Frankfurter Allgemeine Zeitung
Dienstag, 24.05.2005, Nr. 118 / Seite 41

Mord und Totschlag gehören einfach dazu
Für Calixto Bieito verwandelt sich Verdis "Macbeth" an der Oper Frankfurt in Dantes Inferno

Tod ist nur ein Wort. Es stirbt sich nicht so sekundenschnell, wie man es sagt oder singt. Auch König Duncan wehrt sich lange. Er zuckt im Todeskampf und zappelt noch ein Weilchen mit den Beinen, während Herr und Frau Macbeth längst schon wieder duettmäßig mit der Erfüllung ihrer ehelichen Pflichten befaßt sind, über dem hingestreckten Körper ihres Opfers sich aufbäumend zu einer laokoonisch verschlungenen Skulptur aus Wut und Lust.

Zwar hatte Giuseppe Verdi, wie übrigens bereits Shakespeare, diesen ersten, noch von Skrupeln verzögerten Mord des Nachtstücks mit Bedacht hinter die Bühne verlegt, um die Phantasie um so stärker zu kitzeln. Doch der katalanische Regisseur Calixto Bieito greift lieber gleich zum Detaileinfaltspinsel und malt akribisch jede Falte der Wirklichkeit aus - je grausamer, um so besser ausgeleuchtet, um so näher vorne an der Rampe. "Dammi il ferro!" singt die Lady (mit draller Präsenz und hochdramatischem Aplomb: Caroline Whisnant): "Gib mir das Messer!" Ratsch, fließt das Blut aus dem alten Mann - so viel, daß sie es nicht mehr vergessen wird bis zu ihrer finalen Wahnsinnsarie.

Es heißt die Eule nach Athen tragen, wenn man Bieito ausgerechnet ein Stück wie den "Macbeth" anvertraut. Erwartungsgemäß gerieten neunundneunzig Prozent des Premierenpublikums am Frankfurter Opernhaus in nicht unbeträchtliche Wallung. Etwa hundert Prozent jubelten am Ende demonstrativ dem Generalmusikdirektor Paolo Carignani und den jungen Sängern zu, die sämtlich ihr Rollendebüt gegeben und sich entsprechend bis an die Grenze der Stimmkapazität verausgabt hatten. Geschätzte siebzig Prozent überschütteten das Regieteam mit Buhrufen, ein kleinerer Teil konterte mit Bravi-Gebrüll, ein Besucher hatte das Haus gleich nach dem Duncan-Mord türenschlagend verlassen, und zwei Zwischenrufer protestierten, als die Oberhexe, mit einem gelben Gummihandschuh bewaffnet, sich in der gran scena delle apparizioni zur finalen Lügenprophezeiung am Anus des ohnmächtigen Macbeth zu schaffen machte. Soweit die Bilanz des kalkulierten Skandals in Zahlen. Er hält sich in Grenzen.

Als Hans Neuenfels vor knapp einem Vierteljahrhundert seine albtraumhafte "Macbeth"-Lesart in Frankfurt präsentierte, ging die Entrüstung tiefer, und mit Kunstblut sowie nackten Tatsachen wurde auch damals schon nicht gespart. Mord und Totschlag gehören zum Stück, nur die Mittel nutzen sich allmählich ab. Bieito, der es bereits zum zweiten Mal in Szene setzte, hat diesmal eine vergleichsweise "historisierende" Fassung erstellt und die Handlung aus dem Schottland des 11.Jahrhunderts verlegt ins gläserne Foyer eines Bankhochhauses, das mitten in Krankfurt, Bankfurt oder auch Gestankfurt anzusiedeln ist - einem Ort also, der selbst längst zum zitierfähigen Mythos der Linken wurde, was heute keine Kapitalistenheuschrecke mehr ernsthaft auf die in Kübeln eingeknastete Zimmerlinde zu treiben vermag. Und entsprechend ironisch kommentieren dies flotte, dadaistische Parolen, die angelegentlich die auf roten Leuchtbändern umlaufenden aktuellen Börsennotierungen ablösen.

Die Männer erscheinen sämtlich als mittlere Angestellte in dieser geschlossenen Welt aus An- und Verkauf. Sie weisen sich als humane Wesen allenfalls noch aus durch das Namensschild am Revers. Auch die Frauen treten uniformiert auf als gefährlicher Sekretärinnenschwarm - ausgestattet mit Chanel-Kostüm und Highheels, entfesseln sie gleich in der ersten Szene einen exzessiven Zickenterror und ziehen immer enger ihre Hexenkreise um den trübe grübelnden, seinem Schicksal passiv sich ausliefernden Macbeth (mit beeindruckend großer Ausdruckspalette: Zeljko Lucic).

Auf hohen Video-Wänden flanieren derweil die geläufigen Lügen der Warenwelt vorbei, der brave Banquo (Magnus Baldvinsson) wird in einem Supermarkt von mörderischer Kundschaft gejagt und unter Einkaufswagen begraben, Lady MacDuff (Bettina Fröhlich) verendet im Getränke-

automat. Und wenn auch allezeit ein Putzmann (Gerard Lavalle) unterwegs ist mit seinem Wischmobil - quasi als blaumannuniformierte Inkarnation aller Wohlgerüche Arabiens -, der sich sisyphosmäßige Mühe gibt, sämtliche anfallenden Flecken pünktlich wieder zu beseitigen, so bleibt doch ein Saustall auf der Bühne zurück: Es liegen die Leichen zwischen dem Popcorn und den Sektflaschen wie Müll und die abgeworfenen Kleidungsstücke zwischen den umgestürzten Möbeln wie Tote.

Auf diesem von gelblichem Höllenfeuer illuminierten Schlachtfeld gewinnt der Flüchtlingschor "Patria opressa" einen bezwingend neuen Sinn: Dantes Inferno hat sich aufgetan, der letzte Kreis ist erreicht, die Guten sind verdorben, nichts wird bleiben. Das in der einzigen Belcanto-Arie der "Macbeth"-Partitur wie ein Lichtblick kurz und tenorhell aufblitzende Hoffnungsversprechen des jungen MacDuff (Matthias Zachariassen), der "seine Kinder" beklagt, richtet sich mithin an alle Anwesenden, es schließt sogar ihn selbst mit ein. Mit Bildern wie diesen wird sich Bieitos Inszenierung in die Erinnerung eingraben: Sie sind der adäquate Ausdruck für eine Ironie der Groteske, die sich bei Shakespeare in den Dialogen verbirgt, bei Verdi vom Pathos übermalt wird. Musiziert wurde die Pariser Fassung mit dem knallig-kühnen Orchesterfugato der finalen Schlachtmusik. Paolo Carignani wußte nicht nur solcherart bombastische Effekte gebührend stark aufzutragen und klar herauszuarbeiten, nicht nur die martialisch auftrumpfenden Chöre und Ensembles sicher zu führen, er fand auch die fahlen Farben und fragmentierten Klangbilder der verlorenen armen Seelen.

