Frankfurter Rundschau
4.3.2003

Operette, intelligent aktualisiert: "Ein Walzertraum" von Oskar Straus an der Oper Frankfurt
Sanftes Delirium

Von Hans-Klaus Jungheinrich

Als Kulturgut scheint die Operette weit weggerückt. Fast exotisch. Dabei war sie so intim gemeint. Flüsternde Geigen, direkt ins Damenohr. Und jede Menge Indiskretionen. Paris, Wien. Gehört die Operette zum feudalistisch-monarchischen Fundus? Staats-Theater mit ermäßigtem Anspruch für Kleinbürger? Bad Ischl, Mörbisch. So lange man sich an Regenbogenpresse, Bild und Big Brother ergötzt, kann Operette nicht völlig passé sein. Ihr Verschwinden von den ambitionierten Spielplänen war wohl eher eine Insider-Maßnahme hochkünstlerisch purifizierender Theatermacher. Nur ganz wenige Stücke (vorneweg die Fledermaus) wurden als "Klassiker" in den Opernfundus eingemeindet. Berge von Noten: dem Archivstaub überantwortet.

Darunter seinerzeit enorm Erfolgreiches wie Ein Walzertraum von Oskar Straus, in den Jahren nach 1907 international ein mit der Lustigen Witwe wetteifernder Kassenmagnet. Vermutlich blasste der Ruhm dieser Operette gerade darum, weil sie die dralle Léhar-Wittib an Feinsinn und pikanter Eleganz übertraf, ohne in ihrer musikalischen Fasson doch auszuscheren aus dem leichthändig-unterhaltsamen common sense eines zu seiner Verewigung antretenden Wienergefühls. Dabei verbreitete Habsburg schon den Duft eines exquisit vor sich hin gammelnden Wildbrets, und der vom dämonischen Volksgeist inspirierte Walzer schickte sich (spätestens mit Ravels La Valse) an, zum Sturz in den Abgrund den Marsch zu blasen.

Von solch verunsichertem Zeitgeist ist auch Ein Walzertraum nicht unberührt, etwa beim intrikaten Vorspiel zum dritten Akt, das, gleichsam unentschlossen, zwischen Polka-Geradtaktigkeit und Walzer-Dreivierteltakt pendelt. Die Frankfurter Wiederbegegnung unter der subtil biegsamen, minuziös ziselierenden musikalischen Leitung von Roland Böer zeigte aber auch noch andere Qualitäten des spezifischen Straus-Tones. Ein sanft schwebendes und schwelgendes Schwingen der süffigen, das Banale streifenden und sich ihm doch immer wieder durch aparte Wendungen entziehenden Melodik, die durch leitmotivische Wiederholungsmuster etwas zärtlich Insistierendes und Delirierendes bekommt (Hauptmelodien wie das Titellied oder der Walzer "Ich hab einen Mann, einen eigenen Mann"). Sodann eine Harmonik von erlesenem Raffinement, wenn auch sehr professionell (sixte ajoutée) ins Kulinarisch-Süße getaucht. Die Instrumentierung vielleicht nicht ganz so kalorienstark konditorhaft wie bei Léhar, feingliedriger, mitunter verhangen, jedoch nicht ohne den Impakt der schluchzenden Sologeige. Und als Essenz von allem der Walzer, hier vor allem Medium eines behutsamen Vibrierens, einer steten und gleichwohl fluiden Körperlichkeit. Dreivierteltakt, ein gelinder Dauerschwindel.

An der Frankfurter Musikinterpretation bestach die gleichsam konservative Rekonstruktion einer tonsprachlichen Ferne, die gerade durch ihre historische Patina bezauberte. Das Großartige an solch "kleiner Musik" fiel vor allem auf im Abstand zu den wenigen tatsächlich seichten, ballmäßig dröhnenden Musikstrecken (Anfang 2.Akt). Doch war die durch liebevolle Finesse gerettete Musik nur ein Teil des insgesamt geglückten Frankfurter Wiederbelebungsversuchs. Das Inszenierungskonzept Andrea Schwalbachs setzte an einem konträren Punkt an und riskierte eine hochgescheite, durch Verfremdung gegenwartsbezogene Aktualisierung. Auch mithilfe einer Neutextierung (Armin L. Robinson, Eduard Rogati), die Kalauer, Nonsens und Wortwitz munter sprießen ließ. Und als running gag einen schwadronierenden Clochard präsentierte, der einschlägige Otto-Weiniger-Sentenzen (wie "Es stimmt doch, dass das Weib keine Logik besitzt") zum Besten gab.

