Axel Cortis Opern-Inszenierung von 1991 noch taufrisch
Die auf Alexandre Dumas' Roman "Kameliendame" zurückgehende Geschichte von der dem Tod geweihten Kurtisane, die wahre Liebe empfindet, aber wegen ihrer Vergangenheit nicht leben darf, hat der Regisseur Axel Corti in seiner jetzt an der Frankfurter Oper wieder aufgenommenen Inszenierung von Giuseppe Verdis "La Traviata" vom Jahr 1700 ins Frankreich der Okkupationszeit verlegt. Offiziere der deutschen Wehrmacht haben sich im Haus der Violetta unter die Pariser Gesellschaft gemischt. Man vergnügt sich in friedlicher Eintracht miteinander, doch er ist ein Tanz auf den Vulkan. Zeichen des bevorstehenden Untergangs sind unübersehbar. Eine Bombe hat sich ins Gemäuer eingebohrt, sie ragt in die Decke des opulenten Jugendstil-Salons hinein. Später, in Violettas Sterbeszene, die im Wartesaal eines Bahnhofs spielt, patroullieren Soldaten mit Schäferhunden. Sie nehmen einen alten Mann, womöglich jüdischen Glaubens, in Gewahrsam. Die Inszenierung ist im Jahre 1991 entstanden, zwei Jahre vor dem Tod des französischen Regisseurs, in der von Hans Peter Doll betreuten Interimszeit zwischen den Intendanzen von Gary Bertini und Sylvain Cambreling. Dass sie alles andere als taufrisch ist, merkt man ihr nicht an, die Wiederaufnahme präsentiert sich in einem erstklassigen Zustand. Im Dreieck der Hauptfiguren, Violetta, dem ihr in Liebe zugetanen Alfredo und dessen mit Bedacht auf den Ruf der Familie die Verbindung verhindernden, zugleich von der Integrität Violettas tief beeindruckten Vater Germont herrscht eine kammerspielartig intime Binnenspannung. Sie ist der wichtigste Vorzug dieser Inszenierung. Eindrücklich gab der polnische Tenor Piotr Beczala als Alfredo sein Frankfurter Debüt, lyrisch weich im Ausdruck und geschmeidig, was die Stimmführung anbelangt. Erstmals auf der Frankfurter Bühne stand auch der Koreaner Carlo Kang als Germont, ein Bariton mit gestalterischer Finesse und makelloser Technik. Das Ensemblemitglied Juanita Lascarro gab ihr Rollendebüt als Violetta mit einer verhalten schmerzbewegten Figurenzeichnung. Ihr Sopran ist von Natur her eher schmal, doch deshalb nicht minder wirkungsvoll; auch die Spitzentöne gelangen ihr bravourös. Roland Böer am Dirigentenpult sorgte für ein hohes Maß an klanglicher Transparenz und für einen federnden Duktus. Nuancenreich und kraftvoll zugleich sang der von Alessandro Zuppardo bestens präparierte Chor. Mit bislang 75 Vorstellungen gehört die Traviata zu den Repertoirerennern des Frankfurter Hauses. Für den 22. April ist eine Galavorstellung mit der international renommierten aus Frankfurt stammenden Sopranistin Christine Schäfer als Violetta angekündigt. STEFAN MICHALZIK |
75. Todestag in der Bahnhofshalle VON ANNETTE BECKER Paris, in den 1940ern. Wie ein graugrünes Geschwür wölbt sich ein eingeschlagener Blindgänger aus der Salondecke. Fliegeralarm unterbricht das rauschende Fest. Selbst die Strandidylle birgt Gefahren, ein grotesker Maskenball feiert die so genannte entartete Kunst, und die deutschen Besatzer sind überall. So inszenierte der Regisseur Axel Corti (1933-1993) zu Beginn der Spielzeit 1991 an der Oper Frankfurt Giuseppe Verdis La Traviata (Bühnenbild: Bert Kistner, Kostüme Gaby Frey). Jetzt nahm die Oper Frankfurt Cortis Inszenierung zum achten Mal wieder auf (szenische Leitung: Frank Martin Widmaier). Dabei feierte man mit der Wiederaufnahme-Premiere im fast ausverkauften Haus zugleich die 75. Vorstellung der Produktion. Und wieder stirbt Violetta Valéry im letzten Akt in der Wartehalle eines Bahnhofs, während Uniformierte mit Schäferhunden Kontrollgänge machen, Ausweise überprüfen und einen gebrechlichen alten Mann abführen. Und nach wie vor kann man sich darüber streiten, ob das Schicksal der von den Nazis Verfolgten nicht zur Kulisse herabgewürdigt wird, wenn man in einer aktualisierten Opernhandlung daran erinnert, die außer der Tatsache, dass auch die Heldin eine Ausgegrenzte ist, nicht eben üppig mit Anknüpfungspunkten gesegnet ist. Andererseits fesselt Cortis Was-wäre-wenn noch immer: Was, wenn Violetta vielleicht eine jüdische Künstlerin wäre? Mit einem Geliebten bei der deutschen Wehrmacht? So dass die Familie Germont auf Grund ihrer