Wes Einbauküche dies auch sei ... VON STEFAN SCHICKHAUS
Juli 2003, Das Rheingold am Staatstheater in Wiesbaden, das letzte Bild: Die Burg Walhall, die die Riesen bauten und die Götter beziehen, ist ein Atomkraftwerk. Zeichen für die aus dem Gleichgewicht geratene Balance zwischen Mensch und Natur. Regisseur John Dew hatte dieses Bild vor 25 Jahren für seine Krefeld-Mönchengladbacher Inszenierung von Richard Wagners Ring des Nibelungen gefunden. Und es hat noch nichts von seiner Wirkung verloren, es ist ein zeitloses Bild. Bei Wagner endet so der Vorabend, mit Die Walküre beginnt der erste "Ring"-Tag - in Wiesbaden lag nun ein Jahr dazwischen. Doch der Anschluss geht nahtlos: "Wes Herd dies auch sei, hier muss ich rasten", ein blonder Langhaariger taumelt in eine Etagenwohnung, deren Schick in den späten 1960ern stehen geblieben war. Er ist Pazifist und sicherlich Kernkraftgegner, auf dem T-Shirt prangt das Peace-Zeichen. Es ist die Wohnung Hundings, hier trifft er, der Siegmund heißt, auf seine Schwester Sieglinde. Und als Hunding von der Arbeit heimkommt, legt der erst einmal Plexiglasschild und Helm ab, denn er ist Polizist; einer, der die AKWs vor Demonstranten wie Siegmund beschützt. Götterwelt in Leder und Chrom Und da sind sie wieder, diese Bilder des Regisseurs John Dew, die sich so plakativ lesen und so betont eins zu eins gezeichnet sind; die aber einfach stimmen, die in klaren Farben die Positionen verdeutlichen. Dew, der mit der neuen Spielzeit seine Arbeit als Intendant am Staatstheater Darmstadt aufnimmt und dort den 2006 dann komplettierten "Ring" übernehmen möchte, lässt nie etwas im Abstrakten, er ist ein Mann des Konkreten. Und dennoch entstehen wunderbar theatrale Bildszenen, die ihm der Bühnenbildner Peter Schulz treffend ausmalt. Das Heim Hundings mit den beiden Wertesäulen des Spießbürgers - Einbauküche und Schrankwand - im starken Kontrast zur mondänen, gleichfalls entsetzlichen Wohn-Arbeits-Welt der Götter Fricka und Wotan. Aus Leder und Chrom zwar, aber gleichfalls festgefahren leblos. Im Hintergrund immer die Weltesche, viereinhalb Walküre-Stunden im Blick, bis zur Götterdämmerung wird man sie nicht aus den Augen verlieren. Als nun am Ende des ersten "Ring"-Abends das Regieteam auf die Bühne kam, gab es ebenso viele Bravo wie Buh-Rufer im Premierenpublikum - goutierten Letztere etwa nicht, dass die durch die Lüfte jagenden Walküren hier wirklich Fliegerinnen waren? Jet-Pilotinnen und militärische Flugsicherungsoffizierinnen im Wellblechhangar, die ihr "Hojotoho!" ins Funkgerät sangen, mit Slapstick-Einlage? Nun, wieso Wotan mal Oberflieger, mal Geschäftsmann ist, wurde in der Tat nicht ganz plausibel gemacht. Doch eher könnte Kritik hervorrufen, dass John Dew zwar ein begnadeter Bilderfinder, aber ein längst nicht so überzeugender Personenführer ist. Aktionismus zumindest kann man ihm im Umgang mit seinen Sängerdarstellern nicht vorwerfen. Da vertraut Dew ganz auf die einmal gefundene Konstellation. Siegmund, der Öko-Softie (der seinem Geschlechtsteil den Namen Nothung gibt), wird als Sänger zum harten Burschen. Alfons Eberz, demnächst Ensemblemitglied am Wiesbadener Haus, ist ein echter Heldentenor, der in die imponierenden "Wälse!"