Johannes Leiacker baute ein splendides Einheits-Bühnenbild von betonter Nüchternheit: eine Art Underground-Foyer mit Treppe, Fotofixzelle und Klotür und einer oberen Galerie, die sich, zur Damenkapellen-Festivität des Mittelaktes, als Schiffsdeck darbot. Da konnte dann der operettennotorische Skandal am zweiten Aktende unschwer als Titanic-Katastrophensituation imaginiert werden - eine weniger dem diskreten Format dieses Walzertraums als der frivolen Gattungstendenz allgemein gemäße Assoziation. Das blieb freilich die stärkste interpretatorische Ballast-Ladung für diese leichte Operettenfahrt (sie wurde auch von der Drehbühne in kaum merkliche Schaukelbewegung gebracht).

Oskar Straus, der Komponist des Max-Ophüls-Films Der Reigen, ein lächelnder Melancholiker. Und der Walzer: Chiffre des von Desillusionierung bedrohten kleinen Rauschs. Das Leben, ein Walzertraum. Der fesche Wienerleutnant Niki (mit gewandtem Tenor: Sebastian Reinthaller) wird in einer fremden Residenz unversehens als Prinzgemahl engagiert. Die Rolle des Zuchthengsts passt ihm nicht; er verweigert sich und sucht Trost bei der Landsmännin Franzi, der Chefin einer Damenkapelle (höhensicher: Birgid Steinberger). Daraufhin funkensprühende Hofintrigen. Am Ende platzt eine Seifenblase: Franzi gibt dem Leutnant den Laufpass, und die Prinzessin (lieblich sopranesk: Barbara Zechmeister) tröstet sich anderweitig. Der verlassene Schwerenöter sitzt allein auf seinen Koffern. Leise zerstiebt dieser Walzertraum, nicht mit einem pathetischen unhappy end wie das Land des Lächelns. Das Publikum reagiert fast irritiert auf ein unkonventionell graues Operettenfinale.

Zuvor war der Weininger-Verschnitt bereits von den Frauen bös in die Mangel genommen worden. Im übrigen spielfreudig mit von der Partie ein Serenissimus zwischen Trotteligkeit und gemütlicher Impertinenz (Peter Lerchbaumer), ein glatzköpfig drahtziehender Graf (Gérard Lavalle) und eine zugeknöpfte Kammerfrau (Annette Stricker) sowie, unter viel weiterem lustigen Personal, nicht zu vergessen, eine echte zehnköpfige Damenkapelle. Ein Walzertraum, weniger fürs Operetten-Stammpublikum als für intelligente Genießer.

Oper Frankfurt: 8., 12., 24. März.

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Copyright © Frankfurter Rundschau 2003
Dokument erstellt am 03.03.2003 um 16:56:10 Uhr
Erscheinungsdatum 04.03.2003

URL: http://www.fr-aktuell.de/ressorts/kultur_und_medien/feuilleton/?cnt=158853

 

Frankfurter Neue Presse
4.3.2003

Der "Walzertraum" von Oscar Straus ist an der Frankfurter Oper unter der Regie von Andrea Schwalbach ausgeträumt.
Operetten-Sex im U-Bahn-Schacht

Von Michael Dellith

War alles nur ein Faschingsscherz, wie der Wimpel mit einem Fastnachtskreppel am Bühnenrand suggerierte? Manch einer aus dem Publikum verließ jedenfalls vorzeitig die Vorstellung. Während sich die einen über die anzüglichen Dialoge amüsierten, mokierten sich andere über den "blanken Unsinn" auf der Bühne. Denn von Wiener Gefühlsseligkeit war in der Inszenierung der Frankfurter Regisseurin wenig zu spüren.

