Darmstadt: John Dew
Barockopern im schillernden Musical-Outfit – inszeniert als grell buntes Spektakel – mit solchen Arbeiten hat sich der Regisseur John Dew einen Namen gemacht. Einst gefürchtet als Bürgerschreck, gefeiert als Provokateur, als „Weltmeister der Aktualisierung". Einer, der die Oper in die Schlagzeilen brachte und dem jeder Skandal recht war. Stimmt das noch, jetzt, da er Intendant in Darmstadt ist? „Warum bringen Sie mich mit Skandalen in Verbindung?" fragt John Dew. "Man wirft mir eher vor, dass ich in den letzten zehn Jahren keine Skandale verursacht habe." Anspruchsvolle Unterhaltung
Probenarbeit in Darmstadt: Mit „Orfeo" von Claudio Monteverdi eröffnet John Dew seine erste Saison. Skandale überlässt er heute lieber jüngeren Regisseuren. John Dew arbeitet genau am Text. Jede Geste, jeder Ton muss den Sinn der Worte verdeutlichen. Das ist sein Stil. Nur so, glaubt er, kann er das Publikum fesseln: „Ich möchte gern, dass die Darsteller immer emotional eine Brücke bauen zum Publikum. Das ist für mich ganz wesentlich." Oberste Priorität: John Dew möchte die Darmstädter wieder ins Theater holen – mit anspruchsvoller Unterhaltung. Keine Routine auf der Großbaustelle Das Theater ist zur Zeit eine Großbaustelle. Es wird saniert. John Dew bleibt gelassen, trotz Dreck und Lärm, trotz Pannen und Verzögerungen. Er setzt auf seine Mitarbeiter: „Ich bin nicht das Theater, ich bin nur einer von denen." So richtig kennt er sich noch nicht aus im Darmstädter Labyrinth. Der neue Intendant sucht den Weg zum Probenraum des Balletts. Da hat er am stärksten durchgegriffen: eine neue Compagnie, eine neue Chefin soll frischen Wind ins Haus bringen. Gerade wird für „Bernarda Albas Haus" nach Lorca geprobt - die erste Ballettpremiere. Mit der Choreographin Mei Hong Lin hat er schon früher zusammen gearbeitet. John Dew: „Im Moment, wenn man das Wort Tanztheater hört, bekommt man Aufführungen zu sehen, wo gesungen wird, wo Kartoffeln geschält werden und nicht getanzt wird. Wir sind zuerst Tanz." Ganz stolz ist John Dew auf eine neue Spielstätte im Haus. Wo früher eine Tiefgarage war, wird bald Theater gespielt: „Das ist das neue Foyer für das Kammerspiel mit Bar und Bewirtung. Man kann hier auch Lesungen veranstalten. Man kann sich nicht vorstellen, dass das in drei Wochen fertig ist, aber das wird fertig sein." Die größte Neuerung: der kalte Betonklotz bekommt einen neuen Eingangsvorbau. Am Theater herrscht Aufbruchsstimmung. Routine kann auf einer Großbaustelle nicht aufkommen. John Dew sieht den Umbau als Chance, auch wenn der Anfang nicht leicht ist: „Das ist mir schwergefallen, weil ich aus Berlin komme. Das war immer ein heißer Wunsch von mir, in Berlin zu leben, und ich habe da jetzt nur zwei Jahre leben können; direkt in der Mitte. Es ist ein Schock, wieder in einer kleineren Stadt zu sein, aber ich hab das Glück gehabt, vielleicht die schönste Wohnung der Stadt zu bekommen." Plädoyer für die Faulheit
Im Darmstädter Hundertwasser-Haus ist er jetzt zu Hause und kann ganz andere Seiten zeigen. „Ich bin tatsächlich faul, immer schon gewesen. Ich brauche viel Zeit, um träumen zu können. Diese Zeit erarbeite ich mir, in dem ich sehr präzise arbeite. Offensichtlich wird man kreativ, werde ich kreativ, wenn ich diese Faulheit habe. Das bedeutet auch ein sehr starkes Harmoniebedürfnis, ich kann mit Irritationen sehr schlecht umgehen." John Dew kann sein Team motivieren; ein Mann, der sein Handwerk versteht und das Publikum ernst nimmt – gute Voraussetzungen, um das reparaturbedürftige Theaterschiff in eine sichere Zukunft zu steuern. Bericht: Manfred Scheyko |