Rossinis "Ciro" bei "Rossini in Wildbad" Der Tenor tobt: Man will ihn nicht lieben! Er zückt das Messer. "Welche Überraschung!", singt die Frau, die die seine nicht werden mag, gemeinsam mit ihrem kühnen Gatten, der wehrlos ist, weil man ihn an einer Hand gefesselt hat. Das folgende unbegleitete Terzett macht den Tenor immerhin so müde, dass er sanft einschlummert. VON SUSANNE BENDA Pech für sein Land, denn mit den Worten "Während Baldassare tief schläft, haben uns die Feinde überwältigt!" beginnt die letzte Szene, in welcher sich tatsächlich alles ganz anders und ziemlich glücklich fügt. Gioacchino Rossinis Frühwerk "Ciro in Babilonia", im Auftrag der Oper von Ferrara für die Fastenzeit 1812 (und deshalb zunächst als "Oratorium") komponiert, fußt auf einem von der biblischen Belsazar- Erzählung und aus historischen Quellen über den perischen König Kyros gespeisten Textbuch, dessen Dramaturgie ein einziger großer Unglücksfall ist. Teilweise wirkt dies in die Musik hinein, teilweise jedoch sind Rossini auch musikalische Gestaltungsmomente, charakteristische Begleitungen, geistreiche Ironisierungen und gefühlsstarke melodische Wendungen geglückt, die seinen späteren Werken in nichts nachstehen. Zum Witzigsten zählt eine Arie mit nur einem ständig wiederholten Ton, die Rossini einer offenkundig minderbegabten Sängerin in die Kehle schrieb (im philologisch ambitionierten Wildbad gab man selbstverständlich die Urfassung); der Dirigent Antonino Fogliani mühte sich am Pult der begleitenden Württembergischen Philharmonie Reutlingen erfolgreich um das hübsche Dekor der Eintönigkeit. Überhaupt machte das Orchester seine Sache gut: Die Streicher brachten viele feine Figuren präzise federnd auf den Punkt, man glänzte in den zahlreichen Solopartien. Nur die Bläser wirkten in ihrer Intonation gelegentlich störungsanfällig. Die Sängerbesetzung zeugte wieder einmal von dem sicheren Händchen, das Wildbads Festivalchef Jochen Schönleber für Nachwuchsbegabungen hat: Anna-Rita Gemmabella, einer zu großer Fülle und klangfarblicher Ausgeglichenheit gereiften Altistin, passte die Hosenrolle des Titelhelden ideal. Ihr zur Seite stand mit Luisa Islam-Ali-Zade als Almira eine Sopranistin mit viel Tiefenfundament und einer Sicherheit in der Höhe, die Koloraturen vom Feinsten ebenso problemlos möglich machte wie jene weiten Intervallsprünge, die Rossini der permanent Verzweifelten abverlangt. Wojciech Adalbert Gierlach sang mit herrlichem Bassmaterial den Zambri; der Tenor Riccardo Botta (Baldassare) müsste hingegen an der Präzisierung seiner Tonvorstellung noch arbeiten. Auf Siegfried Mayers Bühne gestellt wurden die Solisten sowie die zwölf Männer des sehr genau singenden tschechischen Kammerchors Ars Brunensis von der Regisseurin Annette Hornbacher. Dort bewegten sich alle zuweilen ein wenig; taten sie es nicht, erstarrten sie in den bekannten Opernposen der Verzweifelten (händeringend), des Tyrannen (breitbeinig mit verschränkten Armen) und des Rächers (Faust geballt nach oben gereckt). Vor diesem eher statischen Hintergrund duftete selbst ein plötzlich auftauchender Teddybär schon nach Regietheater. Dabei wäre dieses wohl das Schlimmste, was den Belcanto-Pilgern bei "Rossini in Wildbad" begegnen könnte. Ob deshalb am Abend zuvor, beim Gastspiel einer Produktion der diesjährigen Dresdner Musikfestspiele, das Kurhaus so leer war? Denkbar ist das schon - schließlich hatten die Macher von "Medea 04" die Übersetzung von Georg Bendas Melodram "Medea" von 1775 in unsere Zeit gewagt. Aber wie! Weil man angesichts des wahrhaft schrecklichen antiken Stoffes das heute nur schön und glatt Klingende von Bendas Stück zu Recht als unbefriedigend empfand, durchsetzte man es mit Textfragmenten