| |
Oper Frankfurt "Curlew River" (Fluss der Möwen) von Benjamin Britten Der altjapanische Stoff wird als Spiel innerhalb eines Spieles dargestellt – das Gesamtwerk samt Umrahmung ist nichts weniger als die Aufführung eines mittelalterlichen Mysterienspiels
Die Uraufführung der "Kirchenparabel" fand 1964 in der Pfarrkirche Orford im Rahmen von Brittens eigenen Festspielen in seiner Wahlheimat Aldeburgh, Suffolk, statt. Die Ursprünge des Werkes gehen auf einen Aufenthalt in Japan 1956 zurück, wo Britten ein Nõ-Spiel besuchte und von der Intensität dieses altjapanischen Dramas tief beeindruckt war. Er ließ sich von diesem Erlebnis schöpferisch inspirieren und stellte sich die Aufgabe, den Stoff des Sumidagawa (so hieß das Nõ-Spiel – Sumida-Fluss) in einer europäisch-christlichen Interpretation als Kirchenoper neu zu vertonen. Die Handlung von Curlew River/Fluss der Möwen ist im Grunde genommen die gleiche wie die von Sumidagawa. Ein Fährmann will Pilger über einen Fluss zu einem Heiligtum bringen. Eine wahnsinnige Frau, auf der Suche nach ihrem entführten Sohn, bittet darum, mitgenommen zu werden. Der Fährmann erzählt, wie ein Jahr zuvor ein kranker junger Mann am anderen Ufer starb und dort begraben wurde. Die wahnsinnige Frau erkennt, dass dieser ihr Sohn gewesen sein muss, und schließt sich den Pilgern an, um das Grab zu besuchen. Dort erscheint der Geist des Jungen, der sie auf ein Wiedersehen am Auferstehungstag vertröstet – dadurch wird sie von ihrem Wahnsinn erlöst. Der Herausforderung, Sumidagawa ohne reine Persiflage neu zu gestalten, sind Britten und sein Librettist, der Dichter William Plomer, dadurch gerecht geworden, dass sie die Handlung von einer Mönchsgemeinschaft spielen lassen, "in einer Kirche an einem Fluss, der durch das Marschland fließt, im Mittelalter". Der Regisseur Axel Weidauer ist seit 1999 als Spielleiter an der Oper Frankfurt engagiert. Hier inszenierte er in der vergangenen Spielzeit den Offenbach-Einakter Ein Ehemann vor der Tür im Holzfoyer und Brittens Golden Vanity im Bockenheimer Depot. Der englische Tenor John Mark Ainsley (Wahnsinnige Frau) sang u.a. bei den Festivals von Glyndebourne, Aix-en-Provence und Salzburg. An zuletzt genanntem Ort wirkte er 2003 bei der Uraufführung von Henzes L’Upupa mit. Zudem gastierte er am Covent Garden London. Gastauftritte führten den englischen Bariton Robin Adams (Reisender) u.a. nach Graz, Wien und Brüssel. Die Partie des Geistes übernimmt ein Solist der Aurelius Sängerknaben Calw. Die beiden Ensemblemitglieder Soon-Won Kang und Simon Bailey verkörpern die Partien des Fährmanns und des Abts. Seit 2002 ist Erik Nielsen (Musikalische Leitung) als Solorepetitor an der Oper Frankfurt engagiert. In der vorigen Saison war er u.a. für die Einrichtung und das Dirigat der Offenbachiaden verantwortlich. | |
| |
Japanische Klänge für eine Kirchenparabel |
|
|
|
Frankfurter Rundschau: Die Oper Frankfurt geht für Benjamin Brittens "Curlew River" ins Bockenheimer Depot. Eigentlich, Herr Nielsen, ist das doch der falsche Ort, denn "Curlew River" ist eine so genannte "Kirchenparabel" und wurde 1964 auch in einer Pfarrkirche uraufgeführt. Warum jetzt eine weltliche Bühne?Erik Nielsen: Das Depot ist nun einmal eine Spielstätte der Oper Frankfurt, drei Produktionen pro Saison werden hier gemacht. Und so lange ich die Orgel bekomme, die Benjamin Britten für sein Instrumentarium verlangt, habe ich kein Problem damit. "Parable for Church Performance" ist die genaue Gattungsbezeichnung. Was bedeutet das denn? Nun, eine Parabel ist eine einfache, gleichnishafte, meist biblische Geschichte, aus der man etwas lernen kann. Was in Curlew River erzählt wird, könnte auch ein Pfarrer in der Kirche predigen. Britten hat drei solcher Kirchenparabeln geschrieben, wobei die erste, Curlew River, ihren Inhalt nicht aus der Bibel bezieht, sondern die Übertragung eines japanischen Lehrstückes ist. Ist Britten sozusagen der Erfinder dieser Gattung? Und wie kam er dazu? Britten hat in Japan das Nô-Theater kennen gelernt und wollte das in unsere Kultur übersetzen. Wobei seine Stücke keine bloßen Kopien sind, sondern Weiterentwicklungen. Eine alte, rituelle und spirituelle japanische Tradition wurde so in die Religion des Westens überführt, und so eben in die Kirche. Wenn ein Japan-Aufenthalt des Komponisten der Auslöser war: Klingt seine Musik dann auch etwas nach Japan oder zumindest nach Exotik für unsere Ohren? Ja. Wobei nur an zwei Stellen einigermaßen offensichtlich. Britten hat einen Rahmen gespannt um das Stück: Mönche betreten den Raum und ziehen sich um, um das eigentliche Stück zu spielen - also ein Schauspiel innerhalb eines Schauspiels. Dieser lateinische Cantus der einziehenden Mönche ist sozusagen japanisiert. Dieser Part klingt einfach extrem japanisch, Sie werden staunen! Auch die Instrumentierung