Frankfurtr Allgemeine Zeitung
5. November 2004

Die Dirigentin Sian Edwards über Blochs "Macbeth" an der Frankfurter Oper
"Man muß sich selbst treu bleiben"

Keith Warner, Regisseur der Wiener und Frankfurter Koproduktion von Ernest Blochs Oper "Macbeth", schlug Sian Edwards als Dirigentin für Frankfurt vor. So lernte die Britin - am Royal Northern College of Music in Manchester zur Dirigentin und promovierten Musikwissenschaftlerin, sodann zwei Jahre lang am Leningrader Konservatorium ausgebildet und seither zunächst in ihrer Heimat in wichtige Positionen vorgerückt - eine überzeugende Rarität kennen.

Der Dreiakter mit Prolog des Genfer Komponisten wurde 1910 in Paris zwar in französischer Sprache uraufgeführt. Doch wegen des überwiegend englischsprachigen Frankfurter Teams, vor allem aber wegen des im Libretto kaum angetasteten Shakespeare-Originals wird in Frankfurt eine von Bloch autorisierte englischsprachige Version von 1930 geboten. Da diese Fassung jedoch bislang in einer amerikanischen Universität nur klavierbegleitet aufgeführt wurde, dürfte die Frankfurter Inszenierung, so vermutet Sian Edwards in einem Gespräch mit dieser Zeitung "die erste professionelle Wiedergabe dieser englischen Fassung sein".

Besonders fasziniert sie der unwiderstehliche dramatische Sog der stark textbezogenen Musik. Die in raschem Wechsel aneinandergeschnittenen oder zoomartig herangeholten Szenen erinnern sie an Filmmusik - "lange vor Hollywood bei einem Komponisten, der keine Filmmusik schrieb: Überhaupt war Blochs Musik um 1910 auf der Höhe ihrer Zeit, einfach up to date". Zwar habe Bloch als junger Komponist Anregungen von überallher zusammengerafft - Debussys Koloristik und Sprachmelodik, Wagners Leitmotivtechnik, Mussorgskys Leid- und Schicksalspathos; doch Bloch sei mit diesem Erbgut sehr selbständig, vor allem strukturell klar und intelligent umgegangen.

Wie dirigiert man eine derart komplexe, dazu noch fast ungeläufige Partitur? "Es dauerte ziemlich lange", gibt Sian Edwards zu, "bis ich die komplizierte Orchesterstruktur ergründet hatte. Doch die Logik und der Reichtum an Effekten in der Partitur halfen mit. Ich erkannte, daß die Musik von selbst vorschreibt, was sie bedeutet, daß wir also nichts hinzugeben müssen. Man muß sie aus ihrem fragilen Beginn im Prolog heraus entwickeln bis zum vollen romantischen Klang. Auch später gibt es noch kammermusikalische Stellen. Den Sängern muß ich helfen, die Psychologie des Dramas aus dem Text heraus zu phrasieren und zu färben."

Was bedeutet es für Sian Edwards, als Frau einem Orchester vorzustehen? Anfangs war es schwierig für sie, ohne weibliche Vorbilder ihre eigene, individuelle Position einem Kollektiv mitzuteilen. Denn der Begriff Autorität ist immer noch männlich und machtorientiert besetzt. Dirigenten wie Herbert von Karajan haben diese Vorstellung über Jahrzehnte verfestigt. Für den Dirigenten ist diese Stellung und Haltung traditionell ganz selbstverständlich, während die Dirigentin ihr eigenes Rollenmodell erst finden muß, ohne männliche Vorgaben zu kopieren. Doch Sian Edwards ist zuversichtlich, obwohl sie weiß, daß sich scheinbar offensichtliche, natürliche, Generationen hindurch fixierte Sichtweisen nicht über Nacht ändern werden: "Allmählich werden immer mehr Frauen diesen Beruf ergreifen, und so wird sich auch ihr Image und ihr Selbstverständnis darin nach und nach verändern."

Hilfen sind die immer paritätischer männlich-weiblich besetzten Orchester und junge, lockere, dynamische Dirigenten, die sich um männlichen Machterhalt nicht scheren. Sian Edwards hebt Simon Rattle hervor, dessen Zuspruch und konkrete Hilfe sie sehr voranbrachten. "Letzten Endes muß jeder Dirigent - männlich wie weiblich - sich selbst treu bleiben." Dieses Credo hat die temperamentvolle, beredte Mittvierzigerin, die von 1993 bis 1995 Musikdirektorin der English National Opera in London war, mit einer internationalen Konzert- und Opernkarriere samt zahlreicher Einspielungen eingelöst. Auch in Frankfurt war sie schon mehrmals zu erleben - am Pult des Ensemble Modern und des Radio-Sinfonie-Orchesters sowie in der Saison 2001/2002 in Brittens "Peter Grimes".