-Rufe mehr Potenz legen kann als in das ariose "Winterstürme wichen dem Wonnemond" Wärme und Eleganz. Seine Sieglinde, Ute Döring, ist ebenfalls neu im Ensemble, und sie machte ihre Sache mehr als respektabel: Gehetzt als Bühnengestalt, doch mit innerer Stärke im Gesang. Erstmals als Fricka bewährte sich Gabriela Künzler (die ihren Ensembleplatz jetzt nach 15 Jahren räumen musste, weil sonst die Unkündbarkeit käme). Mit ihrem Debüt als Wotans Gattin kann sie zufrieden sein, auch wenn die Partie ihrem Mezzosopran noch nicht hundertprozentig liegt. Ebenfalls ein Rollendebüt hatte hier Barbara Schneider-Hofstetter als Brünnhilde, die nun eine wirklich glänzende Leistung ablieferte, stark im Ton und mit viel gestalterischer Farbe. Star des Abends aber war Ralf Lukas, der Baritonsänger des Wotan, der mit unendlicher Kondition und immer schöner, voller Stimme den Spielball gab im Streit um Schwüre, Prinzipien und heilige Pflichten. Nicht mächtig war er und nicht mächtig klang er, vielmehr ausgleichend-beweglich, mitfühlend. Sein großer Monolog im zweiten Aufzug, wiewohl von John Dew weitgehend statisch gehalten, fesselte über die volle Distanz, und das ist nicht wenig. Ralf Lukas zeigte seinen Wotan als Zerrissenen, als Knecht, obwohl er doch Gott ist. Mit diesem Weisen möchte man nicht tauschen. Die Walküre stellt im "Ring"-Zyklus die Weichen neu, und diese letzte Produktion der Wiesbadener Spielzeit tat das gleiche am Wiesbadener Haus - Verträge, ein altes "Ring"-Thema. Das Ensemble präsentierte sich hier personell neu geordnet, der Generalmusikdirektor dagegen gab seine Abschiedsvorstellung. Ein besseres Stück hätte sich Toshiyuki Kamioka gar nicht aussuchen können, der Walkürenritt als wirkungsmächtiges Finale. Allerdings hatte sein Hessisches Staatsorchester doch etliche Probleme gerade bei dieser Bravournummer. Vielleicht wollte Kamioka zu viel, zu viel Energie, zu viel Verve, für das Orchester jedenfalls war der Ritt der instabilste Part an diesem orchestertechnisch ohnehin nicht ganz konfliktfreien Abend. [ document info ]Copyright © Frankfurter Rundschau online 2004 Dokument erstellt am 28.06.2004 um 17:24:20 Uhr Erscheinungsdatum 29.06.2004 |
Die Walküren reiten Düsenjet Von Rudolf Jöckle Nach dem pfiffig-häuslichen "Rheingold" fand Dew, von kommender Spielzeit an ja neuer Chef in Darmstadt, diesmal zu eher in der Tradition ruhenden Bildern. Die setzte er freilich pointiert, in klaren Linien auf die Inzest-Problematik gerichtet, die nicht nur zwischen Siegmund und Sieglinde deutlich wird, sondern latent auch zwischen Wotan und Brünnhilde, zumindest in den Parallelen von Gesten und zutraulichen Bewegungen. Tatsächlich liegt Drahtzieher Wotan bei seinem zentralen Monolog im 2. Akt denn auch auf der Couch wie beim Psychologen auf der Suche nach den tieferen Gründen. Und diese (vielleicht verdrängte) Beziehung könnte auch die sehr harsche Reaktion auf Brünnhildes Ungehorsam – sie tut doch nur das, was er wollte – erklären. Dew gibt solche Hinweise dezent und doch deutlich genug. Die Führung der Personen, die stets spannungsreichen Konstellationen gehören dabei zu Dews Stärken. Schlüssige (und sparsame) Szenerien, die sich formieren und wieder verschwinden – was bleibt, ist nur die kahle Form der Esche im Hintergrund – rahmen sie ein: kleinbürgerliche Räume – Küche und Wohnzimmer mit TV bei Hundings – ebenso wie die Kühle des feinen Mobiliars – Schreibtisch, die lange Couch und der glatte Tisch davor – bei Wotans. Dass Wotan in der klassischen Montur eines Piloten (mit Pelzkragen auf der flotten Jacke) auftritt, auch Brünnhilde mit einem etwas merkwürdigen Overall (grün) erscheint, klärt sich im 3. Akt: Wotans Walküren arbeiten als fliegende Kuriere beziehungsweise Bodenpersonal oder Fluglotsen im Hangar. Als Valkyrie-Sisters schmettern sie dann ihr Hojotoho ins Rundmikrofon oder beobachten den Aufzug des Sturms auf dem Monitor. Der Hangar verschwindet dann zum Finale seitwärts (wie schon zuvor die Zimmer), der Feuerzauber entwickelt sich verblüffend