ELEONORE BÜNING

 

Frankfurter Rundschau
24. Mai 2005

Alles so schön grässlich bunt hier
Routine gähnt im Partygetingel: Calixto Bieito und Paolo Carignani mit Verdis "Macbeth" in der Oper Frankfurt

VON HANS-KLAUS JUNGHEINRICH

Hübsch als lakonische Gruselstrecke ist im zweiten Bild die allmähliche Verhackstückung des Königs Duncan, wobei eine über den Schädel gehauene Sektflasche den Anfang macht. Die Lady, mit der Duncan vorher jovial-gröblich und wenig tischsittig herumflirtete, legt aktiv Mördertatze an, während der Gatte Macbeth, dumpf vor sich hinbrütend und Böses ahnend, praktisch schon ein toter König ist, bevor er zum lebendigen gekrönt wird. Sein gemeuchelter Vorgänger (eine ergiebige pantomimische Studie für den Schauspieler Wilfried Elste) wird in einer grotesk-feierlichen Zeremonie kollektiv verabschiedet, ehe er auf dem Esstisch, zugleich Schlachtbank und Katafalk, im Bühnenboden versinkt. Unverständlicherweise wurde in dieser Szene der kleine Auftrittsmarsch, eines der kuriosen Kabinettstücke der Macbeth-Partitur, bis auf ein paar Eingangstakte gestrichen.

Abgesehen von dieser Viertelstunde, bot die Bühnenoptik der jüngsten Frankfurter Verdi-Premiere wenig Animierendes. Regisseur Calixto Bieito, vielleicht so etwas wie ein Hans Neuenfels seiner Generation, führte "Provokation" als ein Markenzeichen vor, das für künstlerische Wertschöpfung kaum noch taugen mochte. Routine gähnte. Sie erwies sich nicht zuletzt in der versteppten Chorführung - von den Massentableaus blieb kaum mehr in Erinnerung als ein ödes, in seiner Wiederholsamkeit und Unentwegtheit trostloses Partygetingel. Bieito (bereits seine Frankfurter Manon war kein Wurf) scheint mittlerweile ein "Vollbluttheatraliker", der sich von älteren Vertretern dieser Zunft (wie Michael Hampe) nur noch durch den modernisierten Zuschnitt des Bildersalats unterscheidet, den er serviert. Also flotte multimediale Verpopung statt glotzender und bluttriefender Eigentlichkeit. Der Hinzuzug von Esprit ist auch hier umgekehrt proportional zu den verspritzten Bier- und Schampusmengen.

Saftlose dreistöckige Torte

Opulent und funktional zugleich das Einheits-Bühnenbild von Alfons Flores mit einem gewichtigen Galerien-Halbrund, dessen verschiedene Ebenen zum Spiel wenig genutzt werden. Der verbleibende Vordergrund-Raum wird wie unterm Zwang eines horror vacui obsessiv gefüllt mit allerlei Möbeln, Kühltruhen, ab dem zweiten Finale einer dreistöckig monumentalen Geburtstagstorte, auch stets mit taumelnden und tapsenden, einander im Weg stehenden, hingefläzten oder -gestreckten Personen. Das Ineinanderfließen bei den Bild- und Aktzäsuren könnte die Dramatik intensivieren, tut's aber nicht.

Entscheidend für den saftlosen Eindruck ist das Stationäre, das Auf-der-Stelle-Treten der Handlung (damit unterscheidet sich dieser Macbeth krass von der genialen Frankfurter Neuenfels-Inszenierung 1977). Wo alles von Anfang an marode wirkt, kann die zunehmende Verluderung des Geschehens nicht mehr stattfinden. Zu schnell wird auch die Bankerdress-Korrektheit suspendiert, und alle driften ins Derangierte ab (Kostüme: Nicola Reichert). Doch die blutbespritzten Hemden und Oberkörper markieren kaum ein "Theater der Grausamkeit", sind eher die läppischen Insignien trivialer Events, die bunt-grässlichen Versatzstücke verschlagerter Billig-Theatralik. Unkräftig und flau denn auch die "interpretatorischen" Versuche, Shakespeares Kruditäten mit der Finanzsphäre kurzzuschließen. Als Assoziationspotential (herbeigeflunkert in aufwendigen Bildschirmprojektionen und grellrot den Hintergrund illuminierenden Schriftbändern) bleibt derlei zu ungefähr und ungenau, um Biss zu bekommen. Die beabsichtigte Provokation - bei aller Liebe zum Hass auf den ungefesselten Kapitalismus muss es leider gesagt werden - schlägt auf das Produkt zurück und überführt die (kritische oder doch bloß pubertäre?) Intention der Lächerlichkeit. Und kein noch so biederes Publikum braucht sich von unfeinen landwirtschaftlichen Anspielungen (Schweine am Anfang, Schafe am Schluss) getroffen zu fühlen. Merkwürdig auch Bieitos Sprödigkeit gegenüber den Geistererscheinungen, die im geheimnislosen allgemeinen Getriebe verpuffen.

So ganz konnte die Aufführung auch musikalisch nicht aus den Untiefen dieses Tiefs herausgerissen werden. Am imponierendsten die Sängerleistungen, insbesondere Zeljko Lucic in der Titelrolle - mit einem sauber geführten, kantablen, auch machtvoll sonoren, von der Charakteristik her vielleicht um eine Spur zu "schönen" Bariton. Beträchtliche Klangsubstanz und schneidene Diktion bot die Lady von Caroline Whisnant, die dann freilich in der Wahnsinnsarie die Verwandlung in eine fatal-engelhafte, gleichsam entmaterialisierte "Unschuld" schuldig blieb, so dass dieser Figur dann doch eine entscheidende Facette fehlte. Unter der karikaturistischen Rollenanlage litt zweifellos der Macduff-Tenor von Mathias Zachariassen, der bei all dem ihm abverlangten Gehampel keine Gelegenheit hatte, sich "frei" zu singen. Ohne Tadel der Banquo vom Magnus Baldvinsson.

