Wer ist der Schlauste im ganzen Land? Einstein ist gerissen, aber John Dew ist noch gerissener, wie man an seinem Wiesbadener "Rheingold" sehen kann Von Stefan Schickhaus
Drei lange Opern-Nächte braucht Richard Wagner für seinen Ring des Nibelungen, dazu einen Vorabend, Das Rheingold. Doch bevor dieser Vorabend in Wiesbaden anbrechen konnte, musste hier erst eine Vorgeschichte stattfinden, die würdig ist dem Grundtenor dieses Opern-Zyklus' - denn es ging um Verträge, die binden. Wotan hätte seine Freude daran gehabt. John Dew sollte den Wiesbadener Ring inszenieren, sicher der letzte Ring dieses renommierten Regisseurs. Doch wurde der nun kurzfristig Intendant nebenan am Staatstheater in Darmstadt, auch hier wäre ein Ring gern gesehen. Die Verträge wurden gehalten, und zwar schlau: Nun wird der Ring erst in Wiesbaden gezeigt, dann wandert er ins eigene Haus des Regisseurs, nach Darmstadt. Die Welt-Esche als Symbol weise verflechteter Verträge ist immer im Blick, wenn jetzt Das Rheingold geschmiedet wird im Hessischen Staatstheater Wiesbaden. Mal sieht man nur Äste durchs Fenster, mal das Wurzelwerk, mal den ganzen prächtigen Baum. Wahrscheinlich wird dieser Baum dann gefällt am Ende der Götterdämmerung, schade, dass man es jetzt schon ahnt. Gleichwie, im Schatten der Esche spielen sich enorme Szene ab am Vorabend von John Dews Ring. Der Bühnenausstatter Peter Schulz hat ihm Bilder entworfen, deren Kraft bei gleichzeitiger Reduktion der Mittel sensationell ist. Alleine schon das erste Bild, die badenden Rheintöchter: Erst einmal nur Nebel, man sieht nichts. Schemenhaft zeichnen sich drei junge Damen in Neopren ab - drei Mal Franziska von Almsick -, die sich über blaue Stoffbahnen winden wie Kunstschwimmerinnen. Stoff, Licht, sonst nichts - bei Schulz und Dew ergibt das ein Wunder an Dynamik, an Fließen. Schon in diesen ersten zwanzig Minuten weiß man, dass Wiesbaden (und eben auch Darmstadt) einen Ring bekommen wird, der nichts im Ungefähren lässt. John Dew, und dafür ist er ja auch bekannt und berüchtigt geworden, spielt keine abstrakten Züge, sondern nennt sie alle beim Namen. Fafner und Fasolt etwa, die Wotans Burg bauen. Bei Wagner sind es Riesen, bei Dew Bauarbeiter. Undiplomatisch, direkt, derb, ihre Sicherheitswesten reflektieren grell in den Bühnenscheinwerfern. Und wer ist der Schlauste im ganzen Land? Einstein natürlich - er übernimmt den IQ-Geladensten der Rheingold-Besatztung, den Feuergott Loge, gut getroffen bis hin zur Breitcordhose. Einfach so gelesen auf dem Papier, mag diese superrealistische Zeichnung platt und zum Schenkelklopfen klingen, doch so konsequent, wie John Dew seine Typen in den Schulz-Bühnenräumen agieren lässt, ist es atemberaubend klarsichtig. Es sind aber auch perfekte Sängerdarsteller, die dem Regisseur hier zur Verfügung stehen. Für die tragenden Rollen wurden allsamt Gäste nach Wiesbaden verpflichtet: Als Zwerg Alberich, und er sei nicht ohne Grund als Erster genannt, der Luxemburger Carlo Hartmann. Selbst in der größten Bühnenaktion verstand man bei diesem so präsenten Bariton noch jedes Wort. Eine klare Artikulation war ohnehin ein zusätzliches Plus der Premierenbesetzung. Hell und schön war der Tenor des Einstein-Loge Norbert Schmittberg, ein mehr beweglich als mächtiger Wotan war Ralf Lukas. Er ist hier ganz smarter Geschäftsmann; das eine Glas seiner Brille ist verspiegelt, denn schließlich hatte er einst für den Welteschen-Weisheitstrunk ein Auge geopfert. Jetzt spiegelt sich in diesem Augenglas das goldene Leuchten des Fingerrings, wenn er ihn fasziniert anstarrt. Der Ring ist ganz profan batteriegespeist, doch die Wirkung der Brillenreflexion ist stark. Nicht nur die großen, auch die kleinen Bilder treffen den Nerv. Sängerisch machte man an diesem Wagner-Vorabend