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stand: 04.05.2005

Oper Frankfurt, 22. Mai 2005
"Macbeth" von Giuseppe Verdi

Bei der Uraufführung des Macbeth 1847 in Florenz konnte das Publikum wenig mit der Oper anfangen. Verdi hatte hier erstmals die Kompositionsmuster der traditionellen Nummernoper hinter sich gelassen und den Weg zur „durchkomponierten" Form eingeschlagen.

Diesen Weg ging er achtzehn Jahre später noch konsequenter, als er den Auftrag einer Umarbeitung des Werkes für Paris erhielt. Jene Fassung des Macbeth wurde schließlich 1865 erstmals herausgebracht und liegt der Neuproduktion der Oper Frankfurt zugrunde.

Angetrieben von seiner machtgierigen Ehefrau erlangt der ehrgeizige Feldherr Macbeth durch die Ermordung des rechtmäßigen Herrschers die Krone Schottlands. Doch findet er durch seine Gegner den Tod auf dem Schlachtfeld, Lady Macbeth – geplagt von ihrem schlechten Gewissen – stirbt im Wahnsinn.

Besetzung

Die musikalische Leitung der Neuproduktion liegt bei Generalmusikdirektor Paolo Carignani, der in dieser Saison neben seinen Frankfurter Aufgaben als Gast in Zürich, Brüssel, Tokio und Berlin dirigiert.

Seit mehreren Spielzeiten hält der spanische Regisseur Calixto Bieito die europäische Theaterszene in Atem und kehrt nun nach Massenets Manon (2002/03) zurück nach Frankfurt. Kurz zuvor sorgte er mit seiner umstrittenen Sicht auf Mozarts Entführung in Berlin und das Verismo-Doppel Cavalleria rusticana/I Pagliacci in Hannover für Aufsehen.

Trotz zukünftiger Verpflichtungen in London und New York bleibt Ensemblemitglied Zeljko Lucic (Macbeth) der Oper Frankfurt mit einem zweifachen Rollendebüt treu: Während der Proben für Macbeth singt er den Don Carlo in Verdis La forza del destino (konzertant) in der Alten Oper.

Das kurzfristiges Einspringen der Amerikanerin Caroline Whisnant als Probencover für Susan Bullocks Elektra machte letzte Saison großen Eindruck in Frankfurt und zieht nun ihr Hausdebüt als Lady Macbeth nach sich. Die Sängerin ist fest am Nationaltheater Mannheim engagiert und wird zudem die Brünnhilden im neuen Karlsruher Ring übernehmen. Als Macduff kehrt der schwedische Tenor Mathias Zachariassen nach Frankfurt zurück, wo er bereits als Tamino in der Zauberflöte und Alfredo in Traviata erfolgreich war. Die Kammerfrau der Lady Macbeth übernimmt die Georgierin Lina Tetruashvili. Die weiteren Partien sind mit Ensemblemitgliedern und Chorsolisten der Oper Frankfurt besetzt.

 

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stand: 21.05.2005

Oper Frankfurt, 22. Mai 2005
Macbeth als durchgeknallter Banker
Skandalregisseur Calixto Bieto inszeniert an der Frankfurter Oper

Der spanische Regisseur Calixto Bieto ist immer für eine Provokation gut. Seine Inszenierungen spalten das Publikum. Jetzt inszeniert er Verdis „Macbeth" an der Frankfurter Oper.

Wo er auftaucht, gibt es Skandale. Der Katalane: Calixto Bieito, Regisseur mit Vorliebe für Sex and crime. Er sorgt für Wirbel, jetzt auch in Frankfurt. Eingefahrene Sichtweisen will er umstürzen.

Calixto Bieito: „Ich habe es oft erlebt, dass das Opernpublikum überhaupt keine Ahnung von den Stücken hat; sie interessieren sich nur für die Musik, die sie von Schallplatten kennen oder sie haben irgendwelche Klischees im Kopf von Theater-Aufführungen der letzten 50 Jahre. Und das hat überhaupt nichts zu tun mit den Stücken, das ist der absolute Gegensatz zu dem, wie die Stücke wirklich sind."

Bieito arbeitet immer unter Hochspannung, voller Energie. Verdis Opernkrimi „Macbeth" soll den Zuschauern unter die Haut gehen: "Zu diesem „Macbeth" wurde ich inspiriert von dem Film „Der Würgeengel" von Luis Bunuel. In diesem Film gibt es auch so eine Bourgeoisie, eine große Gesellschaft, die eingeschlossen ist in einem Palast, sie können nicht raus. Dann gerät alles aus den Fugen und sie fangen an, zu töten und zu lieben."