Einebnung zur Stromlinie

Frankfurts GMD Paolo Carignani verfügt unbedingt über eine eminente Verdi-Erfahrung. Lag es an Bieitos unseligem Konzept oder an Spielzeitende-Ermüdung, dass auch er diesmal weniger überzeugte als sonst? Eine gewisse Tendenz zur dynamischen Einebnung, zum glatten streamlinig-Duktus, war merklich. Manchen raschen Episoden fehlte die trockene Brillanz, und beim lyrischen Verweilen schien gelegentlich die innere Spannung flagrant nachzulassen. Die spezifisch holzschnittartige Expressivität des frühen Verdi (durchaus erhalten in der revidierten Version von 1865) wurde nicht immer prägnant getroffen. So muteten etliche Finali etwas "löcherig" an, und der patriotische Chor im 4.Akt verblieb zu sehr in der Larmoyanz. Auch dem kleinen, scharf akzentuierten Mörderchor im 2. Akt hätte auf der Basis der soliden Einstudierung von Alessandro Zuppardo ein betonterer Kontrastreichtum zwischen zupackendem Fortissimo und verschwindendem Pianissimo angestanden. Im milden Routinefluss klang er fast suppig.

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Copyright © Frankfurter Rundschau online 2005
Dokument erstellt am 23.05.2005 um 16:08:39 Uhr
Erscheinungsdatum 24.05.2005

 

DIE WELT
24.5.2005

Für Verdis "Macbeth" läßt Calixto Bieito in Frankfurt Banker sterben

von Uwe Wittstock

Der Spanier Calixto Bieito entwickelt sich zu einem zuverlässigen Skandallieferanten des Opernbetriebs. Nachdem er in Hannover "Don Giovanni" und "Il Trovatore" mit viel Freude an Gewalt, Blut und Sperma auf die Bühne brachte und in Berlin die "Entführung aus dem Serail" in ein Edelbordell verlegte, inszenierte er jetzt Verdis "Macbeth" in der Bankenstadt Frankfurt als tödlichen Machtkampf zwischen Bankmanagern.

König Duncan wird von einem Macbeth im Busineß-Anzug beim Diner mit der Rotwein-Flasche hinterrücks erschlagen. Die Belegschaft der Bank stürzt sich daraufhin in eine Art endlose Weihnachtsfeier, säuft, hurt, mordet, was das Zeug hält. Im Hintergrund sind auf Großleinwänden wahlweise Werbung oder Fußball, auf Leuchtschriftbändern die Börsenkurse oder Rechnungen vom örtlichen Feinkosthändler zu sehen.

Natürlich sind diese Regieeinfälle dem Stück unangemessen, wirken herbeigezwungen und dazu in Zeiten Münteferingscher Kapitalismuskritik ein bißchen billig. Ein Teil des Publikums ließ sich wacker provozieren, buhte oder debattierte während der Vorstellung ("Das ist ja unerträglich" - "Dann gehen Sie doch nach Hause"). Was bedauerlich war, da es eine exzellente musikalische Leistung störte. Das Orchester zeigte sich unter Paolo Carignani in brillanter Form, der von Alessandro Zappardo geleitete Chor war wieder, wie schon seit Jahren, rundum glänzend. Zeljko Luèiæ sang den Macbeth ungeheuer kraftvoll und klar, ebenso wie Magnus Baldvinsson den Banco. Auch die Amerikanerin Caroline Whisnant verlieh Lady Macbeth stimmlich wunderbare Schönheit und Stärke. Für jeden, der diese Aufführung mit aufgesetzter Schlafbrille besucht, ist sie ein Anlaß zu ungetrübter Freude.

 

Frankfurter Neue Presse
24.05.2005

Exzess im Bankenturm
Verdis "Macbeth" hatte in der Inszenierung von Calixto Bieito an der Oper Frankfurt Premiere.

Von Rudolf Jöckle

Die untypischste aller VerdiOpern, wie der "Macbeth" gern genannt wird, hatte innerhalb von 30 Jahren nun zum dritten Male in Frankfurt Premiere. Merkwürdig? Vielleicht ist es ihr Zug zur "Modernität", der immer wieder verlockt, dieser brillante musikdramatische Impetus italienischer Oper, verknüpft mit Realismus und sorgfältigen Proportionen (und das unter Verzicht auf ein echtes Liebespaar!).

Dass sich im "Macbeth" Machtgier und Sexualität zu einem tödlichen Gebräu vermengen, hatte schon seinerzeit Neuenfels gezeigt (und viele Buhs geerntet). Bieito ist da der quirligere, obsessivere, also auch der weniger reflektierende Regisseur. Macht und Sexualität, für ihn hängen wir alle an diesem Strang. Nicht der einzelne ist gefährdet, sondern unsere Welt heute ist davon durchdrungen: Sex und Macht sind allgegenwärtig. Im Bühnenbild von Alfons Flores etablieren sie sich in der lang gezogenen, über Eck gelegten Innenfront eines dreistöckigen Verwaltungsbaus mit "Glasfront", Spielraum für alle und alles. Und Macbeth ist der "Banker". In der Mitte hängt ein großer Bildschirm, über den die Insignien und Fetische unserer Waren- und Geschäftswelt laufen – wenn Macbeth "nach Hause" kommt, auch ein Fußballspiel –, während auf Bändern an den Stockwerken die entsprechenden Mitteilungen (Kurse, Preise), Sprüche und Versprechungen flimmern (Video: Rebecca Rings).

Der Raum kommt nie zur Ruhe, Macbeth und seine Lady sind nie allein. Ausnahme: der recht brutal ausgekostete Mord an dem senil grabschenden Duncan. Die Hexen – adrette junge und bisweilen griffsichere Frauen – verwandeln sich unversehens auch in "schottische Flüchtlinge" oder in Macduffs Kämpfer. Bedienstete sind ohnehin immer vorhanden. Und was machen die Menschen (Angestellte? Hilfskräfte? Führungspersonal?) am liebsten? Sie trinken eisern, vor allem aber ziehen sie sich oder irgendwelchen Partnern Kleidungsstücke mit eindeutiger Absicht aus. Was übrigens auch die Macbeths gerne tun: Bieitos Markenzeichen.

Das scheint auch eine Schwäche der Inszenierung zu sein: Bieito verliert sich an diese Bilder, schöpft sie immer wieder neu und variiert sie damit im Übermaß. Das, was wahr ist (und das ist ja einiges in diesen Szenen), verliert so seine Kraft, wird müde. So müde, dass etwa gegen Ende die dichte Szene der somnambulen Lady, die über einen Blutfleck in Panik gerät, verschwindet. Ist doch das Leben eine permanente Orgie, die die "Mächtigen" nicht einmal inszenieren, sondern in der sie selbst untertauchen. Zeigte das Eingangsvideo Schweine am Trog, so zieht am Ende eine Herde Schafe über den Schirm. So klar ist das.

