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Doppelbödigkeit des Rigoletto Von Richard Hörnicke Wiesbaden muss er sich erst noch erschließen, da ihm die Vorprobenzeit nur wenige Möglichkeiten der Erkundung des neuen Umfelds lässt. Doch fühlt sich der neue Generalmusikdirektor und Nachfolger von Toshiyuki Kamioka am Hessischen Staatstheater, Marc Piollet, "in dieser schönen Stadt" sehr wohl und berichtet erfreut von der "großartigen Probenatmosphäre". Für ihn ist das Engagement am Wiesbadener Staatstheater "ein Sprung ins kalte Wasser", da er mit nur zwei Probedirigaten, "Figaros Hochzeit" und "La Traviata", vor dem Orchester stand. Es liege nun an ihm, Motivation zu erwecken, mit großer Spannung erwarte er die erste Premiere am 12. September. Naturgemäß richtete sich die Aufmerksamkeit der Besucher im Opernforum zu "Rigoletto" vor allem auf den neuen Mann an der Spitze des Staatsorchesters. Im Verlauf des Gesprächs, das er mit Musikdramaturg Bodo Busse führte, ging es vor allem um die Frage, wie sich der Dirigent einem Werk nähert, welche Gesichtspunkte seine interpretatorische Arbeit bestimmen. Piollet äußert sich zuerst einmal zufrieden, dass die Entfernung des Souffleurkastens aus dem Orchestergraben es ihm dank des Platzzuwachses ermöglicht, eine neue Sitzordnung einzurichten, die dem Gesamtklang von großem Nutzen ist. Für ihn steht die Beschäftigung mit der Sprache, mit dem ihr eigenen Rhythmus im Vordergrund. Er ist ein Anwalt von Aufführungen in Originalsprache, so denke man gerade im Italienischen unwillkürlich an Singen. Bei Verdi geht es ihm darum, Schattierungen zu erfassen, die Doppelbödigkeit der Musik auszuformulieren. Als Beispiel führt er die Arie der Gilda an, die unter der Melodienseligkeit die Sehnsucht der Sängerin "nach dem Außen", nach der Flucht aus dem Käfig der Vaterliebe ausspricht. Vor Beginn der Arbeit mit den Interpreten steht die gründlichen Beschäftigung mit der Textvorlage. Erst dann könne sich der Dirigent seinem ureigenen Metier widmen. Ihm obliegt es, den Sprachrhythmus, "die leichten und schweren Silben" musikalisch zwischen Orchester und Sänger "ohne Reibungen" auszugleichen. Jedem Instrument muss das Gefühl der sensiblen Teilnahme am Gesamtprozess zu eigen werden. Die hochinteressanten Ausführungen sollte Piollet in einem Referat ausführlich darstellen. Bodo Busse, im kundigen Wechselspiel mit dem neuen Generalmusikdirektor, informierte über die Entstehungsgeschichte des "Rigoletto", der in der Regie Hermann Schmidt-Rahmers und im Bühnenbild Herbert Neubeckers in einem abstrakten Rahmen beginnt, sich im Verlauf des Geschehens zur realistischen Szene wandelt. Annette Luig (Gilda) und Igor Morozow in der Titelpartie ergänzten, begleitet von Christoph Stiller, die Ausführungen Piollets und Busses sängerisch. |
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Am Anfang steht der Text Von Volker Milch Marc Piollet, neuer Generalmusikdirektor (GMD) am Wiesbadener Staatstheater, hat dieses schon umgebaut: Der große Souffleurkasten, der im Orchestergraben Sicht, Akustik und Kommunikation der Musiker behindert hat, "ist weg, aber nicht der Souffleur". Das ist tröstlich, denn womöglich würde er schon am kommenden Sonntag vermisst, wenn mit Giuseppe Verdis Oper "Rigoletto" im Großen Haus die erste Musiktheater-Premiere der Saison über die Bühne geht. Souffleure werden künftig von der Seitenbühne aus die Texte in Erinnerung rufen, und der GMD hat ohne Kasten im Orchestergraben "bessere Bedingungen", um mit einer modifizierten Orchesteraufstellung die oft kritisierte Akustik zu verbessern. Bessere Bedingungen im Orchestergraben Das erfuhr man jetzt in der "Rigoletto"-Einführung, die so etwas wie die inoffizielle Publikums-Präsentation des 1962 in Paris geborenen Marc Piollet war. Das Interesse im Staatstheater-Foyer war denn auch, wie man Andrang und Aufmerksamkeit entnehmen konnte, sehr groß - und die Erwartungen wurden nicht enttäuscht. Im Gegenteil: Wenn sich die Auftakt-Produktion der Opernsaison auf der Höhe des Niveaus der von Dramaturg Bodo Busse eloquent moderierten Veranstaltung bewegt, kann man guten Mutes und auf weitere Initiativen Piollets gespannt sein. In Stadt und Theater fühlt sich der Dirigent, der noch bis