Der Regisseur verlegt die Handlung aus dem Schottland des Mittelalters in die Welt der Banken. Die zeigt er als eine geschlossene Gesellschaft, bar jeder Moral. Mord und Vergewaltigung stehen auf der Tagesordnung. Auf dem Weg zu Macht und Geld schrecken sie vor nichts zurück. Im Mittelpunkt: Macbeth, ein durchgeknallter Banker, den nichts mehr aufhalten kann.

Calixto Bieito: „Ich mache da keine tiefschürfende Analyse des Wirtschaftslebens oder der Banken, denn ich hab davon überhaupt keine Ahnung; ich kann noch nicht mal mit dem eigenen Geld umgehen, ein Desaster....Schauen Sie mal, das sieht doch richtig mittelalterlich aus, diese Flaggen da, wie vor einer Burg. Und schauen Sie dieses Gebäude da, was ist es? Ah, die Deutsche Bank, das sieht fantastisch aus, wie eine Burg.

Ja und manchmal sehen sie da Leute rauskommen, mit einem Starbucks Kaffee in der Hand – und da kann man sich doch gut einen Amoklauf vorstellen... eines der Angestellten und seiner ehrgeizigen Frau, die unbedingt will, daß er Präsident der Bank wird."

Der Albtraum auf der Bühne: Angestachelt von seiner Frau zieht Macbeth dem Bankpräsidenten Duncan eine Flasche über den Kopf. Auf dem Weg zur Macht geht er über Leichen. „In der Oper", sagt Bieito, „muß sich die Gewalt der Gesellschaft spiegeln."

Calixto Bieito: „Das Thema der Gewalt - das ist doch allgegenwärtig im wirklichen Leben. Und das 20. Jahrhundert war vielleicht das gewalttätigste Jahrhundert der gesamten Menschheitsgeschichte. Mit Sicherheit haben wir das noch in unseren Köpfen."

Bieito provoziert. Er will in aller Deutlichkeit zeigen, wie ein Mord wirklich aussieht. Der Zuschauer soll sich erschrecken. Da spritzt das Theaterblut, wenn mit dem Korkenzieher die Halsschlagader angebohrt wird. Der Mord am Bankpräsidenten ist nur eine der drastischen Szenen, mit denen Bieito seine Inszenierung garniert.

Calixto Bieito: „Das einzige was wir nicht dürfen ist: langweilen. Du sollst nicht langweilen."

„Die Oper braucht", sagt Bieito, „eine Erneuerung. Jeder Regisseur hat die verdammte Pflicht, eine wirklich neue Lesart der klassischen Werke auf die Bühne zu bringen."

Das wird nicht jedem Zuschauer gefallen. Man kann wieder streiten – über Oper. Und das ist gut so.

Bericht: Manfred Scheyko

 

Frankfurter Neue Presse
13.05.2005

Jeder Machtkampf ist auch ein Todeskampf
Am 22. Mai hat in der Frankfurter Oper Verdis "Macbeth" Premiere.
Regie: Calixto Bieto. Musikalische Leitung: Paolo Carignani.

Von Birgit Popp

Nach "Macbeth" von Salvatore Sciarrino im Dezember 2002 und "Macbeth" von Bloch im Oktober 2004 hat nun mit Verdis "Macbeth" die dritte und bekannteste Opernfassung des Shakespeare-Stoffes Premiere. Die 1847 in Florenz uraufgeführte Oper um den schottischen Feldherrn Macbeth (Bariton), dem die Hexen seine Zukunft als König ebenso voraussagen wie seinen Tod, und der von der Machtgier seiner Frau Lady Macbeth (Sopran) zum Königsmord getrieben wird und danach immer weiter mordet, um seine Macht zu erhalten, bis er von Macduff (Tenor) getötet wird, war ein Meilenstein in der Operngeschichte. Erstmals maß Verdi der Dramaturgie eine herausragende Bedeutung zu und überwand die Struktur einer Nummernoper, was noch deutlicher in der überarbeiteten Fassung von 1865 wird, die der Frankfurter Neuinszenierung zu Grunde liegt. Die musikalische Leitung obliegt dem Frankfurter Generalmusikdirektor Paolo Carignani, der sich soeben als Dirigent der konzertanten Aufführungen von "La forza del destino" an der Alten Oper einmal mehr als Verdi-Kenner hervorgetan hat. Für die szenische Ausarbeitung ist der Katalane Calixto Bieito verantwortlich, der in Frankfurt bereits "Manon" inszeniert hat, die zwar weniger provokant war als es Bieitos Ruf hätte erwarten lassen können, aber dies mag sich nun bei "Macbeth" ändern.

