das isolierte Schiffsambiente, den klassizistischen Marke-Salon mit gleißend-hyperrealem Licht, Karel als untergegangenes Zentrum der Macht. Das Frankfurter Museumsorchester präsentiert sich in absoluter Hochform: Paolo Carignani dirigiert mit Rücksicht auf die Sänger, weiß was er ihnen zumuten kann, lässt Distanzen hörbar werden und akzentuiert Klänge, die sonst marginal untergehen (wie die Hörner im zweiten Akt). Das Frankfurter Publikum ist mehrheitlich enthusiasmiert - doch hat eine provinziell-überhebliche Minderheit noch nicht begriffen, dass in Frankfurt eine Opern-Epoche beginnt: kleinkarierte beckmesserische Kommentare sind an den Sektständen unüberhörbar. Es wird eine Zeit dauern, bis ein Provinz-Publikum exorbitante Leistungen adäquat freiern kann und Connaisseurs das Milieu bestimmen werden! (frs) POINTS OF HONOR Gesang 4/5 Regie 5/5 Bühne 5/5 Publikum 1/5 Chat-Faktor 4/5 |
In permanenter Absturzgefahr Von Ralf-Jochen Ehresmann Die Oper in Frankfurt/Main gibt sich nicht geizig und hat für den neuen Tristan namhafte Spitzenleute eingekauft, mit deren Leistung man sicher ebenso zufrieden sein darf wie das Premierenpublikum, dessen anhaltende Bravo-Stürme für die DarstellerInnen - bei deutlichen Buhs nur für das Produktionsteam - nicht grundlos tosten und eine gelungene Aufführung feierten. Dabei waren es keineswegs schöne Bilder, die dieser Erinnerung Substanz verleihen werden. Jeder Aufzug spielt in einem Einheitsraum, und keiner von ihnen ist so beschaffen, dass man gerne länger darin verweilen wollte. Außerdem müsste man dazu höhenangstfrei sein, befindet man sich doch ungesichert in lichter Höhe, wohl ähnlich weltabgehoben wie das Titelpaar. Scheinbar allegorisch zu verstehen ist der Wechsel des Lichtes. Diese Lichtsymbolik führt aber zu keinem Ergebnis. Ist in Akt 1 und 2 alles hellgrell, spielt der 3. Aufzug gruftig zwischen Tristans schwarzen Ledersesseln. Innerhalb der Aufzüge wird nicht gewechselt, so dass nicht einmal Isoldes Zertrümmerung der Hotelbettnachttischlampe eine nennenswerte Abdunkelung bringt. Ein guter Ansatz, die in der Dichtung allpräsente Tag/Nacht-Metaphorik aufgreifen zu wollen, warum aber dann doch nicht weiter damit arbeiten? Immerhin: Je fortschreitender das Drama selbst seine Gestalten aus dem Leben entlässt, desto mehr sinkt die Fallhöhe der Bühnenrampe, die gerade im 1.Aufzug bei soviel Hochseeambiente leicht durch eine Reling hätte gesichert werden können... So aber entsteht die Enge anderweitig, wenn etwa Isolde in kaum je gesehener Aggressivität von Tristans Besatzung unter Rädelsführung des Steuermanns auch kollektiv angegangen wird und der "Chor der Höhner" nicht nur wie sonst meist aus dem Back sondern bühnenpräsent singen darf. Noch Morolds Schädel greift man auf und hängt ihr selbigen im bluttriefenden Stoffbeutel übers Haupt! Allerdings handelt Nel sich damit die Schwierigkeit ein, die Mannen möglichst geräuscharm mehrfach auftreten und wieder verschwinden lassen zu müssen, was nicht immer gleich gut gelingt und stellenweise für Unruhe sorgt. Im Rahmen des Prinzips der Gleichzeitigkeit aller Teilvorgänge steht Tristan bei alledem bereits nebenbei, und endlich jetzt greift er ein und beendet den Spuk, wiewohl seine weitere Rede und insbesondere der begleitende Ausdruck nur eine Fortsetzung der Demütigung mit anderen oder gar teilweise denselben Mitteln erwarten lassen. Hier kommt die Inszenierung Christoph Nels zugleich an ihren entscheidenden Punkt, wo noch das Wenige an originärer Handlung im Sinne äußerlicher und nachspielbarer Vorfälle transzendiert wird zu einem ebenfalls nur innerlichen Vorgang, wenn also Tristan nicht wirklich von außen hinzutritt sondern bereits vorher alles hautnah - wenn auch regungslos - miterlebt hat, oder wenn Isolde sich von Brangäne berichten lassen will, was sie doch eh brühwarm mitbekommen hat, wo der jeweilige Aufenthaltsraum nicht mal ansatzweise getrennt gezeigt wird. Das setzt sich fort im "Nichtkampf" zwischen Tristan und Melot zuende