Ende der Spielzeit neben seiner Wiesbadener Position Musikdirektor der Wiener Volksoper ist, "jeden Tag wohler", und seine positiven Gefühle ("es ist wunderschön, ganz toll") werden sogleich mit einem Sonderapplaus honoriert. Dem Publikum verrät Piollet, dass er Verdis "La Traviata" häufig dirigiert hat und "eine sehr starke Bindung an diese Art von Musik" hat. Verdis berühmt-berüchtigte Begleitung, die für einen Bratscher oder 2. Geiger "die Hölle sein kann", möchte er etwa mit dynamischer Differenzierung beleben: "Die Pseudo-Begleitmusik ist mir zu kostbar, um sie einfach nur neutral zu spielen". In jedem Ton sei eine andere Farbe zu entdecken, und in der Kunst der Differenzierung könne man bei Verdi die aus der Interpretation von Barockmusik gewonnenen Erkenntnisse fruchtbar werden lassen. "Musikalische Rhetorik ist auch bei Verdi sehr wichtig", ergänzt Bodo Busse. Und Piollet wiederum: Nicht nur "Rigoletto", sondern "die ganze Musik" lasse sich aus der Barockmusik heraus begreifen. Dabei sieht sich Piollet in dieser Hinsicht keinesfalls als Dogmatiker historischer Aufführungspraxis. Es gelte, deren Erkenntnisse "mit modernen Mitteln" umzusetzen. Charakteristisch am "Rigoletto" ist für Marc Piollet die dunkle Farbe, die "tinta musicale", die etwa Monterones Fluch grundiert, "Zerrissenheit" auch und "Exzessivität", die im ersten Duett zwischen Gilda und Rigoletto spürbar würden: "Das hat fast fanatischen Charakter", sagt der GMD, der auch in der "Rigoletto"-Instrumentation eine "aggressive" Note hört. Von der "ungeschönten Wirklichkeit des Lebens" spricht Bodo Busse, von Rigolettos "zerrütteter Existenz", deren Maske in der Arie "Cortigiani, vil razza dannata" falle. Die dramatische Emphase, mit der Igor Morozow diese Arie im Foyer gestaltete, von Christoph Stiller am Flügel begleitet, illustrierte trefflich jene "exzessiven" Gefühle, und Annette Luigs im Piano wunderschön verhaltene Gilda demonstrierte im Duett mit Rigoletto aus dem 2. Akt die Kunst der dynamischen Differenzierung, von der zuvor die Rede war. "Ungeschönte Wirklichkeit" Ausgangspunkt seiner Arbeit am "Rigoletto", erläutert Piollet, sei der Text: "Ich versuche, mit den Sängern innerlich am Text zu bleiben - dann kommt die Musik ganz von alleine". Die Originalsprache sei "von enormer Bedeutung" vor allem in der italienischen Oper. Eine Grundbedingung seiner Arbeit ist auch die Anwesenheit bei szenischen Proben: "Das muss zusammengehören". Wenn am Sonntag Premiere der "Rigoletto"-Inszenierung von Hermann Schmidt-Rahmer ist, kann sich das Publikum einen praktischen Eindruck vom Musiktheater-Verständnis des neuen Generalmusikdirektors verschaffen. |
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"Ich bin deutscher Franzose" Marc Piollet, 1962 in Paris geboren und neuer GMD am Staatstheater, eröffnet am Sonntag mit "Rigoletto" die Opern-Saison. Kurier-Redakteur Volker Milch sprach mit dem Dirigenten. WK: Einen "Sprung ins kalte Wasser" haben Sie kürzlich Ihren Anfang in Wiesbaden genannt, weil Sie im Gegensatz zu Ihren Engagements in Kassel und Wien vor Ihrer Verpflichtung hier noch keine eigene Einstudierung hatten. Wie schwimmt es sich denn nach den ersten Tagen? Marc Piollet: Sehr angenehm. Ich genieße die Temperatur. Im Ernst: Ich spüre eine enorme Konzentration von allen Abteilungen, einen enormen Willen, Dinge zu realisieren. WK: Es gibt doch sicher auch Reibungen? Piollet: Von Reibungen kann überhaupt nicht die Rede sein. Das, was mir im Moment mit dem Orchester am wichtigsten erscheint, ist die Art und Weise, Klang zu produzieren. Welchen Klang möchte man an welcher Stelle haben? Das ist sehr subjektiv, das macht eben jeder Dirigent anders. Es dauert ein bisschen, bis sich dieser Klang einstellt, aber da kann man nicht von Reibungen sprechen. Es gibt eine Unmenge zu tun am Anfang dieser Spielzeit, und das Orchester ist mit 78 Planstellen zu klein. WK: Bleibt es denn überhaupt bei diesen 78 Stellen? Piollet: Es bleibt dabei. WK: Wie haben Sie erreicht, dass die drohende Stellenkürzung vom Tisch ist? Piollet: Nicht ich, wir haben das geschafft. Das Orchester hat es geschafft. Es gibt einen so genannten Haustarifvertrag, der noch in Verhandlung steht. So lange er nicht unterschrieben