Flegel und Hausdrache VON ANNETTE BECKER Die Frau wirft keinen Schatten, der Kaiser muss versteinern. So klagt der rote Falke, so einfach scheint das. Aber nicht für Christof Nel. Für seine Frankfurter Inszenierung von Richard Strauss' Die Frau ohne Schatten im Februar 2003 entfernte sich der Regisseur weit von Märchenpomp und platter Polarisierung, gönnte allen Figuren eine plausible psychologische Entwicklung, dezent unterstützt von Jens Kilians asketischem Betoncontainer-Bühnenbild. Am Pult stand damals auch schon Sebastian Weigle, ehemals Hornist und erfolgreicher Quereinsteiger im Dirigentenfach. Inszenierung und Interpretation ernteten höchstes Lob, inspirierten unter anderem die Zeitschrift Opernwelt zur Auszeichnung der Frankfurter Oper als "Opernhaus des Jahres 2003" und zur Ernennung Weigles zum "Dirigenten des Jahres 2003". Dass nun auch die Premiere der Wiederaufnahme sehr positiv aufgenommen wurde, lag jedoch nicht nur an diesen Vorschusslorbeeren. Denn wieder überzeugten die Sängerinnen und Sänger mit unglaublicher stimmlicher wie darstellerischer Kraft in den zumeist konstant gebliebenen, nach wie vor überaus glücklichen Besetzungen. Wieder verwandelt sich Silvana Dussmann als kindliche Kaiserin vom struppigen Girlie im weißen Rüschenröckchen (Kostüme: Ilse Welter) zur verantwortungsbewusst handelnden Frau. Wieder ist Stuart Skelton als Kaiser zunächst ein tapsig-verspielter Flegel und erst nach seiner Erlösung ein einigermaßen erwachsener Mensch. Parallel vollzieht sich der allmähliche Abstieg der dämonischen Amme alias Julia Juon von einer suffragettenähnlichen Machtfigur zu einem zerzausten und zunehmend panischen Hausdrachen. Dass man so überhaupt nicht verstehen mag, warum Terje Stansvold in der Rolle des gutmütigen Färbers Barak seine unzufriedene Frau mit solcher Engelsgeduld erträgt, ist vor allem Luana de Vol zu verdanken, der imposanten Neubesetzung in der Rolle der jungen Färberin, die sich von ihrem Leben und ihrer Ehe mehr erhofft hat und ihren Gatten das deutlich spüren lässt, bis auch sie sich mit ihrem Schicksal aussöhnt. Simon Bailey debütierte als Geisterbote, wirkte allerdings leider oft überraschend zurückhaltend. Überzeugend besetzt waren die kleineren Rollen, ausgezeichnet vorbereitet der Chor, einstudiert von Alessandro Zuppardo. Glänzend präsentierte sich das Opern- und Museumsorchester, von der feinsten kammermusikalischen Kommunikation über die raffinierten Mischklänge der Bläser bis zum gewaltigen Tutti, alles von Sebastian Weigle mit großer Ruhe gesteuert und selbst in extremster Dynamik noch transparent. So großartig wird hier musiziert, dass man den penetranten Mutterschaftskult der Hoffmansthalschen Handlung glatt vergessen kann. [ document info ] Dokument erstellt am 10.01.2005 um 18:28:13 Uhr Erscheinungsdatum 11.01.2005 |
Großer Premierenjubel an der Oper Frankfurt: Unter der musikalischen Leitung von Sebastian Weigle stand jetzt die Wiederaufnahme der Richard-Strauss-Oper Die Frau ohne Schatten auf dem Programm. Weigle hatte schon die Premiere am 2. Februar 2003 geleitet und war für diese Leistung vom Magazin "Opernwelt" zum "Dirigenten des Jahres" gekürt worden. Auch jetzt gelang es ihm wieder, den verblüffenden Facettenreichtum der Strauss'schen Partitur zwischen den Polen eines hochdramatischen Expressionismus und kammermusikalisch entrückter Traumwelt rückhaltlos zu entfalten. Das Frankfurter Museumsorchester spielte in Hochform und hielt mehr als vier Stunden lang die Spannung im Dienste einer musikalischen Entwicklung von Wagnerscher Dimension. Aber auch Christof Nels alles Märchenhafte zurückdrängende Inszenierung - zugunsten einer das Albtraumhafte der menschlichen Existenz deutlicher ausstellenden Sichtweise - wurde vom Publikum einhellig begrüßt. Im homogenen, das mehrstündige Dauer-Espressivo mühelos bewältigenden Sängerensemble waren nur die Partien der Färberin und des Geisterboten (Simon Bailey) neu besetzt. Luana DeVol gestaltet die anspruchsvolle Rolle der Färbersfrau mit der ungebrochenen Kraft ihres so dramatischen wie modulationsfähigen Soprans. Stuart Skelton und Silvana Dussmann (...) als Herrscherpaar sowie Julia Juon als Amme und Terje Stensvold in der Rolle des Färbers Barak standen dem in der Intensität ihrer stimmlichen und darstellerischen Gestaltung nicht nach. Die zahlreichen Nebenrollen waren adäquat besetzt. HARALD BUDWEG |