des 2. Aufzuges, wo Melots Taschenmesser kaum ausreichen dürfte, um einem stattlich gewachsen Mann von Tristans Statur zufallzubringen. Dahinein gehört ebenfalls das Nichterscheinen von Küste und König, die offenbar seit Trankgenuss auch nur noch Hirnkategorien in Tristans und Isoldes Parallelwahn abgeben. Was hier im Finale des 2. Aufzuges noch denkbar bleibt, bekommt problematisch Schlagseite, wenn Tristans Fieberwahn im 3. Aufzug seine Ärztin tatsächlich herbeizuphantasieren vermag, dieser aber noch ein weiteres, ebenfalls nur teichoskopisch angedeutetes Schiff folgen muss, auf dem König Marke erscheint, der immerhin die Bühne real betritt; Nels Inszenierung verlegt auch dies ganz in Isoldes Wähnen. Andere körperhafte Vorgänge geraten wiederum sehr intensiv, sei es nun die stürmische Begegnung der Liebenden im 2. Aufzug oder vorher Isoldes offensive und ganz unmajestätische Art, sich Tristans zu bemächtigen und ihm ihre Forderung vorzutragen, wenn sie ihn am Revers packt, durchschüttelt und man eigentlich nur noch darauf wartet: Na schlägt sie ihn gleich? Gar nicht wähnend sondern real präsent ist Melots Jagdgesellschaft. Steht diese während des Vorspiels zum 2. Aufzug in universaler Starre als Ausdruck von Lähmung und Beklemmung im gesamten Bühnenraum herum, so bleibt sie durch übergroße Scheiben gleich transparenten Wänden auch noch dann am Geschehen, wo das Paar sich offenkundig alleine wähnt oder bereits jedes Gespür für die umgebende Außenwelt verloren hat. Für letztere Deutung spricht sicher auch die Folgenlosigkeit der Prozessualisierung jenes Plots, wo Melot, Marke und Mannen sonst stürmisch ins Gemach eindringen und hier bereits eine ganze Weile anwesend sind, ohne dass es Tristan oder Isolde irgendwie beeindrucken würde. Diese allgemeine Lethargie des Bühnengeschehens lockert sich nur selten wie etwa bei Isoldes Verteilen jener zahlreichen Sträuße weißer Chrysanthemen im ganzen Gemach, die so bedeutungsvoll jene spätmittelalterliche Grab-Darstellung und die darauf sprießenden Lilien aufgreift, die hernach noch in der Kunstgeschichte so manche Reprise erfahren hat und folgerichtig gleich die Eingangsseiten des Programmheftes ziert. Dieses Buch von immerhin 72 Seiten, das neben zahlreichen Fotos dieser Produktion und mehreren anspruchsvollen Beiträgen zum Thema, die über das sonst allerorten anzutreffende Einerlei hinausgehen und eine klare Linie in der Auswahl der Zitate erkennen lassen, wobei die Präferenz der ‚großen Namen' auch hier spürbar durchschimmert, bietet auch einen Originalbeitrag des Dramaturgen, der sich mit den Strichen auseinandersetzt, die man dem Werk sonst fürgewöhnlich antut - wie z.B. zuletzt in Duisburg oder Dortmund - und die hier endlich einmal ungekürzt dargeboten wurden. Das hinderte Paolo Carignani freilich nicht daran, eine zeitlich dennoch ungewöhnlich kurze Aufführung zu präsentieren. Mit seinen überforschen Tempi tut er dem Ganzen damit wahrlich keinen guten Dienst, verlangt doch die ganze Aura des Werkes eine reziproke Behandlung der musikalischen Geschwindigkeit. Turbosehnsucht ist weder romantisch noch modern sondern einfach daneben! Auch der Synthese der verschiedenen Orchestergruppen kam diese herz- und seelenlose Hetzerei nicht zugute. Sehnlich wünschte man sich einen Bayreuther Deckel über dem Graben, um eine bessere Verschmelzung des Gesamtklanges zu erzielen. Dafür war Carignani allerdings bereit, erhebliche dynamische Steigerungen auszureizen und dabei echte forti zuzulassen. Eine entschiedene Deutung blieb bei alledem aber unkenntlich: Weder analytische Durchhörbarkeit noch verspätet romantisierender Syntheserausch scheinen das Konzept vorgegeben zu haben, wohl eher die ungeduldige Vorfreude auf das anschließende Buffet! Ein Blick auf die Liste der Mitwirkenden klärte frühzeitig darüber auf, dass eine fast vollständig anglophone Besetzung zu hören war. Angesichts dessen wies die Sprachbeherrschung und daraus resultierende Textverständlichkeit erstaunliches Niveau