eindrucksvoll auf einem halbrunden Vorhang im Hintergrund der Szene. Im Zentrum des Sängerensembles stand Ralf Lukas als erstaunlich junger Wotan, ausdrucksstark im Wechsel des Aufbegehrens und Leidens, auch am Ende noch mit nicht forcierter Höhe – die Fülle, die "Würde" wird mit den Jahren noch wachsen. Neben ihm steigerte sich Barbara Schneider-Hofstetter als Brünnhilde nach etwas matter Todesverkündung zu anrührend-leidenschaftlicher Größe. Gabriele Künzler war eine präzise um ihr Recht fechtende Fricka, Ute Döring die Sieglinde mit nobler, beim "höchsten Wunder" schön aufleuchtender Stimme. Alfons Eberz, der Siegmund, hielt dafür weniger vom Piano und stand meist unter Expressivo-Hochdruck. Christoph Stephinger als Spießbürger Hunding – er schießt Siegmund in den Rücken – zeigte dafür robuste Tiefe. Verstehen konnte man vom Text wenig. Dafür sorgte auch Toshiyuki Kamoika am Pult mit manch gewaltigem Ausbruch. Die großen Bögen, den inneren dramatischen Fluss der Musik, die Dichte der Spannungen fand er mit dem immer wieder von Unruhen befallenen Orchester weniger. Jubel. Buhs indes für Dew. |
Walküren im Hangar „Ring des Nibelungen": John Dew inszeniert im Staatstheater Wiesbaden den zweiten Teil aus Richard Wagners Tetralogie Von Heinz Zietsch WIESBADEN. Wie ein modernes Kammerspiel legt John Dew, der künftige Darmstädter Intendant, seine Inszenierung von Wagners „Walküre" am Staatstheater Wiesbaden an. Selbst die Abschnitte, die nach außen drängen, etwa Siegmunds Flucht mit Sieglinde und Siegmunds Tod oder Brünnhildes Verbannung durch Wotan am Ende dieses zweiten Teils aus Wagners Tetralogie „Der Ring des Nibelungen", sind im Grunde seelische Stimmungen und innere Spannungen. Wotan ist ein gebrochener Mann, er weiß nicht mehr weiter. Um so schmerzlicher der Abschied von seiner Lieblingstochter, die sich ihm widersetzt hat und die er zur Strafe mit einem Feuerwall umgibt. Ein mit Scheinwerfern bestrahlter, auf und ab sich bewegender roter Vorhang illustriert den Feuerzauber, den Toshiyuki Kamioka am Pult musikalisch allenfalls glimmen lässt. Von orchestraler Glut und Zauber ist hier wenig zu spüren, obgleich der Wiesbadener Generalmusikdirektor sonst eher grelle Farben (Walkürenritt)bevorzugt und sich damit dirigierend austobt, so heftig sind seine Rundumschläge mit dem Taktstock. Die feineren Töne, die im zweiten Akt von innerer Spannung künden, liegen ihm weniger, so dass sein Dirigat hier unterkühlt und farblos wirkt. Um diese Seelenlagen dem Zuschauer von heute zu verdeutlichen, lässt Dew „Die Walküre" im Bühnenbild von Peter Schulz und in den Kostümen von José-Manuel Vazquez in der Gegenwart spielen. So ist Hundings Haus eingerichtet wie das eines deutschen Spießbürgers mit Mobiliar aus den sechziger Jahren. Hunding, offenbar Mitglied eines mobilen Einsatzkommandos, erschießt den Außenseiter Siegmund. Wotan ist der Boss des großzügig im Designerstil ausgestatteten Unternehmens Walhall. Ein machtloser, aber nicht seelenloser Herrscher, der wohlwollend, aber mit schlechtem Gewissen das inzestuöse Gebaren von Siegmund und Sieglinde beobachtet. Schließlich ist er gegenüber Brünnhilde wohl auch selbst nicht ganz frei von solchem Verlangen. Wie aber sind in einer modernen Inszenierung die amazonenhaften Walküren auf die Bühne zu bringen? Brünnhilde trägt einen Kampfpiloten-Overall, derweil ihre acht Schwestern nach und nach von ihren Einsätzen in den Hangar zurückkehren, Akten versorgen, Computer bedienen und singend vors Mikrofon treten, als hätten sie aufmunternde Durchhalteparolen zu verkünden. Hier gewinnt Dews behutsame und fein gezeichnete psychologisierende