Im Orchester glüht die Leidenschaft Ein schwieriges Stück und mit seiner überfrachteten Symbolik als "Hohelied auf das Wunder menschlicher Wandelbarkeit" gewiss nicht jedermanns Sache. Die Frankfurter Aufführung aber wird zu einer Art Lehrstück über die alles mitreißende Kraft großer Oper. Unter Sebastian Weigles zwingender Leitung und mit einem sensationellen Ensemble scheinen sich Fragen und Zweifel zwar nicht zu lösen, aber sie erhalten in den Kräften leidenschaftlichen Ausdrucks eine Basis, auf der man wohl gerechter urteilt. Nels unaufwendige, psychologisch geschickt verrätselte Regie im drehenden Bühnenbild von Jens Kilian trägt das Ihre dazu bei. Sebastian Weigle, nunmehr GMD am berühmten Liceu in Barcelona, dirigiert das mit glühender Intensität spielende Opernorchester. Er ist die alles treibende Kraft – in überwältigenden Steigerungen, in der unerbittlichen Schärfe der Ballungen, der Prägnanz der Stimmen, aber auch in der lyrischen Versenkung, die nichts Gemütvolles, sondern nur Wahrheit kennt (wie etwa die Wächterstimmen von Franz Mayer, Simon Bailey, der auch ein markanter Geisterbote ist, und Yan-Lei Chen am Ende des 1. Aktes). Die musikalische "Sternstunde" dieser Aufführung wird durch das fabelhafte Solistenensemble vollendet, in dem die fünf großen Partien wunderbarerweise gleichwertig besetzt waren: Silvana Dussmann und – eine Spur blasser – Stuart Skelton als Kaiserin und Kaiser, Luana DeVol (kürzlich noch mit Dresden als Brünnhilde in der Alten Oper) als Färberin und Terje Stensvolds als ergreifender Barak, dazu Julia Juon als hinreißende Amme zwischen Unwirklichkeit und Alt-Jungferntum. Alles Sängerinnen und Sänger mit ebenso viel vokaler Substanz wie Ausstrahlung, also gestalterischer Präsenz, die Damen dazu auch in den mörderisch hohen Registern ohne Schärfen und nie lastend. Begeisterung schon nach den Pausen, ein brausender Bravo-Sturm nach dem Finale. (jö) |
Geisterspuk belebt tristen Plattenbau "Frau ohne Schatten" wieder in Frankfurt Frankfurt und Richard Strauss: Das entwickelt sich zu einer intensiven Beziehung. Nach der "Elektra" hielt jetzt die 1919 uraufgeführte "Frau ohne Schatten", Wiederaufnahme der Nel-Inszenierung vom Februar 2003, abendfüllend gefangen. Nutzt Christof Nel in diesem komplexen Bühnenmärchen zwischen Geisterreich und Menschenwelt eine Art phantastischen Realismus, so lässt er den Protagonisten dennoch an der Rampe Zeit fürs tiefe Eintauchen ins jeweilige Hochgefühl. Satter klanglicher Zauber ist vor allem Sache des Frankfurter Museumsorchesters, das wieder von Sebastian Weigle befeuert wird, jetzt Generalmusikdirektor am Gran Teatre del Liceu Barcelona, der mit den Strauss-vertrauten Gesangssolisten maßgeblich für viereinhalbstündige Hochspannung sorgt: am Sonntagabend belohnt von Bravos und donnerndem Beifall. Hugo von Hofmannsthals Verse (auf dem Textband in lichter Bühnenhöhe zu verfolgen) wuchern ebenso wundersam wie die Musik. Sie erzählen von der Tochter eines Geisterfürsten, die der Kaiser in Gestalt einer Gazelle erjagt und zu seiner Frau macht. Doch zur Menschwerdung fehlt der Kaiserin noch eine Schwangerschaft, jener "Schatten", den sie binnen dreier Tage werfen muss, sonst versteinert ihr Gatte. Voller Angst will sie eine arme Färberin überreden, ihren "Schatten" zu verkaufen, erkennt indes, was sie für Leid über das Färberpaar bringt und verzichtet. So sich letztlich von ihrem als übergroßer Schatten präsenten Vater lossagend, erlangt sie - wie die Färbersleute - Erlösung. Geistersphäre innen, Menschenwelt außen: Nels Szene mit den für ihn typischen tristen Plattenbauten (Ausstattung: Jens Kilian, die zeitlosen, in ihrer Zusammenstellung originellen Kostüme stammen von Ilse Welter) bringen allenfalls Masken spukhafte Unordnung. Hochemotionales wird hier von trivialen Verrichtungen entschärft. Der Kaiser wirkt wie ein Frankfurter Lude: Stuart Skeltons blendender Tenor bringt freilich die erstaunliche charakterliche Wandlung gut rüber. Auch stimmlich unbeugsam und empfindsam insistierend: Sopranistin Silvana Dussmann. Neu in diesem Strauss-Ensemble ist Luana DeVol, die Bayreuther Ex-Brünnhilde. Als hin- und hergerissene, biedere Färbersfrau gebietet sie über einen tragfähigen, glühend expressiven Sopran. Druckvoll auch der Mezzo von Julia Juon, erneut die trickreiche Amme, ein Unruhe-Geist in Kittelschürze. Während der leidensfähige Bariton des Terje Stensvold als baritonal warmherziger Färber wieder ebenso Sympathiepunkte einfährt wie der Rest des typengenau agierenden Ensembles, dazu ein affektreich agierender Chor (Alessandro Zuppardo). Fürs Frankfurter Dirigat der "Frau ohne Schatten" ist Weigle als Dirigent des Jahres 2003 erwählt worden. Das beflügelt - selten hat man die vielen Ebenen der Strauss-Musik so druckvoll erlebt - vom rabenschwarzen Höllenspuk mit schrillem Pfiff bis zum süchtig machenden milden Abgesang, zu dem Nel ruhige, stimmige Bilder fand. Das Opernjahr in Frankfurt fängt gut an! KLAUS ACKERMANN |