Ganzkörperwirbel "La Traviata", "La forza del destino", "Macbeth": die Frankfurter Oper glüht im Verdi-Fieber, das nach der konzertanten Premiere der "Macht des Schicksals" beim Publikum in der kooperierenden Alten Oper hohe Hitzegrade erreichte. Die Begeisterung war begründet: Bernd Loebes ehrgeiziges Haus hatte elf Goldkehlen aufgeboten, der hauseigene Chor - mit Extrachor- ließ an kriegerischer Macht und Pracht wie an klösterlich entrücktem Pianissimo nichts zu wünschen übrig, und das Frankfurter Museumsorchester lief zu Hochform auf. Daß Paolo Carignani bei "seinem" Verdi zu Hause ist, war seinem gestisch konkreten Ganzkörperwirbel anzumerken, der sich als Enthusiasmus auf die Musiker übertrug. Doch zugleich forderte der Generalmusikdirektor seinem Orchester mit unmißverständlichen Impulsen fast unerbittlich ein hochgestecktes Leistungssoll ab. Das Ergebnis überzeugte schon in der Ouvertüre mit farblich, dynamisch und agogisch weitgefächertem Klangpanorama und einer Durchhörbarkeit, die später der Balance mit den Stimmen zugute kam. Ein Beispiel für vokalen Glanz auch in kleinen Rollen bot Magnus Baldvinsson mit rundem, geschmeidigen Bariton als Marchese di Calatrava. Dessen Tochter Leonora sang die Italienerin Alessandra Rezza mit einer metallisch überstrahlten Leuchtkraft, die mit schwindender Lebenskraft im vierten Akt an farbiger Inständigkeit gewann. Betörend verinnerlicht klangen so das Friedensgebet "Pace, Pace" und das Verlöschen unterm Todesstoß durch ihren unversöhnlichen Bruder Carlo. Zeljko Lucic, erst vor wenigen Tagen im Opernhaus als Vater Germont in "La Traviata" gefeiert (F.A.Z. vom 26. April), charakterisierte den Racheteufel mit der nötigen düsteren Wucht. Seinem Freund und späteren Erzfeind, Leonoras Geliebtem Alvuro, lieh Antonello Palombi seinen nicht minder großräumigen Tenor, dessen Gewicht und Stoßkraft durch ein zwar etwas flaches, doch lagentechnisch raffiniertes, plastisch artikuliertes Piano ausgeglichen war. Suggestiv in abgründiger Trauer gelang ihm sein Lebensrückblick "La vita e inferno". Michaela Schuster versprühte mitreißendes Temperament als Zigeunerin Preziosilla, Donato di Stefano faszinierte als derb-komischer Anti-Kriegs-Strafprediger Melitone (aus Schillers "Wallenstein"), Julian Konstantinov gab einen herb-reservierten Franziskanerpater Guardiano. Eine solche konzertante Opernpremiere ist einerseits ein Notbehelf in finanzschwacher Zeit, andererseits ein Nachweis für den akustischen Leistungsstand eines Hauses. Denn da ist kein Verstecken, keine Ablenkung durch Regie und Ausstattung möglich. Zwar ist ein Höhenflug wie bei der "Forza"-Premiere nicht allzeit erreichbar, aber er kann als Meßlatte dienen. Bei Verdis "Forza" wird die Regie durch die verworrene Handlung in kaum durchschaubarer formaler Klitterung zusätzlich behindert. Auch in dieser Hinsicht ist die konzertante Aufbereitung ein gangbarer Ausweg. Doch genau besehen, behält auch dieses "unmögliche Kunstwerk" (Oskar Bie) nachvollziehbare Botschaften: gegen Standesdünkel und Rassendiskriminierung (vertreten durch den Marchese, der die Liebe zwischen seiner Tochter und dem Mestiken Alvaro verbietet und damit die Macht des Schicksals auslöst); wider Rachewahn (Carlo) und zynische Kriegstreiberei (Preziosilla und der chorische Schlachtenhaufen); gegen "das fatale Nebeneinander von Krieg und Kirche, Beten und Hurra-Geschrei in der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts...", das "Neben- und Beieinander von Frivolitäten und Gebet, Hm-ta-ta und Kantilene, Oper, Operette und Revue" (Leo Karl Gerhartz). An die Reflexion über das Absurde wäre auch zu denken - genug Stoff also für einen erfindungsreichen, findigen Regisseur - in nicht allzu ferner Zukunft in Frankfurt? ELLEN KOHLHAAS |
