"Keiner muss mit Hörnerhelm auf die Bühne" Der künftige Darmstädter Intendant John Dew zu seiner Wiesbadener Inszenierung von Richard Wagners "Ring" Von Gabriele C. Jung "Es wird ganz lustig und macht mir viel Freude. Ich bin nahe an dem, was mir als Ideal vorschwebt", verrät John Dew. Der künftige Darmstädter Intendant und Wiesbadener Regisseur von Richard Wagners "Ring", erläutert seine Gedanken zur "Walküre", die am Sonntag, 27. Juni, im Großen Haus Premiere hat. Bei diesem zweiten Teilstück der Tetralogie hat noch einmal Generalmusikdirektor Toshiyuki Kamioka die musikalische Leitung, ehe er nach Wuppertal wechselt. Dew begründet sein leises Glücksgefühl: "Ich habe eine hervorragende Besetzung, das ist schon die halbe Miete. Es macht Spaß, zu sehen, wie die Sänger auf meine Ideen reagieren. Die Auseinandersetzung mit der Materie reizt sie. Ich glaube, dass es ein sehr bewegender Abend wird." Niemand regt sich heute mehr darüber auf, wenn die Sänger nicht aussehen wie früher. "Schon seit 30 Jahren muss keiner mehr einen Helm mit Hörnern auf dem Kopf tragen. Das ist eine Erfindung von Wagners Kostümbildner. Da liegt der Hase im Pfeffer", betont Dew. Die Wagner-Opern sind nicht realistisch gedacht, sondern vielmehr Ideendramen. Entscheidend ist für ihn, dass der "Ring" das einzige Werk ist, in das Wagner politische und tiefenpsychologische Gedanken einfließen lässt. Deshalb rätselt man noch immer am "Ring", weil er so extrem vielschichtig ist, ganz anders als "Tristan", der in sich selbst ruht. Der Theatermann legt seine Sicht noch genauer dar: "Der ,Ring´ ist wie russische Romane oder die Sixtina - Versuche, etwas vom Universum in der Kunst darzustellen. Wir glauben, dass diese Stories tatsächlich in alten Schriften stehen. Das ist nicht so. Wagner hat Zutaten aus verschiedenen Sagen genommen und tüchtig dazu geschrieben." Eines der interessantesten Themen ist für ihn das Zwillingspaar Siegmund und Sieglinde, die eine Art reinrassiges Geschlecht gründen sollen. Zwar werde dieses Geschlecht im "Ring" zum totalen Misserfolg, aber der Gedanke bildete ein Faszinosum, so für Thomas Manns "Wälsungenblut". In dem "gefühlsarmen 19. Jahrhundert Inzest auf die Bühne zu bringen, war für die Zeit ein Schock und von Wagner sehr couragiert. Es ist ja immer noch ein Tabuthema", meint Dew. Er bezeichnet seine Inszenierung als konservativ und äußert zur Begründung: "Diese ,Ring´-Inszenierung ist im Grunde 25 Jahre alt. Ich habe sie in Krefeld-Mönchengladbach gemacht. Aber es ist überraschend, dass alles heute noch geht. Es war gar nicht meine Absicht, es in Wiesbaden auch so zu machen. Aber bei allen Gesprächen mit dem Team wurde klar, dass meine Sicht heute noch genauso legitim ist. Das kommt nur dadurch, dass der Text eins zu eins transportiert wird und dazu gehört schon viel Mut." | |
Foto: wita/Paul Müller Kamioka vor dem Abschied Der scheidende GMD zieht ein Resümee seiner Wiesbadener Jahre Von Richard Hörnicke "Man hat mich hier von Seiten der Stadt und des Publikums mit offenen Armen empfangen und mir damit die Einarbeitung in das Amt des Generalmusikdirektors erleichtert" erinnert sich Toshiyuki Kamioka im Gespräch. Denn immerhin hieß es nach dem plötzlichen Weggang seines Vorgängers Oleg Caetani eine recht prekäre Situation zu bewältigen. Es sei immer schwierig, sich in die gewachsene und immer verschiedene