Allgemeine Zeitung
27.08.2004

Die Feuerprobe des unbequemen Mahners
Szenische Aufführung des dramatischen "Elias"-Oratoriums von Felix Mendelssohn-Bartholdy

Von Jan-Geert Wolff

Als 1846 das Oratorium "Elias" von Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809-1847) in Birmingham seine triumphale Uraufführung erlebte, wirkten fast 400 Musiker mit. In opernhafter Schärfe und hochdramatisch wurde damals die biblische Geschichte wiedergegeben. Aber auf das, was man sonst von einem Oratorium gewohnt war, nämlich erzählende Rezitative und erbauliche Choräle, verzichtete Mendelssohn und konfrontierte den Zuhörer schonungslos mit der grausamen alttestamentarischen Historie.

"Ich hatte mir eigentlich beim Elias einen rechten durch und durch Propheten gedacht, wie wir ihn etwa heut' zu Tage wieder brauchen könnten, stark, eifrig, auch wohl bös' und zornig und finster, im Gegensatz zum Hofgesindel und Volksgesindel, und fast zur ganzen Welt im Gegensatz, und doch getragen wie von Engelsflügeln", stellte sich Mendelssohn seinen Elias 1838 vor, dem er nach "Paulus" sein zweites Oratorium widmete.

Die Züge, die er seinem Helden gab, erwarteten die Zeitgenossen wohl auch vom Komponisten selbst und seiner persönlichen, gleichermaßen geschmeidigen wie hochdramatischen Tonsprache: ein Neuerer der geistlichen Tonkunst zu sein und das elende "Tönegetändel" der namenlosen Zeitgenossen abzustellen. Und Mendelssohn erfüllte die Erwartungen: Mit seinem "Elias" schuf er das romantische Vorzeigeexemplar der Gattung. Im Rückgriff auf die Leipziger Bach- und englische Händel- und Haydn-Tradition huldigte er dem Zeitgeschmack.

Das Oratorium war ein Auftragswerk des "Birmingham Music Festivals", an dem Mendelssohn zehn Jahre arbeitete.

Im Mittelpunkt steht die Gestalt des Propheten Elias, strafender Prophet des Alten Testaments, der zwischen 874 und 852 vor Christus als radikaler Hüter des Glaubens waltet und Jahwe als den alleinigen Gott Israels sieht. Da das Land jedoch in die Hände der Baal-Priester zu geraten droht und selbst Ahab, der König der Israeliten, den heidnischen Vegetationsgott verehrt, sieht sich Elias dazu gezwungen, für Jahwe zu kämpfen und seine Gegner zu ermorden.

Ohne orchestrale Vorbereitung durch eine Ouvertüre beginnt Mendelssohn: Elias prophezeit eine dreijährige Dürre. In verschiedenen Bildern wird die Geschichte erzählt, immer wieder treffend musikalisch ausgeleuchtet. Das bekannte - und als eigenes Chorstück entliehene - Doppelquartett der himmlischen Boten ("Denn er hat seinen Engeln befohlen") gehört dabei mit seiner zuversichtlichen Sphärenhaftigkeit zum Schönsten, was Mendelssohn geschrieben hat.

Spannungsgeladen ist auch die "Feuerprobe", mit der Elias die Priester Baals auf die Tüchtigkeit ihres Gottes hin prüft: Wessen Holzstoß beim Anrufen des jeweiligen Gottes in Flammen aufgeht, soll als alleiniger Gott verehrt werden. Das fanatische Flehen der Baal-Anhänger bleibt jedoch ohne Folgen, und erst Elias' Gebet zaubert die Flamme hervor. Die Menge tötet die irregeleiteten Priester, und nach der Beschwörung beginnt es zu regnen, was dem Land seine Fruchtbarkeit zurückgibt.

Der zweite Teil beleuchtet die Schattenseiten im Leben Elias': Die Königin hetzt das Volk zum Mord am unbequemen Mahner auf, der nach einer Begegnung mit dem unsichtbaren Gott, dessen Erscheinen sich in Sturm, Erdbeben und Feuer manifestiert, erneut in den Kampf zieht und schließlich in einem feurigen Wagen gen Himmel fährt. Der Schluss kündigt die Ankunft des Messias an, der das Werk Elias' fortführen wird.

Gegenüber dem "Paulus" hat der Komponist im "Elias" das dramatische Element stärker herausgearbeitet und kommentierte sein Werk folgendermaßen: "Bei einem solchen Gegenstand wie Elias [...] muss das Dramatische vorwalten, wie mir scheint - die Leute lebendig, redend und handelnd eingeführt werden, nicht aber, um Gottes Willen, ein Tongemälde daraus entstehen, sondern eine recht anschauliche Welt, wie sie im Alten Testament in jedem Kapitel steht."