Geschäfte mit den Besatzern noch eine ganz andere Art von Interesse daran hätte, ihre Beziehung zu Sohn Alfred zu unterbinden? Als Violetta debütierte Ensemblemitglied Juanita Lascarro, agil und stimmlich gewandt, wenn auch in den Höhenlagen mitunter etwas vorsichtig. Zum ersten Mal in Frankfurt sangen Piotr Beczala als Alfredo Germont und Carlo Kang als sein Vater Giorgio Germont, ersterer stimmlich eher zurückhaltend, aber zuverlässig, letzterer klanglich wie darstellerisch äußerst überzeugend. Glücklich besetzt waren auch Flora Bervoix (Annette Stricker), Gastone (Peter March), Barone Douphol (Dietrich Volle), Marchese d' Obigny (Gérard Lavalle), Dottore Grenvil (Soon-Won Kang) und die kleineren Rollen, hellwach der Chor (Einstudierung: Alessandro Zuppardo), nicht ganz in Bestform trotz vieler hochsensibler Momente das Opern- und Museumsorchester unter Roland Böer. [ document info ] Dokument erstellt am 03.04.2005 um 18:04:24 Uhr Erscheinungsdatum 04.04.2005 |
Die neue Violetta kommt aus Kolumbien Auch fast 14 Jahre nach der Premiere dieser legendären "Traviata" braucht man sich in puncto Publikumszuspruch keine Sorgen zu machen. Trotz mancher Kritik an dem (inzwischen verstorbenen) Regisseur Corti, der die Handlung in das Paris der deutschen Besatzungszeit verlegt hatte, ist das immer wieder eine Bestätigung der analytischen Schärfe, mit der er die dramatische Entwicklung Violettas zeichnet. Diesmal aber gab es noch eine zusätzliche Attraktion: Erstmals wurde die Titelrolle von der Kolumbianerin Juanita Lascarro gesungen, es vereinigte sich also südamerikanisches Feuer mit französischer Zärtlichkeit. Wie eine Kranke sieht die mitten im Leben stehende Lascarro allerdings nicht aus. Man bemühte sich auch gar nicht um entsprechende Erscheinung, sondern ließ die Sängerin im dritten Akt sogar noch in einem adretten zweireihigen Anzug auf der Bank in der Bahnhofshalle kampieren. Aber derlei Widersprüche regten natürlich in Anbetracht von stimmlicher Vielfalt und Fülle niemanden auf. Dazu passten Piotr Beczala als Alfred und der ungewöhnlich zart singende Zeljko Lucic als Vater Germont. Annette Stricker (Flora) und Birgit Treschau (Annina) waren weitere gute Darsteller. Roland Böer leitete ein kraftvolles Museumsorchester. (Ge) |
In seiner Inszenierung von Verdis La Traviata, die an der Oper Frankfurt im Oktober 1991 Premiere hatte, hat der Filmregisseur Axel Corti (1933-1993) die Handlung um die Kameliendame in das von den Nationalsozialisten besetzte Paris zur Zeit des Zweiten Weltkriegs verlegt und damit "die rührselige Romantik aus der Oper gefegt", wie es damals treffend in einer Rezension hieß. Sie erscheint dadurch keineswegs rabiat, sondern schlüssig und werkgerecht modernisiert, wie die achte Wiederaufnahme der erfolgreichen Produktion bestätigt. Zur Wirkung tragen die einprägsamen Bühnenbilder von Bert Kistner viel bei: vom eleganten Salon, durch dessen Decke ebenso bedrohlich ein Felsbrocken ragt wie durch die des Landhauses, über die Szene in dem in Windeseile errichteten Zirkuszelt bis hin zum Tod der "Entgleisten" in einer Bahnhofswartehalle. In der sinngemäß so übersetzbaren Titelpartie ist nun erstmals Ensemblemitglied Juanita Lascarro zu erleben, der vor allem die zarteren Töne des zweiten und dritten Akts liegen: Mit feinem Piano, sanglich nuancenreich und darstellerisch unaufdringlich rückt die kolumbianische Sopranistin die Verzweiflung und fortschreitende Schwäche der Violetta ins Zentrum. Die wilden Koloraturen ihrer großen Arie zum Schluß des ersten Akts klangen in der Höhe indes wohl ungewollt angespannt. Als Violettas Geliebter Alfredo steht ihr der polnische Gast-Tenor Piotr Beczala zur Seite, dessen Stimme in der tiefen Lage ausbaufähig erscheint. Manches geriet ihm bei der Wiederaufnahme intonatorisch noch ungenau oder glitt ins leicht Affektierte ab. Sehr sicher und klangschön gestaltete hingegen der koreanische Bariton Carlo Kang als Alfredos Vater Giorgio Germont. Das Frankfurter Museumsorchester setzte den in seiner einfachen Faktur zur Nachlässigkeit verleitenden Orchesterpart unter der Leitung von Kapellmeister Roland Böer solide, rhythmisch mitunter etwas wackelig, aber agogisch und in den Tempi flexibel um. GUIDO HOLZE |