Statt in plüschiger Kulisse spielt die 1907 uraufgeführte Operette in einer U-Bahn-Station mit grau-grünen Kachelwänden und orangefarbenen Sitzschalen aus Plastik, die aus der Frankfurter B-Ebene stammen könnten (Bühnenbild: Johannes Leiacker). In den Treppenabgängen mit ihren Rollgittern und Drehtüren herrscht reges Treiben. Unter den Passanten ist auch Selbstmörder, der über die Frauen philosophiert. Eine Klofrau wacht vor dem Toilette-Eingang über das Geschehen, und in der Mitte prangt ein Foto-Fix-Automat. In diesem versüfften Ambiente lässt die Regisseurin Vertreter zweier Welten aufeinander prallen: die in der Mode der Jahrhundertwende (Kostüme: Anne Neuser) gekleideten Angehörigen des fiktiven norddeutschen Fürstentums Flausenthurn, dessen Prinzessin Helene zwecks Nachkommenschaft gerade mit dem feschen Wiener Leutnant Niki verheiratet wurde, und die im modernen Outfit daherkommenden Österreicher. So erhält das Bühnenbild Symbolkraft. Die U-Bahn-Station ist nicht nur ein Ort des Umsteigens, sondern auch ein Ort der Anonymität, an dem alle gleich sind: Einheimische, Fremde, Durchreisende. Und alle sind sie auf der Suche nach dem Glück.

Was darunter zu verstehen ist, macht Andrea Schwalbach im 2. Akt deutlich: Vor allem geht es um handfeste Lustbefriedigung. Die U-Bahn-Station verwandelt sich in einen Vergnügungsdampfer, die Wiener Damenkapelle mutiert zur Girlie-Band in engen Jeans, freilich mit einem echten Kerl an der ersten Geige. Und wenn die Walzer erklingen, dreht sich nicht nur die Bühne zum Dreivierteltakt hin und her. Aus den Damen der feinen Gesellschaft werden liebestoll johlende Weiber, die nach den potenten Matrosen im Badeanzug grapschen. Dann geht es ungeniert zur Sache, im Rettungsboot, unter der Decke oder auf der Toilette, wo Leutnant Niki den wienerischen Reizen von Bandleaderin Franzi erliegt. Doch der orgienhafte Reigen führt in die Katastrophe. Pinguin und Eisbär lassen es erahnen. Und schon rummst es gewaltig, ein riesiger Eisberg taucht im Hintergrund auf, und die Gesellschaft auf der Operetten-Titanic gerät in Panik.

Am Morgen danach herrscht Katerstimmung, ein halb ersoffener Passagier wird wiederbelebt. Großreinemachen ist angesagt. Doch das Happy End, das die Straus'sche Vorlage den Protagonisten gönnt, indem die Kapell-Chefin Franzi großmütig auf den Leutnant Niki verzichtet und dieser reumütig zu seiner frisch angetrauten Prinzessin Helene zurückkehrt, verwehrt die Regie. Sie lässt den armen Niki allein auf Koffern zurück, der Vorhang fällt, und das Publikum weiß nicht so recht, ob die Operette nun endgültig untergegangen oder vielleicht doch noch zu retten ist.

Überzeugender als die Inszenierung geriet die musikalische Seite des "Walzertraums". Roland Böer, einer der beiden aufstrebenden jungen Kapellmeister an der Frankfurter Oper, animierte das Orchester zu einer schmissigen, gleichwohl elegant federnden Klanggebung. Sängerisch konnten neben dem Chor vor allem die Frauenstimmen überzeugen: Britta Stallmeister (Prinzessin Helene) als bewährtes Frankfurter Ensemblemitglied und als Gast Birgid Steinberger, die der Partie der Franzi weit mehr als nur soubrettenhafte Töne abgewinnen konnte. Zwei echte Wiener, Sebastian Reinthaller (Leutnant Niki) und Paul Armin Edelmann (Leutnant Montschi), ergänzten die Truppe.

Am Ende gab's verhaltenen Applaus – mit kräftigen Buhs für das Regie-Team.