Bleibt die Musik Verdis, für die Frankfurt mit Paolo Carignani einen wundervollen Fürsprecher besitzt. Mehr, als es eigentlich die Szene zulässt, vermittelt er mit dem Orchester diese Kontraste zwischen vehementen Antriebskräften und beklemmenden Momenten des Verweilens, zwingend in den Farben, schlüssig in der Prägnanz. Auch der Chor steigerte sich eindrucksvoll nach leicht nervösem Hexen-Beginn zu bewundernswerter Strahlkraft.

Gefeierter Mittelpunkt bei den Solisten: Zeljko Lucic als Macbeth, der mit sonorer Größe das Scheitern dieses Mannes, ja, auch sein Staunen darüber facettenreich hörbar macht, wiederum eine Darstellung von Rang dieses großen Sängers. Souverän auch (von einem kurzen Moment abgesehen) Caroline Whisnant als Lady, vor allem in den Situationen, da ihre Stimmung gleichsam in Hysterie zu wechseln scheint, also expressiv wird. Dazu Wohllaut allenthalben bei Magnus Baldvinsson (Banquo), Mathias Zachariassen als angenehm heller Macduff, Edgaras Montvidas als Malcolm oder Lina Truashvili als anschmiegsam-umtriebige Kammerfrau, die man gerne in einer größeren Partie hören möchte. Am Ende starker Beifall, Jubel und erwartungsgemäß heftige Buhs für die Regie. Schon während der Aufführung hatte ein Besucher unentwegt dazwischengeheult. In Frankfurts Oper war jedenfalls was los.

 

OFFENBACH POST
24.05.2005

Shakespeare-Stoff ertrinkt in Kunstblut
Calixto Bieito inszeniert Verdis "Macbeth" in Frankfurt

Draußen vor der Oper ein Hupkonzert: Eine knappe Stunde vor der Premiere ist Eintracht Frankfurt in die erste Bundesliga aufgestiegen. Und was für ein Zufall: Fußball ist streckenweise auch auf dem großen Videowürfel zu sehen, der über Calixto Bieitos Neuinszenierung von Giuseppe Verdis "Macbeth" schwebt. Darunter freilich spielt sich die durchaus blutige Shakespeare-Szenerie in jener Bildersprache ab, mit der sich Bieito beispielsweise in Berlin oder Hannover den Ruf eines "Skandal-Regisseurs" erworben hat.

Und auch das Frankfurter Publikum reagierte nun entsprechend auf die drastisch überzogenen Darstellungen Bieitos. Da wird Duncan nicht einfach nur ermordet, sondern regelrecht gemeuchelt, und sein Leichnam wird von der Lady und von Macbeth, der sich später eine Faust ins Hinterteil schieben lassen darf, blutig geschändet. Man greift sich überhaupt immer mal wieder an die Geschlechtsorgane, und es dauert nicht lange, bis die ersten Buh-Rufe die Vorstellung stören. Ein wahrer Buh-Orkan schlägt dem Regieteam am Ende entgegen, dessen Lautstärke es leicht mit dem Hupkonzert vor der Oper aufnehmen könnte.

Doch unabhängig davon, ob man sich von diesen arg handfesten Darstellungen provozieren lassen mag oder nicht: Wo so viel Blut und sonstige Körpersäfte fließen, gerät die eigentliche Erzählung leicht aus dem Blick. Dabei ist der Ansatz des Bühnenbildes von Alfons Flores zunächst durchaus reizvoll.

Dieser "Macbeth" spielt nicht im schottischen Hochland, sondern in einer Art Eingangshalle einer Bank. Doch mehr noch: Auf roten Leuchtbändern wird man schon einmal über die aktuellen Aktienkurse informiert, auf dem Video-Würfel wird für Luxus-Insignien (Uhren, Lippenstifte) geworben. Auch assoziieren lässt sich fleißig, eingangs erscheint auf dem Schirm eine Gruppe von Schweinen, am Ende der Oper hoppelt eine Schafherde von dannen.

Dass man unter den permanenten Projektionen (von Rebecca Ringst) umso leichter die eigentliche Handlung aus dem Auge verliert, ist vielleicht der eigentliche Schwachpunkt dieser Inszenierung. Und dieses Schicksal droht hier letztlich auch der Musik selbst. Das ist bedauerlich, da Frankfurts Generalmusikdirektor Paolo Carignani einen starken, sängerfreundlichen, klanglich ungemein schattierungsreichen Verdi bietet und dem Chor der Oper Frankfurt (Einstudierung: Alessandro Zuppardo) einmal mehr eine kollektive Höchstleistung gelingt.

Vor allem aber bietet Zeljko Lucic in der Titelpartie ein überragendes Rollendebüt. Der Bariton ist ein großvolumiger, aber doch auch geschmeidiger Macbeth, einfühlsam in der vokalen Gestaltung, dämonisch, markant, technisch über jeden Zweifel erhaben - anders übrigens als die Lady der Caroline Whisnant, die gerade mit den Höhen der Partie letztlich überfordert wirkt und ansonsten noch am ehesten durch vokale Kraftentfaltung punktet. Tadellose Leistungen bieten zudem Ensemblemitglieder wie Magnus Baldvinsson (Banquo) oder Edgaras Montvidas (Malcolm).

Ein Vergleich mit Keith Warners psychologisch klug gezeichneter Inszenierung des Macbeth-Stoffs in der Vertonung von Ernest Bloch, jüngst an der Oper Frankfurt zu sehen, verbietet sich eigentlich. Schade, dass nicht diese Inszenierung nächste Spielzeit wieder aufgenommen wird. Wer bei Bieito hingegen Verdis Macbeth nicht gerade mit einem skizzierten Phallus auf dem Unterhemd sterben sehen möchte, für den gilt: Am besten Augen zu und durch!

AXEL ZIBULSKI

 

WIESBADENER KURIER
24.5.2005

Kleine Schweinereien in Bankfurt
Calixto Bieito und Paolo Carignani bemühen sich um Verdis "Macbeth"

Von Volker Milch


Sex and Crime auf Frankfurts Opernbühne: mit Zeljko Lucic (Macbeth),
Caroline Whisnant (Lady Macbeth) und Wilfried Elste als gerade gemeucheltem König Duncan.
Jörg Landsberg

FRANKFURT Calixto Bieito inszeniert? - Fein, da lassen wir uns heute Abend wieder mal so richtig schockieren!

