Das süße Nichts der Koloratur Sie sind zwar nicht auf ein entlegenes Landhaus geflohen, um in zehn Tagen mit einhundert Geschichten die Angst vor der Pest zu bannen. Aber die feinen Herrschaften, die sich da im Kurhotel "Zur Goldenen Lilie" von Plombières zusammengefunden haben, um sich zwei Tage lang mit einundvierzig Arien und Rezitativen die Zeit bis zur Abfahrt nach Reims und zur Krönung Karls X. zu vertreiben, haben viel Ähnlichkeit mit den Damen und Herren aus dem "Decamerone" von Boccaccio. Vor allem aber hat Rossini, ähnlich wie sein literarischer Urahn, diese Rahmenhandlung - eher belcantistischer Vorwand, als dramaturgisch sinnfälliges Konzept - genutzt, um mit künstlerischen Mitteln die Gesellschaft seiner Zeit zu porträtieren. Die lockere Form eines bunten Arienstraußes hat es wohl auch dem damals vielbeschäftigten Rossini leicht gemacht, sein Dramma giocoso "Il Viaggio a Reims" nach der Uraufführung 1825 später für seine Oper "Le Comte Ory" auszuschlachten und die Restbestände an Rezitativen und instrumentalen Zwischenspielen stillschweigend zu entsorgen. Freilich gab es ein paar unverdrossene musikalische Archäologen, die hundertfünfzig Jahre nach der Komposition auf Überreste der ursprünglichen Partitur und von Aufführungsmaterialien in den Grabkammern musikalischer Archive und Bibliotheken gestoßen sind und die Oper wie ein antikes Fundstück mit akribischer Rekonstruktionswut zusammengesetzt haben. Als die Fondazione Rossini sie in Pesaro 1984 zur Wiederaufführung durch Claudio Abbado und den Regisseur Luca Ronconi freigab, erkannte die musikalische Welt, daß sie um eine wunderbare komische Oper reicher geworden war. Vielmehr noch: Sie erhielt ein absolutes Glanzstück vokaler Verzierungskunst zurück. Vierzehn hochvirtuose Koloraturpartien, davon vier Soprane und sechs Bässe, müssen jedes Ensembletheater vor unüberwindliche Probleme stellen. Selbst das hierzulande meist praktizierte Mischsystem aus Ensemble plus Gästen für die schwierigen Rollen stößt bei einem Stück an seine Grenzen, dessen musikalischer Kulminationspunkt eine Arie für vierzehn Solisten darstellt. So ist das Werk für die Leistungsfähigkeit eines Hauses auch eine Nagelprobe, der sich in jüngerer Zeit nicht wenige Opern selbst mittlerer Größe mit eher weniger als mehr Erfolg unterzogen haben. In Frankfurt, wo ein ausgewiesener Stimmenfachmann das Zepter schwingt, war es im Grunde nur eine Frage der Zeit, bis Rossinis meisterhaftes Sängertheater hier Einzug halten würde. Daß Intendant Bernd Loebe nun den amerikanischen Bariton Dale Duesing für sein Regiedebüt auf Rossinis "Reise nach Reims" schickte, war allerdings ein so nicht vorhersehbares zusätzliches Glück. Denn Dale Duesing machte genau das, was wohl das beste Konzept für eine angemessene Inszenierung dieser dramatischen Farce mit hochmusikalischen Anforderungen für geläufige Gurgeln ist: Er ließ sich von Boris Kudlicka ein Einheitsbühnenbild im leicht ironisierten Ambiente eines Wellness-Hotels moderner Prägung zimmern (Kostüme: Nicky Shaw) und konzentrierte sich im übrigen auf die präzise Personenführung dieser illustren, nicht ganz richtig tickenden Badegesellschaft. Auf Schritt und Tritt war so zu spüren, wie nahe doch Rossini hier mit seinem Sinn für Gesellschaftssatire und der Typisierung menschlicher Charaktere dem genialen Jaques Offenbach steht. Als Claudio Abbado die Wiederentdeckung der Oper leitete und später auf Schallplatte herausbrachte, konnte er auf ein wahres Meistersängerensemble - von Francisco Araiza bis Samuel Ramey und von Cecilia Gasdia bis Katia Ricciarelli - bauen. Man übertreibt kaum, wenn man dem Ensemble in Frankfurt bescheinigt, daß ihm zwar der Status eines teuren Staraufgebots