aus Heiner Müllers "Verkommenes Ufer/Medeamaterial". Dass ein Schlagzeuger immer wieder dem Streicherklang Perkussives hinzufügte, beschädigte allerdings nachhaltig die alten Klänge. Die wiederum wurden in nur einfacher Quartettbesetzung intonatorisch wacklig und vor allem ohne Gespür für jenes Extreme gespielt, das auch Bendas so zwischen gesprochenem Text und singendem Instrumentalklang merkwürdig zerklüftete Musik notwendig braucht. Auf der Bühne spielte man mit Idee, aber schlecht; die Gesamtwirkung blieb lau. Kein Wunder, wenn sich mancher reumütig doch lieber zu unvermittelt tobenden Tenören und der unverstellten Lust am Schöngesang im Schwarzwald bekannte. Weitere Vorstellungen von "Ciro in Babilonia" sind am 16., 22. und 24. Juli in Bad Wildbad. |
Foto: Festival Ein beachtenswertes Sänger-Ensemble Bei "Rossini in Wildbad" wurde die nahezu unbekannte Oper "Ciro in Babilonia" vorgestellt BAD WILDBAD.In der Rossini-Literatur wird seine erste Opera seria "Ciro in Babilonia", die 1812 in Ferrara uraufgeführt wurde, meist kurz und knapp als Fehlschlag abgehandelt. Eine Einschätzung, der Räto Müller im lesenswerten Programmheft-Beitrag zur ersten deutschen Aufführung seit über 180 Jahren bei "Rossini in Wildbad" entgegentritt. Der von Rossini selbst vermittelte Eindruck der misslungenen Uraufführung ("Ein Fiasko", wie er gegenüber Ferdinand Hiller behauptete), die ansonsten nur sehr spärlich dokumentiert ist, könne auf einer Verwechslung des Komponisten beruhen, der im reiferen Alter auf seine Jugendjahre zurückblickte. Dabei geht es Müller durchaus nicht um eine undifferenzierte Huldigung von "Ciro in Babilonia", wie seine treffende Analyse der dramaturgischen Schwächen der zentralen Szene der Oper zeigt. "Ciro in Babilonia" basiert auf dem Konflikt zwischen dem babylonischen Herrscher Baldassare und Ciro, dem König der Perser. Und der entscheidende Wendepunkt der Handlung ist jene berühmte aus der Bibel überlieferte Erscheinung der Schrift an der Wand, die dem babylonischen König den bevorstehenden Untergang weissagt. Gerade dieses Moment hat der junge Rossini in seinem Seria-Erstling noch nicht zu gestalten gewusst. Ansonsten bietet die Konfrontation von Baldassare, der die Frau und den Sohn von Ciro in seine Gewalt gebracht hat, Rossini Gelegenheit, den Sängern Futter für virtuose Selbstdarstellung in die geläufigen Kehlen zu schreiben. Für die beengte Bühne des Bad Wildbader Kurhauses hat Siegfried Mayer einen dunkel-blutverschmierten Raum geschaffen, der Annette Hornbachers sich um scharfe Akzentuierung bemühte Inszenierung optische Unterstützung zu geben vermag. Die hat, auch mit der Hilfe der etwas beliebigen Kostüme von Claudia Möbius, das Geschehen in die Gegenwart versetzt. Die Bad Wildbader Aufführung bewegt sich auf dem schmalen Grat zwischen Tragik und unfreiwilliger Komik. In die zweite Kategorie gehören die sich von einem szenischen Klischee zum nächsten flüchtenden Chorauftritte des auch sängerisch nicht sonderlich homogen agierenden Kammerchors Ars Brunensis (Leitung Roman Válek). Zumindest nach der Pause gewinnt die Aufführung aber an Dichte, wird die Personenführung überzeugender. Wenn Ciros Frau Amira, die Baldassare unbedingt heiraten will, zum Spielball der brutalen "Hochzeitsgesellschaft" wird, erhält das Geschehen trotz mancher handwerklicher Mängel auch szenische Spannung. Im Vordergrund steht aber, wie fast immer bei "Rossini in Wildbad", eine beachtliche musikalische Leistung. Antonio Fogliani am Pult der Württembergischen Philharmonie Reutlingen zeigt sich als kompetenter Rossini-Dirigent, der trotz der gelegentlich etwas strähnigen Streicher das Orchester, dessen Holzbläser sich bei "Ciro in Babilonia" auszeichneten, zu einer