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Oper Frankfurt, 17. Juni 2005 (Deutsche Erstaufführung) Die tragische Biografie und das literarische Werk des Dichters Friedrich Hölderlin haben verschiedenste Komponisten des 20. Jahrhunderts (u.a. Wolfgang Rihm, Luigi Nono, Walter Zimmermann) fasziniert und zur künstlerischen Auseinandersetzung inspiriert.
Die tiefempfundene, aber ungelebte Liebe zu der Frankfurter Bankiersgattin Susette Gontard wurde dabei ebenso zum Anknüpfungspunkt künstlerischer Rezeption wie der sich verschlechternde geistige Zustand des Dichters und seine letzten Lebensjahrzehnte im Tübinger Turm. Georg Friedrich Haas, 1953 in Graz geboren, bezieht sich im selbst erstellten Libretto seiner Kammeroper Nacht – 1995/96 entstanden und 1996 zunächst konzertant, 1998 dann szenisch in Bregenz uraufgeführt – auf Texte aus Hölderlins Roman Hyperion, aus der ersten Fassung des Dramenfragments Der Tod des Empedokles, aus der Übertragung von Sophokles’ Ödipus der Tyrann sowie aus Briefen Susette Gontards. Unter Verzicht auf eine lineare Handlungsführung montiert Haas die Textzitate zu einer Abfolge selbstständiger Bilder. Wie durch ein Prisma betrachtet Hölderlin in der Oper verschiedene seiner literarischen Figuren, die ihm Stationen seines Leidens vor Augen führen. Georg Friedrich Haas studierte bei Gösta Neuwirth in Graz und bei Friedrich Cerha in Wien. Seit 1989 unterrichtete er an der Musikhochschule Graz. Von 1997 bis 2002 war er von der Lehrtätigkeit beurlaubt, um sich ganz seiner Arbeit als freischaffender Komponist widmen zu können. Sein Werk wurde verschiedentlich ausgezeichnet, u.a. 1998 mit dem Ernst-Krenek-Preis der Stadt Wien für Nacht. Zu seinen letzten Uraufführungen zählen die Kammeroper Die schöne Wunde (2003), Opus 68 für großes Orchester und das Konzert für Violoncello und Orchester (2004). Haas lebt derzeit in Graz und Wien. Die musikalische Leitung des an dieser Frankfurter Neuproduktion beteiligten Ensemble Modern liegt bei Frankfurts Kapellmeister Roland Böer, der zuletzt einen großen Erfolg mit Mozarts Titus an der English National Opera in London feiern konnte. Die Regisseurin Friederike Rinne-Wolf arbeitete als Regie-Assistentin u.a. mit Achim Freyer, mit dem zusammen sie an der Oper Frankfurt Sciarrinos Macbeth und Händels Ariodante inszenierte. Wagners Tristan und Isolde erarbeitete die Bühnen- und Kostümbildnerin rosalie in dieser Saison am Theater Basel. Ab November 2005 ist ihre Ausstellung Nacht und Tag in der Frankfurter Galerie Wild zu sehen. Seit 1995 ist rosalie Professorin für Bühnen- und Kostümbild an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach. Die Sängerbesetzung dieser Neuproduktion setzt sich sowohl aus Gästen (Alexander Mayr, Steven Gallop, Stephan Rehm, Heike Kroemer) als auch aus Frankfurter Ensemblemitgliedern (Barbara Zechmeister, Annette Stricker, Johannes Martin Kränzle) zusammen. |
Aus dem Dunkel. Ins Licht. VON TIM GORBAUCH Die Nacht ist ein beliebtes romantisches Motiv. Für Novalis, der Hymnen an sie schrieb, war sie der Gegenentwurf zur unseligen Geschäftigkeit des Tags, für Eichendorff war sie vor allem friedlich und rein: "Es war als hätt' der Himmel / Die Erde still geküsst". Wer kennt das nicht. Doch um all das soll es hier nicht gehen. Die Nacht, die Georg Friedrich Haas in seiner mit Hölderlin-Motiven jonglierenden Kammeroper meint, ist, so der österreichische Komponist, "nicht mit romantisierenden Vorstellungen verbunden, sondern mit Realitätsverlust und Hoffnungslosigkeit, mit geistiger Um-Nachtung, mit dem Verlust von Utopien." Haas, 1953 in Graz geboren und längst eine bedeutende Erscheinung der zeitgenössischen Musik, hat Nacht Mitte der 90er Jahre auf verschiedene Hölderlin-Texte komponiert. 