abgeht, die musikalische Leistung aber durchaus auf einer Stufe mit dieser damaligen Pioniertat steht. Dale Duesing muß wohl als Sänger genau gespürt haben, was in diesem Werk an komödiantisch-musikalischem Witz steckt und vor allem, zu welch einer raffinierten melodisch-rhythmischen Charakterisierungskunst Rossini hier für die verschiedenen Rollen gegriffen hat. Und so läßt er seine Darsteller auf der Bühne für zweieinhalb höchst kurzweilige Stunden wie entfesselt agieren und singen, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der modernen Opernbühne, als halsbrecherische Koloraturen von sich zu geben, mit knappen Bewegungen Szenarien eines menschlichen Panoptikums zu entwerfen und darüberhinaus auch noch den Plot einer Reisegesellschaft im Wartestand sinnfällig zu machen, die sich derweil mit Fangopackungen, Fußbädern und Dehnübungen fit hält. Man kann die Inszenierung vom musikalischen Standpunkt aus nicht hoch genug preisen und jeden Opernliebhaber bedauern, der nicht gehört hat, wie Juanita Lascarro die Rolle der römischen Improvisationskünstlerin Corinna bis in die Spitzen ihrer Soprankoloraturen und die letzte Windung ihrer Haarpracht erfüllt, Elzbieta Szmytka als Hotelchefin Madama Cortese ebenso gekonnt durch die Hochgeschwindigkeitsarie "Di vaghi raggi adorno" rast wie durch alle anderen Soli, Duette und Ensemblesätze. Anna Ryberg singt ebenso kokett wie sie ihren Hang zu ausgefallener Kleidung zur Schau stellt, bei Silvia Tro Santafés wird es einem nicht nur warm ums Herz, wenn sie der Marchesa Melibea mit ihrem schönen Mezzo Kontur verleiht. Und auch die männlichen Hauptrollen - Yves Saelens als Belfiore und Yasu Nakajima als Conte Libenskof mit jeweils kräftig-beweglichem Tenor, Giovanni Furlanetto (Don Profondo) und Johannes Martin Kränzle (Barone di Trombonok) als fulminante Baßbuffos - erfüllen ihre Parts mit Bravour. Die anderen mögen verzeihen, wenn sie nur pauschal erwähnt werden. Musikalisch abgefallen sind sie nicht. Simon Bailey (Lord Sidney), Nathaniel Webster (Don Alvaro), Soon-Won Kang (Prudenzio), Pavel Smirnov (Antonio), Henriette Hugenholtz (Maddalena) Christiane Maria Waschk (Delia) und Donal Byrne (Luigino) komplettieren das wunderbare Ensemble, das vom Chor (Einstudierung Alessandro Zuppardo) und Frankfurter Opernhaushausorchester unter Maurizio Barbacini wie auf Klangwolken getragen wurde. WOLFGANG SANDNER |
Wo, bitte, geht's nach Reims? Liebe für Rossini: Dale Duesing inszeniert "Il viaggio à Reims" an der Oper Frankfurt als mild verrücktes Insel-Stück mit eisenbahnerischem Tempo VON HANS-KLAUS JUNGHEINRICH "Tutti Gabbati" - die verdutzte Feststellung aus dem Falstaff-Finale, wir seien "alle Gefoppte" - könnte auch als Schlusseindruck von Rossinis Viaggio à Reims haften bleiben, einer imposanten Nichtigkeit, aufgebläht als monumentaler Einakter von Rheingold-Länge. Eine Fopperei, in der über die damals gerade tagesaktuelle pomphafte Königskrönung von Charles X. in Reims geschäkert wird. Ein Sujet mit vermeintlich sofortigem Verfallsdatum. Das Libretto von G. L Balocchi ist etwa so dramaturgisch stringent wie das Telefonbuch von Pesaro. Der ganze Rossini, ein Schwindel? Das behauptete nicht einmal Wagner, der spätere Antipode, der für diesen Kollegen ja eine merkwürdige Schwäche hatte. Gefoppt mithin, wer sich von dieser Reise nach Reims so etwas wie eine zielstrebige Eisenbahn-Oper vorstellen würde. Der 1825 hinlänglich opernerfahrene Erfolgskomponist scheint eher so weit, zumindest in seinem komischen Genre die Rezepturen durcheinander zu rühren, seine Stücke dabei auch in absurde Theatralik hineinzutreiben. Offenbar langweilte ihn das Abziehen immergleicher Handlungsmuster à la Goldoni allmählich. So