Inszenierung einen komödiantischen Zuschnitt, desgleichen wenn sich Brünnhilde vor ihrem wütenden Vater Wotan unterm Schreibtisch verkriecht und sich ihre acht Schwestern schützend davorstellen. Am Ende der fünfstündigen Aufführung war das Wiesbadener Publikum bei der Premiere am Sonntag geteilter Meinung über den Abend: Der eine Teil applaudierte begeistert und rief Bravo, der andere entrüstete sich mit kräftigen Buhs beim Erscheinen des Regisseurs. Sängerisch war das Niveau unterschiedlich; nicht alle waren den Anforderung Wagners gewachsen, am ehesten jedenfalls, einschließlich einer genauen Textgestaltung, Ute Döring als Sieglinde und Ralf Lukas als Wotan. Wie’s im Falle von Dews „Ring"-Inszenierung weiter geht, das wird die Premiere des „Siegfried" am 21. November zeigen. |
Kaufhold Prost auf den Wonnemond Von Volker Milch Prost Mahlzeit! An Hundings Küchentisch trinkt man das Bier aus der Flasche, und zum Realismus in John Dews Inszenierung von Richard Wagners "Die Walküre" fehlt in dieser Szene eigentlich nur noch ein kräftiger, die endlosen Reimereien auflockernder Rülpser. Nein, verfeinerte Tischmanieren sind hier nicht gefragt. Hundings Ehefrau Sieglinde, mit der Kittelschürze für den häuslichen Alltag gerüstet, hat mit Sicherheit nichts zu lachen: Sowie der finstere Gatte im Orchestergraben seinen akustischen Schatten vorauswirft, hantiert sie hektisch am Herd. Der von Christoph Stephinger grimmig gegebene Hunding gehört, wie man seiner schwarzen Kluft entnehmen kann, zu einem schlagkräftigen Sondereinsatzkommando, das an Atomkraftwerken für Recht und Ordnung sorgt - und ungern aufs Abendbrot wartet. Kein Wunder, dass sich die Begeisterung in Grenzen hält, wenn er in der mit Schrankwand ausgestatteten Idylle auf einen Langzeitstudenten trifft: Lange Haare, Peace-Zeichen, Protagonist auch noch einer sehr freien, schließlich die Bude sprengenden Liebe für Schwesterchen Sieglinde. Das ist zu viel. Hundings Kollegen von der Schlagstock-Fraktion hätten Siegmund vor 20 Jahren "Gammler" genannt, und so viele Jahre scheint John Dews Inszenierungs-Konzept auf dem Buckel zu haben. Diesmal wirdes ein bisschen zu deutlich. Wir erinnern uns: Am Ende des "Ring"-Vorabends "Rheingold", der vor einem Jahr im Staatstheater Premiere hatte, leuchtet ein adrettes Atomkraftwerkchen im Hintergrund und wartet auf den Einzug der zum Betreiber-Konsortium mutierten Götter. Indes: Was in Dews "Rheingold" noch als munter-ironisches Spiel mit vielleicht verdrängten, aber doch keineswegs überwundenen Problemen Freude machte und die reifere Jugend an ideologisch klarer konturierte Zeiten erinnerte, verpufft in der zweiten Folge von Wagners gigantischer Soap Opera wie ein zu oft gehörter Witz. Szenische Routine dominiert von der Begegnung der Geschwister bis zum schlichten Feuerzauber. Nicht schlecht, aber nicht gut genug. Dabei wäre das Bühnenbild von Peter Schulz mit entlaubter Welt-Esche, beweglichen Wohn-Modulen im Stil der 70er Jahre und einem imposanten Flugzeug-Hangar der atmosphärisch reizvolle Rahmen für eine spannende Inszenierung gewesen. Dem rüden Umgangston bei Hundings und im Fliegerhorst passt sich das Staatsorchester unter Toshiyuki Kamiokas Leitung phasenweise an: Da wird auf die Saiten gehauen und ins Horn gestoßen, dass einem um Mensch und Material Angst und Bange wird. Spielanweisungen wie "Stürmisch" und "heftig" nimmt der scheidende Generalmusikdirektor sehr wörtlich, wobei die Ausdruckskraft nicht immer proportional zum Körpereinsatz wächst. Kamioka ist, wie schon im "Rheingold", auf der Suche nach dem Rhythmus in der Partitur, schafft dabei in