ELLEN KOHLHAAS

 

Frankfurter Rundschau
6. November 2004

Kein Weg zu Karajan
Sian Edwards findet eine Oper auf Shakespeare-Text wunderbar: In Frankfurt dirigiert sie nun Blochs selten gespielten "Macbeth"

Frankfurter Rundschau: Der Genfer See, die Heimat des Komponisten Ernest Bloch, ist eine recht ruhige, friedvolle Gegend. Was denken Sie, Frau Edwards: Warum hat Bloch für seine frühe Oper ausgerechnet den blutrünstigen "Macbeth" ausgesucht?

Sian Edwards: Er war damals ein junger Mann, der absolut eingebunden war in die europäische Kultur. Er studierte an den verschiedensten Orten, auch hier in Frankfurt, war beeinflusst von allen möglichen musikalischen Stilen, von Berlioz, Debussy, Wagner. Und er suchte wohl einen möglichst dramatischen Stoff, um all das unterzubringen und gleichzeitig etwas Eigenes zu schaffen. Unser Regisseur Keith Warner hat uns darauf aufmerksam gemacht, wie sehr sich Bloch ganz auf den psychologischen Moment konzentriert, auf das von der Macht verführte Paar Macbeth, das einen einzigen Mord begeht und damit eine ganze Lawine auslöst.

Die Dramaturgie bei William Shakespeare ist perfekt: Stringent, logisch, kraftvoll - aber ist sie auch perfekt für eine Opernbühne?

Ja, unbedingt. Denn - Giuseppe Verdi hat das ja früher schon erkannt - sie gibt die Möglichkeit zu extrem intensiven Szenen zwischen Individuen. Und sie gibt ebenso die Möglichkeit, das Ganze auch wieder weg vom Persönlichen und hin zum Globalen zu führen. Bloch hat zum Beispiel jeden Akt mit einem Chor beendet - um zu zeigen, wie das Persönliche sich auswirkt auf das Allgemeine. Da war er wohl stark von Modest Mussorgskij beeinflusst.

Bedeutet die Konzentration auf den psychologischen Moment jetzt konkret bei dieser Inszenierung einen Verzicht auf große Ritterrunden und prächtigen Hofstaat?

Man sieht Macbeth durchaus als König, wie er die Krone übernimmt von Duncan, das ist sein Weg. Doch hier spielen die großen höfischen Szenen keine Rolle, Bloch selbst hat das Repräsentative weitgehend ausgespart. Keith Warner arbeitet vielmehr mit schnellen Schnitten, fast wie in einem Kinofilm: Kurze Szenen, schnelle Auftritte, eben so, wie die Musik selbst angelegt ist. Ein bisschen wie Filmmusik, mit kleinen, präzisen Erkennungsmomenten.

Warum haben Sie sich entschieden, die Oper nicht im Französisch der Uraufführung, sondern in Englisch zu spielen?

Nun, zunächst sind wir ein britisches Team, aber das ist es natürlich nicht allein. Bloch hat 1930 selbst eine englische Fassung erstellt, und er hat dabei zu 90 Prozent die originale Shakespeare-Sprache übernommen. Eine Oper auf den echten Shakespeare-Wortlaut, das ist eine wunderbare Sache. Und das hat Ernest Bloch schon als 28-jähriger äußerst clever gemacht: Die Musik erschlägt nicht die Worte, es findet kein Kampf statt zwischen Sängern und Orchester.

Zur Einordnung: Im Uraufführungsjahr 1910 entstanden auch der "Rosenkavalier" und Puccinis "La Fanciulla del West". Kann man da Vergleiche ziehen?

Die schnellen Schnitte des Verismo, ja, aber eine Ähnlichkeit mit Strauss? Nein, den riesenhaften Strauss-Klang findet man hier nirgends. Und was Bloch völlig von Puccini und Strauss unterscheidet, ist seine Stimmbehandlung: Hier müssen die Sänger auch flüstern, wispern, schreien, eben ihrer Stimme ganz besondere Färbungen geben.

In Deutschland ist Bloch weitgehend unbekannt. Man verbindet mit ihm allenfalls einen gewissen hebräischen Tonfall, der zu seinem Markenzeichen wurde, doch dass er überhaupt eine Oper geschrieben hat, weiß kaum einer. Woher kommt das?

