Zwei Damen lösen ein Drama aus Von Rudolf Jöckle Dies ist eine jener Aufführungen, die eine Flut von Gedanken wecken und ebenso viele Worte. Und doch zögert man, weil man spürt, dass jede Anmerkung zwar richtig sein mag und doch vermutlich zu wenig. Richtig scheint jedenfalls, dass dieser "Ariodante" auch im gewichtigen Repertoire, das die Oper Frankfurt weiß Gott bietet, wie ein Solitär aufleuchtet. Freyers "Puppenspiel" – die heftig geschminkten Protagonisten agieren mit dem Oberleib samt Kopf und Händen jeweils hinter steil aufsteigenden Balustraden, während der puppenhaft geschrumpfte Unterleib samt Beinchen davor baumelt – scheint in der Einheit von Poesie und expressiver Kraft nicht überbietbar. Mühelos trägt es auch in den zauberisch-komischen Momenten die Affekte der Musik. Ein Geniestreich. Die Wiederaufnahme brachte einige Änderungen, ohne dass die hohe musikalische Qualität darunter gelitten hätte, nicht zuletzt ein Verdienst des "Spezialisten" Andrea Marcon am Pult, der das auf barocke Größe geschrumpfte Orchester mit Energie lenkte. Interessanter Wechsel: Nidia Palacios, bei der Premiere noch in der Titelpartie, sang nun den Gegenspieler und Bösewicht Polinesso. Ihr etwas helleres Timbre scheint in der Tat hier zwingender, zumal die brillante Mezzosopranistin Hadar Halévy bei ihrem Frankfurt-Debüt für den Ariodante die wundervoll abgedunkelte, sattere Stimme einzusetzen hatte. Florian Plock war der König mit nobel strömendem Bass, Shawn Mathey mit leichtem, angenehm phrasierenden Tenor der Lurcanio. Wie bei der Premiere sangen Maria Fontosh und Britta Stallmeister berückend schön die Damen Ginevra bzw. Dalinda, die das Drama auslösen. |
Barocker "Ariodante" feiert Wiederaufnahme in Frankfurt Händels Opernhelden zur Hälfte Holzpuppen Praktisch eine jede Klangformation kann mittlerweile als barockfähig gelten. Das Frankfurter Opernhaus- und Museumorchester macht da selbstverständlich keine Ausnahme. Die Grundlagen einer an den historischen Vorgaben orientierten Aufführungspraxis dürfen längst als allgemein gültig anerkannt betrachtet werden. Sie sind von den Spezialistenensembles auf die "normalen" Orchester übertragbar. Als Sachwalter bedarf es freilich fachkundiger Dirigenten. Für ihre Aufführung von Georg Friedrich Händels "Ariodante" hatte sich die Frankfurter Oper vor einem Jahr Andrea Marcon gesichert. Auch zur Wiederaufnahme stand der international renommierte Gründer des Venice Baroque Orchestras nun wieder am Pult, und zwar die gesamte Aufführungsserie hindurch. Die 1735 in London uraufgeführte 33. Oper Händels, wiewohl ein formal ausgereiftes und reizvolles Spätwerk, gehört zu den Randerscheinungen des Opernrepertoires. Das auf Antonio Salvi zurückgehende Libretto erzählt die im höfischen Rahmen spielende Geschichte der Liebe von Ariodante und der Königstochter Ginevra, die von dem schurkenhaften Herzog Polinesso per Intrige hintertrieben wird. Ariodantes daraus resultierender Suizidwillen findet umständehalber keine Erfüllung. Buffo-Elemente mischen sich ins "Dramma per Musica", der Finsterling Polinesso muss sterben, und so kommt die Liebe doch noch zu ihrem Recht. Äußerst stilisiert ist die szenographische Lösung des Regieduos Achim Freyer und Friederike Rinne-Wolf. Gespielt wird in der Nachbildung einer schräg ansteigenden Barockbühne. Die Figuren nehmen in den Kostümen von Amanda Freyer Puppengestalt an; vor der Brust baumeln Holzbeine über die vier gestuften