ist, kann ich im Detail nicht weiter darüber sprechen. WK: Sie fangen am Sonntag mit Verdis "Rigoletto" an. Hätten Sie sich nicht einen etwas originelleren Start gewünscht? Piollet: Der Spielplan war längst fertig, bevor ich nominiert wurde. Ich bin absolut glücklich mit "Rigoletto". Das ist kein schlechtes Stück, um anzufangen. Ich habe in letzter Zeit unglaublich viel "Traviata" dirigiert, ich habe "Troubadour" gemacht. "Rigoletto" hat mir noch gefehlt. WK: In Mainz gibt es in der nächsten Spielzeit auch einen "Rigoletto", und zwar eine Koproduktion mit den Festspielen Baden-Baden. Peter Ruzickas "Celan" wurde von Mainz und Darmstadt koproduziert. Können Sie sich Kooperationen dieser Art für Wiesbaden vorstellen? Piollet: Sicher. Ich kann mir eine ganze Menge für Wiesbaden vorstellen. Auch da brauche ich ein bisschen Geduld, um mich einzuarbeiten. Der Austausch zwischen Darmstadt und Wiesbaden, glaube ich, funktioniert ja schon ganz gut. Das ist eine Sache, die zu erkunden ist. Ich bin jetzt erst zehn Tage da. WK: Sie müssen Ihre Wiesbadener Stellung noch in dieser Saison mit der Position des Musikdirektors der Wiener Volksoper vereinbaren. Piollet: Ich habe ja von vornherein gesagt, dass dieses Jahr ein Übergangsjahr ist. Ich werde das machen, was ich zu tun habe und natürlich die nächsten Jahre vorbereiten. WK: Ihr Konzertprogramm beginnen Sie mit zwei Violinkonzerten. Am kommenden Mittwoch gibt es das Brahms-Konzert, im zweiten Sinfoniekonzert das Konzert von Alban Berg. Haben Sie zur Geige eine besondere Affinität? Piollet: Ich glaube schon, im Allgemeinen zum Gesang und zur Geige. Und ich wollte unbedingt in meiner ersten Spielzeit Solisten engagieren, mit denen ich schon gearbeitet habe, deswegen auch Kolja Blacher und Antje Weithaas in den ersten beiden Konzerten. Ich konnte mit meiner Konzertplanung erst im Februar anfangen, und das ist natürlich viel zu spät. Es ist ein Wunder, dass wir diese Solisten überhaupt noch bekommen haben. WK: Mit Schostakowitschs Fünfter als zweitem Werk im 1. Sinfoniekonzert lässt sich eine Brücke zum Opernspielplan schlagen - die Sinfonie als Reaktion auf die Formalismus-Debatte und die kritischen Prawda-Artikel zur Oper "Lady Macbeth von Mzensk". Piollet: Ich denke, man sollte zur Eröffnung ein Werk nehmen, von dem man glaubt, dass man mit ihm, ohne ein Orchester zu kennen, sehr schnell seine Vorstellungen erreichen kann. Ich bin immer fasziniert von Musik, die ganz starke Bezüge zum Leben des Komponisten hat, zu seinem kulturellen oder politischen Umfeld. WK: Welche politische Aussage hören Sie hier? Piollet: Ich höre eine unglaublich raffinierte Art, seinen eigenen Weg zu machen. Er hat ja selber geschrieben, dass der Schluss keine Apotheose ist. Es ist unglaublich wichtig zu vermitteln, dass Musik eine Sprache ist, die eine Geschichte erzählt. Das öffnet die erste Arbeit mit einem Orchester. Da ist nicht mehr nur die Rede von laut und leise, kurz und lang, sondern: Wir wollen diesen Ausdruck, diesen Tonfall. WK: Sie sind seit 20 Jahren in Deutschland und beherrschen die Sprache perfekt. Wie fühlen Sie sich? Als französischer Deutscher oder deutscher Franzose? Piollet: Wenn ich ins Ausland in Urlaub fahre, werde ich immer für einen Deutschen gehalten. Das hat mich die ersten Male erschrocken. Nicht, dass ich mich schämen würde, aber die Deutschen sind nicht so beliebt im Ausland. Ich bin wahrscheinlich ein deutscher Franzose. Die Mentalität entwickelt sich. Ich hab hier eine andere Strenge und Konsequenz bekommen. WK: Das wird man in Ihrer Position auch gut gebrauchen können. Piollet: Ja. Deswegen bin ich auch hier, und deswegen fühle ich mich auch wohl. Ich bin leider nicht oft in Frankreich, weil ich wenig Zeit habe. Aber wenn ich einmal meine Eltern besuche, dann genieße ich einfach das Leben. Rein vom Leben, von der Lebensqualität her, ich sag´ das unverblümt, ist Frankreich viel schöner. Aber wenn es um die Arbeit geht, bin ich doch sehr froh, dass ich in Deutschland bin. WK: Das ist eine gute Voraussetzung für eine fruchtbare Zeit in Wiesbaden. Piollet: Ich habe nicht erwartet, dass ich mich in Wiesbaden so wohl fühle. Die Stadt hat fast südländischen Charakter. |
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