ansprechenden Gesamtleistung animieren konnte. Dem Sängerensemble, das im Mittelpunkt des Interesses stand, war er zudem eine sichere Stütze. Anna-Rita Gemmabellas, in Bad Wildbad schon mehrfach erfolgreich zu erleben, kann in der Titelrolle mit ihrem kraftvollen Mezzosopran, der auch in der Altlage Beachtliches zu bieten hat, dank ihrer Agilität überzeugen. In der Mittellage gelegentlich apart verschattet, ist sie in eindrucksvoll-statischer Ciro. Als Amira, Frau des Ciro, begeisterte Luisa Islam-Ali-Zade mit ihrem in allen Registern ausgeglichen, zu dramatischer Koloratur fähigem Sopran, der Wut, Schmerz, Trauer und Hoffnung der von dem sadistischen Herrschers Babylons Gefangenen Gestalt gab. Riccardo Botta gab mit instrumental, in allen Registern ausgeglichenem, sicher geführtem Tenor ein Porträt des Psychopathen Baldassare. Was ihm an einprägsamem Timbre abgeht, machte er singgestalterisch wett. Mit imposantem Bass sang Wojciech Adalbert Gierlach den Zambri, ebenso überzeugend Giovanni Bellavia als Prophet Daniel und Giorgio Trucco (Arbace). Maria Soulis (Argene) konnte sich mit ihrer Arie auf einem Ton in Szene setzen. Thomas Weiss |
Martern aller Arten Von Dietholf Zerweck Bad Wildbad - Als Gioacchino Rossini im März 1812 in Ferrara seine erste Opera seria zur Uraufführung brachte, war er gerade 20 Jahre alt und hatte schon Erfahrungen mit einigen komischen Opern gesammelt. "Ciro in Babilonia" war jedoch sein erster Versuch auf dem Gebiet der "ernsthaften Oper" - die deutsche Premiere fand 1816 in München statt. Menschliche Hybris Das Libretto des Stadttheater-Prinzipals Conte Aventi verknüpft die alttestamentarische Episode von Belsazars Hybris und dem vom Propheten Daniel erklärten Menetekel mit der von Herodot überlieferten Eroberung Babylons durch den Perserkönig Kyros. Damit war der Vorschrift, in einer Fasten-Oper einen biblischen Stoff zu verwenden, Genüge getan. Dennoch strotzt die Handlung vor konventionellen dramatischen Zuspitzungen: Entführung und Gefangenschaft, Zwangsheirat oder Tod, Blutopfer und plötzlicher Umschlag zum Happy End für den gerade zur Hinrichtung verurteilten Ciro samt Frau und Kind. Rossini selbst hat sein mit Chören ausstaffiertes Drama als "Oratorium" bezeichnet. In der Tat lässt die Aneinanderreihung von Rezitativen, mehrteiligen Arien und Ensemblestücken einen erfahrbaren Spannungsbogen vermissen. So interessiert an der Wildbader Produktion des Jugendwerks im Rahmen des Rossini-Festivals in erster Linie die musikalische Originalität.Davon ist im zweiten Akt mehr zu spüren als zu Beginn. Während die Ouvertüre von der Württembergischen Philharmonie Reutlingen unter der Leitung des jungen Antonino Fogliani nach einer romantisch duftigen Piano-Einleitung in eine federnde Stretta mündet, sind die ersten Auftritte von Baldassare, seinem Feldherrn Zambri, der Gefangenen Amira und dem Belagerer Ciro nach den Mustern italienischer Opernkonvention gestrickt. Sängerisch sind sie allerdings von beachtlicher Wucht und Prägnanz. Riccardo Botta gestaltet sein Wildbader Debüt als Assyrerkönig mit metallisch timbrierten Tenor und präzisen Koloraturen. Wojciech Gierlach ist auch im dritten Jahr bei Rossini in Wildbad ein spielfreudiger, stimmgewaltiger Bass, und Anna-Rita Gemmabella gibt der Hosenrolle des Ciro mit ihrem erdigen, kernigen Alt überzeugendes Profil. Hitzig und hochdramatisch verkörpert Luisa Islam-Ali-Zade die Figur der von Baldassare bedrängten und ihrem Ciro in Treue und Mitleid verbundenen Amira. Sie stirbt 1000 leidenschaftliche Verzweiflungstode, was der Phrasierung ihres volumen- und vibratoreichen Mezzosoprans nicht immer gut tut. Der Kontrast zwischen singdarstellerischer Eloquenz und musikalisch floskelhafter