 

Wiesbadener Kurier
4.3.2003

Oper Frankfurt: "Ein Walzertraum" von Oscar Straus
Willkommen auf der Titanic


Es funkt in der Operette: "Ein Walzertraum" in Frankfurt.
Photo: Aumüller

Von Kurier-Mitarbeiter
Axel Zibulski

Man trifft sich dort, wo sich alle irgendwann begegnen, ob Klofrau oder Clochard, Banker oder Roller-Blader: ganz unten, in der Passage einer U-Bahn-Station. Im etwas maroden Heute präsentiert sich das nicht weniger marode Fürstentum Flausenthurn aus dem "Walzertraum". Andrea Schwalbach hat das einst viel gespielte Stück von Oscar Straus in Frankfurt neu inszeniert - und dabei bravourös gezeigt, wie viele Funken sich aus dieser 1907 in Wien uraufgeführten Operette noch schlagen lassen.

Soeben hat sich das treudeutsche Flausenthurn seinen Stammhalter gesichert: Ein gewisser Leutnant Niki, Wienerischer Herkunft, hat die Prinzessin Helene geheiratet. Im gemächlichen Gleichschritt rückt die (von Anne Neuser) üppig kostümierte Festgesellschaft in die U-Bahn-Passage ein, die damit fast wie ein Zeittunnel wirkt. Und bereits hier, im ersten Akt, überzeugt Schwalbachs Inszenierung durch ihre phantasievollen Situationszeichnungen: Fußballfans blasen Trompete, der Clochard tanzt Walzer - und der Hofstaat macht sich auf köstliche Weise lächerlich, weil Peter Lerchbaumer einen herrlich vertrottelten Fürsten Joachim und Gérard Lavalle einen hölzernen Grafen Lothar gibt: Dass beide dabei nicht als schablonenhafte Witzfiguren auftreten, dürfte gleichermaßen das Verdienst der Darsteller wie der Regie sein.

Der Bräutigam, der bald merkt, welche potente Funktion er im Staate Flausenthurn auszuüben hat, ergreift die Flucht: Noch in der Hochzeitsnacht zieht's ihn zu einer Wiener Damenkapelle. Aus der Untergrund-Passage wird - ein Coup des Bühnenbildners Johannes Leiacker - die großzügige Reling eines Kreuzfahrtschiffs: Willkommen auf der Titanic, wo sich Pinguin und Eisbär schon begegnen, bevor es zum mächtigen Crash kommt. Gleich in mehrfacher Hinsicht ist das ein idealer Spielort für den zweiten Akt. Weil die reizende Kapelle ausgerechnet mit dem Walzer über die Katastrophe hinwegspielt. Weil das Unglück mit dem Beziehungs-Crash einhergeht, den der Bräutigam da anrichtet, als er sich mit der Dirigentin Franzi (Birgid Steinberger) einlässt. Und nicht zuletzt, weil sich unterm Sternenhimmel ganz einfach eine kunterbunte Szenerie bietet, auf der Regisseurin Schwalbach selbst über manche Länge mit leichter Hand hinwegspielen lässt.

Ebenso leicht, aber ganz und gar nicht seicht klingt das, was das Frankfurter Museumsorchester aus dem Graben beisteuert: Hoch präzise setzt Dirigent Roland Böer Marschrhythmen gegen die Wiener Walzer, die süffig fließen und sich klanglich delikat auffächern. Das donaustädtische Idiom ist dabei, ganz leibhaftig, auch auf der Bühne präsent: Eine richtige Entscheidung, die Wiener Herrschaften auch mit Wiener Sängern zu besetzen. Als Leutnant Niki verbreitet Sebastian Reinthaller operettentenoralen Schmelz, singt leicht, agil und ein wenig schmallippig. Seinen Kumpanen Montschi gibt mit Paul Armin Edelmann der Sohn des österreichischen Bass-Baritons Otto Edelmann.