Mentalität eines Orchesters einzufinden, Konflikte sind da unvermeidlich, müssen im Interesse an der Sache gemeistert werden. Kamioka sieht die erste Aufgabe des Dirigenten in dem Bemühen, eine harmonische Grundstimmung in der gemeinsamen Arbeit zu erreichen. Denn schwelende Disharmonie strahlt auf den Zuhörer über, beeinträchtigt die künstlerische Leistung. Diese unbestreitbare Tatsache zwingt den verantwortlichen Dirigenten, sich der Gegnerschaft in Selbstreflektion zu stellen. Ihm obliegt die Aufgabe, die Instrumentalisten mit Mut und Entschlossenheit auf den Zielpunkt hinzuleiten. Insgesamt acht Jahre stand Kamioka an der Spitze des Staatsorchesters Wiesbaden, betreute neben einer großen Anzahl von Produktionen des Musiktheaters auch die meisten der Sinfoniekonzerte im Kurhaus. Im Konzertwesen wurde neben dem klassischen und romantischen Repertoire der Oper wurden die Pläne zur Aufführung von Raritäten, wie Korngolds "Tote Stadt" oder Prokoffiefs "Spieler" von ihm maßgeblich unterstützt. Er ist froh, die in Aussicht genommenen Kürzungen der Stellen des Orchester nicht mittragen zu müssen. Ohnehin fehlten acht Stellen, die - wie bei Aufführungen von Opern Wagners - durch Gäste ersetzt werden. In Wiesbaden hat er nach seiner Zeit als erster Kapellmeister in Essen zum ersten Mal mit dem "Fliegenden Holländer" Wagner dirigiert. Das Einfühlen in die Sprache des Komponisten ist für einen Japaner nicht einfach, besonders die Stabreime in der "Walküre" seiner Abschiedspremiere am morgigen Sonntag, stellen ihn vor Probleme. Leider hat er nicht genug Zeit zum Einlesen und Nachdenken gehabt. Die Herausforderung wird jedoch mit Freude angenommen. Wiesbaden ("Eine der schönsten Städte Deutschlands") werde in seinem Leben einen sehr positiven Eindruck hinterlassen. Die herzliche Zustimmung des Publikums und die Unterstützung aller verantwortlichen Stellen habe ihn über die acht Jahre getragen. In Wuppertal, der künftigen künstlerischen Heimat, wartet viel Arbeit auf ihn. Die Zahl der Sinfoniekonzerte in der Stadthalle wird verdoppelt, mit Verdis "Rigoletto" eröffnet Kamioka die kommende Saison - doch vorher heißt es erst noch auf Wohnungssuche gehen. | |
Ein Abschied als Chance Vor der Premiere: Gabriela Künzler ist Fricka in Wagners "Walküre" Von Volker Milch In ganz frischer Erinnerung ist sie als Personifikation des Hasses aus Glucks "Armide". Keine große Partie, aber ein furioser Auftritt, in dem das Opernpublikum die Mezzosopranistin Gabriela Künzler so erlebt, wie man sie seit 14 Jahren in Wiesbaden kennt: Eine Sänger-Darstellerin, die ihr ganzes Temperament in die Rolle einbringt und deren Lust auch am Schauspiel unübersehbar ist. Morgen, wenn im Großen Haus des Staatstheaters Richard Wagners "Walküre" Premiere hat, wird sie zwar nicht gerade vor Hass sprühen, aber als Hüterin der Ehe ihrem Göttergatten Wotan doch ziemlich zornig die Leviten lesen. Die strenge Fricka hat etwas gegen Ehebruch in Tateinheit mit Inzest und fordert von Wotan, juristisch gesehen eigentlich gravierender, dass Siegmund über die Klinge springt. Sympathie für Fricka? Nun ja. So ganz und gar möchte sich Gabriela Künzler nicht mit der Rolle identifizieren, hat auch schon darüber gestöhnt, dass sie "jetzt wieder die Zicke machen muss". Nein, "privat deckt sich das wenig". Aber auch mit dem amoralischen, lustbetonten Kontrastprogramm Carmen hatte