Frankfurter Rundschau: Frau Schäfer, schon in Ihrer Zeit als Teenager haben Sie sich sehr für die moderne Oper interessiert. Was hat Sie daran fasziniert?
Christine Schäfer: Warum ich nun so hypnotisiert bin, wenn ich Dissonanzen höre, kann ich Ihnen nicht genau erklären. Aber es ist so. Die Moderne, das Dissonante hat mich schon immer angezogen. Damals, ich war ungefähr 16, war ich von der Gielen-Ära hier in Frankfurt wie gefangen. Ich habe mir immer wieder die gleichen Stücke angesehen, Zimmermanns Soldaten etwa, das war eine ganz wunderbare Inszenierung. Oder Die Sache Makropulos von Janácek.
Haben Sie damals denn auch das klassische Repertoire gehört?
Schon. Vor allem Bach und Brahms. Mozart aber konnte ich gar nicht leiden, das war mir damals viel zu harmonisch.
Sie debütierten mit Aribert Reimann, hatten Mitte der neunziger Jahre enormen Erfolg mit Alban Bergs "Lulu" und wurden mit einer Aufnahme von Boulez "Pli selon pli" für den Grammy nominiert. Hatten Sie je Angst, als Spezialistin abgestempelt zu werden?
Ja. Die Deutsche Grammophon hat es versucht. Sie wollte mich als Stimme der Moderne vermarkten. Ich habe abgelehnt, weil ich auch anderes singen wollte. Daraufhin habe ich den Plattenvertrag verloren.
Sie haben immer auch das klassische Repertoire gesungen, in den vergangenen Jahren, so scheint es, verstärkt. Was lernt man von der zeitgenössischen Musik für Mozart, Schubert oder Verdi?
Es ist eher umgekehrt. Ich lerne vom klassischen Repertoire für die Moderne. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Moderne ungeheuer an Normalität gewinnt, wenn es mir gelingt, sie wie eine Bach-, eine Händel- oder eine Schubert-Linie zu phrasieren. Man hatte ja gerade früher oft das Gefühl, als müsste ein Sänger sich quälen, um neue Musik überhaupt singen zu können. Wenn ich da die gleiche Natürlichkeit und die gleiche Selbstverständlichkeit erreichen kann, mit der Bach oder Schubert gesungen werden, dann sind wir alle einen wichtigen Schritt weiter.
Ihre Traviata aber hat nichts von der Moderne gelernt?
Doch. Aber nun gibt es da eine riesige Aufführungstradition, die man nicht einfach ignorieren kann. Eigentlich würde ich sie gerne ganz anders singen, aber da kriegt man ja gleich eins auf den Deckel.
Können Sie denn zumindest ein bisschen Neues einschmuggeln?
Am Schluss zum Beispiel, kurz bevor die Traviata stirbt. Da wird immer gesprochen, die Noten aber sind in der Partitur genau notiert. Ich versuche nun, die Tonhöhen zu treffen und trotzdem zu sprechen - so wie Schönberg das mit Pierrot Lunaire gemacht hat. Aber das ist natürlich nur eine Kleinigkeit.
Ist die Traviata für Sie eine besondere Herausforderung?
Unbedingt. Die Musik allein ist eine Sensation, die Geschichte ist stark, man kann sie in vielen Varianten erzählen. La Traviata ist für mich eine der gelungensten Opern überhaupt, sie hat einen enormen Sog, eine großartige Dramaturgie. Sie wirkt auf mich wie ein perfekt durchkomponierter Film.
Welches Verhältnis haben Sie überhaupt zur italienischen Oper?
Ich liebe die italienische Musik, ich singe sie unglaublich gerne, sie liegt mir auch, das habe ich schon gemerkt, als ich vor Jahren die Gilda in Verdis Rigoletto sang. Dennoch ist es wahnsinnig schwer, sich als Deutsche in diesem Repertoire zu behaupten. Das klingt wie ein Vorurteil, aber es ist so. Und vielleicht ist genau die Perspektive, dass ich solche Rollen nicht oft singen werde, das, was sie für mich so reizvoll machen.
Sie haben sich nie einem Ensemble angeschlossen, nie fest an einer Oper engagieren lassen. Weshalb eigentlich?
Wenn es ein verlässliches Ensemble in Berlin geben würde, wo ich seit 20 Jahren gerne lebe, dann könnte ich mir das vorstellen. Aber in Berlin ist es nun zurzeit sehr turbulent. Und mit dem Ensemble ist es ohnehin so eine Sache. Ich habe das Gefühl, eine Oper wie damals in Frankfurt unter Gielen, eine Oper mit einem so klaren Konzept, die hat es seitdem nicht mehr gegeben.
Haben Sie eine Idee, wieso?
Hm. Das ist schwer zu sagen. Es haben sich damals ein paar gute Köpfe zusammen gefunden und an einem Strang gezogen. Und es war eine andere Zeit.
2006, haben Sie gesagt, sei Schluss mit der Oper. Stimmt das?
Nee, so hab ich das nicht gesagt. Ich habe nur eben Kinder, die kommen dann in die Schule, und dann will ich nicht mehr über Monate weg sein. In Berlin aber werde ich weiter Oper singen.
Interview: Tim Gorbauch
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Dokument erstellt am 19.04.2005 um 15:44:04 Uhr
Erscheinungsdatum 20.04.2005 |