Ein Ort des Schreckens
Der Dramatiker und Regisseur Falk Richter über sein Verhältnis zur Oper und die Aktualität von Richard Strauss' "Elektra" - vor der Premiere in Frankfurt
Frankfurter Rundschau: Sie sind Dramatiker und Regisseur. Meist inszenieren Sie neue, zeitgenössische Stücke, Uraufführungen, Ihre eigenen Werke. Meistens arbeiten Sie für das Schauspiel. Welches Verhältnis haben Sie zur Oper?
Falk Richter: Ich habe 2001 meine erste Oper inszeniert, We come to the river von Hans Werner Henze in Hamburg. Bis dahin habe ich überhaupt nicht daran gedacht, dass ich Oper machen würde, aber sowohl Edward Bonds Libretto als auch die Musik Henzes haben mich unglaublich beeindruckt. Ich hatte schnell einen sehr direkten Zugang. Ohnehin spielt Musik in meinen eigenen Stücken eine große Rolle. Gerade ihre Umsetzung ist ohne Musik nicht denkbar, und zwar nicht als irgendwie spannungsfördernde Untermalung, sondern ganz substantiell, als konkreter Körper.
Ihre Arbeit ist immer stark aktualitätsbezogen, zuletzt haben sie an der Berliner Schaubühne in mehreren Stücken "Das System" untersucht und unter anderem die gegenwärtige US-Außenpolitik thematisiert. Ist die Oper, sowohl die Institution als auch das Werk, die Partitur, nicht zu schwerfällig, um mit ihr diese Art politischen Theaters machen zu können?
Letztlich ist immer entscheidend, wie man einen Stoff liest und was man darin findet. Die Elektra hat, wenn man denn bestimmte Textstellen ernst nimmt, einen immensen Aktualitätsbezug. Es geht um die Angst einer zu Unrecht an die Macht gekommenen, von Klytämnestra und Ägisth repräsentierten Herrschaftsschicht, gestürzt zu werden. Beide können kaum mehr schlafen, bewegen sich am Rand der Hysterie und bringen sowohl aus ihrer Angst als auch aus der Sehnsucht heraus, gerade diese Angst zu beruhigen, unentwegt Opfer. Menschen wie Tiere. Der Ort selbst ist ein Ort des Schreckens. "Nur gepresster Atem und Röcheln von Erwürgten" steht im Text. Ich habe das auch so umgesetzt, als einen dieser sowohl mythischen als auch hochmodernen Orte, an denen Menschen gefoltert und umgebracht werden und wo eine außer Kontrolle geratene Herrschaftsschicht sich an keine Regeln mehr hält.
Die Oper also als Ort, an dem Gegenwart verhandelt wird.
Die Oper per se muss sich nicht im ästhetischen Niemandsland abspielen. Natürlich kann sie sich mit dem Heute auseinandersetzen. Oft entscheidet da mehr die Haltung des Regisseurs als eine allzu konkrete Aktualisierung. Zum Beispiel, wie man seine Sänger führt. Ob man sie sich wie Menschen von heute bewegen lässt, ob man sie als griechischen Gott denkt oder als einen modernen Machtpolitiker.
Spüren Sie bei einer fast 100 Jahre alten Oper wie "Elektra" von Richard Strauss einen größeren Widerstand, sie in Ihrem Sinn, also politisch, auf das Heute hin zielend zu inszenieren als bei einem neuen Stück, das Sie uraufführen?
Ich spüre einen größeren Widerstand. Aber ich möchte das nicht negativ beschreiben. Denn zunächst liefert ein alter Stoff natürlich auch eine starke Substanz. Der Stoff bleibt vorhanden, auch wenn er durch meine Sichtweise gefiltert wird. Er wehrt sich auch an manchen Stellen, aber das ist kein Nachteil. Es geht mir darum, auf der einen Seite dem Stoff gerecht zu werden, und auf der anderen, ihn heute zu erzählen. Damit er eben nichts Museales wird, sondern für die Zuschauer erkennbar bleibt, dass er etwas mit ihrem Leben heute, mit ihrer Welt zu tun hat.
Worin unterscheidet sich Ihre Arbeit als Opernregisseur denn von der des Schauspielregisseurs?
Die Struktur einer Oper ist eine andere. Die Sänger sind an die Musik, an den Dirigenten gebunden. Ich muss immer mitdenken, dass das, was sie spielen, auch mit dem zusammengeht, was sie singen. Das ist aber nicht nur eine Limitierung. Die Musik ist auch ein Partner, die Musik evoziert Bilder, die ich sichtbar machen kann. Über die Musik kann die Oper eine viel größere emotionale Kraft entwickeln als das Schauspiel. Der Unterschied in der Herangehensweise ist für mich aber nicht so groß: Ich rede mit den Sängern genauso über ihre Figuren, über den Inhalt, über das, was mich politisch an einem Text interessiert, wie mit meinen Schauspielern. Ich habe auch mit einer Leseprobe angefangen, weil mir bei dieser Oper der Text und seine Deutung besonders wichtig waren. Oper ermöglicht eine größere Form. Gerade bei Richard Strauss sind die Stimmen, ist das Orchester so kraftvoll, das kommt ganz anders daher als eine feine Textarbeit mit vier Schauspielern. Da kann man natürlich viel wuchtiger sein, im Bühnenbild etwa, aber auch in der Spielweise. Die Bilder sind martialischer.
Gerade haben Sie in Salzburg Tschechows "Möwe" inszeniert, nun an der Oper Frankfurt die "Elektra". Erobern Sie sich so langsam das bürgerliche Terrain?
Jetzt kommt auch noch das Burgtheater.
Der Gang durch die Institutionen, und am Ende wird man Außenminister.
Und führt Krieg. Das ist ein harter Vergleich. Wir Künstler haben nicht so viel Macht. Ohnehin ist das mehr Zufall als bewusste Karriereplanung. Und überhaupt: Ist die Oper Frankfurt das bürgerliche Terrain? Ich hoffe doch nicht.
Interview: Tim Gorbauch
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Dokument erstellt am 30.09.2004 um 16:36:01 Uhr
Erscheinungsdatum 01.10.2004 |
Falk Richter , 1969 in Hamburg geboren, gilt als einer der wichtigsten Vertreter eines jungen politischen Theaters und arbeitet als Dramatiker und Regisseur. Zunächst zählte er mit Stücken wie "Gott ist ein DJ" oder "Kult! Geschichte für eine virtuelle Generation" als Exponent der Popkultur, womit er nie einverstanden war. Von 2000 bis 2003 war er unter Christoph Marthaler Hausregisseur am Schauspielhaus Zürich. Zuletzt entwarf er für die Berliner Schaubühne einen vierteiligen Zyklus, "Das System", der entschieden die gegenwärtige Gesellschaft ins Visier nimmt (im Verlag Theater der Zeit erscheint dazu dieser Tage ein Buch - Falk Richter "Das System. Materialien. Gespräche. Textfassungen").
An der Oper Frankfurt hat am Samstag seine Inszenierung von Strauss' "Elektra" Premiere. gor |