der "Walküre" einen perkussiven Überdruck, dem Präzision und Intonation des Staatsorchesters am Premierenabend kaum gewachsen sind. Der sehr herzliche Applaus des Publikums zumindest für den nach Wuppertal wechselnden GMD galt sicher nicht nur einem sich kompromisslos einsetzenden Premieren-Dirigenten, sondern schloss auch die acht Jahre seines Wirkens am Staatstheater mit ein. Ähnliches dürfte für die Fricka der Gabriela Künzler gelten: Die Mezzosopranistin scheidet nach 14 Jahren aus dem Ensemble. Gefeierter Star des beim Publikum keinesfalls unumstrittenen Abends ist indes Ralf Lukas als ihr Göttergatte: Ein großformatiger, im Monolog packend gestaltender Wotan, der unter seinem Kampfanzug die Nadelstreifen des Vorstandsvorsitzenden der Walhall KG trägt. Mit Alfons Eberz kann man einen Heldentenor im Wiesbadener Ensemble begrüßen und sich über bärenstarke Wälse-Rufe freuen - wobei die Winterstürme bei diesem Siegmund den vokalen Wonnemond-Anteil dominieren. Ute Dörings expressive Sieglinde, Barbara Schneider-Hofstetters stimmlich nicht üppige, aber souveräne Brünnhilde und die Walküren-Riege tragen zu einer vokal sehr achtbaren "Walküre" bei. Bier wird übrigens später auch den Durst streitbarer Walküren löschen, fast ein feuchtfröhliches Leitmotiv der Inszenierung. Ob der Regisseur da an Nietzsches rhetorische Klimax über Bayreuth gedacht hat? - "Die deutsche Kunst! Der deutsche Meister! Das deutsche Bier!". Wiesbadens Walküren jedenfalls reiten im Hangar eines Militärflughafens auf dem Kühlschrank und nehmen einen Schluck aus der Pulle - in ihren Overalls sehen sie aus wie Teletubbies mit Kampfauftrag. Im Hintergrund allerdings wartet ein mit Runen bemalter Bomber und erinnert an gewisse historische Soundtrack-Qualitäten des Walkürenritts. Aber das ist ein ganz anderes Kapitel als diese mit netten Gags garnierte "Walküre". |
Siegmund bringt sich angstfrei ein Angenehm unpathetisch hatte John Dew vergangene Spielzeit seinen Wiesbadener "Ring des Nibelungen" eröffnet. Es gab ausgesprochen humorvolle Momente in seiner Inszenierung von Richard Wagners "Rheingold", und welche Art Katastrophe uns zum geplanten Ende von Wagners Tetralogie erwarten würde, deutete sich an, als die Götter im "Rheingold" ein Atomkraftwerk als ihr Walhall bezogen. Jetzt hat der designierte Intendant des Staatstheaters Darmstadt nachgelegt: Nicht weniger munter geht's im ersten Aufzug der "Walküre" weiter: Hundings Herd, an dem Siegmund rastet, ist eine geschmacklose Einbauküche Marke siebziger Jahre, ein Albtraum in Gelb-Orange (Bühne: Peter Schulz). Hier kocht Sieglinde, ganz Heimchen, das Süppchen für den zunächst unerkannten Bruder Siegmund und ihren Gatten Hunding. Dass diese beiden nicht miteinander können, wirkt zwangsläufig: Siegmund tritt auf als langhaariger Sponti mit Friedens-Emblem auf der Brust, Hunding als schutzschildbewaffneter Hüter von Recht und Ordnung: Immerhin diskutieren sie in bester Lindenstraßen-Manier am Küchentisch, statt Met gibt's Flaschenbier. Wer hier, wie Hunding, noch pathosgeladen "Heilig ist mein Herd" singt, gibt sich natürlich der Lächerlichkeit preis. Auch diese Inszenierung John Dews ist also durchaus besetzt mit effektvollen Details. Wie die Götter alles lenken, zeigt er, selten so zwingend gesehen, im Duell zwischen Siegmund und Hunding am Ende des zweiten Aufzugs. Wie von Geister- (eben Götter-)Hand bricht Siegmunds Schwert entzwei, und Hunding schießt ihn einfach nieder. Offenbar Dews bevorzugte Art, das Bühnenpersonal verscheiden zu lassen. Im "Rheingold" hatte sich auch Fafner seines Bruders Fasolt auf diese Weise entledigt. Schlichtweg