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Ein Kindesmord aus Liebe Von Birgit Popp Die 1904 in Brünn uraufgeführte "Jenufa" ist eines der berührendsten und packendsten Werke der Operngeschichte. In Frankfurt wird sie in der tschechischen Originalsprache gegeben. "Eine Besonderheit an Janáceks Musikschaffen ist seine intensive Beschäftigung mit der Sprachmelodie des in Mähren gesprochenen Idioms, die er in seine Kompositionen einfließen ließ und als ‚Fenster zur menschlichen Seele‘ beschrieb", zitiert der in Mainz geborene und heute in Berlin und München lebende Regisseur Tilman Knabe den Komponisten. "So hat sich Janácek auch sehr intensiv mit dem Liedgut seiner Heimat beschäftigt und eine Sammlung von mehr als 100 Volksliedern angelegt", weiß Knabe, der die Frankfurter "Jenufa" inszeniert. "Die Themen von Janáceks Oper sind zeitlos: das Handeln unter dem Druck der Gesellschaft, aber auch Liebe, Eifersucht, der Wert der äußeren Schönheit, Mord aus Verzweiflung, innere Werte, Erhalten des Scheins und Doppelmoral kommen darin vor", so Knabe. "Für mich ist ‚Jenufa‘ eine Tragödie von fast griechisch-antikem Ausmaß, übertragen in ein katholisch-bäuerliches Milieu. Eine bis heute gültige Parabel." In dem Theaterstück "Její pastorkyna" ("Ihre Ziehtochter") von Gabriela Preissová, das Leoš Janácek (1854–1928) sofort ergriff, als er es 1892 zum ersten Mal sah, ertränkt die Küsterin, die eigentliche Hauptperson, das von ihrer Ziehtochter Jenufa unehelich und heimlich geborene Baby, um deren Ehre zu retten. Vom Kindsvater Števa verlassen, findet Jenufa Halt bei dessen Halbbruder Laca, obwohl dieser sie, als sie noch die Braut Števas war, aus Eifersucht mit dem Messer entstellte. Die Kinderleiche wird am Hochzeitstag von Jenufa und Laca entdeckt und Jenufa des Mordes bezichtigt. Die aufgebrachte Menge will sie steinigen. Daraufhin gesteht die Küsterin die Tat. Jenufa erkennt, dass diese nur aus Liebe gehandelt hat und vergibt ihr, wie sie schon Laca verziehen hat. Er hält weiterhin an Jenufa fest und gesteht ihr seine aufrichtige Liebe. Das Schlussduett verheißt eine positive, gemeinsame Zukunft. "Musikalisch schweben Jenufa und Laca am Ende auf Wolke sieben. Eine tiefe Liebe zueinander empfindend, die weit über die sexuelle Liebe hinausgeht. Ein starkes Gefühl von Zusammengehörigkeit und gegenseitigem Verständnis. Ein humanistischer Schluss", sagt Knabe. "Ich habe mich in meiner Arbeit hundertprozentig auf die Regieanweisungen von Janácek eingelassen. In diesem Werk halte ich sie für besonders wichtig, denn Janácek hat wie für ein Schauspiel gearbeitet und mit seinen Anweisungen den Figuren Leben eingehaucht. Für mich ist ‚Jenufa‘ mit einem Werk von Ibsen oder Strindberg vergleichbar", so Knabe, für den "Jenufa" nach Schuberts "Fierrabras" die zweite Regiearbeit an der Oper Frankfurt ist. Die Küsterin, die aus Liebe zu ihrer Stieftochter zur Kindesmörderin wird, gibt die seit ihrer Ensemblezeit am Hessischen Staatstheater Anfang der 80er Jahre in Wiesbaden beheimatete Nadine Secunde. Für die amerikanische Sopranistin, die sich weltweit im dramatischen und hochdramatischen Fach mit Rollen wie Sieglinde, Chrysothemis, Elisabeth, Elsa, Isolde und Elektra einen Namen gemacht hat und Ende der 80er bis Mitte der 90er Jahre im Harry-Kupfer-Ring in Bayreuth auf der Bühne stand, wird die Küsterin sowohl ein Rollen- als auch ein Hausdebüt sein. "Für mich ist die Küsterin eine Traumpartie, bei der es nicht nur auf die stimmlichen, sondern auch auf die schauspielerischen Qualitäten ankommt", ist die Sopranistin überzeugt. "In die Rolle kann ich mich sehr gut versetzen. Die Küsterin will ja nur das Beste für ihre Ziehtochter, als sie die Heirat mit Števa verschiebt, nachdem dieser betrunken von der Musterung zurückkommt. Sie handelt aus der Angst heraus, Jenufa könnte in einer genauso unglücklichen und brutalen Ehe landen wie sie einst selbst. Aus Angst, dass Jenufa keinen Mann mehr bekommen würde, ertränkt sie schließlich auch deren Kind. Diesen gesellschaftlichen Druck kann ich sehr gut nachempfinden. Aber ich möchte mich nicht zu oft in die Gedankenwelt der Küsterin versetzen, denn es ist eine Seelenlandschaft, in die man nicht gerne geht", sagt die Mutter einer 16-jährigen Tochter und eines 14-jährigen Sohnes. "In unserer Interpretation ist die Küsterin eine Frau, die zwar hart ist, aber kein Monster. Eine Frau, die selbst sehr stark verletzt wurde und gelitten hat und Jenufa vor allem beschützen möchte. Jenufa ist ja auch nicht nur lieb. Sie hat ihren eigenen Kopf und Willen und versteht auch gar nicht, wovon die Ziehmutter spricht, denn sie besitzt nicht deren Erfahrungen. Sie weiß, dass sie schwanger ist und dass sie Števa heiraten will. Manchmal hat sie einen Blick nach dem Motto ‚Was willst Du eigentlich?‘ – den kenne ich nur zu gut von meinen Kindern", so die Sängerin über ihre Partie weiter. Die musikalische Leitung der Neuproduktion liegt bei Shao-Chia Lü, dem Generalmusikdirektor der Staatsoper Hannover. Jenufa und Laca verkörpern die Frankfurter Ensemblemitglieder Ann-Marie Backlund und Stuart Skelton. June Card ist in der Partie der alten Buryja zu erleben, Yves Saelens als Števa. |