Die Erwartungshaltung ist klar, wenn der Katalane an deutschen Theatern unterwegs ist. Und bei Verdis "Macbeth" mit seinen drastischen Steilvorlagen gilt das natürlich in gesteigerter Form: Da darf man sich in der Vorfreude auf würzige Hexenszenen die Händchen reiben. Eigentlich müsste es diesem Enfant terrible der Regie doch Freude machen, jene Erwartungshaltungen einmal nicht zu bedienen und ganz ungewohnte Bilder zu zeigen. Aber nein, Überraschungen gibt´s bei der Frankfurter Premiere nicht, zumal Calixto Bieito Shakespeares "Macbeth" ja bereits 2001 in Salzburg als mörderische Spaßgesellschaft mit hohem Ekel-Potenzial vorgeführt hat. Als Vorwarnung hätte man auch die Frankfurter "Manon" von 2003 verstehen können.

Jetzt also eine richtige Schweinerei schon vor dem ersten Verdi-Takt: In einem Video von den nahen Verwandten der menschlichen Gattung wird dem nach und nach eintrudelnden Publikum endlich einmal der Spiegel vorgehalten. Das Grunzen und Quieken mischt sich mit den Einspiel-Übungen der Musiker. So weit, so lustig. Später scheint Bieito die berühmte Gleichung "Walhall ist Wallstreet" in Macbeths Burg zu variieren, führt die mörderische Triebstruktur einer korrupten Macht-Clique im Banken-Milieu vor. Die Hexen sind bei dieser destruktiven, globalisierten Kapitalmacht offenbar als Sekretärinnen angestellt.

Eigentlich ein Thema von zeitloser Brisanz, dem in der gegenwärtigen Lage der Nation und der Diskussion um Manager-Gebaren besondere Aktualität zuwachsen könnte. Schade, dass es in der Weise, wie es auf der Bühne verhandelt wird, nur ein mit gelegentlicher Publikums-Empörung durchsetztes Gähnen auslöst. Verdis Durchbruch zur "Ästhetik des Hässlichen" versteht Bieito offenbar als Lizenz zum Dauer-Trash. In seiner Blut-und-Hoden-Drastik ist Bieitos "Macbeth" das krasse Gegenstück zum glatt gebügelten Ästhetizismus des letzten Frankfurter "Macbeth" von Cesare Lievi (1990). Und dabei noch fader. Denn unter der Oberfläche diverser Genital- und Anal-Aktionen, ausgeführt von Menschen im Unterhemd und mit Gummihandschuh, ist Bieitos Theater in Konzept und Personenführung erschreckend schwach. Selten hat man so dämlich herumstehende und swingende Chöre, so peinlich herumstolpernde Solisten gesehen. Der Regisseur bringt das Publikum so weit, dass es sich nach dem Neuenfels-"Macbeth" von 1976 zurücksehnt. Denn was Bieito bietet, ist nur die epigonale Fratze engagierten Regietheaters. Der Spiegel, den er dem Publikum in seinem Bankfurt mit Logos und bunten Projektionen aus der Warenwelt vorhalten will, verzerrt zu sehr, um treffen zu können.

Natürlich bleibt die Musik nicht unbeschädigt, wenn die Szene in dieser Weise versagt. Man hat vom Generalmusikdirektor Paolo Carignani und dem Opernorchester schon einen zündenderen, saubereren Verdi gehört. Die Zwischenrufe aus dem Publikum waren der Konzentration der Interpreten sicher auch nicht gerade förderlich. Aber mit stürmischem, demonstrativem Applaus nahm das Publikum Carignani, das Orchester, Chor und Solisten vor der Regie in Schutz. Die Sänger durften sich des kollektiven Mitleids sicher sein, und tatsächlich war es erstaunlich, wie sich die Stimmen - hier bleibt Frankfurt auch in dieser Produktion bei seinem insgesamt ja mehr als erfreulichen Niveau - dann doch wieder im szenischen Ungemach behaupten können: Großartig die Schlafwandelszene von Caroline Whisnant als Lady Macbeth, die durch die kühle Architektur des zwischen Börse und Bankenhochhaus angesiedelten Bühnenbildes von Alfons Flores irrt. Eine üppige, dramatisch kraftvolle, in der Höhe nicht immer sichere Stimme, der Zeljko Lucic als voluminöser Macbeth ein ebenbürtiger, sein "Pieta" anrührend eindringlich gestaltender Partner ist. Zum Schlussbeifall zitiert dieser Macbeth seinen Regisseur wie einen bösen Buben mit dem Zeigefinger auf die Bühne: Jetzt musst du büßen. Die Botschaft wird verstanden. Das Publikum nutzt die Gelegenheit zur Rache nach Herzenslust.

 

Darmstädter Echo
24.5.2005

Macbeth in uns
Musiktheater: Calixto Bieito inszeniert Verdi in der Oper Frankfurt – Buhs für den Regisseur, Bravos für die Sänger

Von Heinz Zietsch

FRANKFURT. „Der hat schon schlimmere Dinger gedreht", kommentierte eine Frau beim Hinausgehen die Regie von Calixto Bieito, der an der Oper Frankfurt Verdis „Macbeth" inszenierte. Wer diesen spanisch-katalanischen Regisseur ans Haus holt, der muss mit Widerstand rechnen – spätestens am Tag der Premiere von Seiten des Publikums. An der Komischen Oper in Berlin ließ Bieito Mozarts „Entführung" im Bordell spielen, in Mannheim sollte er im Frühjahr Verdis „Don Carlos" inszenieren, doch er hätte, so hört man, die Proben abgebrochen, weil die Sänger sich dem Konzept verweigert hätten. Die Buhs nach der Frankfurter Premiere am Sonntagabend waren also nach der zweidreiviertel Stunden dauernden Aufführung zu erwarten, nachdem zuvor ein paar Störversuche vorausgegangen waren: Der Regisseur solle doch endlich nach dem Sinn des Ganzen fragen, schallte es da vom Zuschauerrang herab.

Doch Bieitos Inszenierung ergibt Sinn. Er verlegt die Geschichte in unsere Zeit des Konsums, des Neo-Kapitalismus, der Party- und Spaßgesellschaft, in der Börsenzahlen, Sex und Unterhaltungsindustrie Geld und Macht bedeuten. Der Regisseur fragt nach dem Macbeth in uns, der immer nach dem neuesten Kick sucht, und sei es mit den Mitteln des Mords. Weil er abhängig ist von seiner machthungrigen, aber nicht eben reizvollen Frau, und sexuell nichts mehr bringt, treibt es ihn um, und er wird gierig getrieben nach Macht, die ihn hörig macht. So gelangt er auch in die Arme der Hexen, grell-bunte Proletenweiber, ordinäre Huren (Kostüme: Nicola Reichert), die bei ihm sado-masochistische Exzesse ausleben.