klasse der "Walkürenritt": Die Damen treten straff militärisch uniformiert auf (Kostüme: José-Manuel Vazquez) und singen in einem Flugzeug-Hangar ihr populäres Konzertstück fast schon swingend ins Funker-Mikrofon. Dass John Dew die langen Monologe und Dialoge nicht mit ähnlichen Gags überzieht, ist nachvollziehbar, wenngleich der Abend hier nicht ohne Längen bleibt. Womöglich müsste die Musik die Spannung aufbauen, die andernorts die Regie bietet. Das gelingt bei der Premiere jedoch zunehmend schwächer. Zwar startet das Wiesbadener Orchester durchaus kontraststark und belebt den ersten Aufzug, doch entgleitet Wiesbadens scheidendem Generalmusikdirektor Toshiyuki Kamioka zusehends die musikalische Genauigkeit. In den zweiten Aufzug schleichen sich uninspirierte orchestrale Passagen ein, gegen Ende des dritten Akts erlauben sich die Hörner so viele Patzer, fallen die Streicher zuweilen so stark auseinander, dass man in manchen Momenten fast einen orchestralen Schmiss fürchtet. Hier wird Kamiokas Nachfolger Marc Piollet, derzeit noch Musikdirektor der Volksoper Wien, einige Aufbauarbeit zu leisten haben, wenn er den Wiesbadener "Ring" als Dirigent fortführt. Zu wünschen ist, dass dies mit einer ähnlich geschlossenen Leistung des Vokalensembles gelingt wie jetzt in der "Walküre". Keine Ausreißer nach oben, aber eben auch keine nach unten. Ralf Lukas haushaltet als Wotan mit seinen Kräften, sodass er bis zum finalen "Feuerzauber", hier einmal zwischen wehenden roten Vorhängen zu sehen, mit kerniger, balsamischer Tiefe glänzen kann. Barbara Schneider-Hofstetter, die derzeitige Bayreuther Venus, ist Wiesbadens durchweg souveräne, klanglich gerundet singende Brünnhilde. Wendig und klar die Sieglinde von Ute Döring, tiefschwarz Christoph Stephingers Hunding, gereift die Fricka von Gabriela Künzler. Einen strahlkräftigen Heldentenor erlebt man mit Alfons Eberz als Siegmund. Nicht immer sauber seine Artikulation - aber was für durchschlagende "Wälse"-Rufe aus Wiesbaden! Die müsste man eigentlich noch in Offenbach gehört haben... AXEL ZIBULSKI |
Foto: Kaufhold Familienfehde am Rollfeld Wiesbaden: John Dew setzt seine "Ring"-Aktualisierung mit "Walküre" fort Von Richard Hörnicke Hektische Erregung auf dem Flughafen Walhall- Göttervater Wotan verfolgt rachedurstig seine ungehorsame Tochter Brünnhilde per Jet. Wenn Urvater wütet, sollte man ihm aus dem Weg gehen, deshalb verweigern die schmuck in Flughafendress gekleideten Walküren im Hangar (Kostüme: José-Manuel Schulz) der Schwester die Hilfe. Angesichts des um seine Reputation fürchtenden Urvaters hätte auch alle geschwisterliche Zuneigung nichts genutzt, Brünnhilde verliert ihren göttlichen Status. Doch erreicht ihre Appellation an die Gefühle des Vaters, dass sie von Feuerschwaden umgeben unter der jetzt entblätterten Weltesche einem unbekannten Helden im Tiefschlaf entgegenträumen kann. John Dew geht den im "Rheingold" begonnenen Weg der Entrümpelung des Wagnerschen "Rings" am Staatstheater Wiesbaden in der "Walküre" konsequent weiter. In Frische und mit einer gehörigen Portion an Fantasie und Witz erzählt er ein Märchen, das das uralte Thema des allzu menschlichen Strebens nach Macht und Besitzerhalt mit den poesievollen Bildern von Peter Schulz in unsere Zeit projiziert. Eine durchweg spannende und realitätsbezogene Interpretation der 1984 für die Bühnen Krefelds erarbeiteten Sicht des Weltendramas, die immer noch zu fesseln vermag. Wotan residiert im nüchtern-sachlichen Ambiente der göttlichen Chefetage und muss sich dort von der mondän gewandeten Gattin Fricka über das Inzestverhalten des Geschwisterpaares Siegmund