Ungebrochen heiter bleibt Andrea Schwalbachs Inszenierung nicht (vielleicht der Grund, dass am Ende heftige Buh-Stürme aufkommen). Vielmehr lässt sie auch die gar nicht so sympathische Seite des Jahrhundertwenden-Wiens zu Wort kommen. Eine herumgeisternde Selbstmörder-Gestalt (Richard van Weyden) gibt immer wieder Übles über das "Weib" aus der Feder des Wiener Philosophen (und Selbstmörders) Otto Weininger zum Besten. Und gar nicht heiter bleibt auch der Schluss. Da hat man sich zwar per Beiboot in den dritten Akt gerettet. Doch nachdem Helene (silbrig, wendig: Barbara Zechmeister) ihren Kronprinzen freigegeben hat, macht dessen Kapellmeisterin ihm klar, dass alles nur eine Liebelei war. Am Ende sitzt er ganz allein in fahlem, kaltem Licht. Der Walzertraum ist aus.

 

Offenbach Post
Kultur/Ausgabedatum: Dienstag, 4. März 2003 - 11:21 Uhr

Gefühls-Havarie auf Wiener Traumschiff

Von KLAUS ACKERMANN

Natürlich hat keiner damit gerechnet, dass Opas Operette an der Frankfurter Oper in alter Pracht fröhlich Urständ' feiern würde. Dafür ist das Theater heutzutage viel zu ernsthaft. Da kann man schon als Erfolg verbuchen, dass mit "Ein Walzertraum" von Oscar Straus nicht das komplette Genre denunziert wurde, sondern dass Regisseurin Andrea Schwalbach den eh meist flachen Libretti mit blühender Fantasie und Brechtschem Eifer etliche Nebenschauplätze eröffnet und die Geschichte auch gründlich umgekrempelt hatte. Und weil der Charme und Schmelz Wiener Geigen nicht auf der Strecke blieb, das Schwadronieren sich ebenso in Grenzen hielt wie das nachhaltig Belehrende, zog sich zur Premiere am Sonntagabend nur der zweite Akt leidlich in die Länge. Das hielt aber eine stabile Buh-Fraktion nicht davon ab, ihren Unmut übers Regieteam am Ende lauthals herauszuposaunen.

Armin L. Robinson und Eduard Rogati werden als neue Bearbeiter der Operette vom Beginn des vergangenen Jahrhunderts genannt. Dabei bleibt offen, welchen Anteil die Regie an den fundamentalen Wenden dieses Schau- und Hörstücks hat. "Es stimmt, dass das Weib keine Logik hat", macht sich ein abgerissenes Subjekt (äußerst glaubwürdig: Richard van Weyden) von Anbeginn unbeliebt, eine Art Runninggag, dessen Selbstmordversuche allesamt fehlschlagen. Auch hat das Happyend bereits stattgefunden: Der fesche Wiener Leutnant Niki ist Prinzessin Helene angetraut, fühlt sich aber als Zuchtbulle des auf einen Thronfolger hoffenden Fürstentums missverstanden - und verweigert die Hochzeitsnacht.

Und da in dieser Inszenierung Konterkarieren Trumpf ist, handelt es sich beim Fürstenhaus um eine triste U-Bahn-Station, wo sich zur orchestralen Intro die Helden wie in einem Roadmovie bewegen: Zwischen Fotoautomat, Rolltreppe und der Toilette, hier jene meist heftig zugeschlagene Tür ersetzend, ohne die keine Komödie auskommt (Ausstattung: Johannes Leiacker, Kostüme zwischen Revue und Realität: Anne Neuser).

Und wenn die Saxofonistin ihr Instrument auspackt und einbläst, verzahnt sich diese Phrase ideal mit Oscar Straus' singenden Geigen. Die hat der Frankfurter Opernkapellmeister Roland Böer im Museumsorchester intensiv ausgedeutet, der süffigen Dreivierteltakt delikat ausschwingen lässt und das reiche Akkordpfefferminz des Straus - mit einem S am Ende - herzerwärmend ausbreitet. Ein dickes Lob gilt auch dem Chor (Einstudierung: Andrés Maspero), der nicht nur schwungvoll bei der Sache ist, sondern noch vom Choreografen kräftig rangenommen wird. Der Forsythe-Eleve Thomas McManus setzt feine optische Akzente, indem er bei den Herz-Schmerz-Walzern wie "Leise ganz leise" geläufige Tanzfiguren ironisch anspitzt. Etwa ein Walzer in Rückenlage. Nicht zu vergessen: Das auf der Bühne äußerst geschickt hantierende, den Heurigenton verinnerlichende Damenorchester, natürlich aus Wien – und für den zeugungsunwilligen Leutnant das richtige Betthupferl bereithaltend.