entdeckte er den Unsinn, den Vater des Experimentaltheaters. Und landete, etwa mit dem Viaggio à Reims, schon nah an der Moderne. Übungen über Nichts - da könnte man gar an John Cage denken. Nur dass der kein so aufmerksamer und kompetenter Belcantomelodienschreiber mehr war. Man kommt also nie in der Königsstadt Reims an. Dabei könnte sie bei Rossini gut, wie Shakespeares Böhmen, am Meer liegen. Gleichviel, in Dale Duesings Frankfurter Inszenierung ist alles auf einer Badeinsel inmitten von Wasserblau lokalisiert. Boris Kudlickas Bühnenbild hat vom Originalschauplatz, einem Kurhotel, immerhin den apart funkenspeienden Art-deco-Aufzug. Vom Inselrund gehen Holzstege zu Badehütten, jenen die Phantasie anregenden Brutstätten von Intrigen, Ausschweifungen und Umkleidevorgängen. Einfach zuschauen In seiner ersten Opernregie zeigt sich der bedeutende Opernsänger angemessen locker und auf den Rossini'schen Kammerton eingestimmt. Nichts Schrilles, keine Überdrehtheiten, kaum ein Anwehen des in solch närrischer Sphäre immer wieder möglichen klaustrophobischen Katastrophengewitters. Aber viel Beweglichkeit, mancherlei Geschick bei der Erfindung körpertheatralischer Details und Ticks, auch ein paar kräftige Anleihen bei Getingel und Revue. Komik, oft auf leisen Sohlen und barfuß. Buchstäblich etwa da, wo sich die Akteure am Inselrand niederlassen und nach und nach ihre Bein- und Fußbekleidung ablegen (und charmanterweise tut das jeder wieder anders, ganz selbstverständlich oder halb verschämt oder ganz verschämt, trampelhaft oder kokett. Duesing hat die Begabung, seinen Mitmenschen einfach zuzuschauen. Dabei kann dann manchmal eine ganze Tati-Menagerie herauskommen). Das Hotel-Inventar Tutti gabbati, ein Käfig voller Narren, das Bilderbuch einer kapriziösen conditio humana. Rossinis virtuose Trumpfkarte ist ein Sängerensemble von 15 nahezu gleichrangig hervortretenden Spielern. Möchte man sagen. So ganz stimmt das dann aber doch nicht, denn diese "geschlossene Gesellschaft" (menschliches Hotel-Inventar, zugleich eine stets im Aufbruch begriffene Reisegruppe, mit sozusagen utopischer Mobilität) hat auch ihre Stars. Einer davon ist sicherlich Juanita Lascarro als anbetungswürdige Poetin Corinna, zwei prächtige Koloraturarien intonierend und dabei mit zart-geschmeidigem Organ fast vergessen machend, dass bloße Harfenbegleitung ihre akrobatischen Stimmexkursionen fast so netzlos erscheinen läßt, als würden sie ganz a cappella absolviert. Ein in dunkler Mezzo-Glut leuchtender Stimm-Stern aber auch Silvia Tro Santafé als Marchesa Melibea mit besonders fein und akkurat ausgezogenen Lineaturen, und nicht minder nachdrücklich wirkungsvoll die tenorale Komik des Libenskof von Yasu Nakajima. In der auch bei Rossini multinationalen Truppe (die Oper gibt sich, erst recht mit ihrem abschließenden Toast auf die europäischen Völker, wie ein vorgreifendes EU-Huldigungsspiel) wirken als weitere brillante Stimmkünstler mit: Anna Ryberg, Elzbieta Szmytka, Yves Saelens, Simon Bailey, Giovanni Furlanetto, Johannes Martin Kränzle, Nathaniel Webster, Soon-Won Kang, Pavel Smirnov, Henrietta Hugenholtz, Christianew Maria Waschk, Donald Byrne. Alle (wie der von Alessandro Zuppardo prächtig einstudierte Chor) von Nicky Shaw in humorige Kostüme gesteckt. Eine virtuose Theaterdisposition, solch eine ausgefuchste Equipe zusammenzubringen. Stimm-Maschine Es gibt also wieder Ensemblegeist in Frankfurt. Und, Stars hin und her, diese Crew hat zuvördert als eine kompakte, atemberaubende Stimm-Maschine ihren Mordseffekt. Das knisternd Geschwinde, den Puls Beschlenigende des frühen Eisenbahnzeitalters geht vor allem von der Rossinidiktion des Dirigenten Maurizio Barbacini und dem von ihm geleiteten