und Sieglinde die Leviten lesen lassen. Nur zu gern würde man mit Sieglinde der Wohnung im muffigen Stil der Fünfziger entfliehen, die sie trotz der drängenden Zeit mit drei Koffern verlässt. Es geht eben "allzu menschlich" in diesem Drama zu, Pathetik bleibt außen vor. Dew hat das Glück, sich auf ausgezeichnete Sänger stützen zu können. Ralf Lukas imponiert als Wotan mit herrlich strömendem, markantem Bariton, Barbara Schneider-Hofstetter verleiht der Brünnhilde hochdramatisches Format in weichem Mezzotimbre. Alfons Eberz ist ein Siegmund mit metallisch strahlendem Tenor, beeindruckend die Kraft der gefürchteten "Wälse-Rufe". Mit weit aufschwingendem jugendlich-dramatischem Sopran gestaltet Ute Döring die Sieglinde, hervorragend und stark profiliert die Fricka Gabriela Künzlers, von eherner Statur der Hunding Christoph Stephingers. Exzellent besetzt auch die Riege der Walküren. Ein Abend des Abschieds von Wiesbadens GMD Toshiyuki Kamioka, der in gleicher Position nach Wuppertal wechselt. Er verabschiedete sich mit einem leidenschaftlichen Dirigat, das der großen dramatisch aufbrechenden Geste wie den leisen Tönen gleichermaßen bestechend Raum gab, hinreißend das Finale des ersten Aktes. Gelegentliche Intonationsschwankungen der Streicher und kleinere Ausfälle im Blech sollte man ihm nicht anlasten. |
June 2004 OPERA REVIEW Wagner: Die Walküre Tacky wallpaper seems to be very much en vogue in Wagner opera at the moment, as do dank and dingy kitchens. First, there was Anna Viebrock's stage design for Jossi Wieler's and Sergio Morabito's superb "Siegfried" in the ground-breaking Stuttgart "Ring" a few years ago. That was Wagner as real kitchen-sink drama, complete with rising damp, mouldy tea-towels, and a grubby apron for Mime. Similar floral and paisley-patterned wallpaper put in a brief appearance in David Alden's wilful Munich Ring last year. And it even found its way into Bayreuth, in Claus Guth's striking "Hollaender". John Dew's new "Walküre" which opened at the Hessisches Staatstheater in Wiesbaden on Sunday uses garish wallpaper again, this time in faded 70s chic, all treacly browns and oranges, in Hunding's hut in Act I. And there's a drab kitchen complete with mildewed fridge and clogged-up extractor hood to boot. In fact, Dew and his stage designer, Peter Schulz, seem to have come up with very similar ideas to other recent Ring productions -- the paratrooping Valkyries of Juergen Flimm's Bayreuth, being aired for the last time this year; and the snow blizzards and army fatigues of Robert Carsen's recently completed Cologne cycle. Like Flimm, Dew casts Wotan (at least in his scene with Fricka) as a powerful corporate boss, complete with expensive suit and sleek chrome and black leather office. And he also gives a nod in the direction of Carsen's view of the Ring as an environmental drama about mankind's squandering of the earth's resources and the degradation of the planet into a huge ecological waste bin. That is not to suggest that Dew is merely a copycat, magpie collector of other people's ideas. The New York-born director, who already staged a complete cycle in Krefeld/Moenchengladbach in 1981-1985, offers plenty of new takes and perceptive insights of his own in his new Ring-in-the-making in Wiesbaden. In "Rheingold", Loge is Einstein and Valhalla a nuclear power plant. Dew takes up the theme again in "Walküre", when he casts Siegmund as an anti-nuclear demonstrator complete with straggly hippy hair and CND T-shirt on the run from the riot police, of which Hunding is a member. No doubt the nuclear motif will be continued and developed in