Oberfläche, ist auffällig. Doch mit Ciros Gefängnismonolog ändert sich das Bild. Mit einer konzertierenden Oboe macht Rossini Stimmung und Atmosphäre anschaulich, im folgenden Auftritt mit Amira und dem wie immer wutvoll rachedurstigen Baldassare kommt es unvermittelt zu einem A-cappella-Terzett, welches die Verstrickung der drei Figuren beleuchtet. Da scheint die Harmonie der Musik das schon gezückte Tyrannen-Messer für einen Augenblick zu besiegen. Friede, Freude, Liebe Umso lästerlicher danach das Festmahl um "Friede, Freude und Liebe", bei dem die Tempelgefäße der Juden entweiht werden und die Flammenschrift an der Wand erscheint. Die dramaturgischen Schwächen der Daniel-Szene versucht die Regisseurin Annette Hornbacher dadurch zu überspielen, dass sie Amira mit dem Chor der babylonischen Soldaten zur Gruppenvergewaltigung von der Bühne schickt - wie der Tierkadaver im 1. Akt ein faustdicker Wink mit dem Motiv kriegerischer Entmenschlichung, das weder von Rossini musikalisch noch von der Inszenierung theatralisch eingelöst wird. Als geschändete Braut singt Luisa Islam-Ali-Zade danach ihre Verzweiflungsarie. Dass Baldassare vor der befohlenen Hinrichtung seiner Opfer ein Schläfchen einlegt, dient wiederum dem Überraschungsschluss: nun triumphieren Gattenliebe und Perserheer, und was mit dem Babylonierkönig geschieht, bleibt offen. |
Erfolgreiche Premiere "Das Blut muss fließen" - dieser schreckliche Satz wird in Rossinis früher Oper mehr als einmal gesungen. Und dieser Satz charakterisiert das zentrale Thema der Oper "Kyros in Babylon", die seit 1822 in Deutschland nicht mehr aufgeführt wurde. Wer allerdings in dem 1812 komponierten Werk, das weitgehend in Schubladen überlebte, eine verstaubte Klamotte vermutet, der irrt. Rossinis Jugendwerk spiegelt inhaltlich jene kriegerische Auseinandersetzung wieder, die sich gut 500 vor Christus zwischen den Herrschern Kyros/Ciro und Belsazar/Baldassare abspielte, aus der der Perserkönig Kyros siegreich hervorging. Rossinis Librettist Francesco Aventi flicht in die politischen Geschehnisse raffiniert zwei Liebesgeschichten ein. Belsazar hat Amira, die Frau seines Gegenspielers Kyros entführt; dieser schleicht als Diplomat verkleidet in Belsazars Stadt und will seine Frau befreien. Doch ihr Plan fliegt auf und Kyros wird ebenfalls gefangen genommen. Belsazar stellt Amira vor die Wahl: entweder ihn zu heiraten oder zu sterben. Als Belsazar auf einem Fest die aus dem Tempel in Jerusalem geraubten jüdischen Kultgefäße blasphemisch missbraucht, erscheint ihm ein Feuermenetekel, das seinen Tod voraussagt. Nach einem Moment der Betroffenheit lässt sich Belsazar von Seinen wieder aufstacheln. Die zweite Liebesgeschichte spielt sich ab zwischen der ebenfalls inhaftierten Argene, eine Vertrauten Amiras, und Arbace, ein Offizier von Belsazar, der aus Liebe die Fronten wechselt und zu Kyros überläuft. Da sich Amira trotz Folter und Todesandrohung nicht in die Verbindung mit Belsazar zwingen lässt, sollen alle sterben. Doch wie das bei einer Oper so ist, gewinnt in letzter Sekunde das Heer von Kyros die Oberhand und verhindert die Ermordung. Belsazar, sein untergebener Fürst Zambri und die ganze Clique werden gefangen genommen. Ciro und Amira triumphieren und drohen: "Das Blut muss fließen". Ob es tatsächlich fließt, bleibt offen. Allein schon dieses offene Ende ist für Rossini ungewöhnlich, aber die ganze Thematik passt wie ein Paukenschlag in unsere gegenwärtige, weltpolitische Lage; die Handlung wird beherrscht von dem gewalttätigen Charakter zweier Potentaten, die sowohl mit ihren Untergebenen und als auch mit dem so genannten Feind wenig zimperlich umgehen: Geiselnahme, Todesdrohung, Folter, Gewalt gegenüber Frauen und Kindern