auf, mit dem eigentlich nur Louise Winter als Brangäne nicht mithalten konnte, abgesehen von kleineren Abstrichen bei Frances Ginzer als Isolde. Hier half wiederum die durchgängige Einblendung der Übertexte in mittlerweile fester Frankfurter Tradition. Jedenfalls ist Frances Ginzer auf dem Wege zur Gewinnung weiterer Dramatik erheblich vorankommen und vermochte ihren bisweilen reichlichen Vibratoeinsatz wohltuend zu reduzieren. Dadurch konnte sie auch manch selten zu hörenden Farbreichtum der Stimmungen entfalten und dadurch der Partie neue Seiten abgewinnen. Blendend gelang ihr jene tändelnde Unbefangenheit, die sich im mädchenhaften Balancierspiel während des ungehaltenen Zuwartens auf Tristans Erscheinen unvergesslich in den Kanon meisterlicher Bilder eingeschrieben hat. Auch John Treleaven als Tristan hat eine mehr als passable Leistung gezeigt, ohne eine Erinnerung für die Ewigkeit zurückgelassen zu haben. An seinen alten Ruhm anzuknüpfen will ihm scheinbar nicht mehr so recht gelingen; den riesigen Frankfurter Raum jedenfalls füllte er nur teilweise aus und bedurfte für den Ausdruck extremer Anstrengung am Rande der Kräfte nicht erst einer Verletzung durch Melot. Immerhin hatte man dann wohlwollend sein Siechbett ganz nach vorne rampennah postiert. Die Leidenspose verkörperte er jedenfalls viel intensiver denn die des strahlenden Oberkapitäns. Das größte Verdienst kommt eindeutig Gregory Frank als König Marke zu, dessen tiefe Tonlage tragend und schwebend zugleich veritablen Ausdruck bei optimaler Verständlichkeit noch im pianissimo garantierte. Und Gerd Grochowski startet mittlerweile völlig durch, sammelt er nun reihenweise Wagnerpartien zusammen und überzeugt damit immer mehr. Sein Kurwenal zählt ganz unstreitig zu den einsamen Höhepunkten und bewährt sich noch dort, wo Nel ihm kaum eine Chance auf Glaubwürdigkeit zugesteht. Rundum gelungen auch die lange Zwiesprache mit dem Hirten vor Tristans Erwachen, der Michael McCown als eine exzellente Besetzung in kleiner Nebenrolle zeigte, die Appetit auf mehr macht. Gerade sein schauspielerisches Vermögen füllte die wenigen Gestaltungsvorgaben mit so viel Leben und Charakter eines göttlich hilflosen Verehrers seines alten Herrn, dessen neues Leiden gerade in seiner Unverstandenheit nur um so größere und geradezu erbarmungsheischige Anhänglichkeit in ihm auslöst. Man darf gespannt zuwarten, was wir hier noch alles zu sehen bekommen werden! FAZIT Bei manch guter Einzelleistung neben den Hauptrollen bleibt das unbestimmte Gefühl, Bilder ohne wirkliche Story gesehen zu haben, da weniger ein einheitliches Gesamt- sondern vielmehr mehrere parallele Konzepte vorgelegen zu haben scheinen. Bis zur Wiederaufnahme nach der Sommerpause ließe sich gewiss noch ein großer Wurf draus basteln! Doch auch mit 1a-Besetzung in sämtlichen Partien wäre damit gegen soviel geisttötende Raserei nur wenig auszurichten. |
Thielemann a Vienna, Carignani a Francoforte Due "Tristani" in scena Una sfida a distanza L’opera più rappresentativa di Wagner; difficilissima da allestire ma così appassionante e ricca di stimoli, non solo musicali, da indurre i teatri "in forze" a cimentarsi nell’impresa. Anche questo è Tristano e Isotta. In questi giorni due nuove edizioni hanno ricevuto il battesimo della scena, in un teatro di alta e in uno di altissima caratura come l’Opera di Francoforte e quella di Vienna. Due grandi successi per due "Tristani" diversissimi musicalmente, eppure accomunati dall’avvalersi di regie assai moderne. Singolare che in Germania lo spettacolo di Christof Nel abbia diviso il pubblico - molti applausi e qualche dissenso - mentre il teatro viennese, il cui pubblico è il più conservatore del mondo, è stato assolutamente unanime nel sommergere di fischi Günther Krämer, che pure figura tra i più stimati registi in Europa. Si tratta di due messinscene tese a smitizzare gli aspetti leggendari della vicenda onde caricare di significato lo spessore psicologico dei personaggi: la prima evidenziando