the subsequent parts ("Siegfried is due in November and "Götterdämmerung" some time next year). As for the Ride of the Valkyries, there is no Ride at all. The action takes place in a vast aircraft hangar in which some of the Valkyries are wartime air-traffic controllers calling out orders through radio microphones or sorting through the files of the names of the dead warriors, while others stride in, in full jumpsuits, flinging down their report sheets before cracking open a bottle of beer. The scene generated much tutting and shaking of heads among the first-night audience and was undoubtedly the main reason for the booing when the production team took their bows at the end of the evening. But at least it steered clear of some of the unintentionally comic corpse-lugging frequently seen elsewhere. And there was some gentle tongue-in-cheek self-irony, too, as some of the Valkyries camped it up in front of the microphones. Perhaps the main strength of Dew's new "Walküre" lies in his portrayal of the different dysfunctional relationships of the main characters. Ute Doering is a nimble and light-voiced Sieglinde, who dares once or twice to just about hold the gaze of Christoph Stephinger's gruff bulldog of a Hunding in Act I, but is suitably harassed and terror-stricken during the lovers' subsequent flight. Gabriela Kuenzler was an admirable Fricka, even if her mezzo did not always sit comfortably as estranged husband and wife wrestled over the remains of their loveless marriage. The pairing of Sieglinde and Siegmund was weakened by the casting of Alfons Eberz as Siegmund. Eberz appears to believe he's already the bumbling and oafish Siegfried rather that the fate-stricken Siegmund burning with incestuous passion for his twin sister. His acting is as one-dimensional as his singing, and he spends much of the time stumbling or sitting around on stage, open-mouthed and flummoxed as to what's going on around him. His diction was frequently unclear, his tone often inflexible. By contrast, Wotan and Brünnhilde were the stars of the show, carefully drawn and lovingly played by Ralf Lukas and Barbara Schneider-Hofstetter. Father and daughter are inseparable from the very beginning, Wotan pulling all the strings, conjuring up Hunding's hut with a wave of his hand, and both watching conspiratorily from behind the trunk of the Weltesche as the lovers' drama unfolds. They horse around like big kids at the beginning of in Act II. Brünnhilde hangs on Wotan's every word, her face beaming with love and admiration. And that devotion is returned by Wotan. Lukas and Schneider-Hofstetter are so completely absorbed and absorbing that they have no need for stage props or scenery in their final farewell scene, which Dew reduces to a dark stage, empty except for the even darker shadow of the Weltesche looming in the background. Schneider-Hofstetter was making her role debut and what a warm, humane soprano she has, full and firm in tone, but with lots of different shading. Let's hope she'll also be the Brünnhilde in the next two parts of Dew's Ring. Lukas, too, went from strength to strength, convincingly catching the god's plight, arrogantly swaggering on the one hand, weak and fumbling on the other, ever flexible, always pleasing in tone. Finally, in the pit, Wiesbaden's departing general music director, Toshiyuki Kamioka, was a phenomenon. Small and wiry, he noisily jumped up and down, huffing and puffing for all his worth, and the Hessisches Staatsorchester played as if its life depended on it, even if some of the edges were a little rough. Simon Morgan Premiere on June 27, 2004 |