sie ihre Schwierigkeiten: Die "hochnäsige" Femme fatale konnte ihr gehörig "auf den Wecker" gehen, selbst wenn Carmen in Gabriele Rechs Inszenierung (Premiere 1998) eine ihrer großen Wiesbadener Partien war und es darum ging, das berüchtigte Vollweib möglichst facettenreich zu zeichnen: "Klischees, die mit einer Rolle verbunden sind, können mir immer zu schaffen machen". Zurück zu Fricka: Immerhin, tröstet sich Gabriela Künzler, sei sie klug und gehe bei der Umsetzung ihres Planes intelligent vor. Wagner ist für die Mezzosopranistin eine Herausforderung, der sie sich zunehmend stellen möchte: Die Kundry kann sie sich im dramatischen Mezzo-Fach vorstellen, Venus, auch "Ortrud kann in nächster Zeit kommen - beim Publikum nicht unbedingt beliebte Rollen". Und das dramatische Fach sieht sie als einen "Hochleistungssport", der viel Kraft kostet. Wiesbaden wird sie zunächst in John Dews "Ring" als Fricka verbunden bleiben - aber nicht mehr als Ensemble-Mitglied, sondern als Gast. Sie muss, wie in den Vorjahren die Kolleginnen Sue Patchell oder Heidrun Kordes, das Ensemble verlassen, bevor sie nach 15 Jahren am Staatstheater unkündbar werden würde. Für Gabriela Künzler eine gängige Praxis an Theatern, die ihr offenbar keinen tieferen Kummer bereitet. Sie sieht in dem Abschied, auf den sie schon lange vorbereitet ist, eher eine Chance, sich ohne Fest-Engagement weiterzuentwickeln, neue Erfahrungen zu sammeln. Sie ist also am Ende ihrer letzten Wiesbadener Spielzeit "guten Mutes", und mir rund 100 Vorstellungen ("in meinem Fach eigentlich zuviel") war die Saison auch ziemlich anstrengend für sie. Neben ihrer "Armide"-Partie gehört die Marie im "Wozzeck" zu ihren positiven, intensiven Erfahrungen im letzten Staatstheater-Jahr, "eine große Herausforderung". Zu ihren Lieblings-Erinnerungen der Wiesbadener Jahre zählt die Schweizerin die (auf CD verewigte) Händel-Serie im Kleinen Haus von 1993 bis 1995, mit dem Dirigenten Michael Hofstetter und dem Regisseur Peer Boysen. "Sehr schade" findet sie, dass diese Reihe abgebrochen wurde. Auch wenn die Stimme schwerer geworden ist und sie gewichtige Wagner-Partien anstrebt, singt sie weiterhin Barockmusik, kürzlich etwa Monteverdi in Düsseldorf. Übrigens gehörte der Monteverdi-Zyklus von Harnoncourt und Ponnelle im Extrachor der Oper Zürich zu den Erfahrungen, die Gabriela Künzler überhaupt erst zum Gesangs-Studium gebracht haben. Der Regisseur Peer Boysen, erinnert sie sich, gab den Sängern den Freiraum, den sie sich in einer Inszenierung wünscht, einen "Spielraum", in den sie sich einbringen konnte. Sehr gerne war sie in Wiesbaden auch Octavian im "Rosenkavalier" oder Mozarts Donna Elvira - die Sympathie des Publikums, das war im Staatstheater und im Konzertsaal gleichermaßen zu spüren - war eigentlich immer auf ihrer Seite. Das dürfte auch an ihrer Vielseitigkeit liegen: Gabriela Künzler, im Erststudium Geigerin und als solche auch in Wiesbaden zu erleben, hat nicht zuletzt ein Händchen für die leichtere Muse, ob in Chansons oder in der Operette. Die "Lustige Witwe" hat sie in Wiesbaden in einer grandiosen Mischung aus erotischem Temperament und distanzierter Verletzlichkeit gegeben. Von der lustigen Witwe nun zur ernsten Ehefrau: Gabriela Künzler wird in ihrer letzten Wiesbadener Premiere als Ensemble-Mitglied der "Zicke" Fricka Aufmerksamkeit und Sympathien sichern. | |