Sein Techtelmechtel ereignet sich auf einer Art Traumschiff, das zur Titanic mutiert, wenn's zum eisigen Gefühlscrash aller Beteiligten kommt. Denn auf der Suche nach ihrem Ehegespons entdeckt die Prinzessin dessen neckische Liaison. Ab geht's in die vorher noch zum öffentlich-heimlichen Liebkosen genutzten Rettungsboote, doch am Ende findet man sich in der U-Bahnstation wieder.

Nun besitzen Schlussakte in Operetten selten eine Logik, außer der, das Happyend möglichst schnell einzuläuten. Das missfiel nicht nur der Regisseurin, die es – mein Gott, Oscar - versagt. Zwar gibt die Damenkapellmeisterin den Leutnant frei, doch dessen vernachlässigte Prinzessin, jetzt mit Wiener Lebensart intim vertraut, haut mit einem anderen ab, wahrlich ein emanzipatorischer Akt. Dass sie ausgerechnet jenes selbstmörderische und frauenfeindliche Element ausgewählt hat, ist schon ein wenig zu viel des Guten.

Die Bühne in hoffnungsloses Blau gekleidet, räsoniert da ein schnöde verlassenes Mannsbild. Der Wiener Sebastian Reinthaller verkörpert diesen Schluri mit feinen lyrischen Stimmgaben, ohne zu dicke Schmalzschicht. Niki hat vorübergehend die Wahl zwischen Birgid Steinberger, als Franzi ein süßes Wiener Mädel, das zu gurren und zwitschern versteht – manchmal ein wenig leise. Und der Wahl-Frankfurter Sopranistin Barbara Zechmeister, eine Prinzessin, die ihre reichen Stimmgaben voll ausreizt. Als seniler Fürst eine komische Nummer, widersetzt sich Peter Lerchbaumer mit vollem Schauspielereinsatz allzu großer Ernsthaftigkeit. Als Leutnant-Spezi Montschi singt und spielt der Wiener Paul Armin Edelmann den Draufgänger. Den eifersüchtigen Graf Lothar gibt Gérard Lavalle, der die fesche Franzi auch einmal versohlt – was im Operetten-Wien für Lustgewinn steht. Bis hin zur umwerfenden Tschinellenfifi der Margit Neubauer sind selbst die Randfiguren typengenau besetzt.

Dass in Frankfurt wieder Operette gespielt wird, ist schon eine Überraschung per se. Dabei riskierte Andrea Schwalbach szenisch einen schwierigen Balanceakt, indem sie den Text wortwörtlich bis hin zu Pinguin und Eisbär umsetzte. Darüber kann man streiten. Doch geschlossenen Auges kam die Erkenntnis: Opas Operette ist nicht totzukriegen.

Weitere Vorstellungen am 8., 12., 22. und 24. März sowie am 2., 4., 12., 17. und 20. April.

 

Darmstädter Echo
5.3.2003

Premiere: Die Operette „Ein Walzertraum" von Oscar Straus in Frankfurt
Seekrank statt selig

Von Sandra Binder

FRANKFURT. „Leise, ganz leise" und „Ich habe einen Mann": Selten waren die Schlager aus Oscar Straus’ Operette „Ein Walzertraum" in den vergangenen Jahren zu hören. Straus, der mit der Strauß-Dynastie nicht verwandt gewesen ist, hatte 1907 mit diesem Werk seinen Welterfolg. In der Frankfurter Oper hatte die Operette am Sonntag Premiere, sie soll das sonst eher ernste Programm dieser Spielzeit auflockern.