keine halben Sachen, musikalisch auch nicht: Generalmusikdirektor Toshiyuki Kamioka dirigierte fast noch körperbetonter als sonst, er warf gewaltige Wellen, die Ambosse kurz vor Nibelheim gingen an die Schmerzgrenze. Das berühmte Es-Dur-Vorspiel zur Rheinszene, nun ja, wirkte etwas unaufgewärmt - es wäre weiter hinten am Abend sicher noch sinnlicher gekommen. Doch in jenen Anfangsminuten herrschte auch sehr starker Nebel im Innenraum... Das letzte Bild, bevor der Vorhang fällt und man auf die Walküre im Juni 2004 warten muss, es zählt zu John Dews Hyperrealismen. Und es ist ein Selbstzitat, übernommen aus einer früheren Ring-Sicht. Die Burg Walhall, die die Riesen bauten und die Götter nun beziehen, ist ein Atomkraftwerk. Zeichen für die aus dem Gleichgewicht geratene Balance zwischen Mensch und Natur. Ein Bild, das auf dem Papier platt klingt. Aber richtig stark wirkt. • Wiesbaden. Die nächste Aufführung am 11. Juli,19.30 Uhr, ist die letzte dieser Spielzeit. [ document info ]Copyright © Frankfurter Rundschau 2003 Dokument erstellt am 06.07.2003 um 17:45:23 Uhr Erscheinungsdatum 07.07.2003 |
Nie war Wotan so verloren weich Das Staatstheater Wiesbaden formt einen neuen "Ring des Nibelungen". "Das Rheingold" hatte jetzt Premiere, John Dew inszenierte. Von Rudolf Jöckle Das war ein sehr unterhaltsamer, bisweilen gar verspielter Auftakt, dessen Reflexionen oft ironisch mit der Zeit spielten. Keine technischen Zauber also, sondern eine gesunde, ja umwerfende Offenheit, jedenfalls weniger Mythos als vielmehr Märchen. Der Wagner-erfahrene Dew versuchte nicht, den absolut neuen "Ring" zu entdecken, sondern folgte unprätentiös dem Wissen um das von Wagner intendierte Gesellschaftsbild, Bilder also von oben und unten, arm und reich, Aufstieg und Sturz, mächtig und schwach, wenn man so will, im (frühen) 20. Jahrhundert. Konsequent verharrt noch die 1. Szene (in der Tiefe des Rheins) mit ihren welligen Tüchern im Urzustand – die Bühnenbilder schuf Peter Schulz, die Kostüme entwarf José-Manuel Vazquez –, wobei schon hier auffällig im Hintergrund ein starker, weitverästelter Baum ("Weltesche") in die Tiefe reichte, der nicht nur das Rheingold birgt, sondern der die Szenerie quasi leitmotivisch schmückt, mit seinen Wurzeln in Nibelheim, als bergender Schrein für die Erda, einer wahrhaften "Ur-Wala" (sehr deutlich: Marina Prudenskaja) bis hin zum Walhall-Finale, den Neubau zierend. Wotan aber – der Feudale – kämpft um die letzte Möglichkeit, an der Macht zu bleiben. Dazu ist ihm alles recht, und nie sah man ihn so unsympathisch, so schwächlich, so verloren weich, gezeichnet wie hier. Die Riesen stapfen als zünftige Männer vom Bau heran und verhandeln auf gleicher Augenhöhe, Alberich treibt sich als eine Art alpenländischer Handwerker herum, der, unversehens allmächtig geworden, nun selbst das Volk, aus dem er kommt, ausbeutet und in der Eitelkeit des Emporkömmlings – der Homburg wird zur Tarnkappe – prompt in die Falle geht. Die Naivität, mit der er seine Verwandlungskünste vorführt – als Riesenwurm auf der glühend-fauchenden Vorderfront einer Nobelkarosse der 20er Jahre (Auto-Schlangen sind ja längst Alltag) oder als flink huschende Spielzeugauto-Kröte –, das verschaffte ihm wohl mitfühlende Bonuspunkte. Übertroffen werden sie alle durch Loge in hinreißender Einstein-Maske. Norbert Schmittberg mit biegsamem Tenor variiert blendend deren Möglichkeiten, ob als eine Art älterer Sponti wie als legerer Künstler, jedenfalls gesegnet mit skeptischer Intelligenz. Der fallende Vorgang zitiert nochmals die letzten Rheintöchter-Zeilen: "Traulich und treu ist's nur in der Tiefe / falsch und feig ist, was dort oben sich freut!" Loge-Einstein liest es, zuckt die Achseln. Und streckt dem Publikum die berühmte Zunge heraus. Was für ein