In Großbritannien ist das nicht anders. Die Pariser Uraufführung von Macbeth 1910 war kein besonderer Erfolg, Bloch ging zurück in die Schweiz und arbeitete im Uhrenladen seines Vaters. Erst als er in die USA überwechselte nahm seine Karriere einen Aufschwung. Europa hat ihn und seinen frühen, ich möchte sagen Post-Pelléas et Mélisande-Stil nie beachtet, in den USA fand er dann zu seinem neuen, hebräisch beeinflussten Stil. Auch ich kam nie in Kontakt mit seinem Macbeth, erst jetzt, als ich für diese Produktion eingeladen wurde.

Sie scheinen als Dirigentin ja eine besondere Vorliebe zu haben für seltene Opern aus dem 20. Jahrhundert, werden deswegen für Produktionen wie diese eingeladen. Gibt es diese Vorliebe auch wirklich?

Es stimmt, solche ungewöhnlichen Werke werden mir oft angeboten. Andere Dirigenten arbeiten an ihrer Wagner- oder Strauss-Kompetenz, mich interessiert das weniger. Mein Weg geht eher Richtung Janacek, Strawinsky, Bartók. Und auch die Engländer Britten, Tippet, Turnage, letzteren habe ich zum Beispiel auch mit dem Ensemble Modern aufgeführt.

Wollen Sie als Spezialistin gesehen werden oder doch eher als Allrounder?

Ich würde mich als Allrounder bezeichnen. Ich klammere für mich zwar die frühe Musik aus, denn ich denke, das ist wirklich ein Fach für Spezialisten. Aber ab Haydn und Mozart dirigiere ich alles - vielleicht bislang noch mit Ausnahme des großen deutschen Opernrepertoires, denn ich denke, dazu müsste ich doch erst einmal Deutsch lernen. Aber ich habe wirklich nichts gegen Mainstream-Repertoire. Als junger Dirigent rümpft man da gerne einmal die Nase über so etwas, aber in Wirklichkeit sind das ganz wunderbare Sachen.

Und Sie haben offensichtlich auch keine Berührungsängste mit dem Crossover. Zumindest waren Sie als Dirigentin am Bestseller-Erfolg des britischen Kinderstars Charlotte Church und deren "Voice of an Angel" beteiligt.

Nun, die klassische Musikindustrie steckt bekanntlich in der Krise, und wenn eine Charlotte Church 600 000 CDs verkauft, werden der Plattenfirma damit auch wieder anspruchsvollere Produktionen ermöglicht. Es stimmt, ich habe kein Problem mit Crossover, die Leute sollen sich anhören können, was ihnen gefällt.

Frau Edwards, eine letzte Frage: Sind Sie froh, dass dieses Interview nun fast zu Ende ist, ohne dass wir bisher ein Wort verloren haben über Ihre Rolle als dirigierende Frau?

Bei jedem Interview warte ich auf den Moment, wo dieses Thema auf den Tisch kommt. Aber mir ist ja auch bewusst, dass eine Frau am Dirigentenpult nach wie vor ungewöhnlich ist, obwohl mittlerweile in anderen Führungspositionen Frauen durchaus angekommen sind. Oft werde ich gefragt, warum das so ist, und ich kann nur aus eigener Erfahrung sprechen: Vor 20 Jahren, als ich Studentin war, prägte ein Herbert von Karajan das Image eines Dirigenten - und für ein junges Mädchen führte da natürlich kein Weg hin. Meinem Gefühl nach war es Simon Rattle, der dieses Image neu definierte: als junger, enthusiastischer, unkonventioneller Dirigent. Er zeigte einen völlig neuen Weg der Orchesterarbeit auf, und machte damit den Weg auch frei für dirigierende Frauen. Aber Dirigentinnen, die auch nur zehn Jahre älter sind als ich, mussten noch hartes Eis brechen, um akzeptiert zu werden. Ich bin froh, dass ich nach ihnen am Zug war. Und eigentlich gibt es noch immer in der Arbeitswelt die zweierlei Rollen im Umgang mit Autorität: Ein autoritärer Mann wird als "taff" angesehen, bei einer autoritären Frau heißt es gleich: "Bitch!"

Interview: Stefan Schickhaus

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Copyright © Frankfurter Rundschau online 2004
Dokument erstellt am 05.11.2004 um 16:40:13 Uhr
Erscheinungsdatum 06.11.2004


Sian Edwards studied at the RNCM and with Professor A.I. Musin at the Leningrad Conservatoire. She has worked with many of the world’s leading orchestras including Los Angeles Philharmonic, Cleveland, Orchestre de Paris, Berlin Symphony, St. Petersburg Philharmonic, and CBSO.