Das alles spielt sich in einem weitläufigen Einheitsbühnenraum (Alfons Flores) ab, mit einer durchsichtigen Treppenhausgalerie im Hintergrund, mit flimmernden Zahlen und Textkolonnen, davor laufen über ein absenkbares Fünfeck Videos (Rebecca Ringst) aus Natur, Werbung, Wirtschafts- und Bankenwelt. Macbeth haut Duncan eine Rotweinflasche über den Kopf, es spritzt Blut, an dem sich die noble Gesellschaft labt, bis Lady Macbeth, auf Duncan reitend, ihm völlig den Garaus macht. Banquo kommt indes im Wirrwarr der Einkaufswagen um. Macbeth wird am Ende nicht gemeuchelt, sondern überlebt, mit Kopfhörern im Sessel vor sich hinvegetierend. Ein Bild, das sagen will: Die mörderischen Seiten des Macbeth schlummern in jedem von uns. Wehe aber, wenn sie geweckt werden!

Selten hat man die Chormassen (einstudiert von Alessandro Zuppardo) so gut geführt, selten eine Oper derart zwingend durchchoreografiert erlebt. Die Sänger geben allesamt ihr Bestes und werden vom Publikum mit Bravos bedacht. Vor allem die beiden Hauptfiguren: Îeljko Luãiç als Macbeth, der an sich und der Gesellschaft im Grunde zu leiden scheint, und Caroline Whisnant mit schneidend scharfer wie voluminös-brillanter Stimme als Lady Macbeth. Paolo Carignani am Pult spitzt die dramatische Spannung, das moderne Potenzial in dieser Verdi-Partitur pointiert und mit hohem Tempo zu, wie man das in dieser unerbittlichen Härte und Schroffheit bisher wohl kaum gehört haben dürfte.

 

Deutschlandfunk (dradio.de)
24.05.2005

Verdis Oper in Frankfurt
Calixto Bieito inszeniert "Macbeth"

Von Frieder Reininghaus

Vielleicht sollte man nicht zu ernst nehmen, was Calixto Bieito auf die Bühne bringt. Zumindest an der Oberfläche geht es da, und ausgerechnet bei diesem Stück, recht licht und heiter zu: Der katalanische Regisseur, der den Gestus des "skandalumwitterten" kultiviert, rückte die Handlung aus dem finsteren schottischen Mittelalter in die Welt der polierten, panzergläsernen Firmenfassaden.

In unmittelbarer Nachbarschaft zu den gewaltigen Türmen der real existierenden marktbeherrschenden Geldinstitute avancierte eine Union Bank zur Chiffre für moderne Königreiche [- was sich da auf der Frankfurter Bühne kondensierte, bezieht sich wohl nicht auf die kleine Union Bank in Flensburg, gleichnamige Unternehmen in Kalifornien bzw. auf den Philippinen oder das schweizerische Kreditinstitut, das so ähnlich heißt]. Das idealtypische Logo wie die Architektur und der monströse pentagonale Bild-Screen vor den Bürofenstern mit den Leuchtschriftlaufbändern weisen den Weg einer stimmigen Verallgemeinerung: Sie rahmen auf sinnfällige Weise die Sphäre, in der es ggf. mit den äußersten Mitteln um die Macht geht, die selbst unsichtbar bleibt. Der branchenbewährte Kämpe Macbeth reißt, zusammen mit seiner strengen Lady und getrieben von ihr, die Führungsposition an sich, nachdem ihm aus okkulten Kräften der Sekretärinnen-Sphäre eine günstige Prognose zuteil wurde.

Gewiss hat der Bühnenbildner Alfons Flores ausreichend amerikanische Vorabend-Serien gesehen. Deren Ästhetik und eine womöglich generationsspezifische permanente Prosecco-Laune gelangen ungebrochen zur Wirkung - eine gewisse Übertreibung des heiteren und angeheiterten Treibens im Innenhof der Bank-Union enthält Fermente der Kritik an dieser Happy-Day-Lebensform. Auch der Einsatz authentischer Werbung für perfekte Uhren, balltretende Millionäre und Kreditgeschäfte gewinnt seine Schärfe aus dem freigespielten Realismus all der zusammenmontierten Versatzstücke, die echter als echt wirken: "Just do it!".

Der Konzernherr Duncan ist von Anfang an als jovialer Player dabei (weshalb die königliche Auftrittsmusik kurzerhand gestrichen wurde). Ansonsten verhält sich Bietos Regie-Zugriff erst einmal "werktreu": Gezeigt wird der grausame Mord als eskalierende Gewalthandlung beim Essen, bei dem der Vorstandsvorsitzende Frau Macbeth angräbt und angrapscht. Zu spät bemerkt er, dass das, was ihm abgründiges Vergnügen macht, nun zu seinem Verderben gerät. Der teure Korkenzieher gibt ihm den Rest.

Die Hexen präsentieren jene sexuelle Obsession, auf die das kundige Publikum bei Bieito inzwischen gläubig wartet. Diesmal wird ein junger Mann beiläufig Opfer der entfesselten Weiblichkeit. Mit der patriotischen Dimension des Werks, dem Exil-Bild, kann die Frankfurter Produktion buchstäblich nichts anfangen: die Verschwörung zur Rückkehr der Geflohenen in die Heimat und zum Kampf gegen den Tyrannen wird als Vorgriff auf die feindliche Übernahme der Großbank gezeigt, die in Bieitos Version das Schicksal des Macbeth besiegelt. Immerhin herrscht da Mangel im Kühlschrank: tristerweise gibt's nur Bier aus Flaschen, erst am Ende wieder Sekt. Und eine als bewegter Schriftzug gezeigte Zeile des Macbeth-Monologs behauptet ihr Recht (und zeugt von künstlerischer Selbstironie): "Das Leben ist ein Märchen, erzählt von einem Idioten". Željiko Lučić verleiht der Macbeth-Partie in dieser Inszenierung eine Tiefe, die Tragödie beglaubigt.

Paolo Carignani bleibt den scharfen Kontrasten des Orchestersatzes wenig schuldig, auch wenn der Ausdruckswille gelegentlich zu Lasten des "sauberen Musizierens" geht. Das paßt zur Schärfe der Inszenierung ebensogut wie die Interpretation der Caroline Whisnant, die als Lady über eine Stimme wie eine Keule verfügt - und im Untergang doch auch differenzierte Zwischentöne anzuschlagen versteht.