Verdis "Macbeth" ist auch eine wichtige Partie in der steilen Karriere von Zeljko Lucic, für den dies bereits seine dritte Rolle in dieser Saison an der Oper Frankfurt ist: Zu Beginn der Saison 2004/2005 verkörperte er die Titelpartie in "Nabucco", Ende April sang er den Don Carlo di Vargas in "La forza del destino". Der in Jugoslawien geborene 37-jährige Bariton, der seit 1998 Ensemblemitglied der Frankfurter Oper ist, sagt: "Verdi ist das Zentrum meines Schaffens. Er hat großartige Partien für den Bariton geschrieben und ist ohne Frage mein Lieblingskomponist. Mein Ziel ist es, möglichst alle wichtigen Baritonpartien Verdis in meinem Repertoire zu haben." Das hat auch seinen Grund: "Ich liebe die langen Phrasen und Bögen in Verdis Musik. Sie liegen mir ganz besonders. An Verdi fasziniert mich, dass die führende Melodie von der menschlichen Stimme kommt, von meinem Instrument. Aber auch die Stoffauswahl seiner Stücke finde ich sehr interessant."

Dabei ist Lucic kein Freund moderner Inszenierungen. "Ich bin für klassische Aufführungen. Wenn es nach mir ginge, würden alle Opern so aufgeführt werden, wie sie im Libretto stehen. Aber ich bin ein professioneller Sänger und muss das umsetzen, was der Regisseur von mir verlangt . Aber das Wichtigste für mich in der Oper ist ohnehin der Gesang. Alles andere kommt erst danach." Über die neue Produktion darf der Bariton nur so viel verraten: "Es wird sehr blutig und gewalttätig. Was meine eigene Rolle betrifft, so hält sie sich sehr ans Libretto. Meine Sicht des Macbeth ist sicherlich, dass er kein Held ist, keine glückliche Person, sondern ein kranker, verrückter Mensch. Eine tragische, schwarze Figur, was im Text und der Melodie deutlich herauskommt." Dass es anstrengend für die Stimme sein kann, immer nur Verdi zu singen, weiß Lucic. "Gelegentlich ist es gut, dazwischen Rossini oder Donizetti zu singen ." Wagner oder Strauss, selbst Puccini, möchte Lucic allerdings nicht gleichzeitig mit Verdi singen. "Bei Verdi braucht man ein Legatissimo. Wagner und Strauss sind zu heldisch, zu stark, zu dramatisch. Nach diesen Partien fällt es schwer, wieder Linie und Ruhe in Verdis Opern zu bringen." Für sein Debüt an der Londoner Covent-Garden-Oper im März hat Zeljko Lucic zwar den Sharpless in "Madama Butterfly" gesungen, den er bereits in Frankfurt (2001) verkörpert hatte. "Das soll aber eine Ausnahme bleiben, mein nächstes Engagement am Covent Garden ist im Januar 2006 mit Germont in Verdis ‚La traviata’, den ich diese Saison auch wieder in Frankfurt singe. " Zuvor, nämlich diesen September, wird Zeljko Lucic in San Francisco den Don Carlo in "La forza del destino" verkörpern, und für September 2006 ist dann sein Debüt als Barnaba in Ponichiellis "La Giconda" an der New Yorker Met geplant. Eine Partie, die er auch in der konzertanten Aufführung in Mai 2006 in Frankfurt interpretieren wird.
In den Hauptpartien des neuen Frankfurter "Macbeth" werden die Amerikanerin Caroline Whisnant als Lady Macbeth, das Frankfurter Ensemblemitglied Magnus Baldvinsson als Banquo und der schwedische Tenor Mathias Zachariassen als Macduff zu hören sein.