Abgang! Auffällig bei Schmittberg wie übrigens fast beim ganzen Solisten-Ensemble ist die Wortverständigkeit. Das gilt besonders für den markanten, nicht allzu "schwarzen" Alberich von Carlo Hartmann, auch für Ralf Lukas als Wotan mit klarer musikalischer Linie, freilich nun ohne die emphatische Würde etwa des "Abendlich strahlt der Sonne Auge". Im Gegenteil: Bei den letzten Rheintöchter-Tönen bricht er zusammen und muss nach Walhall geschleppt werden. Das gilt auch für den wendigen Mime Erik Biegels oder die aufrechten Riesen Guido Jentjens (Fasolt) und Axel Wagner (Fafner). Die Damen stehen kaum zurück: Leandra Overmann, die in der 2. Szene (eigentlich "auf Bergeshöhen", hier eheliches Schlafzimmer) beeindruckend den Ehestreit des 2. Walküre-Aktes vorwegnimmt, oder die helle Leidensfähigkeit von Oxana Botscharova als Freia. Toshiyuki Kamioka am Pult sorgt sich um die Durchhörbarkeit des Orchesterklangs. Er verzichtet auf Opulenz, auf den großen Rausch. Und das gelingt ihm erstaunlich gut bei wenig gebrochenen Klangfarben und sparsam eingesetztem, stürmischen Drängen. Nie dröhnt das Orchester, es zaubert gar in den lyrischen Momenten, und erst gegen Ende hört man ein paar Konzentrationsschwächen. Ein Musizieren also, das nie lastet, sondern John Dews ernste Leichtigkeit konsequent fortsetzt. Allenthalben großer Beifall. |
Götter auf dem Ledersofa Von Volker Milch
"Atomkraft - Nein Danke" oder auch "AKW - Nee": Das waren Zeiten! Reifere Semester mit womöglich grün bewegter Jugend könnten angesichts der Wiesbadener "Rheingold"-Inszenierung von John Dew nostalgisch werden. Walhall ist im Staatstheater nicht Wallstreet, sondern ein veritables, von Panzersperren abgeschottetes Atomkraftwerk. Parbleu! Da hat ein Regisseur den Mut, zwei Jahrzehnte nach seiner ersten Inszenierung von Richard Wagners Tetralogie "Der Ring des Nibelungen" auf der Aktualität des damaligen Konzepts zu bestehen. In dessen Zentrum, so Dew in seinem Programmheft-Beitrag, standen die "Spannungen zwischen Mensch und Natur". Was Nörgler im Vorfeld schon als ökologisch wertvolles und ökonomisch dankbares "Ring"-Recycling des viel beschäftigten Regisseurs bemäkelt hatten, erwies sich am Premierenabend in den neuen Bildern von Peter Schulz als frisches, das Publikum mitreißendes Musiktheater-Erlebnis. Der Applaus für Dew, die Solisten und das Staatsorchester unter Toshiyuki Kamioka war gewaltig - und sicher, mutmaßen wir mal, weniger vom Konzept selbst als von dessen theatralischer Umsetzung motiviert: Statt hohler Opern-Posen gibt es nämlich eine böse Gesellschaftskomödie, in der jede Geste sitzt. Aber warum auch nicht auf einem zwanzig Jahre alten Konzept pochen? Politischer, ökologischer oder ästhetischer Fortschritt lassen sich im Ernst doch wohl kaum gegen Dews "Rheingold" geltend machen: Der Atom-Ausstieg ist eine eher langwierige Veranstaltung, während der die nuklearen Gefahren einem erstaunlichen kollektiven Verdrängungsprozess unterliegen. Und haben wir uns nicht, ehrlich gesagt, angesichts Bayreuther Schmuck-"Ringe" à la Kirchner oder Flimm nicht oft genug den ausgeglühten Industrieschrott am Rande von Harry Kupfers "Straße der Geschichte" zurückgewünscht? So weit sind wir freilich noch nicht in Dews "Ring"-Sicht. Dem Atomkraftwerkchen nimmt man den Ernst der Lage noch nicht so ganz ab. Das liegt vor allem am sehr heiter-ironischen Umfeld der Götter-Gesellschaft, die Dew entwirft. Abwarten. Ins Zentrum des Geschehens rückt Loge, der offenbar nicht nur Kraftwerks-Prüfer, sondern auch dessen Chefdenker ist. Damit ihn jeder als freischwebenden Theoretiker wahrnehmen kann, tritt er mit schlohweißem Denker-Schopf und Schlabberpulli als Einstein auf. Das ist weit mehr als ein szenischer Gag und gibt der Figur, die in der "Ring"-Tradition gerne