 

Rhein-Main.Net-Kritik

Von Eric Wolf

Man nehme eine Hintergrundkulisse a la Westside Story, verteile im Vordergrund ein paar Büromöbel und lasse auf diversen Leuchtanzeigen mehr oder weniger Sinnvolle Sprachbotschaften (Ich liebe Ratzinger) und Bilder (Schweine und Fußballspiele) auf das Publikum los: Schon spielt Macbeth nicht mehr im England des 11. Jahrhunderts, sondern in der neuzeitlichen Welt der Banken. Halleluja, es lebe die Moderne! Die Überfrachtung mit visuellen eindrücken machte es teilweise schwer, der im Grunde sehenswerten Aufführung zu folgen. Waren doch am laufenden Band Werbebotschaften, Aktienkurse und anderes, nur schwerlich mit Macbeth in Verbindung zu bringendes, zu begutachten und zu verarbeiten. Zuzüglich der deutschen Übertitel die, da ziemlich lückenhaft, auch nur bedingt zum Verständnis des Stückes beitrugen. Zumindest für Laien dürfte die Übersetzung eine kleine Hilfe gewesen sein!

Nun zum positiven! Das von Calixto Bieito inszenierte Stück besticht von Anfang bis Ende durch großartige Schauspielerische und musikalische Leistung! Unter der Leitung von Paolo Carignani entfacht das Frankfurter Museumsorchester ein prächtiges Feuerwerk an himmlischen Klängen. Desgleichen ist die Darbietung des Chores der Frankfurter Oper zu würdigen, welcher den Hauptdarstellern ein fulminantes, klangliches Gerüst bereitet. Die imposanteste Erscheinung des Abends war zweifelsfrei die Lady Macbeth (Caroline Whisnant), die sowohl durch ihr Spiel als auch durch ihre unglaubliche Stimme den Saal für sich gewann und mit frenetischem Applaus gewürdigt wurde. Auch Macbeth (Zeljko Lucic) verblüffte durch sein schier grenzenloses Lungenvolumen. Beide im Duett sind der Zuckerguss in jedermanns Gehörgang!

Ebenso hervorzuheben sind Magnus Baldvinsson (Banquo), Mathias Zachariassen (Macduff) und Edgaras Montvidas (Malcolm)! Auf der Bühne ist zeitweise ein solches Gedränge, das mir vor lauter Sinneseindrücken fast schwindlig wurde, aber die festliche bzw. Trauerstimmung die hier Vermittelt werden soll, kommt dadurch um so besser zur Geltung. Der langsam dem Wahnsinn verfallende Macbeth geht darin allerdings manchmal etwas unter, solange er sich nicht stimmlich bemerkbar macht! Das Stück hat erfreulicherweise durchaus auch seine humoristischen Seiten: Während der von Macbeth, mit Hilfe einer Sektflasche (!) gemeuchelte König Duncan auf einem Bürotisch dahin siecht, begrapscht er in einem fort die Strumpfbänder der Lady Macbeth, welche über ihm kniet. Diese hat irgendwann die Faxen dick und gibt ihm mittels eines Korkenziehers (wie unschön!) den „wohlverdienten" Rest.

Zwei Seelen wohnen, Ach, in meiner Brust! Bekennender historisch-künstlerischer Traditionalist der ich nun mal bin, kann ich solchen Shakespeare-Verfremdungen eigentlich gar nichts abgewinnen, aber da ich die freie Meinung nun mal nicht gepachtet habe, beschränke ich mich abschließend auf den rein musikalischen Aspekt. Auch wenn das Stück nach dem ersten Vorhang etwas an Esprit und Kraft einbüßt, ist hier doch ohne jeglichen Zweifel eine hervorragende, durch große Spielfreude ausgezeichnete Darbietung zu besichtigen, die dem Musikfreund keine Wünsche offen lässt. Und darauf kommt es bei einer Oper ja schließlich auch an, oder?! Sehenswert!

 

CORRIERE DELLA SERA
sabato, 28 maggio, 2005

OPERA
"Macbeth" Festa crudele di Bieito

Ohne Grausamkeit, kein Fest (Senza crudeltà, niente festa): l'asserzione compare sui tabelloni elettronici in scena per l' edizione di Macbeth allestita da Oper Frankfurt per la regia di Calixto Bieito e diretta da Paolo Carignani. E di tale discussa ma anche applaudita produzione potrebbe configurarsi come lo slogan. Nell' interpretazione dell'artista catalano, infatti, la crudeltà è il motore della drammaturgia di quest'opera verdiana: una crudeltà tanto più spietata in quanto deriva dal potere più agguerrito di cui si possa oggi fare esperienza, che non è quello politico militare né tantomeno quello psicologico o sessuale, ma quello economico. Ciò che contrappone i personaggi del dramma è dunque, sempre secondo Bieito, la guerra per il controllo della Union Bank, che a sua volta ha in pugno la vita stessa della gente, dettandone i bisogni e le modalità d' accesso al credito per soddisfarli. Ecco perché l' azione si svolge in un futuribile centro commerciale al centro del quale gli schermi proiettano spot di articoli di lusso, partite di Champions League, l'andamento dei titoli di borsa e messaggi politicamente corretti, tipo: "io amo Ratzinger". Stavolta l' accusa al consumismo sostituisce il sesso come elemento chiave dello spettacolo di Bieito. E questa è già una notizia (per quanto la tortura cui è sottoposto Macbeth da parte delle streghe sia da film porno). Non lo è invece che la messinscena abbia il torto di raccontare tutt' altro che l' opera cui s' ispira e al tempo stesso il merito di saperlo raccontare, con un gran ritmo teatrale e una recitazione coerente con l' assunto.

Sorprendente la maturità d' interprete che va manifestando Paolo Carignani dacché lavora stabilmente in Assia: una crescita infallibile, di cui si sono accorti in molti ma non ancora in Italia. Fatto sta che questo " Macbeth " (edizione del 1865) non aveva una frase che non vantasse equilibrio tra gli elementi sperimentali più raffinati e l' energia materica, anche sporca volendo, di questa partitura disuguale eppure bellissima. Distinto inoltre il cast con Zeljko Lucic (Macbeth), Caroline Whisnant (Lady) e altri bravi comprimari.

Enrico Girardi

MACBETH di Verdi
Dir. Paolo Carignani; regia Calixto Bieito
Teatro dell'Opera di Francoforte

 

FINANCIAL TIMES
May 27, 2005

Macbeth, Frankfurt Opera

By Shirley Apthorp

It doesn't matter who sings what. At some point, someone's fist is up someone else's rectum. Some of us were not even sure this was anatomically possible until the nihilistic Catalan director Calixto Bieito took up opera. Now it's routine. In this case, the head witch has her digits in Macbeth's nether orifice. He takes it with an abstracted air. The thrusts help him hit his high notes. Ritual humiliation is a Bieito favourite, along with gratuitous slaughter and the creative use of bodily fluids. This time the chamber-maid makes the doctor drink a glass of her urine. Last year in Berlin, it was Bassa Selim with Konstanza. Such consistency might even be endearing, were it not all so crass. This is Bieito's first production for the Frankfurt Opera. In the silence following the fisting, a lone voice cries, "Play the scene again, but with the director!"