Das Oratorium "Elias" birgt zudem auch hochaktuellen Zündstoff: Der Prophet stellt sich einem Zeitgeist entgegen, der eine egozentrische Gesellschaft hervorgebracht hat, die nur noch an das eigene Wohlergehen denkt, korrupte Gottheiten anbetet und in ihrer Masse von Fanatikern manipulierbar geworden ist.

Dass sich eine szenische Aufführung dieses Oratoriums anbietet, liegt also fast auf der Hand, weswegen sich das Staatstheater Mainz - nach Händels "Saul" und Vivaldis "Juditha Triumphans" auf diesem Gebiet mittlerweile versiert - unter der Regie von Jens-Daniel Herzog, der musikalischen Leitung von Catherine Rückwardt und in Zusammenarbeit mit der Mainzer Domkantorei dieses Stoffes annehmen wird.

 

Allgemeine Zeitung
31.03.2005

Prophet kommt auf die Opernbühne
Jens-Daniel Herzog zeigt Mendelssohn Bartholdys Oratorium "Elias" als szenische Fassung

Von Carsten Becker

Den "Elias" von Felix Mendelssohn Bartholdy mal sehr modern zeigt das Staatstheater Mainz in einer Inszenierung von Jens-Daniel Herzog ab kommendem Samstag. Damit bringt das Mainzer Musiktheater nach "Saul" und "Juditha Triumphans" eine weitere szenische Umsetzung eines Oratoriums auf die Bühne.

Fast schon als Revoluzzer wird der alttestamentarische Prophet Elias in der Mainzer Inszenierung zu sehen sein, als Tribun der Unterdrückten auftreten, kündigt Regisseur Jens-Daniel Herzog an. Sein Gegenspieler König Ahab werde zu

Vor der Premiere einem machtbesessenen Politiker der Gegenwart. Das ins Heute transportierte Stück beginne mit dem Ausstieg des "Politikers" Elia. Der Aussteiger, der zuvor beim König angestellt war, verlasse damit ein korruptes System und prophezeie Israel wirtschaftlichen Niedergang.

Die Handlung beruht auf historischen Ereignissen aus dem Israel des neunten vorchristlichen Jahrhunderts. Die Geschichte, im ersten Buch der Könige ab Kapitel 17 überliefert, sei trotz ihres Alters "unerwartet modern", sagt Herzog. "Ich habe die szenische Sprengkraft in der Geschichte gesehen."

Der "hoch konfliktbeladene" Stoff war für den Regisseur, seit 2000 Schauspieldirektor am Nationaltheater Mannheim, damit "theatertauglich" und Grund genug es aufzuführen.

König Ahab fährt einen harten Modernisierungskurs. Der geschichtliche Hintergrund: Durch Heirat der phönizischen Königstochter Isebel, die den Baalskult mit ins Land bringt, weitet Ahab seinen Einfluss aus. Nicht nur die von außen einströmenden Reichtümer in das wirtschaftlich gebeutelte Israel, sondern auch die Einführung des neuen Kultes bringen soziale und religiöse Spannungen, die nach einer anhaltenden Dürreperiode zum Konflikt eskalieren. Hier tritt Elias als Jahwes Prophet und Fürsprecher eines verarmten Volkes auf. Auf Grund seines Glaubens prangert er die regierende Oberschicht an. Die Lage eskaliert, als er die Baalspriester in einer rituellen Anrufung als Betrüger entlarvt. Die aufgeputschte Menge lässt sich nicht mehr unter Kontrolle bringen und massakriert die 450 Baalsanhänger.

Elias wird zum Volkshelden. Seine Genugtuung angesichts des Sieges über Ahab währt nur kurz, wandelt sich in blankes Entsetzen und stürzt den Propheten in eine tiefe Sinnkrise. Zur "Ikone des gewalttätigen Protests" instrumentalisiert, muss Elias erkennen, dass es einen Ausstieg nicht einmal im Tod gibt.

1846 wurde Felix Mendelssohn Bartholdys Oratorium uraufgeführt, nun soll es in Mainz auch seine szenische Kraft entfalten. Bühne und Kostüme hat Mathis Neidhardt gestaltet. In den Hauptrollen sind Hans-Otto Weiß (Elias), Kammersänger Jürgen Rust (Ahab) und Edith Fuhr (Königin Isebel) zu erleben. Die musikalische Leitung hat Generalmusikdirektorin Catherine Rückwardt, es spielt das Philharmonische Orchester des Staatstheaters. Nach dem "Saul" von Intendant Georges Delnon ist zum zweiten Mal nun die Domkantorei St. Martin an einer Aufführung des Staatstheaters maßgeblich beteiligt.


Jens-Daniel Herzog


Die szenische Kraft des Oratoriums "Elias" will Regisseur Jens-Daniel Herzog mit seiner Aufführung auf die Bühne des Großen Hauses bringen. In dieser Probenszene stürzen sich Chormitglieder, die als Volk agieren, auf John Pierce in der Rolle des Obadja.

Fotos: Bettina Müller