 

Frankfurter Allgemeine Zeitung
19.05.2005, Nr. 114 / Seite 54

Apokalypse: Bieito und Carignani über Verdis "Macbeth"

Die Burg des machtgierigen Karrieristen Macbeth und seiner ehrgeizigen Frau als Großbank - das scheint in die Finanzmetropole Frankfurt zu passen. Doch ob die eigenwillige Sicht des spanischen Regisseurs Calixto Bieito (auf dem Bild links mit Paolo Carignani) auch mit Giuseppe Verdis Shakespeare-Oper vereinbar ist, muß die Premiere im Frankfurter Opernhaus am 22. Mai um 18 Uhr erst noch erweisen. Statt von seinem "Macbeth"-Konzept erzählt der Regisseur im Gespräch mit dieser Zeitung lieber von seinen Inszenierungen der Shakespeare-Tragödie "in halb Europa" und von seiner "paranoischen Beziehung zu diesem Stück". Aber im Musiktheater sei der Stoff anders zu deuten als im Schauspiel. Den tieferen Sinn von Verdis Vertonung sieht er im Absturz eines schwachen, kriminellen Machtphantasten in die "Apokalypse der Zerstörung", in die er eine ganze Welt mitreißt. Bieito interessiert sich gerade in dieser Untergangswut für den allgemeinmenschlichen Aspekt: "Das ist keine abstrakte Geschichte. Dieser ängstliche Kerl mit einer riesigen, destruktiven Phantasie in seinem Hirn ist ein Jedermann." Zur Frage, ob das viele Blut in dieser Oper auf der Bühne eine reale Rolle spiele, mag er sich nicht konkret äußern. "Das wird nicht zu blutig", versichert er vieldeutig. Die realen Emotionen in der Oper hätten nicht unbedingt mit Realismus zu tun, schiebt Bieito erläuternd nach. Um das Verhältnis von Lebens- und Opernwirklichkeit geht es auch Generalmusikdirektor Paolo Carignani, der die Premiere leiten wird. In neuartigen Effekten wie den ausdrücklich vorgeschriebenen rauhen Stimmen oder den streckenweise sogar im Fortissimo sordinierten Streichinstrumenten kündige sich ein Verismus an, in dem Wahrheit und Charakter wichtiger seien als Schönheit. ek.

 

Frankfurter Rundschau
19. Mai 2005

"Ich möchte real sein, nicht realistisch"
Der katalanische Regisseur Calixto Bieito über die Hoffnungslosigkeit von Verdis "Macbeth", den er für die Frankfurter Oper inszeniert

Frankfurter Rundschau: Herr Bieito, "Macbeth" ist ein düsterer Stoff, voller Gewalt, voll Blut. Sehen Sie irgendwo am Horizont einen Hoffnungsstreif?

Calixto Bieito: Hoffnung? Nein. Macbeth ist eine Geschichte der Verzweiflung. Macbeth ist wütend, laut, brutal. Da ist kein Platz für Hoffnung. Nirgends.

Wer ist Macbeth oder besser was ist Macbeth? Etwas Alltägliches, etwas, das man überall finden kann?

Ja. Macbeth ist da. Macbeth ist gegenwärtig. Die Auswüchse der Gewalt und der Verzweiflung sind gegenwärtig. Ich kann gar nicht anders. Ich kann auf der Bühne nicht mit Mythen jonglieren. Ich will, ich muss konkret sein, spezifisch.

Inwiefern? Wo spielt Ihr "Macbeth"?

In einer Bank.

Ach. In Salzburg, wo Sie 2001 Shakespeares "Macbeth" auf die Bühne brachten, war es noch in einer Guy-Ritchie-artigen Mafia-Familie.

Sehen Sie. Heute spielt es in einer Bank. Sie ist für mich die Burg, die Festung der Gegenwart: ein Ort der Macht. Aber es ist natürlich kein Stück über eine Bank, sondern ein Stück über die Menschen, die ich dort finde. Es ist die Geschichte eines Mannes, der in sein Starbucks-Sandwich beißt - in Barcelona gibt es Dutzende davon - und plötzlich merkt, dass er umzukippen droht, dass er all das einreißen will, was ihn umgibt, dass er töten will. Auf der Bühne war das für mich nicht einfach, denn ich mag keine Ausstattung, kein Set, sondern eher Installationen der Wirklichkeit. Was ich benutze, was ich mache, soll wirklich sein, real, nicht einfach nur realistisch. Meine Bühne nun ist die Anmutung einer Bank, in der alle wie gefangen sind - ähnlich wie in Buñuels Parabel Der Würgeengel (El ángel exterminador), in der eine Abendgesellschaft ihr Haus nicht verlassen kann. Sie entdecken nun ihr Anderes, brechen ihre eigenen Tabus, feiern unentwegt Partys, befriedigen ihre sich ständig steigernde Lust und gehen schließlich bis zum Äußersten.