Museumsorchester aus. Zum vokalen Gewirk aus Geplapper und lyrisierender Equilibristik tritt also die mechanische Energie der instrumentalen Patterns (mit ihren dampfmaschinenartig sequenzierenden Kadenzen), aber elegant modifiziert, bald aufkochend in höheren Dreh- und Dezibelzahlen, bald leise, diskret und raffiniert auskalkuliert in Abstufungen, Valeurs und Wispertönen - überlegen gehandhabte Kräfte, stets ins Attraktive gelenkt, dabei die Ballung auch wieder zurücknehmend zur bravourösen Kehrseite dynamischer Minimalisierung. So spannend kann Rossini klingen, wenn er mit Liebe (auch zum Klischee) angerichtet wird. Der Schluss wirkt (dramaturgisch) unvermittelt und abgedreht wie bei minimal-music-Partituren oder einer jäh abgeschalteten Tonkonserve. In genialer Stupidität endet die Nicht-Reise, das höchst unterhaltsame zweieinhalbstündige (in Frankfurt barmherzig durch eine Pause unterbrochene) Auf-der-Stelle-Treten. Eigentlich ist nichts passiert. Und Reims nicht in Sicht. Tutti gabbati. [ document info ] Copyright © Frankfurter Rundschau online 2004 Dokument erstellt am 06.12.2004 um 16:20:11 Uhr Erscheinungsdatum 07.12.2004 |
Ich bin ein Sänger, holt mich hier raus! IM KURBAD wartet eine polyglotte Gesellschaft auf die Abreise zur Königskrönung nach Reims: Eifersucht, Liebeleien, eine rauschende Party – dieses schwindsüchtige Gerüst ist die ganze Handlung von Gioacchino Rossinis „Il Viaggio a Reims". 1825 zur Krönung Karls X. geschrieben, wurde die „Reise nach Reims" von Rossini bald für eine andere Oper recyclet und galt lange als verschollen. Eine Inszenierung rund um Starsopranistin Montserrat Caballe machte das Stück berühmt, das wegen des geforderten Solistenaufgebotes weiterhin eine Rarität bleibt. Die Frankfurter Besetzung ist nicht weniger als sensationell: Neben Juanita Lascarros „Corinna" mit Verwöhn-Sopran und Silvia Tro Sanatafés kernigem Koloraturmezzo krönen die Tenöre Yasu Nakajima und Yves Saelens das Sängerfest, das Maestro Maurizio Barbancini im Graben lustvoll zusammenhält. Dem international renommierten Bariton Dale Duesing gelingt in seiner ersten Opernregie auf Anhieb eine punktgenaue und turbulente, handwerklich hervorragend herausgearbeitete Komödie. Für sein exquisit kostümiertes Kurbadvergnügen steht die Opernbühne unter Wasser, und wenn am Ende die Stege verschwinden und die versammelten Vokalartisten im Hymnensingen wetteifern, feiert die Oper Frankfurt ein Bade-Camp auf der Luxus-Insel: Ich bin ein Sänger, holt mich hier raus! Claus Ambrosius |
Belcanto in Badelatschen Von Michael Dellith Was soll man bloß mit einer Oper machen, die so gut wie keine Handlung besitzt, knapp drei Stunden dauert und vor 180 Jahren als Huldigungswerk für die Krönung eines verschwendungssüchtigen Königs komponiert wurde? Dale Duesing ist mit seiner Umsetzung von "Il viaggio a Reims" eine kleine Sensation geglückt, denn er hat es nicht nur geschafft, Rossinis stimmlich anspruchsvolles Belcanto-Opus in eine kurzweilige Unterhaltungsrevue zu verwandeln, sondern dem opulenten "Dramma giocoso" auch noch ein überzeugendes Regiekonzept angedeihen zu lassen. Dabei hat Duesing ganz genau in die Komposition hineingehorcht. In dem perpetuum-mobile-artigen Rotieren seiner Musik entlarvt Rossini nämlich mal mit feiner Ironie, mal mit bitterem Sarkasmus die Langeweile und das sinnentleerte Leben der Aristokratie seiner Zeit. Nicht viel anders, so sieht es Duesing, ergeht es der heutigen Wellness-Gesellschaft, die sich auf der Flucht vor der inneren Leere in den Fitness- und Gesundheitswahn stürzt. So ist für Duesing das vornehme Badehotel in Rossinis Oper, wo die landestypisch charakterisierten Bonvivants aus ganz Europa sich die Zeit mit