Die Macht der Nummer VON BERNHARD USKE Vielleicht ist es das beste, was dem krausen Opernschauerdrama passieren kann: Die Macht des Schicksals konzertant, vom ersten Schuss an, der sich von selbst aus der Pistole löst. Die Oper Frankfurt lässt das Werk in der Fassung von 1869 in der Alten Oper unter Leitung Paolo Carignanis hören und hat damit die Einschätzung Theodor W. Adornos angesichts einer Inszenierung des Stücks 1928 am gleichen Ort noch überboten. Die schicksalswütige Romantik des Forza-Buchs, so der damals 25-jährige Musikkritiker, "sei in sich bereits so welk, dass zu seiner Beurteilung Marionettendramaturgie allein zuständig wäre". Die fast 80 Jahre alte Rezension ist jetzt im Programmheft der rein akustischen Verdi-Präsentation wieder abgedruckt. Theatralische Sprengkraft sieht Adorno nur noch in einzelnen Arien und Ensembles. Das ist die Macht der Nummer, der einzelnen Auftritte der Sänger, die mal von rechts, mal von links sich neben den Dirigenten stellen. Vokale Sprungbereitschaft Mit einer von artistischer Nervosität grundierten Ouvertüre hatte Paolo Carignani die interpretatorische Linie des Abends festgelegt. In jedem Moment, gleich ob herausdonnernde Wucht oder andächtige Innerlichkeit, war so Anspannung und Verve gegeben. Das Orchester parierte diese Vorgabe mit Hingabe, und auch der von Alessandro Zuppardo geleitete Frankfurter Opernchor war behände dabei, vokale Sprungbereitschaft zu bekunden. Alessandra Rezza besetzte die weibliche Zentralpartie mit einer Donna Leonora, die Ruhe und Ergebenheit in ihrer Gestaltung stark machte. Das konnte um so besser gelingen, als die mittleren und dunklen Registerbereiche ihres Soprans exzellent schwingen, ohne den ebenfalls immer sehr offenen Spitzentönen Kraft und Glanz zu nehmen. Eine in Frankfurt demnächst erfreulicherweise regelmäßig zu hörende Stimme ist die Michaela Schusters (Preziosilla), die auch mimisch eindrücklich war. Die kleineren Partien waren mit Nidia Palacios (Curra), Gérard Lavalle (Alkade), Hans-Jürgen Lazar (Mastro Trabuco), Soon-Won Kang (Chirurg) und Magnus Baldvinsson (Marchese) ideal besetzt. Den hochgesinnten Kleriker sang mit fest grundierter, die Ruhe selbst ausstrahlendem Bass Julian Konstantinov, während sein papageneskes Spiegelbild, der Fra Melitone, von Donato di Stefano plastisch artikuliert wurde. Dass Die Macht des Schicksals schlussendlich "Die Macht der Männer" heißen müsste, machten schon früh an diesem umjubelten Abend Antonello Palombi als der liebende Don Alvaro und Zeljko Lucic als rächender Don Carlos deutlich. Hier waren zwei vokale Kraftwerke in Betrieb, eines mit belcantistischem Tenorschmelz und eines mit baritonaler Strahl- und Durchschlagskraft. Eine vokale Energiequelle im Tandem, die alles andere in den Schatten stellte. Lucic ist seit sieben Jahren Ensemblemitglied, Palombi ist vom kommenden Jahr an ebenfalls am hiesigen Haus verpflichtet: die sängerische Macht von Frankfurt. [ document info ] Dokument erstellt am 28.04.2005 um 17:17:21 Uhr Erscheinungsdatum 29.04.2005 |
Duell mit der Stimme statt mit dem Degen Von Michael Dellith In dramaturgischer Hinsicht ist dieses Werk wahrlich kein Geniestreich: Die unglaubwürdige Handlung verläuft wenig stringent, eher revuehaft stehen die Szenen nebeneinander; auch ein großes Duett wird dem Liebespaar nicht gegönnt. Doch all diese Kritikpunkte schienen an diesem Abend vergessen. Carignani setzte als profunder Verdi-Kenner ganz auf die Kraft der Musik – und in dieser Disziplin mangelt es der "Macht des Schicksal" keineswegs an zündenden Einfällen. Schon in der Ouvertüre, die das Frankfurter Museumsorchester kontrastreich zwischen schmissiger Italianità und weit gespannter Kantabilität anlegte, offenbarte Carignani das dramatische Potenzial der Partitur. Neben dem bestens aufgelegten Orchester und dem von Alessandro Zuppardo famos auf seine vielfältigen Aufgaben vorbereiteten Opernchor stand dem Maestro ein Solisten-Ensemble zur Seite, das bis in die kleinsten Partien Grandezza ausstrahlte. Zeljko Lucic als Don Carlo fand mit seinem prachtvoll geschmiedeten Bariton in Antonello Palombi (Don Alvaro) und dessen standfesten, emphatisch aufblühenden Tenor einen stimmlich ebenbürtigen Kontrahenten, so dass die Duette der beiden Gegenspieler einem atemberaubenden Duell der Vokalkunst glichen. Bei den Damen führte Alessandra Rezza als Donna Leonora ihren für Verdi idealen, mit Edelmetall umrandeten Sopran zu berückenden Höhen (apart ihr Duett mit dem dunkel timbrierten Bass von Julian Konstantinov als Padre Guardiano), während sich Michaela Schuster als Wahrsagerin mit ihrem attraktiven Mezzo in Szene setzte. Dass auch die buffonesken Momente innerhalb des tragischen Geschehens nicht zu kurz kamen, dafür sorgten Donato di Stefano als Franziskanermönch Fra Melitone und Hans-Jürgen Lazar als Maultiertreiber Trabuco. Verdienter Jubel. |