als mephistophelischer Irrwisch aufgefasst wird, eine Dimension, auf die Wieland Wagner hingewiesen Eheliche Konflikte deuten sich in Wotans Schlafzimmer an hat: Loge als Repräsentant "zweckfremder Weisheit" und damit Widerpart zu Wotan, dem machtbewussten "Urbild politischer Denkweise". Der szenischen entspricht in Wiesbaden die musikalische Aufwertung mit dem Heldentenor (und Wiesbadener Florestan) Norbert Schmittberg. Auch solche Akzentuierung hat Tradition: Wieland Wagner hatte seinen Loge 1965 sogar mit Wolfgang Windgassen, dem Sänger der beiden Siegfriede besetzt. Das Wiesbadener "Rheingold"-Ensemble hat überhaupt ein erfreuliches Niveau: Dem Alberich, der vom Handwerksburschen zum Bergwerksdirektor mutiert, gibt Carlo Hartmann Format, während der aalglatte Götterchef Wotan (Ralf Lukas) ziemlich unter der Fuchtel seiner matronenhaften und auch stimmlich wuchtigen Gattin Fricka (Leandra Overmann) steht. Im Schlafzimmer, dessen Lage "auf Bergeshöhen" von der himmelblauen Wolkentapete markiert wird, deuten sich künftige eheliche Konflikte schon beim Bettenmachen an. Immer wieder vergnüglich ist die szenische Konsequenz, mit der John Dew der latenten Komik des "Ring"-Vorabends nachspürt: Ohne Regen kein Regenbogen. Daher müssen die Götter im letzten Bild die Schirme aufspannen, um das "schwüle Gedünst" zu überstehen. Dann weist eine Regenbogenbrücke in herrlichen Bonbonfarben den Weg gen Walhall. Überhaupt gelingen dem Bühnenbildner Peter Schulz mit einfachen Mitteln bezwingende Bilder: In den düsteren Tiefen des Rheins tummeln sich, auch stimmlich reizvoll, die Rheintöchter Thora Einarsdottir, Annette Luig und Sandra Firrincieli auf blauen Wogen wallenden Stoffs. Neopren-Anzüge bewahren sie vor Unterkühlung. Ansonsten herrscht die vertikale Hierarchie: Oben, in Wotans Chefzimmer, steht der aus der Weltesche gebrochene Speer in der Vitrine, unten in Nibelheims Klüften werden die Nibelungen zur Steigerung der Produktivität ins Bergwerk getrieben. Als szenisches Leitmotiv steht die Weltesche (oder Welteiche?) im Mittelpunkt des Geschehens. Noch scheint sie gesund zu sein. In Nibelheims Klüften sieht man ihr Wurzelwerk: Grandios spielt und singt hier Erik Biegel den geprügelten Mime, und bei den immer wieder mit Spannung erwarteten Verwandlungen Alberichs kennt die Heiterkeit des Publikums kaum Grenzen: Der "Riesenwurm" ist ein bedrohlich schnaufender und glühender Oldtimer, bei dem offenbar der Kühler versagt hat. Die Kröte wird von einem ferngesteuert über die Bühne wuselndes Spielzeugauto gegeben. Die Tatsache, dass solche Gags im Publikum fröhliches Wiehern auslösen, spricht für die Wandlungsfähigkeit der Wagner-Gemeinde. . . In der "Musique concréte" jener Nibelheim-Szene fühlt sich Wiesbadens Generalmusikdirektor Toshiyuki Kamioka offenbar besonders wohl: Er lässt es nach Herzenslust hämmern und treibt seine Staatsorchester-Musiker so unerbittlich durch die Takte wie Alberich die Nibelungen ins Bergwerk. Kamioka favorisiert von den berühmten Es-Dur Rheintiefen an einen klaren, rhythmisch äußerst prononcierten Wagner jenseits üppiger Klangwolken, veranstaltet, temperamentvoll drängend, auch schon einmal ein regelrechtes Wettschwimmen mit den Rheintöchtern. In der Flottheit trifft sich der Orchestergraben mit der munteren Bühne, auf der die Konfrontation zwischen Göttern und Riesen den Eindruck verschärfter Arbeitskampfmaßnahmen hinterlässt: Fafner (Axel Wagner) und Fasolt (Guido Jentjens) kommen nämlich, ganz normal dimensioniert, direkt vom Bau und lümmeln sich mit Helm und Schutzanzug auf Wotans Ledersofa:: Die Basis in der Vorstandsetage. Auch der martialische Offizier Donner (Thomas De Vries) und sein ziviler Kollege Froh (Andreas Scheidegger) können die Geiselnahme der knallblonden Freia (Oxana Botscharova) nicht verhindern. Ohne sie, die direkt vom Öko-Marktstand zu kommen scheint, gibt es auch keine die ewige Jugend garantierenden Bio-Äpfel. Das hat Folgen: Selten hat man Götter so gründlich altern und ergrauen gesehen. Und ganz schnell bekommen die Haare später ihre Farbe wieder: Der Witz, das zeigt diese Inszenierung indes immer wieder, steckt bei John Dew eher im Detail als im knalligen Gag. Auf die Fortsetzungen kann man jedenfalls gespannt sein. |
