Zorn & Seligkeit VON ANNETTE BECKER Gott hat viele Gesichter. Christen fürchten ihn als strengen Richter, lieben ihn als gütigen Erlöser, nehmen ihn mitunter gar in die Pflicht und ermahnen ihn respektvoll an seine einstigen Versprechen, mitunter fast in einem Atemzug. So widersprüchlich wie die Menschheit selbst ist dieses Gottesbild. Vor allem Giuseppe Verdis Messa da Requiem erweckt den Eindruck, als sei Gott nicht mehr und nicht weniger als die ins Unermessliche gesteigerte Summe aller menschlichen Gefühle von der größten Verzweiflung und Angst bis zur größten Glückseligkeit. Ein solches Tongemälde überzeugt allerdings nur, wenn es angemessen wiederbelebt wird - dies nun gelang dem Orchestra Sinfonica di Milano Giuseppe Verdi und dem von seinem Gründer Romano Gandolfi einstudierten Coro Sinfonico di Milano ohne weiteres. So intensiv ließen die Gäste der Reihe Classic Nights der Alten Oper die Klangfarben ihres Namenspatrons leuchten, dass der Schlussapplaus zunächst regelrecht beklommen begann, bevor er sich zu minutenlangen Ovationen steigerte. Unter der Leitung ihres Chefdirigenten Riccardo Chailly, der seinen Einstand als neuer Gewandhauskapellmeister und Generalmusikdirektor der Oper Leipzig im November 2004 im übrigen ebenfalls mit Verdis Messa da Requiem gab, nahmen die Mailänder Verdis Wunsch nach gedämpften Stimmen an den entscheidenden Stellen etwa des einleitenden Requiem-Satzes so wörtlich, dass die geballte Hundertschaft des Chores dort nur wie in höchster Todesangst flüsterte. Leidenschaftlich schürte Chailly das lodernde Höllenfeuer des Dies Irae, ließ die Trompeten bei Tuba mirum ihre apokalyptischen Fanfaren von den Seitenemporen herunter schmettern, mit eindringlichen Stereo-Effekten vor allem für die vorderen Publikumsreihen. Und doch zügelte er bei aller Ekstase die Massen immer wieder so, dass genügend Raum blieb für zartere Stimmungen und nicht zuletzt für das ausgezeichnete Solistenquartett aus Fiorenza Cedolins, Maria José Montiel, Massimo Giordano und Carlo Colombara. Klangstark und mit großem dramatischem Gespür waren sie für die persönlicheren Momente des monumentalen Werks zuständig, wobei Sopran, Mezzosopran und Tenor den nachhaltigsten Eindruck hinterließen. Selten wurde die Frage nach der Identität Gottes so ungemein fesselnd gestellt. [ document info ] Dokument erstellt am 23.05.2005 um 16:08:16 Uhr Erscheinungsdatum 24.05.2005 |
Entrückte Schönheit Von Matthias Gerhart "Tag der Rache, Tag der Sünden", heißt es im "Dies irae" des Requiems, dem Verdi in seiner Vertonung fast die Hälfte der eineinhalb Stunden Gesamtdauer eingeräumt hat. Wenn allerdings so beherzt und zupackend musiziert wird wie nun beim Gastspiel der Mailänder im Großen Saal, kann von Rache oder gar Sünde nicht die Rede sein. Es ist für den Zuhörer stattdessen das blanke Vergnügen, auch wenn’s manchmal etwas laut zugeht. Aber Verdis "Requiem" ist eben zu einem guten Teil richtige Opernmusik, und da darf der Tenor zuweilen schon mal richtig aufschluchzen, damit es auch "echt" klingt. Abgespeckte Sachlichkeit ist nicht eben die Sache von Riccardo Chailly, dem souveränen Chefdirigenten des Orchestra Sinfonica di Milano. Man liebt es stattdessen üppig und setzt ganz auf den Kontrastreichtum des Werks. Mit einem dichten Streicherteppich und absolut einsatzsicheren Bläsern sowie mit Stärke und Entschlossenheit agierenden Paukern war dies eine saubere Sache. Der Chor ergoss sich allerdings nicht nur in massive "Dies-irae"-Bekenntnisse, sondern hatte trotz der gewaltigen Anzahl von Sängern starke Momente in leiseren Abschnitten, die – wie bei "Quantus tremor et futurus" – fast geflüstert wurden. Das Solistenquartett hatte im "Kyrie" erstmals Gelegenheit, Stimmfülle und Homogenität zu zeigen: Fiorenza Cedolins (Sopran), Maria José Montiel (Mezzosopran), Massimo Giordano (Tenor) und Carlo Colombara (Bass) standen sich an Kraft und Inbrunst um nichts nach, wobei die Sopranistin am Ende im "Libera me" ihr Solo in entrückter Schönheit vortrug. |