con acume e sensibilità la verticalità, ma al contempo l’umanità, dei rapporti cavallereschi che ne regolano la convivenza; la seconda collocandone le gesta in un contesto socio-culturale molto prossimo a quello attuale (anche se caricare di simboli fallici e di scene di voyerismo il già ardente duetto d’amore non è parsa trovata geniale, né tantomeno necessaria). Ma la vera differenza consiste nelle letture musicali. Da una parte il milanese Paolo Carignani, che se la memoria non tradisce è il primo italiano a dirigere Tristano e Isotta in un teatro tedesco dai tempi di De Sabata; dall’altra Christian Thielemann, direttore a Berlino (Deutsche Oper) e Bayreuth, che si propone quale erede e continuatore della gloriosa tradizione interpretativa tedesca (quella di cui quest’opera è certamente un simbolo). Sarebbe stupido redigere una classifica di valori, anche perché i due si sono esibiti a capo di orchestre molto diverse, e con tutto il rispetto per quella di Francoforte, i Wiener Philharmoniker sono altra cosa. La lettura di Carignani ha comunque sorpreso per l’alta trasparenza: è un Tristano analitico, il suo, dentro il quale godere dell’enormità e dell’esuberanza dei contrappunti, ma anche dell’infinita dolcezza di certe linee strumentali, spesso sacrificate sull’altare del suono ampio e pastoso. Proprio quest’ultimo ha potentemente distillato Thielemann, invece: un turbine oceanico esaltante seppure faticoso da sostenere per i cantanti. Bella inoltre, nella lettura viennese, la cura del ritmo drammatico, con improvvise, rapinose accensioni che scuotono la ieraticità del passo, sublime, per lentezza, nel secondo e terzo atto. Di assoluto valore le compagnie, con John Treleaven e Thomas Moser (Tristan), Frances Ginzer e Deborah Voigt (Isolde), Gerd Grochowski e Peter Weber (Kurvenal), Gregory Franck e Robert Holl (Marke), Louise Winter e Petra Lang (Brangäne), rispettivamente a Francoforte e Vienna. Due spettacoli da non perdere, insomma. Enrico Girardi |
Published: June 3 2003 19:08 | Last Updated: June 3 2003 19:08 THE ARTS/OPERA By Shirley Apthorp Frankfurt's opera is clearly on the rise again. Tristan und Isolde, so nearly impossible to stage, is a good measure of a house's condition. Frankfurt's Tristan opened on the same day as Vienna's, undoubtedly cost a great deal less, and was in almost every respect vastly superior. The piece (let's face it) involves some 15 minutes of action stretched out over nearly four hours. But where the Vienna production had perhaps five interesting minutes to lighten the boredom, Christof Nel has made gripping drama of Wagner's monolith. Jens Kilian's sets show oppressive interior worlds - a charmless ship's corridor, a coolly grand master bedroom with windows on to a night-time forest, a coffin-black hotel lobby with a leaking roof. All are subtly sordid and grim. Isolde is a William Trevor figure, innocently dowdy, unconsciously noble and headed for a nasty end. Tristan, all in black, is death-obsessed from the start. The two move through a world populated by sinister, violent figures; even Marke radiates dangerous power. Their world is unsafe. Though the lovers' passion remains largely in their heads, it all ends in a grand bloodbath of tragic futility. Nel's production is critical, touching, and largely well-made. Paolo Carignani's conducting eschews emotional excess and is all the stronger for it; swift tempi and raw effects drive the piece inexorably forward. Excellent playing from the Museum Orchestra. Smaller roles are sensationally well-cast, from Louise Winter's anxious Brangäne and Gregory Frank's complex Marke to the rich, dramatic Kurwenal of Gerd Grochowski. Grances Ginzer makes an unusually lyrical Isolde, too light in the middle and vague on text but fired with conviction. Her Tristan, John Treleaven, takes a few vocal risks that perhaps he shouldn't, and misses top notes as a result, but the physicality of what he does means that you feel along with him throughout. |