1998 erhielt er dafür den Ernst-Krenek-Preis der Stadt Wien. An der Oper Frankfurt, besser gesagt: im Bockenheimer Depot, ist sein knapp 70-minütiges Werk nun erstmals zu sehen - in einem Bühnenbild von rosalie und einer Inszenierung Friederike Rinne-Wolfs. Haas ist kein Mann der großen Töne. Er liebt das Filigrane, experimentiert mit schwebenden Obertonkonstellationen und extrem ausgehörten Klängen. Seine Partitur empfindet Rinne-Wolf als komplex und enorm vielschichtig. Er vertone den Text nicht, sondern stelle ihm eine eigenständige Musik entgegen. Text, Gesang und Orchester existieren unabhängig voneinander - und zwar in einer Radikalität, die herausfordernd neu ist. Die Konstante Hölderlin Ohnehin sucht Haas nicht nach Querverweisen, nicht einmal nach einer linear erzählbaren Geschichte. Seine Kammeroper ist eine Kette von 24 Bildern, die kaum etwas miteinander zu tun haben, wie filmschnittartig aneinander gereiht wirken. Dem Theater Rinne-Wolfs, die lange Jahre bei Achim Freyer lernte und mit ihm gemeinsam in Frankfurt Händels Ariodante realisierte, kommt das entgegen. "Mir liegt es nahe, so assoziativ zu denken, die Bilder zu nehmen und sie einfach erst einmal Bilder sein zu lassen. Und doch brauche ich, um etwas auf dem Theater zu erzählen, ein Mindestmaß an Linearität. Die habe ich mir auch gebaut." Sie rückt die Figur des alten, von Visionen, Gespenstern und Trugbildern verfolgten Hölderlin ins Zentrum der Bühne, die er nie verlässt. Hölderlin als "Identifikationspunkt für das Publikum, als etwas, das sich nicht wandelt", als Konstante in einem sprunghaft sich wandelnden Umfeld. Und doch interessiert sie Hölderlin weniger als historische denn als beispielhafte Figur. Als einer, der stellvertretend traumatische Erlebnisse erfährt, erinnert, verarbeitet. Schmerz ist universell. Rinne-Wolfs Nacht liegt nicht in ferner Romantik verborgen, sondern sucht eine gegenwärtige Realität, ohne sie aber real auf die Bühne bringen zu müssen. "Ich musste mich fragen, was mich an dieser Geschichte betrifft - auch was mich betroffen macht." Es war "die Erkenntnis, dass es möglich ist, einen Weg aus dem Dunkel zu finden". In ihrer gemeinsamen Arbeit suchen sowohl Rinne-Wolf als auch Bühnenbildnerin rosalie ausdrücklich den Kontakt zum Komponisten. Schon vor langer Zeit haben sie Haas in Basel getroffen, später telefonierten sie regelmäßig, bei den Schlussproben ist er ohnehin vor Ort. Dabei werden nicht nur musikalische, sondern auch szenische Details diskutiert. Denn Haas selbst ist auch dort sehr genau. In seiner Partitur sind konkrete Regieanweisungen notiert. Rinne-Wolf nimmt sie ernst - als dramaturgischen Faden, weniger aber als buchstäbliche Geste. "Wichtiger ist es doch, den Sinn einer Regieanweisung zu begreifen. Ich muss dafür dann meine eigene Sprache, meine eigene szenische Vorstellung finden. Da hat Haas mir auch alle Freiheit gelassen." "Immer wieder frage ich mich", sagt Haas, "welches Recht ich habe, mich in mein ruhiges Komponierhäuschen zurückzuziehen, um dort an ausschließlich durch musikalische Kriterien bestimmten musikalischen Materialien herumzufeilen, um in fein differenzierte Obertonstimmungen hineinzuhören. Die Diskrepanz meiner Klangwelt und dem Verzweifeln angesichts einer gesellschaftlichen Realität, der ich machtlos, wirkungslos gegenüber stehe, macht betroffen." Mithin hört man seinen Tönen das Verzweifeln an. Und doch: Man könnte Haas vordergründig ganz unpolitische und unengagierte Musik ohne Übertreibung als Ort beschreiben, an dem das Andere, das Fremde, das Verdrängte eine Heimat hat. Das macht sie enorm heikel, so eminent schwer zu spielen. In Frankfurt indes könnte sie keinen besseren Partner finden: Roland Böer dirigiert das Ensemble Modern. [ document info ] Dokument erstellt am 16.06.2005 um 16:00:28 Uhr Erscheinungsdatum 17.06.2005 |