Frankfurt und Frankfurter Es wurde am Sonntag abend zwar Giuseppe Verdis "Messa da Requiem" in der Alten Oper aufgeführt. Doch Helaba-Chef Günther Merl, dessen Haus das Konzert des Starorchesters "Orchestra Sinfonica e Coro di Milano" unter Riccardo Chailly ermöglicht hat, wollte das Requiem keinesfalls als Grabgesang auf die Frankfurter Sparkasse verstanden wissen. Der Vers "Und ein Buch wird aufgeschlagen,/treu darin ist eingetragen/jede Schuld aus Erdentagen" mag gelten, wenn die Kontrolleure der Helaba nach der Übernahme der Sparkasse noch einmal alle wichtigen Geschäftsvorgänge durchsehen. Doch werden Merls Prüfer am Ende gewiß nicht singen "Tag des Zornes, Tag der Rache", sondern wohl eher sich auf den Schlußsatz aus dem Offertorio kaprizieren, der da lautet: "Laß sie (die Sparkasse natürlich) vom Tode hinübergehen zum Leben." Wenn die 1822 einmal wieder besser bei Kräften ist, wird sie - dies hat Merl beim Empfang anläßlich des Verdi-Konzertes schon verraten - wieder häufiger als Förderer von Kultur auftreten. Und auch als Sport-Sponsor. Schließlich ist Merl - obwohl ein Bayer - Eintracht-Fan. (rieb.) Auch wenn sich einige liebend gern mit den Ordnungshütern prügeln: Bei weitem nicht alle Eintracht-Anhänger haben ein gespaltenes Verhältnis zur Polizei. Sabine, ein junger Fan aus Frankfurt, meldete sich jedenfalls am Montag bei Franz Winkler, Pressesprecher im Polizeipräsidium, und bat ihn um Hilfe bei der Suche nach einem "fürchterlich netten" Polizisten, mit dem sie bei der Aufstiegsfeier am Römerberg ins Gespräch gekommen sei. Braungebrannt, etwa 30 Jahre alt und zirka 1,80 Meter groß sei er, habe dunkles Haar, dunkle Augen und eine kleine Narbe an der Lippe. Viel zu kurz sei der Gedankenaustausch am Sonntag abend gewesen, weil der Polizist plötzlich wegbeordert worden sei, klagte Sabine in einem Telefongespräch und dann in einer E-Mail an Winkler. Sie würde den Traummann gern näher kennenlernen, ob sich denn da nichts machen lasse. Zwar gilt auch bei den Sicherheitskräften grundsätzlich der Datenschutz, doch weil Franz Winkler alles andere als ein Unmensch ist, wird er nun zunächst den geheimnisvollen Beamten ausfindig machen und sich dann möglicherweise als Liebesbote betätigen. (ler.) |
Kaum richtig Platz auf dem Podium Von Siegfried Kienzle FRANKFURT Sozusagen eine Abschiedsvorstellung: Vor einigen Tagen hat Riccardo Chailly seinen Rücktritt als Chefdirigent des Mailänder Orchestra Sinfonico Giuseppe Verdi erklärt, das er sechs Jahre geleitet hat. Damit hat er die Musikkrise in Mailand verschärft. Nach dem Weggang von Riccardo Muti aus der Scala muss die Stadt nun für ihre beiden zentralen Musik-Institutionen nach Dirigenten von Rang Ausschau halten. Mit Chor und Orchestra Sinfonico di Milano gastierte Chailly jetzt in der Alten Oper Frankfurt mit Verdis Requiem - beide Ensembles verfügen über eine verschwenderische Größenordnung, die kaum Platz findet auf dem Podium. Früher hat man diesem aufwühlend emotionalen Spätwerk, das Verdi auf den Tod des italienischen Nationaldichters Manzoni schrieb, ein Zuviel an Opernhaftigkeit, ein Zuwenig an Religiosität vorgeworfen. Heute sucht man geradezu nach den theatralischen Effekten im "Requiem" und hat es zuweilen auch als Bühnenwerk "inszeniert". Auch Chailly vermeidet alles Oratorienhafte und betont die opernhafte Wirkung, die forcierten Emotionen. Das "Dies irae" schleudert der Chor als katastrophische Angstvision heraus, untermalt vom Glissando-Absturz der Violinen und dem Donnern der Pauken. Das wird zum grellen Wetterleuchten des Jüngsten Gerichts. Etwas verwaschen klingt die Sanctus-Fuge, doch die Schluss-Fuge im "Libera me" bringt der Chor packend und eindringlich. Verdis vielfältige Ausdrucksskala für die Todesangst und die Sehnsucht nach ewiger Ruhe, die über den Gesang hinaus auch die deklamatorische Rede und das geflüsterte Wort einbezieht, werden von Chailly so vital nachgezeichnet, dass manche Differenzierung auf der Strecke bleibt. Unter dem Solisten-Quartett hat Maria José Montiel die schönste Stimme: Wunderbar abgedunkelt singt ihr Mezzo im "Liber scriptus" vom Schuldbuch der armen Sünder und ergreift im "Lacrymosa" durch Innigkeit und Leidenschaft. Die übrigen Sänger sind keine Unbekannten in der Frankfurter Musikszene. Der Sopran Fiorenza Cedolins, vor einigen Jahren die Troubadour-Leonore an der Frankfurter Oper, findet für ihr Solo "Libera me" opernhaft leuchtende Legatobögen. Der Tenor Massimo Giordano, in dieser Spielzeit der Romeo in der Gounod-Oper, macht aus dem "Ingemisco" nicht die übliche Schmetter-Arie, sondern ein verinnerlichtes Gebet von lyrischer Piano-Kultur. Der Bass Carlo Colombaro war in dieser Partie bereits 1994 in der Alten Oper beim Scala-Gastspiel unter Muti im "Requiem" zu hören. Mit nicht gerade großem Volumen, doch samtigem Timbre vermittelt er im "Confutatis" die flehende Jenseitshoffnung und verhaucht mit fahlem Ton die Todesfurcht des "Mors stupebit". Großer Beifall im ausverkauften Haus für Chaillys zupackende, recht irdische Lesart des Sakralwerks. |