Augenhöhe mit dem Publikum Von Axel Zibulski FRANKFURT Eigentlich müsste die deutsch-italienische Freundschaft jetzt auf einem Höhepunkt angelangt sein: Längst vorbei die Zeiten, als jenseits der Alpen ein subalterner Politiker gegen teutonische Touristen wetterte: Ein Deutscher ist Papst, und aus Rom hört man, dass dort ganz plötzlich Menschen umarmt werden, nur weil ihre Sprache sie als dessen Landsleute ausweist. Und in dieser Zeit transalpin glänzender Völkerverständigung zieht die Oper Frankfurt Giuseppe Verdis "La forza del destino" aus der Schublade! Denn in der "Macht des Schicksals" wird allerorten vom Krieg und von Schlachten auf europäischem Boden gesungen, rasseln die Trommeln, tummeln sich Soldaten. Gezeigt wird dies von der Oper Frankfurt allerdings nicht, führt man Verdis Vierakter doch konzertant in Koproduktion mit der Alten Oper auf. Ein leidlich kruder Stoff: Nachdem sich ganz zufällig aus der Pistole des in flagranti erwischten Liebhabers eines Marchese-Töchterleins ein Schuss gelöst hat, der den Vater schicksalhaft niederstreckt, macht sich dessen Sohn auf zur rächenden Rettung der Familienehre, will Schwester wie Liebhaber meucheln, trifft irgendwo im Kriegsgetümmel auch den vermeintlichen Mörder. Selbst die unglückselige Tochter, zwischenzeitlich unter Mönchen abgestiegen, wird dort wie zufällig aufgestöbert. Wo so viel Schicksalsmacht waltet, können natürlich weder Tochter noch Sohn überleben. Schon diese Handlungskonstruktionen genügen eigentlich, von einer szenischen Aufführung der Oper besser abzusehen. Doch in Frankfurt gibt es dafür noch einen anderen, ganz positiven Grund: Mit Paolo Carignani ist dort ein in Sachen Verdi bestens erfahrener Dirigent als Generalmusikdirektor tätig, unter dessen Leitung das Museumsorchester zur konzertanten Aufführung gerne auch einmal auf Augenhöhe mit den Zuhörern rücken darf. Mag das Schlagwerk nicht nur in der Ouvertüre plakativ lärmen: Wie sich Carignani um Streicherschmelz und exakte Sängerbegleitung bemüht, bleibt äußerst beachtlich. Und die Solisten lassen, jedenfalls in der Wahrnehmung des auch zu zahlreichem Zwischenapplaus bereiten Publikums, den Abend in der Alten Oper zu einer Art Sängerfest werden. Tatsächlich hört man mit Zeljko Lucic als Vatermord-Rächer Carlos einen Bariton, der strahlende Kraftentfaltung ideal mit sauber gesungenen, lyrisch-innehaltenden Momenten zu verbinden versteht. Tenor Antonello Palombi bietet als Liebhaber Alvaro metallisch-feste Höhen, in die er sich nur vereinzelt gestemmt vorarbeiten muss; manchen Schluchzer könnte er sich allerdings abgewöhnen. Alessandra Rezza hat als Tochter Leonora während des ausgedehnten dritten Akts eine lange Auszeit, nach der ihre zunächst recht spröde, wenngleich großvolumig klingende Stimme angenehm entspannt wirkt, denn ihr "Pace, pace, mio Dio" tönt im Finalakt auch in innigen Gefilden glaubhaft. Furios der Auftritt von Michaela Schuster als Preziosilla. Dank der guten Ensemble-Pflege kann man sich in Frankfurt nicht zuletzt darauf verlassen, dass auch die kleineren Partien so zuverlässig besetzt sind wie der von Alessandro Zuppardo einstudierte Chor klingt. Nur mit den schroffen Vokalansätzen von Julian Konstantinov als Pater Guardiano möchte man sich nicht ganz zufrieden geben. Aber ansonsten stellte diese "Macht des Schicksals" die ganz freundschaftliche Frankfurter Leistungsfähigkeit in Sachen italienischer Oper bestens zur Schau. |