Viel Betrieb im Wald Eine Einstimmung auf John Dews "Siegfried" Man nähert sich dem "Herzstück" des Wagner`schen "Rings". Im Rahmen eines Opernforums wurden die Zuhörer auf die Premiere des "Siegfried" in John Dews Inszenierung und unter der musikalischen Leitung des neuen Generalmusikdirektors Marc Piollet eingestimmt. Auf dem Podium im voll besetzten Foyer saßen die "alten Kämpen" in Gestalt des Musikdramaturgen Bodo Busse, des Chefdisponenten und Opernfachmanns Markus Kiesel sowie des für die musikalische Einstudierung verantwortlichen Studienleiters Alexander Scherer. Man näherte sich der Urzelle der Tetralogie in enger Anlehnung an den Text. John Dow holt in seiner Regie die märchenhafte Mythenkombination aus Elementen des Nibelungenliedes, der Edda, germanischer und nordischer Sagen in die heutige Zeit mit Nuancen britischen Humors. In gewohnt kundiger Art führte Busse in die Entstehungsgeschichte des Werks ein, das Wagner erst nach langer Besinnungspause vollendet hat. So wie im Grimm´schen Märchen erlernt der naiv furchtlose Held das Fürchten, allerdings in erotischer Spannung angesichts der von Helm und Rüstung befreiten Brünnhilde. Die fünfstündige "Mythopoesie" wird immer wieder von Naturereignissen unterbrochen, dazu "herrscht ständiger Betrieb im Wald", da es gilt, sich des Macht verleihenden Rings zu bemächtigen. Die Realität regiert zumindest die Szenerie des einleitenden Aktes, da einige Requisiten unbedingt vonnöten sind, um das handfeste Schwert Notung zur Tötung Fafners in genau vorgeschriebenem Takt zu schmieden. Humorig die Einlassungen Kiesels betreffs des zu den Bayreuther Uraufführungsproben nichtrechtzeitig angelieferten Drachens. Zum Glück enthält man sich in diesen beliebten Einführungsveranstaltunqen jedes akademischen Tons. So Alexander Scherer. Er ist dafür bekannt, im Streifzug durch die Partitur immer wieder Nuancen ins Bewusstsein zu rufen, Wiedererkennung und Voraussicht anhand von Einspielungen musikalischer Verklammerungen zu betreiben, so auch hier wieder die hohe Charakterisierungskunst des Komponisten darzustellen. Die Premiere am Sonntag, dem 21. November, um 17 Uhr im Großen Haus des Wiesbadener Staatstheaters bringt Begegnung mit Künstlern, die bereits in "Rheingold" und "Walküre" auf der Bühne standen. Auf besonderes Interesse dürfte das Debüt von Gilies Ragon stoßen, der nach seinem Erfolg in der Titelpartie von Rameaus "Platée" die Partie des Mime übernimmt. (rho.) |
"Das ist nur eine Affekthandlung" Von Volker Milch
Aber ja, sagt der Tenor Alfons Eberz, das Schmieden habe er gründlich gelernt. Schließlich sei er bereits in Bonn und in Dresden der Siegfried in Richard Wagners "Der Ring des Nibelungen" gewesen. Dem damaligen Bonner, nun Wiesbadener Intendanten Manfred Beilharz ist er immer noch "unendlich dankbar" für das Vertrauen, das er in ihn gesetzt habe. Es handelt sich bei Wagner ja nicht um irgendwelche Partien, sondern um Schwerstes im deutschen Fach. Nun also Wiesbaden, der "Ring" in John Dews Inszenierung und dirigiert vom neuen Generalmusikdirektor Marc Piollet: "Siegfried", nach dem Vorabend "Rheingold" und "Walküre" der dritte Teil der gewaltigen Tetralogie, hat am Sonntag im Staatstheater Premiere, und der Titelheld wird sich wieder einmal einen fiesen Schlagabtausch mit dem Zwerg und Ziehvater Mime liefern. Zur Erinnerung: Siegfrieds "kindische Kraft" und das neu zu schmiedende Schwert Notung braucht Mime, um den Drachen Fafner zu fällen. Nur so könnte er in den Besitz des Ringes kommen. Der Dialog ist deftig. Beim Gespräch im Theater sitzen die beiden Tenöre indes friedlich nebeneinander auf dem Plüschsofa: Alfons Eberz und der Gast Gilles Ragon, der in Wiesbaden als umwerfender Interpret von Rameaus Sumpfnymphe "Platée" in Erscheinung getreten ist. Mit Marc Minkowski hat er "Platée" eingespielt, auch mit William Christie oder Philippe Herreweghe gearbeitet, erkundet freilich schon längst das Terrain jenseits des barocken Repertoires, etwa als Chevalier des Grieux aus Massenets "Manon" oder als Werther. Mime ist Gilles Ragons erste praktische Wagner-Erfahrung: "Seit 15 Jahren habe ich die Partie im Kopf, aber musste warten, bis die Stimme kräftiger wird." Die Bedeutung der Reife betont auch Eberz, der neues Mitglied des Wiesbadener Ensembles ist: "20 Jahre Studium braucht man für diese Rollen". Im Sommer debütierte er als Erik ("Holländer") in Bayreuth. Aber der Siegfried, gesteht der Tenor, sei doch seine "absolute Lieblingspartie", fast eine "Lebensaufgabe". Eberz, der in Wiesbaden als Tambourmajor im "Wozzeck" und als Siegmund in der "Walküre" zu erleben war, fühlt sich sehr wohl in der Stadt mit ihrer "unglaublichen Bausubstanz". Und die rheinische Frohnatur, die auch der dezente Akzent ahnen lässt, freut sich an der Nähe des Rheingaus: "Ich trinke keinen Alkohol, aber gerne Riesling!". An der Uni hatte Eberz eigentlich Mathematik und Wirtschaftstheorie belegt. Der Studentenchor und der Tipp eines Sängers brachten ihn dann zum Gesangsstudium in Köln. Gilles Ragon ist mit acht Jahren um den Tisch gelaufen und hat Beethovens Neunte dirigiert. Als Sänger war er zuerst im Kinderchor gefragt. Das Dirigieren ist nach wie vor die geheime Leidenschaft des Tenors, der auch als Chorleiter Erfahrung hat. Es soll sehr realistisch zugehen im ersten Aufzug des "Siegfried", verraten die beiden Tenöre unisono. Beide reizt die sprachliche Klarheit der Dialoge: "Fast ein Schauspiel". Mit der szenischen und musikalischen Arbeit sind die Sänger sehr zufrieden, auch wenn die Akustik des Staatstheaters keineswegs so sängerfreundlich ist wie die des Bayreuther Festspielhauses: "Eine wunderbare Arbeit, viele musikalische Proben und eine spannende Inszenierung". Hat Siegfried kein schlechtes Gewissen, wie er den Zwerg Mime kujoniert und später über die Klinge springen lässt? Nein, sagt Alfons Eberz, schließlich habe er sein ganzes junges Leben unter diesem Ziehvater gelitten: "Das ist nur eine Affekthandlung". |