Liebeleien und Eifersüchteleien vertreiben, weil die Pferde für die Abreise zur Kaiserkrönung nach Reims nicht verfügbar sind, auch ein Spiegelbild unserer Zeit. Folgerichtig haben der Regisseur und sein Ausstattungsteam (Boris Kudlicka, Bühnenbild, Nicky Shaw, Kostüme, und Olaf Winter, Licht) die Geschichte in eine zeitlos moderne Badelandschaft verlegt. Zu diesem Zweck wurde die Bühne geflutet. Als Spielfläche dient eine nur per Fahrstuhl erreichbare Badeinsel, die über Stege mit vier Umkleidekabinen verbunden ist. Auf diesem Eiland herrscht turbulentes Treiben, hat doch Duesing der quirligen Musik einiges an Gestik und tänzerischem Potenzial für die Personenführung abgelauscht. An witzigen Einfällen fehlt es denn auch nicht. Da streifen die Protagonisten des berühmten Sextetts, bei dem die feinen Herrschaften über die Liebe sinnieren, nach und nach ihre Badelatschen ab und lassen die Füße genüsslich im Plantschbecken baumeln, während die Sängerin Corinna (Juanita Lascarro) im Fahrstuhl eine nächtliche Canzone zum Besten gibt. Köstlich auch, wie der englische Lord Sidney (Simon Bailey) erst in Schlamm und dann in Alufolie gewickelt wird – eine reizvolle Aufgabe für die Damen vom Chor, der sich wieder einmal von seiner glanzvollsten Seite zeigen konnte. Dass die Rossinische Stimmakrobatik nicht zum unüberwindlbaren Hürdenlauf für das auch schauspielerisch sehr aktive Solistenkollektiv wurde – neben den bereits erwähnten Ensemblemitgliedern gesellten sich Anna Ryberg, Johannes Martin Kränzle und Nathaniel Webster sowie als Gäste Silvia Trio Santafé, Elzbieta Szmytka, Yves Saelens, Yasu Nakajima und Giovanni Furlanetto dazu –, ist Maurizio Barbacini am Pult des blitzschnell reagierenden Museumsorchesters zu verdanken. Er gab den Sängern genügend Raum für ihre halsbrecherischen Koloraturen, ohne dass es der Aufführung an Tempo und rhythmischer Energie mangelte. Das Publikum amüsierte sich prächtig. |
Für den Silvesterknaller vorgesorgt Was stellt man mit einer Oper an, die sich selbst ironisch aufs Korn nimmt und allenfalls zur Sängerparade taugt? Bariton Dale Duesing, der in Frankfurt sein Regie-Debüt mit Gioacchino Rossinis "Il viaggio a Reims" gibt, hat ein tragfähiges Konzept: Er schafft es, eine exzentrische Opern-Reisegesellschaft auf Teamgeist einzuschwören und überzeugt die zehn viel beschäftigten Belcantisten sogar von ihren Pop-Star-Qualitäten: Die haben nicht nur alle Hände voll zu tun, sondern zeigen auch ihre Füße her. "Moving" nennt man’s im US-Showbiz, das der Amerikaner Duesing dauerhaft der dürftigen Opernhandlung andient. Mit Rossinis Musik, deren Geschwätzigkeit und triefendes Sentiment Pult-Routinier Mauricio Barbacini und das spürbar animierte Frankfurter Museumsorchester immer goldrichtig gewichten, wird daraus ein Musical, das zweieinhalb Stunden lang gut unterhält. Dafür prasselte der Premierenbeifall am Ende - mittendrin hatten sogar ein paar Bravos elegantes Auszieren und sportives Stemmen von Rossini-Tönen belohnt. Schon der Titel "Reise nach Reims" dieser italienisch ge sungenen Oper - deutsche Übertitel sorgen dafür, dass keine Pointe verloren geht - ist purer Spott. Denn die illustren Europäer, im Kurhotel von Plombières auf ihren Koffern sitzend, um zur Krönung des neuen französischen Königs Charles X. nach Reims zu fahren, kommen dort nie an. Aus Mangel an Fahrzeugen. So beschließen sie, auf den Bus nach Paris zu warten, um wenigstens zur Nachfeier präsent zu sein. Die Zeit bis dahin gilt’s zu überbrücken. Duesing lässt sie wie Heutige aussehen (Kostüme: Nicky Shaw), und sein Ausstatter Boris Kudlicka zeigt, dass diese adeligen Yuppies reif für die Insel sind: Wasser umgibt das Arena-Rund mit einem Fahrstuhl als Blickfang