BÜHNENBILD Von Eva-Maria Magel „Verloren ins weite Blau, blicke ich oft hinauf an den Äther und hinein ins heilige Meer, und mir ist, als öffnet ein verwandter Geist mir die Arme, als löste der Schmerz der Einsamkeit sich auf ins Leben der Gottheit." Rosalie schaut nur zur Sicherheit noch einmal ins Libretto, das sie stets bei sich trägt. Ihren Hölderlin hat sie im Kopf. Nicht nur die Passage aus „Hyperion", die nun in Georg Friedrich Haas' Oper „Nacht" zu hören ist, einem musikalischen Porträt Hölderlins, das gestern im Bockenheimer Depot Premiere hatte. Hölderlin auswendig kennen ist Ehrensache: Rosalie, der schwäbische Akzent verrät es, kam 1953 unweit von Lauffen am Neckar, dem Geburtsort des Dichters, zur Welt. Und da sie vor ihrer Tätigkeit als Bühnenbildnerin Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte studiert hat, kreuzte der Dichter immer wieder ihren Weg. Jetzt also in einem „unglaublichen Werk von radikaler Vielschichtigkeit", wie sie Haas' 1998 in Bregenz uraufgeführtes Musiktheaterstück nennt. Ganz von Text und Musik her arbeitend, hat sie Haas' Werk „unendlich oft" gelesen und gehört, bevor sie zu ihren Zeichenutensilien griff. Am liebsten die „großen Brocken" Es geht spontan zu in der ersten Arbeitsphase - bis zu dem Moment, in dem Rosalie ihre Entwürfe in Bezug zu Partitur und Text bringt. Dann folgen klare, exakte Analysen. Rosalie, die den immer noch verwendeten Begriff „Ausstattung" für ihre Arbeit als Bühnen- und Kostümbildnerin haßt, sucht stets nach dem, was sie dem Werk entgegensetzen kann: ein Feld für die Phantasie des Zuschauers und Freiraum für die Musik. Freiraum hat Haas zu einem Teil schon in seine Partitur geschrieben: Die Musiker, in diesem Fall das Ensemble Modern unter der Leitung von Roland Böer, wechseln nicht nur zwischen unterschiedlich gestimmten Elementen, sie bewegen sich auch im Raum. Der, so wünscht sich Rosalie, muß ebenso stark sein wie die Musik. Insofern ist es nicht nur ein Glücksfall, wie Rosalie sagt, daß sie ausgerechnet an diesem Ort mit der „Nacht" arbeitet. Es ist vielleicht auch ein Glück, daß Rosalie, die soeben in Basel Bühne und Kostüme eines „Tristan" gestaltet hat, sich nach eigenem Bekunden am liebsten mit den „großen Brocken" der Musik und des Balletts beschäftigt. Solchen, die, zumindest anfangs, unbezwingbar wirken, wobei sie sich schon seit ihren ersten Arbeiten zu Musik von Hans Werner Henze immer wieder mit zeitgenössischer Musik befaßt: 2000 hat sie an der Frankfurter Oper Adriana Hölszkys „Wände" gestaltet. „Raumforschung" Das Bockenheimer Depot ist für Arbeiten wie Haas' „Nacht" ein geradezu idealer Ort, findet Rosalie. Doch die an ein Kirchenschiff erinnernde Halle ist auch eine Herausforderung: Schließlich will sie dem „unglaublichen Werk mit radikaler Vielschichtigkeit", das Haas geschrieben hat, etwas Spannungsvolles, Ebenbürtiges entgegensetzen. „Raumforschung", die Rosalie als Teil ihrer Arbeit versteht, hat sie jedenfalls gründlich betrieben für die enorme Konstruktion, die sich im Material dem Gebäude anpaßt - sie ist aus Holz. Blau, die einzige Farbe, die Nähe und Ferne zugleich ausstrahle, hat Rosalie gewählt, denn sie korrespondiert mit dem Zweideutigen, zwischen Traum und Albtraum, Geborgenheit und Gefahr Schwebenden, das Haas' Hölderlin-Nacht ausmacht. Die Ambivalenz der Hölderlin-Texte, sozusagen zwischen Äther und Meer, zwischen imaginierten Ichs und dem nächtlich verwirrten Selbst, findet sich wieder in den Tiefen und Untiefen der Farbe, des Lichts und des Raums, den Rosalie gestaltet hat. In mehrfacher Hinsicht ein Glücksfall Nicht nur die „hohe Qualität", mit der an der Frankfurter Oper gearbeitet werde, macht Rosalies derzeitiges Projekt zum Glücksfall. Auch die Nähe zu Offenbach, wo Rosalie seit 1995 an der Hochschule für Gestaltung die Bühnenbildklasse leitet. Denn so kann sie auch immer wieder ihren Studenten vom Fortschritt der Arbeit berichten. Ein Modell des ebenso faszinierenden wie anspruchsvollen Raums des ehemaligen Straßenbahndepots steht ohnehin in der Klasse: Die Studenten haben sich selbst schon an Entwürfen dafür versucht. Eine Chance, Einblicke in die Praxis zu nehmen, die sich, wenn auch ein paar Kilometer weiter, in der nächsten Spielzeit wieder bietet: Dann arbeitet Rosalie mit dem Mainzer Ballettdirektor Martin Schläpfer zusammen, der am Staatstheater Beethovens siebte Symphonie choreographieren wird. (Aufführungen am 19., 20., 22. und 24.Juni jeweils um 20 Uhr.) |