ist japanisch inspiriert: In Japan gab es traditionell drei Instrumente für das Nô-Spiel, eine Flöte, eine Trommel und eine Art Harfe. Britten nimmt nun Flöte, Bratsche, Horn, Harfe, Schlagzeug, Orgel und Kontrabass - das ist zwar eine Erweiterung des originalen Klangs, aber keine Entfernung. Er verlangt Bratsche und Bass, nicht Geige und Cello, die wären ihm wohl zu westlich gewesen, zu vertraut mit der westlichen Tradition. Er wollte die ungewöhnlicheren Farben haben, die noch nicht so oft komponierten. Oft wird "Curlew River" auch als "Mysterienspiel" bezeichnet, als neo-mittelalterlich. Finden Sie das denn zutreffend? In Japan ist ein solches Spiel zeitlos, in der abendländischen Kultur aber will man allem eine Zeit zuordnen. Was sich dem widersetzt, wird dann schnell ins Mittelalter versetzt. In eine vergessene Zeit. Das Frankfurter Opernpublikum konnte ja schon einiges Vertrauen aufbauen zu Benjamin Britten, durch "Peter Grimes" und "The Turn of the Screw". Ist die Musik zu "Curlew River" ähnlich soghaft? Ich muss sagen: Diese Musik ist ganz und gar ungewöhnlich. Brittens besonderes Talent war, auf den ersten Blick immer ähnlich und immer einfach zu schreiben, wobei diese Musik dann ganz unterschiedlich klingt. Für einen Dirigenten oder Musikologen, der die Partitur liest, sieht alles nach der gleichen Methode komponiert aus. Aber es sieht eben nur so aus. Und Curlew River ist dabei das vielleicht ungewöhnlichste Werk überhaupt. Diese Britten-Parabel ist für Sie die bislang größte Produktion in Frankfurt am Opernhaus. Allerdings arbeiten Sie nun nicht mit dem Opernorchester, sondern mit Studierenden der Musikhochschule. Macht es das leichter oder schwerer? Diese Musiker sind möglicherweise offener, das könnte durchaus ein Vorteil sein. Eigentlich ist gar kein Dirigent geplant gewesen bei einer Besetzung von nur sieben Musikern, doch dem habe ich nicht ganz getraut. Hier sind hoch professionelle Sänger wie der Tenor John Mark Ainsley beteiligt, aber auch Musikstudenten - es geht dabei nicht um gut oder schlecht, sondern um erfahren oder weniger erfahren. Darum bin ich als Dirigent mit dabei, obwohl das vom Komponisten so nicht vorgesehen war. Alleine schon der Umstand, dass in dieser Inszenierung die Musiker hinter den Sängern aufgebaut sind, dürfte dabei einen Dirigenten zweckmäßig machen. Ja, diese Aufstellung ist eine schöne Lösung eines Problems, das im Bockenheimer Depot immer besteht: wohin mit dem Orchester. Später erst habe ich erfahren, dass im Nô-Theater die Musiker auch hinten postiert sind. Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass das Stück wirklich etwas mit Japan zu tun hat, aber dass sich diese Parallele nun ergeben hat, ist doch auch schön. Sie selbst sind Harfenist und Oboist, sind an der Oper beschäftigt als Solorepetitor, bringen also den Sängern vom Klavier aus ihre Rollen bei, und Sie dirigieren auch noch. Sind Sie ein Multitalent? Ja, vielleicht. Mit der Oboe allerdings habe ich aufgehört, das würde sonst doch zu viel werden. Durch das Oboe-Studium wollte ich Musik lernen, eben nicht im Sinne von Harmonie, von Machart, von mathematischer Konzeption. Mit der Oboe muss man eine einzelne Melodie schön formen können, aus einer Linie Musik machen können - und das muss man einfach lernen. Ich denke, man muss immer dort studieren, wo die eigenen Defizite stecken. Sonst bleibt immer ein Schwachpunkt. Die nächste Stufe wäre dann die Position des Kapellmeisters. Das muss man abwarten. Ich interessiere mich sehr für Neue Musik, und da kann ein Opernhaus nicht immer etwas bieten. Außerdem gibt es andere sehr spannende Felder wie etwa das Schreiben von Klavierauszügen oder das Einrichten von Partituren. Also kein Kapellmeister wegen des Repertoirebetriebs? Nein, natürlich würde ich das gerne machen. Aber ich bin ein geduldiger Mensch. Erst einmal bin ich dankbar, die Chance bekommen zu haben, als Solorepetitor zu arbeiten, ohne aus dem Opernbetrieb gekommen zu sein. Mein Vorteil ist sicher, Erfahrungen als Orchestermusiker gesammelt zu haben. Ich habe als Oboist im MET-Orchester gespielt, als Harfenist bei den New Yorker und den Berliner Philharmonikern. Nur so lernt man diese Seite auch kennen. Und als Dirigent muss man sie einfach kennen. Interview: Stefan Schickhaus |
INTERVIEW. Mit Benjamin Brittens "Curlew River" ("Fluss der Möwen") im Bockenheimer Depot (Premiere am 9. Februar, 20 Uhr, Karten-Tel. 069/ 1340400) bekommt er dabei eine Aufgabe, die über die musikalische Einrichtung und Leitung der letztjährigen "Offenbachiaden" im Holzfoyer deutlich hinausgeht. Regie für dieses äußerst selten in Deutschland zu hörende Musiktheaterwerk führt Axel Weidauer, die Hauptrolle singt der Brite John Mark Ainsley. ick |
[ document info ] Dokument erstellt am 07.02.2005 um 15:44:11 Uhr Erscheinungsdatum 08.02.2005 |
|