In Bieito's eyes, Verdi's Macbeth is a cautionary tale about financial and sexual power. Giant overhead screens advertise luxury consumer goods (sets: Alfons Flores; video: Rebecca Ringst). Everyone works for the Union Bank; this is a company outing gone hideously wrong. A promising start, in which Duncan is shown as a sleazy creep deserving death, if perhaps not quite torture, rape, and a final gouge with the corkscrew, degenerates in the course of the evening into the usual Bieito orgy of mindless drunken excess. Same production, different opera. In trying to capture the essence of horror and tragedy, he magnifies it so grotesquely that all impact is lost. Infected by Bieito's brutality, Paolo Carignani conducts a coarse and uncouth Verdi, low in subtlety, high in volume.

Chorus and cast are excellent, with Caroline Whisnant achieving miracles of colour, shading and musically intelligent expression as Lady Macbeth, no matter whom she is corkscrewing, and Zeljko Lucíc superb as a sonorous, world-weary Macbeth. Who is, peculiarly, left alive at the end. As an illuminated text around the stage points out, this a tale told by an idiot, full of sound and fury, signifying nothing.

 

Seen & Heard
International Opera Review

Oper Frankfurt: Verdi's Macbeth

Any new production by Catalan director Calixto Bieito is guaranteed to cause a stir. His splatter versions of mainstream operatic crowd-pleasers may require a strong stomach and inevitably polarize audiences and critics alike, but they're routinely a runaway success at the box office. In one X-rated scene of his blood-and-gore version of Mozart's Abduction from the Seraglio last year in Berlin, Osmin slices off a woman's nipple and forces a prostitute to drink a glass of his urine. The mass-circulation daily Bild, Germany's most widely read newspaper, fuelled the commotion by condemning the production as "filth", questioning whether public money should be used to fund such obscenities. Such self-righteous ranting by a newspaper that itself ignores the limits of good taste on a daily basis guaranteed the show was a sell-out.

And so the excited buzz of scandal was almost palpable in the foyer of Frankfurt's opera house on Sunday evening. What new shock tactics could the 42-year-old enfant terrible, a sort of Dario Argento of the opera world, come up with for one of the most bloody-thirsty of operas, Verdi's Macbeth? A quick flick through the programme before the curtain went up offered no tantalising foretaste of scandal.Instead, we gleaned that Bieito was transporting Shakespeare's drama to the modern-day world of banking and high finance. That could be a notion that is fairly hair-raising to some more conservative opera-goers, but can hardly be deemed as a source of moral outrage.Bieito turned up the unease factor by a frisson as we took our seats in the auditorium - projected on gigantic screens hanging above the stage was an endless loop of film of pigs in a pigsty, complete with squeals and grunts.

Just quite why such images should trigger undercurrents of nausea and dread is hard to explain. But given Bieito's penchant for stomach-churning gore, there was some justification in expecting the worst. Thankfully, as Frankfurt's GMD Paolo Carignani, a Verdi specialist, started conducting the prelude, the pigs gave way to a star-spangled sky onto which were projected advertising slogans ("Live your dreams", "Beauty is forever", "Spirit of perfection") as images of designer (Calvin Klein, Armani, DKNY) watches, shoes, jewellery floated in and out of view. Macbeth (Zeljko Lucic) wanders on stage, complete with designer suit and briefcase, picking with little appetite at a Marks and Spencer sandwich. The set, by Alfons Flores, looks if it is one of the vast conservatories on Norman Foster's Commerzbank skyscraper here in the centre of Frankfurt. The chorus of witches look like secretaries or bank employees, all carrying name-tags and takeaway cups of Starbucks coffee, and Banquo (Magnus Baldvinsson) is also a top executive on the bank's board. There are even the continuous red-ticker bands of stock prices running across the stage.

So far so good. Bieito's target seems to be today's investment bankers, the corporate fat-cats, a few of whom made up the first-night audience. Lady Macbeth (Caroline Whisnant) is also elegantly and expensively attired in a Chanel two-piece who reads Macbeth's letter as an e-mail on her laptop. But we know that something is going to go askew in the world of Frankfurt high finance when the witches sinisterly smear lipstick on their faces. Lady Macbeth seduces Duncan and then floors him by smashing a bottle of red wine across the back of his head. The king's humiliation proceeds with the removal of his clothes and is finally complete when the usurpers grope and mawl each other as Lady Macbeth, also in a state of undress, sits astraddle the twitching, fatally injured king.

At this point the first outraged boos came from the audience. But when Lady Macbeth finally finishes Duncan off by skewing a corkscrew into his jugular, sending out vaporised clouds of blood, a couple of patrons hurriedly made their noisy exits. Bieito's latest scandal was complete.

The trouble with shock-tactics is that they blunt very easily. And you couldn't help but get the feeling watching this production that Bieito's scandal-making is becoming a little routine. His up-dating of Macbeth certainly worked well and was dramatically cogent in the first half of the evening, but the second half more or less fizzled out as incongruities became more apparent. The battle of Birnam Wood was downgraded to a mere box-fight between rival bankers.

The slaughter of Banquo and of Macduff's children was suitably bloodthirsty and things even turned distinctly scatological when the witches, armed with rubber gloves, started doing unspeakable things to Macbeth's anus. Just quite what and why, I couldn't really grasp. But perhaps that speaks more of my own lack of imagination. To make sure we got the point, however, it was all underlined by the obscenities of sharp-fire images on the overhead screens. By the end of the evening, it was easy to have lost track of who had been butchered by whom and to, quite frankly, not really care less.

But from a musical point of view, there was everything to care about. There wasn't a single weak link in the mostly home-grown cast. Zeljko Lucic, in particular, was a magnificently world-weary Macbeth, with a noble, sonorous baritone. Magnus Baldvinsson was his equal in strength and clarity. Caroline Whisnant is a real find as Lady Macbeth, her dramatic soprano full and powerful, but still pleasing on the ear. Perhaps her vocal characterization lacked any real differentiation, particularly in the sleep-walking scene, as she failed to plumb the moral chasms of the character. The chorus, as usual, was excellent and the house orchestra, under GMD Carignani's acute, expert baton, in top form. An impressive four stars out of five for the music. A more middling three for the staging.

Simon Morgan

Verdi, Macbeth: Soloists, chorus and orchestra of Frankfurt Opera, Conductor: Paolo Carignani, Director: Calixto Bieito, Sets: Alfons Flores, Costumes: Nicola Reichert, Premiere on May 22, 2005 (SM)