Bühnen-Brüstungen. Vom Unterleib an entkörperlicht und auf die Seitwärtsbewegung reduziert, entwickeln sie eine sprechende Klarheit im Ausdruck ihrer inneren Haltungen. Ein ganz eigener Weg, fern der Psychologisierung. Wunderbar klar und in allen Details fein nuanciert ist das klangliche Erscheinungsbild des verkleinerten Orchesters. Andrea Marcon scheint ein Dirigent zu sein, der spürbar mit den Sängern atmet. Etliche Umbesetzungen im siebenköpfigen Ensemble gerieten nicht zum Nachteil. Wiederum wurden die hohen Männerrollen nicht mit Countertenören oder Kontra-Altisten besetzt, sondern mit Frauen. Die Titelrolle gab Hadar Halévy mit einem tief auslotenden Mezzosopran. Subtil und nicht zu sehr auf das Klischeebild von dem sprichwörtlichen schwarzen Mann fokussiert: Nidia Palacios in der Rolle des Polinesso, die Premierensängerin des Ariodante. Florian Plock als König ist für die Verhältnisse einer Bass-Stimme vergleichsweise lyrisch weich timbriert. Stimmlich bisweilen ein wenig gepresst, darstellerisch aber voll auf der Höhe: Shawn Mathey als Ariodantes Bruder Lurcanio. Mit frei strömendem, in allen Lagen klangschönem Sopran gab Maria Fontosh die Ginevra; frappierend kraftvoll: Britta Stallmeister als Dalinda; nobel kultiviert der Odoardo von Peter Marsh. Trotz ihres formal eingeengten Ansatzes trägt die Inszenierung auch über eine durch die Länge der Da-capo-Arien bedingte Spieldauer von etwas mehr als vier Stunden. STEFAN MICHALZIK |
Langfristige Planung hat dazu geführt, daß nun ein barockes Dreigestirn am Himmel der Frankfurter Oper funkelt: Poppea und Orfeo von Monteverdi, dazu Händels Ariodante. Die Inszenierung von Achim Freyer, gerade ein Jahr alt, kehrte nun höchst erfolgreich in den Spielplan der Frankfurter Oper zurück. Diese erfreuliche Erweiterung des stilistischen Spektrums bedeutet ein doppeltes Wagnis: Nicht jeder Sänger ist bereit – oder auch ohne weiteres fähig –, sich den besonderen Anforderungen barocken Ziergesangs zu stellen, nicht jeder Opernfreund revidiert das alte Vorurteil, barocke Oper sei langweilig. Wohlmeinende haben versucht, frühe Beispiele der Operngeschichte auf ein handliches Format zu stutzen. Davon wollte man hier nichts wissen, doch selten dürften vier Stunden vergnüglicher und spannungsvoller verlaufen sein. Dem Haus steht ein Ensemble zur Verfügung, das die erwähnten stilistischen Anforderungen erfüllt. Viel Beifall gab es zu Recht für die koloraturbeflügelten Arien der Mezzosopranistin Hadar Halévy in der Titelrolle. Nidia Palacios war nunmehr wirkungsvoll aus dieser Rolle in die des Bösewichts Polinesso geschlüpft. Schon seit der Premiere mit ihren Partien wohlvertraut: Maria Fontosh als verleumdete Unschuld Ginevra und Britta Stallmeister als Dalinda, auch Peter Marsh als Odoardo. Shawn Mathey gab einen koloraturgewandten Lurcanio, während Florian Plock mit wachsendem Erfolg die tiefere Stimmlage des Königs repräsentierte. Wie heikel die Gratwanderung des Gelingens ist, zeigte sich ein einziges Mal, doch Andrea Marcon, schon Dirigent der Premiere, bewährte sich nicht nur als impulsreicher, sondern auch flexibler Dirigent, das Orchester fand sich im Lauf des Abends immer besser in die barocke Klang- und Stilwelt. Von neuem bewährte sich die Imaginationskraft von Freyer und Friederike Rinne-Wolf. Selten wohl hat eine "moderne" Inszenierung solch zwingende Entsprechungen zu alter Musik gefunden. Ein Glanzpunkt im Repertoire. GERHARD SCHROTH |