Goldener Traum mit atomarer Sprengkraft John Dew präsentiert zum Wiesbadener "Ring"-Start ein glänzendes "Rheingold" / Letzte Opern-Premiere der Spielzeit Von Johannes Bolwin Unheilvoll schält sich Walhall aus dem Nebel. Eine Trutzburg des Grauens, die Zerstörung bringen wird. Wotans neues Menschen- und Lichtkonzept hat leider den bekannten, fatalen Konstruktionsfehler: Es ist auf Neid, Betrug und Gewinnmaximierung gegründet - also gleich auf mehrfachen Diebstahl. So umgibt die künftige Machtzentrale, die protzig in prächtiger Abendglut glänzt, der Hauch des Bösen, der Lieblosigkeit; ein Bankrott der Moral, der mit Alberichs Goldschatz-Raub nur begann. Vor dem Hochsicherheitszaun hat eine Soldateska Stellung bezogen. Mit einem mutigen, bei aller Deutlichkeit in der Aussage aber unaufdringlichen Kunstgriff verknüpft John Dew im Vorabend des neuen Wiesbadener "Rings" die göttlichen Gedankenspiele mit der politisch tristen, dem Geldwert unterworfenen Realität modernen Menschseins: Wotans "Rheingold"-Walhall, das mit dem geraubten Schatz finanziert wurde, ist ein Geflecht aus Führerhauptquartier, Kaserne, Wackersdorf und Mutlangen, aus Sellafield, Harrisburg, Castor-Transport und La Hague - bedrohlich steht die Abluftschwade über dem Atomkraftwerk. Vor dieser gegen Natur und Mensch gerichteten Zerstörungskraft erschaudert selbst der Bauherr: Verzweifelt geht Wotan beim Klagegesang der beraubten Rheintöchter zu Boden, wird von den Seinen aufgerichtet, die ihn dann zur von den Riesen Fafner und Fasolt (in Bauarbeiter-Montur) errichteten Burg zerren. In den frühen 80-er Jahren inszenierte John Dew, der ab Sommer 2004 das Darmstädter Staatstheater als Intendant leiten wird, seinen ersten "Ring". Einige Elemente dieser fast vergessenen Polit-Ära wurden offenbar für die aktuelle Wagner-Bearbeitung aufpoliert. Dew erweist sich hier einmal mehr als Meister der mit leichter Hand und augenzwinkernd inszenierten Zeitlosigkeit. Dabei kommen bei aller Verbindlichkeit auch das Magisch-Märchenhafte und der schalkige Witz zu ihrem guten Recht. Alberichs Verwandlungen etwa (dampfende Luxus-Limousine statt Riesenschlange, kleines, ferngesteuertes Kinderauto statt Kröte) sind Kabinettstückchen, ebenso der Auftritt des gerissenen Halbgottes Loge als "Albert Einstein". In betulicher, querdenkender Gangart trieft ausgerechnet die dynamischste Stelle des Stücks daher, nämlich Donners famoser "Gewitterzauber" - dennoch kein einziges Buh am Ende, lautstarke Zufriedenheit allerorten. Großen Anteil am hohen Niveau der letzten Spielzeit-Premiere haben die Solisten, darunter viele Gäste. Allen voran Ralf Lukas, ein schneidiger, beizeiten skrupelloser Wotan, und Carlo Hartmann, ein mit allen Wassern gewaschener, herrlich komischer Alberich. Leandra Overmanns Fricka-Partie besticht durch die schiere, satte Klangfülle ihres dunklen Soprans, Norbert Schmittbergs Loge (mit intonatorischen Trübungen) durch gestisch-mimische Finesse. Das Wiesbadener, um Mainzer Orchestermusiker verstärkte Staatsorchester unter Leitung von Generalmusikdirektor Toshiyuki Kamioka leistet unerwartet qualitätvolle Arbeit; sattelfest, ansatzstark sind die Blechbläser. Präzise, konzentrierte Detailarbeit lässt Kamioka vor allem den lyrischen Passagen angedeihen; atmosphärisch dicht gestaltet ist der Zeitsprung nach Freias Verpfändung, sind Alberichs Zaubereien. Mit der Welt-Esche hat Bühnenbildner Peter Schulz einen markanten Pfahl ins Werk gerammt, der alle Handlungsebenen leitmotivisch verklammert. Selten wirkte Richard Wagners "Rheingold" so eigenständig, frisch und vielsagend. Nächste Vorstellung: 11. Juli. |