sowie die Verhöhnung anderer Religionen. Ein Blick in die gegenwärtigen Nachrichtensendungen lässt keinen Zweifel daran, dass sich die Menschheit einerseits technisch ständig weiterentwickelt, andererseits aber speziell in Kriegessituationen morallos wird und sinnlose Gewalt überhand nehmen lässt. Regisseurin Annette Hornbacher, Bühnenbildner Siegfried Mayer und Kostümdesignerin Claudia Möbius haben die Handlung der Oper und das Outfit des Bühnenpersonals sensibel in unsere Tage verlegt, so dass keine Sekunde der Eindruck einer unzulässigen Modernisierung aufkommt. Ein besonderes Lob verdient die szenische Personenführung auf der kleinen Bühne des Jugendstilkurhauses, die einerseits für genügend Dynamik sorgt, andererseits aber den Eindruck von Hektik und Überfülle vermeidet. Rossini hatte für seine Premiere in Ferrara ein erstklassiges Solistenensemble und man kann mit Sicherheit sagen, dass die Sänger/innen in Bad Wildbad dem italienischen Komponisten Freudentränen in die Augen getrieben hätten. Riccardo Botta verkörpert schauspielerisch einen idealen Fiesling, der gelangweilt zusieht und sich betrinkt, als seine Gegenspieler aufs blutrot dekorierte Schafott geführt werden. Botta ist einen glänzender, hell timbrierter und in der sicheren Stimmführung virtuoser Tenor. Die in Ottenbronn wohnende Luisa Islam-Ali-Zade verkörpert in der Rolle der Amira eine geschundene und treu zu ihrem Gatten stehende Frau. Die aus Usbekistan stammende Mezzosopranistin verfügt über spektakulären Stimmenfang, sichere Beherrschung der halsbrecherischen Koloraturen und große Wandlungsfähigkeit der vokalen Klangfarben, so dass sie mit großer Bühnenausstrahlung für sich einnimmt. Anna-Rita Gemmabella verkörpert in der Hosenrolle des Kyros den zunächst leidenden und am Ende fragwürdig triumphierenden, persischen König. Stimmlich ist die auch an der Mailänder Scala singende Italienerin überragend. Sie verfügt in allen Lagen über einen festen Stimmkern, der ihr auch in vielen leisen Passagen eine beachtliche Präsenz verleiht. Den artistisch-technischen Anforderungen des Belcantostils ist sie ebenso gewachsen wie der vielfarbigen Gestaltung der verschiedenen Ausdruckswelten. Maria Soulis verfügt als Argene über einen warm getönten Mezzosopran und brilliert u.a. in der keineswegs einfach zu singenden Arie, die Rossini einer Sängerin auf den Leib schrieb, die seiner Meinung nur einen einzigen schönen Ton drauf gehabt haben soll. Wojciech Gierlach besticht mit seinem schwarzen Bass, der dennoch beweglich ist, in der Rolle des Bösewicht Zambri; und auch Giorgio Trucco und Giovanni Bellavia als Hauptmann Arbace und Menetekel-Deuter Daniello runden mit ihren gepflegten Stimmen den Eindruck einer überragenden Sängerbesetzung gab. Nicht zu vergessen Marian Plappert aus Wildbad als stummer Statist in der Rolle des Kyrossohnes. Viel Gestaltungsfreude beweist auch der Kammerchor Ars Brunensis, der einerseits Teil der Handlung ist und andererseits - wie im antiken Drama - die Handlung kommentiert. Nach der Premiere des Almaviva besteht die württembergische Philharmonie Reutlingen beim ersten Engagement in Wildbad ihre zweite Feuertaufe beachtlich. Nach einigen kleinen Unsicherheiten im ersten Akt steigert sich das Orchester kontinuierlich. Antonio Fogliani, erst 28 Jahre alt und bereits einer der besten Operndirigenten seines Faches mit internationalem Renommee, ist verantwortlich für eine musikalisch ungeheuer konzentrierte Aufführung, bei der die verhaltenen Lyrismen, die dramatischen Ausbrüche präzise artikuliert werden und das Rossini-typische Temperament ohne übersteigerte Hektik aufblüht. Donnernder Applaus und viele Bravorufe belohnten eine attraktive Opernentdeckung. Julius Reinhard |