Ort der Handlung ist das Fürstentum Flausenthum. Prinzessin Helene soll den Wiener Leutnant Niki heiraten, der jedoch das Treiben am Hof nur langweilig findet. Er macht sich in der Hochzeitsnacht davon, um einer Wiener Damenkapelle zu lauschen und verliebt sich in Kapellmeisterin Franzi. Helene bemüht sich um Niki, der am Schluss – im Originaltext – zu ihr zurückfindet. In Frankfurt nimmt die Geschichte einen anderen Lauf.

Die Inszenierung von Andrea Schwalbach mit dem Bühnenbild von Johannes Leiacker und den Kostümen von Anne Neuser gerät etwas ins Schlingern. Schwalbach verlegt die Handlung in eine zugige Bahnhofshalle und auf ein Schiff, das stark an die Titanic erinnert. Straus’ Musik scheint nur noch im Hintergrund zu spielen, und die Schiffsromanze, die Schwalbach dazu strickte, setzt das Stück fast gegen den Eisberg.

Was soll man aus dieser Geschichte machen, in der die Menschen Niki, Montschi, Franzi und Fiffi heißen? Man kann sich auf sie einlassen, immerhin war „Ein Walzertraum" nach der Uraufführung enorm erfolgreich. Man kann sie aus der historischen Distanz in Frage stellen, immerhin waren Operetten auch deshalb so erfolgreich, weil ihre Satire zeitgebunden war: Sie verhöhnten den Konflikt zwischen aufstrebendem Bürgertum und bröckelndem Adel.

Zudem greift „Ein Walzertraum" der „tragischen Operette" des späten Franz Lehár vorweg. Nicht alle Figuren finden ihr Glück. In der Fassung, die für Frankfurt gewählt wurde, wird das durch einen geänderten Schluss überspitzt: Niki stellt sich so dumm an, dass ihn sogar Helene am Ende sitzen lässt und mit einem anderen abhaut. Kein Happy End nach zweieinhalb Stunden Wiener Walzer: Das sollte genug Stoff liefern.

Doch die Inszenierung folgt keinem sichtbaren Kurs. Sie konfrontiert diejenigen, die sich Walzerträume versprechen, mit einer im Takt schwankenden Bühne, die den Zuschauer mehr seekrank als selig macht. Und diejenigen, die auf eine stimmige Analyse hoffen, wundern sich über den Klamauk; über den Eisbären und den Pinguin, einen kopflosen Chor, der mit Stadtplänen bewaffnet über die Bühne hetzt und eine Samba-Tänzerin, die an den unmöglichsten Stellen aus einem Foto-Automaten springt. Die Figuren bleiben heimatlos, sind Zuhause in der gefliesten Halle und auf dem Hochseedampfer.

Gesanglich ist das Ensemble hervorragend vertreten. Der jugendliche Schmelz in Sebastian Reinthallers Stimme macht ihn zu einem idealen Heldentenor. Barbara Zechmeister (Helene) und Birgid Steinberger (Franzi) sind eine starke Besetzung für die Frauenrollen. Steinberger singt frisch, ohne kalt zu klingen, Zechtmeister fügt Flexibilität und Glanz dazu.

Kapellmeister Roland Böer dirigiert das Frankfurter Museumsorchester in einer durchscheinenden Interpretation und behandelt die Instrumentation von Oscar Straus mit Glacé-Handschuhen. Behutsam greift er Klänge heraus und hält die Sentimentalität eher mager. Gut funktioniert auch seine Koordination zwischen der Damenkapelle auf der Bühne und dem Orchester im Graben. Der Applaus wollte am sonntagabend nicht recht fließen, für Kapellmeister Böer und das Ensemble gab es zwei Vorhänge, für Schwalbach, Leiacker und Neuser mehr Buh-Rufe als Beifall.

„Ein Walzertraum" läuft am Samstag (8.), sowie im März am 12., 22. und 24. um 19.30 Uhr in der Oper Frankfurt.