She made her operatic debut in 1986 conducting Weill's Mahagonny for Scottish Opera, and her ROH debut in 1988 with Tippett's The Knot Garden. From 1993 to 1995 she was Music Director of ENO for whom her repertoire included Khovanshchina, Jenufa, Queen of Spades and Blond Eckbert (also recorded on Collins). For the Glyndebourne Festival she has conducted La Traviata and the Ravel Double Bill, and for Glyndebourne Touring Opera Katya Kabanova and Tippett's New Year. She conducted the world premiere of Mark Anthony Turnage’s Greek at the Munich Biennale in 1988. Recent engagements have included the world premiere of Hans Gefors' Clara for the Opéra Comique in Paris, Così fan tutte in Aspen, her return to ENO for Eugene Onegin, Don Giovanni in Copenhagen, Damnation de Faust in Helsinki and Peter Grimes in Frankfurt.

Sian Edwards' recordings include Peter and the Wolf, Britten's Young Person's Guide, and Tchaikovsky's 5th Symphony, all with the London Philharmonic Orchestra and Judith Weir's Blond Eckbert with English National Opera.

 

OFFENBACH POST
6. November 2004

Daniel Sumegi singt Blochs "Macbeth"
Opernrarität als schierer Kraftakt

Nein, mit dem nasskalten Novemberwetter hat Daniel Sumegi keine Probleme. Und gefragt, wie er das empfindliche Organ Stimme gegen derlei Anfeindungen schützt, lupft er einfach kurz den Künstlerschal: Auf eine robuste Gesundheit des australischen Bass-Baritons muss man auch hoffen. Sollte er indisponiert sein, dürfte die Oper Frankfurt nämlich Schwierigkeiten haben, eine Vertretung für ihn zu finden: Sumegi singt in Ernest Blochs Oper "Macbeth", die am morgigen Sonntag (18 Uhr) Premiere hat, die Titelpartie. Und seine Unersetzlichkeit genießt Sumegi durchaus augenzwinkernd.

Denn Blochs Shakespeare-Vertonung aus dem frühen 20. Jahrhundert ist nur äußerst selten auf der Bühne zu erleben: Vor einigen Jahren inszenierte John Dew, heute Intendant des Staatstheaters Darmstadt, das etwa drei Stunden dauernde Werk in der französischen Erstfassung in Dortmund. In Frankfurt wird die Oper jetzt in der eigenen, englischsprachigen Überarbeitung des Schweizer Komponisten zu erleben sein.

Die Inszenierung von Keith Warner, der vergangene Spielzeit in Frankfurt zum Beispiel in Rossinis "La Cenerentola" Regie geführt hat, war bereits in Wien zu sehen; es handelt sich um eine Koproduktion der Oper Frankfurt mit dem dortigen Klangbogen-Festival. Allerdings, so versichert Macbeth-Darsteller Sumegi, habe der Regisseur in Frankfurt seine Inszenierung noch einmal von Grund auf erarbeitet. Der Sänger, der Warner als einen der besten Regisseure lobt, mit denen er je zusammengearbeitet hat, war, wie übrigens alle Ausführenden in Frankfurt, an den Aufführungen in Wien nicht beteiligt. Überhaupt habe er erst relativ kurzfristig die Verpflichtung von einem anderen Kollegen übernommen: Gerade drei Wochen hatte er vor der ersten Probe Zeit, seine Titelpartie mit ihrem gewaltigen Umfang einzustudieren.

Wobei man Sumegi, der erstmals in Frankfurt gastiert, fehlende Flexibilität gewiss nicht vorwerfen kann: Mehr als 80 Partien hat er in seiner Karriere bereits gesungen, und für eine niederländische Aufführung von Giuseppe Verdis "Macbeth" habe er einmal sogar die Partie des Banquo über Nacht einstudiert, erinnert sich der Sänger. Auch Verdis Shakespeare-Oper wird diese Spielzeit übrigens noch in Frankfurt zu sehen sein. Dass Verdi und Blochs "Macbeth"-Vertonungen völlig unterschiedlich ausgefallen sind, bestätigt auch der Solist. Und für den seltener gespielten Bloch-"Macbeth" verspricht Sumegi eine an Filmmusik erinnernde musiktheatralische Grundierung: Man darf also gespannt sein auf diese Premiere, die in Frankfurt musikalisch übrigens von der Dirigentin Sian Edwards geleitet wird.

AXEL ZIBULSKI