Walhall als Atomkraftwerk Von AXEL ZIBULSKI Schwarz auf Weiß und in dicken Lettern steht es in der Zeitung: "Götterburg vollendet." Fricka pfeffert ihrem soeben unsanft geweckten Wotan das druckfrische Exemplar auf die Bettdecke. Und der beginnt, etwas schlaftrunken noch, im Göttergatten-Schlafzimmer mit blau-weißer Wölkchentapete zu lesen, zu schwadronieren: "Vollendet das ewige Werk..." So beginnt am Staatstheater Wiesbaden die zweite Szene von Richard Wagners "Rheingold": Es ist der erste und längst nicht der letzte Clou, der Regisseur John Dew für den Vorabend des "Rings des Nibelungen" einfiel. Über mehrere Spielzeiten hinweg wird er am Staatstheater Wiesbaden einen neuen "Ring" schmieden. Jetzt also, zum Ende der Saison, das "Rheingold". Die erste Szene bleibt vor allem effektvoll: Zum Vorspiel und zum Raub des Edelmetalls durch Alberich setzt Dew die Bühne in dichten Nebel (der bald, die Hustenkurve hebend, auch in den Zuschauerraum zieht). Die Rheintöchter springen, Alberich kullert durch die Wogen - und man sieht mal wieder windbewegte Tücher als Flussersatz flattern. Es wird besser kommen. Zum Beispiel beim Auftritt von Fafner und Fasolt: Im BauarbeiterLook mit signalgelben Anoraks treten sie auf - und noch ahnt man kaum, was für eine Götterburg die beiden da errichtet haben. Verhandelt wird in Wotans topmodernem Büro: Er selbst ist ein geschniegelter Manager-Typ (Kostüme: José-Manuel Vazquez), dessen Speer dekorativ in einer Glas-Säule thront (Bühne: Peter Schulz) die Götter Donner (Thomas de Vries) und Froh (Andreas Scheidegger) sind reichlich biedere Vasallen - und Loge, noch ein Einfall, tritt auf als AlbertEinstein-Double im Baumwollpulli. Den cleveren Strippenzieher singt Norbert Schmittberg mit hellen, wendigen Höhen. Auch vokal gibt er gegenüber dem etwas farblosen Wotan von Rolf Lukas den Ton an. Zu erleben etwa, wenn sich die beiden nach Nibelheim aufmachen, unters Wurzelwerk der Weltesche, deren Stamm auf der Wiesbadener Bühne eher nach einer Eiche ausschaut. Dass sich Alberich (mit vorzüglich klarer Aussprache: Carlo Hartmann) hier statt in Riesen-Wurm und Kröte in ein dampfendes großes und ein ferngesteuertes kleines Auto verwandelt, sei der Regie als Gag gegönnt - die Verwandlungs-Szene ist nicht leicht zu inszenieren. Noch mehr amüsiert man sich hier freilich über den quirligen Mime von Erik Biegel. Und am Ende auch über Loge. Da hat man Alberich Ring und Tarnhelm geraubt, damit die arg landmädchenhaft ausschauende Freia (mit scharfkantigem Timbre: Oxana Botscharova) zurückgetauscht werden kann. Da ist Erda (Marina Prudenkaja) aus dem Stamm der Weltesche getreten, hat Fafner (spröde: Axel Wagner) seinen Bruder Fasolt (sonor: Guido Jentjens) erschossen (ja, erschossen!). Und dann endlich geht’s - Loge hat sogar an Regenschirme gedacht - auf nach Walhall. In Wiesbaden ein Atomkraftwerk. Man ahnt schon den GAU in der Götterdämmerung. Doch bis auf weiteres lässt Loge erst einmal durch die Rheintöchter den Vorhang schließen, streckt dem Publikum die Zunge heraus, und wir lesen, von Richard Wagner höchst selbst signiert, auf dem Vorhang die Schlussverse:" Traulich und treu ist's nur in der Tiefe. Falsch und feig ist, was dort oben sich freut." Wiesbaden freut sich trotzdem: Durchweg starker Beifall für die Solisten (auch für die dominante Fricka von Leandra Overmann), das Regieteam und den Dirigenten Toshiyuki Kamioka, der das zuverlässig spielende Hessische Staatsorchester zu mächtigen dynamischen Kontrasten angetrieben hat. Man darf neugierig sein, wie es in der nächsten Spielzeit mit der "Walküre" weitergeht. |