 

Allgemeine Zeitung
05.03.2003

Lautstarke Missfallensbekundungen bei Premiere der Operetten-Inszenierung in Frankfurt
Der Walzertraum auf der Titanic

Von unserem Mitarbeiter
Markus Häfner

So lautstarke und von großen Teilen des Publikums geäußerte Missfallensbekundungen wie nach der "Walzertraum"-Premiere in der Oper Frankfurt erlebt man selten. Am Tag der Uraufführung des "Walzertraum" im Jahr 1907 war das ganz anders: Das Publikum tobte vor Begeisterung, schlagartig machte das Werk Oscar Straus weit über Wien hinaus bekannt. Der Komponist hatte im "Walzertraum" mit geradezu seismographischem Gespür die nostalgische Stimmungslage einer Gesellschaft eingefangen und multipliziert, die den Altweibersommer ihrer Donaumonarchie noch einmal richtig auskosten wollte.

Straus' Musik berauscht sich in den ersten beiden Akten noch hörbar an Anklängen an die vergangene, leichtlebige Atmosphäre der goldenen Wiener Operette um Johann Strauß, bevor der dritte Akt, melancholisch und progressiv zugleich, eher der Tonsprache von Straus' erfolgreichem Zeitgenossen Franz Lehár folgt. Diesen sowohl aus zeitgeschichtlicher als auch musikalischer Sicht interessanten Bruch in der Partitur lässt auch Andrea Schwalbachs Inszenierung in adäquaten modernen Bildern sinnfällig werden - das ist ihr eigentlicher, großer Pluspunkt.

Im ersten und zweiten Akt dominiert noch das Beharren in derben Vergnügungsgewohnheiten und bequemen Klischees. Johannes Leiacker hat in seinem Bühnenbild einen Luxusdampfer angedeutet, am Südpol verirrt sich ein Pinguin an Bord, am Nordpol ein Eisbär. Der dritte Akt jedoch weckt nach einem gewaltigen Schiffbruch und Meuterei signifikante Veränderungen in allen Charakteren auf der Bühne, inszeniert Umorientierung und Abschied: voneinander und vom alten Habitus. Der Letzte macht das Licht aus. Leutnant Niki bleibt ganz allein zurück, ohne Helene. "Leise, ganz leise" verklingt der Walzertraum. Kein leichter Tobak für eine Operette.

Musikalisch wird dieses "Walzertraum"-Schiff zweifellos auf soliden Wellen getragen. Das Frankfurter Museumsorchester agiert unter der Leitung von Roland Böer in gewohnter Klangkultur und Spiellaune, auch wenn an einigen Stellen die rhythmische Abstimmung mit den Sängern noch die letzte Präzision vermissen lässt. Das Gesangsensemble ist überwiegend auf hohem Niveau besetzt: Brillant, vor allem im hauchzarten Piano, Birgid Steinberger als "Franzi", der Barbara Zechmeisters glockenklare, mit bestechender stimmlicher Souveränität gesungene "Helene" in nichts nachsteht. Gut auch der "Wendolin" von Carlos Krause und der "Montschi" Paul Armin Edelmanns, ebenso wie Annette Strickers Mezzosopranpartie der "Friederike".

Einzig Sebastian Reinthaller war in der umfangreichen Rolle des Leutnant Niki stimmlich leider überfordert. Der Chor hat noch weniger zu tun als ohnehin in der Partitur vorgesehen - die Introduktion zum dritten Akt wurde zum Solistenduett umgebaut - doch dieses Wenige erfüllt er durchaus sehr lebendig.

Dass aber viele Opernbesucher nicht dieselben trostlosen Schalensitze, Mülleimer, ja sogar Fußballfans auf der Bühne sehen wollen (all das wird, nebst Foto-Fix-Automat und Toilettenfrau als "Subway-Ebene" in das Traumschiff eingeklebt), denen sie eventuell gerade erst bei der Anreise in der U-Bahn begegnet sind, ist irgendwo verständlich. Die Inszenierung steuert zwar auf interessantem Kurs, kann sich insgesamt aber nicht aus einer doch sehr unbefriedigenden Schräglage retten. Es bleibt bei vereinzelten gelungenen szenischen Eindrücken, die aber von spannungsarmen Dialogen und zu viel Klamauk begleitet werden.

Weitere Auff. 8.,12.,22.,24.3., Karten unter 069-1340400.