Sehen Ihre Figuren ihr Ende kommen? Laufen sie ihm blind entgegen?

Ich möchte kein klares Ende. Früher habe ich gerne einen eindeutigen Schluss gesucht, als wollte ich ein Ausrufungszeichen hinter eine Botschaft setzen. Nun biete ich verschiedene Lesarten an, verschiedene Möglichkeiten. Der Zuschauer muss sich selbst für eine entscheiden.

Sie sprachen davon, dass Sie wirklich, real sein möchten, nicht realistisch. Was meinen Sie damit?

Alles in meiner Arbeit soll wirklich sein. Ich will keine Illusion herstellen, ich will Wirklichkeit. Wirkliche Gefühle, Energie. Realismus ist auch nur ein Trick, ein Stil.

Ist das der Grund, wieso Sie immer wieder auch zu so drastischen Mitteln greifen: weil Sie dem Theater das Künstliche, das Illusionäre austreiben wollen, um es zur Wirklichkeit hin zu öffnen?

Ich kann nur sagen, ich will wirklich sein. Meine Figuren sollen wirklich sein. Die Paranoia in Macbeth soll wirklich sein. Ich will das spürbar machen, die gewaltigen Gefühle, die hinter all dem stehen. Ich möchte sie nicht hinter einer illusionären Fassade verstecken.

Ihre Sehnsucht nach Wirklichkeit erschreckt manche Theaterbesucher immens. Ihre Inszenierungen sind fast immer heftig umstritten, Ihr Salzburger "Macbeth" entwickelte sich zu einem veritablen Theaterskandal. Überrascht Sie das Maß an Ablehnung, das Sie erfahren, eigentlich noch immer?

Die ehrliche Antwort ist: ja. Es überrascht mich noch immer. Es überrascht mich angesichts der Realität der Welt. Es überrascht mich, wenn ich mir die Nachrichten anschaue. Es überrascht mich, wenn ich mir vor Augen führe, was das Kino darf. Was ich auf der Bühne zeige, ist nicht meine Erfindung, sondern ein Ausschnitt unserer Welt. Und es überrascht mich, dass sich so viele an den Gewalt- und Sexszenen in meinen Inszenierungen derart festbeißen. Als bestünde mein Theater nur daraus.

Tun die Buhs eines Premierenpublikums Ihnen weh?

Nein, sie tun mir nicht weh. Aber ich mag sie nicht. Und ich kann mich auch an sie nicht gewöhnen. Diese 20 Sekunden auf der Bühne, in denen ich da stehe und ausgebuht werde, sind furchtbar.

Gibt es irgendetwas, was das Theater, was die Oper nicht darf?

Nicht langweilen, antworte ich manchmal gerne mit Buñuel. Ich glaube nicht, dass meine Fantasie Beschränkungen unterliegen darf. Aber natürlich habe ich eigene Grenzen, ethische, moralische. Das Fantastische an Theater, an Oper aber ist doch, dass es da einen Ort gibt, an dem man seinen Geist öffnen und über seine Schranken hinweg heben kann. Gerade während der Proben. Das ist ungemein befreiend, ungemein inspirierend. Deshalb liebe ich die Probenarbeit auch so sehr.

Das Theater, sagt man, sei der Ort des Schönen, Wahren, Guten. Für Sie trotz allem auch?

Warum nicht. Nur ist das Schöne, Wahre, Gute nicht unveränderlich. Und schon gar nicht hat das Schöne eine vorgegebene, allgemeine Gestalt. Ich zum Beispiel finde einen furchtbar fetten Mann, der einfach da sitzt und eine Zigarre raucht, schön. Wunderschön sogar. Sie auch?

Kommt drauf an.

Wir müssen uns darauf auch gar nicht einigen können. Wir müssen uns nur darauf einlassen. Und wir dürfen davor keine Angst haben. Das ist das Entscheidende.

Interview: Tim Gorbauch

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Copyright © Frankfurter Rundschau online 2005
Dokument erstellt am 18.05.2005 um 15:36:05 Uhr
Erscheinungsdatum 19.05.2005