Arbeit, Kapital und Macht Wenn John Dew inszeniert, ist zweierlei klar: er erzählt eine spannende Geschichte und die Zuschauer spüren, was sie bedeutet. Im Wiesbadener Rheingold beginnt alles mit dem mythischen Ursprung des Lebens mit seinem Fluch im Wasser. Die Handlung wird dann konkret: Um die Metapher der Weltesche wird Alberich zum herrschenden Kapitalisten, Wotans feudale Welt wird von den "Arbeitern" (den Riesen) bedrängt, Erda (das Echo aus den Ursprüngen) rät zur Einsicht, Alberich ist entmachtet, die Götter ziehen gen Walhall. Loge, der intellektuelle Skeptiker hat das letzte Wort: Man weiß nicht, was wird. Im Hintergrund ein Atomkraftwerk. Mit Peter Schulz hat John Dew einen kongenialen Bühnenbildner: geheimnisvolle Zweideutigkeit, aber eindeutige Grundmuster (verstärkt durch imaginierendes Licht von Thomas Märker und zeichensetzende Kostüme von Jose-Manuel Vazquez). Die Aufmerksamkeit der Zuschauer wird immer wieder durch spielerische Details geweckt (Alberich im Rolls Royce, die Götter bei Regen unter Schirmen), ohne die analytische Ernsthaftigkeit zu verlieren. Auf den stimulierenden Spielflächen wird kommunikativ-intensiv agiert. Diese animierenden Grundvoraussetzungen führen zu intensivstem Zusammenspiel von Sängerensemble und Orchester. Wolfgang Ott leitet das großartige Hessische Staatsorchester Wiesbaden auf dem schmalen Grat von konventionellem Wagner-Aplomb und simpler Sängerbegleitung mit emotionaler Intensität und instrumentaler Perfektion (auch der stark belasteten Bläser). Das Wiesbadener Ensemble kommt ohne Stentorstimmen aus, doch sind die Solisten an entscheidenden Passagen zu vokalen Höchstleistungen bereit - wie zum Beispiel Thomas de Vries, der Donners Schlussgesang ungemein kraftvoll gestaltet. Der Wotan von Ralf Lukas beeindruckt durch deklamatorische Intensität (an Fischer-Dieskau erinnernd); die Fricka Gabriela Künzlers besticht mit sanft-dramatischen Tönen, Marina Prudenskajas Erda klingt abgerundet-gereift, bei beiden Riesen Fasolt und Fafner finden in Guido Jentjens und Axel Wagner fulminanten Ausdruck, die Rheintöchter Thora Einarsdottir, Rebecca Martin, Sandra Firrincieli brillieren mit deutungsreichem Gesang - herausragend: Carlo Hartmann als nuancenreicher Alberich und Hubert Delamboye als stimmlich vielschichtiger Loge. Weshalb das gesetzte Wiesbadener Publikum "nur" zustimmend applaudiert, aber nicht in Begeisterungsstürme ausbricht, bleibt unerfindlich. Mal sehen, wie das wird. (frs) POINTS OF HONOR Musik **** Gesang **** Regie **** Bühne **** Publikum ** Chat-Faktor ***** |
opera Ottobre 2003 Wiesbaden: il regista John Dew ha intelligentemente riletto in chiave ironica il Prologo della Tetralogia La commedia degli dei S e in origine si pensava che lo spostamento dell’Anello wagneriano ai giorni nostri non fosse nulla di nuovo e in fondo sbarrasse la visione sull’azione piuttosto che spiegarla, dopo la prima di Wiesbaden dell’inizio della Tetralogia, questa valutazione andava rivista. È vero che con la sua interpretazione dell’Oro del Reno che fornisce la visione di dei e semidei affetti, nella loro lotta per il potere, da debolezze fin troppo umane, John Dew non si è inoltrato in un campo nuovo ma ha mostrato che l’Anello wagneriano si può interpretare (senz’altro nel senso di George Bernard Shaw) in maniera convincente quale studio di critica sociale sulla nostra società caratterizzata dal capitalismo – premessa tuttavia l’esistenza di un’idea adeguata. E John Dew ne ha una. Ne esce un’autentica commedia sociale.Il concetto base dell’interpretazione dell’Anello da parte di John Dew è lo stesso che aveva elaborato già molti anni fa per la sua prima messinscena della gigantesca opera wagneriana. Si trattano i continui tentativi dell’uomo di assogettare la natura, quindi le "tensioni tra uomo e natura", come le definisce il regista stesso. In questo modo, il Walhalla quale simbolo del potere degli dei diventa una centrale nucleare sotto strettissima sorveglianza! Gli dei quindi quali arroganti violentatori della natura. Fino all’entrata nel "castello degli dei", allo spettatore viene mostrata l’immagine di una rimbecillita famiglia di divinità che s’ingarbuglia nelle cose meschine della vita quotidiana e che in fondo non sa cosa fare di sé. Pure Wotan, disegnato come comandante del clan, si dimostra un tipo in fondo privo di fantasia. Egli non sa come trattare con Fafner e Fasolt, le sprovvedute "tute blu" e deve essere incitato da Loge (che qui agisce truccato da Einstein) per sviluppare iniziative proprie. La nuova produzione di Wiesbaden affascina soprattutto per la componente visiva. Peter Schulz ha concepito una scena variabile che in maniera variata si userà per tutt’e quattro le parti della Tetralogia. Nell’Oro del Reno siamo nel "mondo superiore", in cui si allarga la borghesia nullafacente e dove in fondo tutto arriva solo alla mediocrità, mentre nel "mondo inferiore" si sgobba sotto il giogo dell’incitatore Alberich. E c’è il poderoso frassino al centro che domina maestosamente l'’mmagine del mondo superiore, estendendo le sue poderose radici anche in quello inferiore. I costumi disegnati da José-Manuel Vazquez sono più o meno atemporali e accentuano, senza dare un’impressione invadente, quanto gli eventi siano vicini al presente. John Dew dimostra come l’oro tolto alle figlie del Reno attiri tutti quanti in un vortice di sciagure. Poiché il regista vede il tutto in chiave ironica, non sorge mai la pur minima ombra di saccenteria, di modo che la teatralità intenzionalmente prodotta altresì non dà mai un’impressione artificiosa o affettata. Gli interpreti recitano senza esagerazione, ma con grande impegno. E le gag inserite sono naturalmente adatte per tenere il pubblico di buon umore. Così il dragone di Alberich diventa una lussuosa vettura d’epoca e il suo rospo un’auto giocattolo telecomandata. La sera della prima, Toshiyuki Kamioka accumulava enormi masse sonore nella fossa dell’orchestra e gli orchestrali lo seguivano con entusiasmo, anche se di tanto in tanto c’era qualche stonatura nei fiati. Anche nei momenti in cui i cantanti venivano coperti senza pietà non c’era mai l’impressione che che il puro volume venisse scambiato per drammaticità. Un’omogenea compagnia di canto tentava di mantenere anche vocalmente alto il livello della produzione. Prima di tutti va nominata Leandra Avermann, Fricka dalla voce potente. Oxana Botscharova interpretava Freia, qui rappresentata come contadinotta un po’ sprovveduta senza la quale per gli dei non esisterebbe la giovinezza. La Erda vocalmente profonda di Marina Prudenskaja usciva direttamente dal frassino al centro del mondo. Thora Einarsdottir, Annette Luig e Sandra Firrincieli (le tre figlie del Reno) facevano buona figura, e non solo fisicamente. Guido Jentjens era Fasolt, il poco sveglio costruttore del Walhalla, e Axel Wagner, con potente voce di basso, il suo sanguinario complice Fafner. Ralf Lukas dava figura e voce al titubante padre degli dei e nella parte di loge, Norbert Schnittberg sapeva efficacemente richiamare l’attenzione. Della famiglia degli dei vorremmo citare ancora Thomas de Vries (Donner) e Andreas Scheideger (Froh). Carlo Hartmann interpretava Alberich, responsabile di tutto il male, con convincenti mezzi scenici e vocali ed Erik Biegel nella parte di Mime non gli era inferiore in nulla. Tutti gli interpreti sono stati colmati di scroscianti applausi. Carl H. Hiller |