und Kabinen, die verschwinden, wenn die Kunde von der misslungenen Reise kommt. Später begrenzt noch ein Vorhang hermetisch die Spielfläche. Verhandelt wird hier typischer Opern-Herz-Schmerz, der sich am Ende wundersam in Luft auflöst. Der Kurhotel-kundige Duesing konterkariert das mit Allerweltsweltkram und erreicht dauerhaften Schmunzeleffekt. Gleichzeitig werden aus platten Opernfiguren zwar keine Charaktere, aber immerhin ganz originelle Typen. Wenn etwa die modebewusste Contessa de Folleville (mit trefflich überzogenem Sopran: Anna Ryberg) erfährt, dass ihre neue Garderobe verschütt ging, fällt sie prompt in Ohnmacht, was einen köstlichen Streit zwischen Kurarzt und -gästen bewirkt. Immerhin konnte ihr Hut in Schiffchenform gerettet werden, der urplötzlich vorbeischwimmt. Wenn’s dann so richtig Beziehungszoff gibt, kühlen die Akteure nicht nur gesanglich ihr Mütchen, sondern auch die Füße im Wasser. Dienstbare Kurgeister verpassen dem schüchternen Lord Sidney (Bassbariton Simon Bailey gibt auch stimmlich den coolen Briten) bei seiner erhabenen Balz eine Schlammpackung. Überhaupt gelingt den Akteuren überwiegend der Spagat zwischen kunstvollem Schöngesang und parodistischem Ausflippen, was wieder einmal fürs Ensemble der Frankfurter Oper spricht, deren Chor (Einstudierung: Alessandro Zuppardo) stimmlich ideal sekundiert, zudem rhythmisch-tänzerisch äußerst mobil. Den auch a capella auftrumpfenden 15 Solisten gilt ein Sammellob. Selbst ihre Nationalhymnen und -lieder kommen von Herzen - abseits jedweder tönender Leitkultur. Hervorstechend hier neben der umsichtigen, ja stimmlich sogar anrührenden Hotelwirtin Elzbieta Szmytka Sopranistin Silvia Tro Santafé als Marchesa Melibea, eine Frau, die auch stimmlich Härte zeigt. Gegenüber ihrem eifersüchtigen Liebhaber Yasu Nakajima, hier ein russischer Conte, dem wohl die Proben-Fußbäder nicht bekommen sind. Sein Tenor, stabil in der Höhe, wirkte insgesamt etwas belegt. Mit noblem und souveränen Bass: Johannes Martin Kränzle als deutscher Major. Eine Klasseparodie liefert Bariton Giovanni Furlanetto, eine köstliche, aber erfolglose Anmache per Schmeicheltenor Yves Saelens, wie ein verhinderter Rock’n’Roller anmutend. Dem Objekt seiner Begierde, Sopranistin Juanita Lascarro, als schöne Stimmerscheinung selbst den Akteuren ein "Ooh" entringend, ist der finale Abgesang vorbehalten, hier so überraschend wie bei vielen Musicals auch. Da wird nichts beschönigt. Schon Rossini hatte wenige Jahre nach der Uraufführung von 1825 etliche Nummern der "Reise nach Reims" für eine weitere Operntat recycelt. Duesings leichtfüßige Musical-Aktualisierung bringt ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk. Klingende Gaben - nicht nur für die Spaßgesellschaft. Und natürlich auch ein Silvesterknaller ... KLAUS ACKERMANN |
Beste Unterhaltung Von Axel Zibulski Die Reise nach Reims findet nicht statt. Weil keine Pferde mehr auszutreiben sind in der Nähe des Kurhotels "Goldene Lilie", von wo aus sich eine Schar internationaler Gäste auf den Weg machen will zu den Feierlichkeiten zur Krönung von Charles X. So disponiert man um, will den Regenten in Paris empfangen. Aber auch die Reise in die Hauptstadt findet nicht statt, zumindest nicht mehr auf der Opernbühne. Ja was passiert denn eigentlich in Gioacchino Rossinis "Il viaggio a Reims ossia L´albergo del Giglio d´oro"? Ein großes Fest immerhin, gegeben als Finale dieses "Dramma giocoso", das jetzt an der Oper Frankfurt Premiere hatte. Doch ansonsten zeichnet sich die "Reise nach Reims" eher durch die arge Belanglosigkeit ihrer Handlung aus: Zeitvertreib der internationalen Gäste im Kurhotel samt virtuoser Gesangseinlagen. Rossini hat das Stück 1825 für das Pariser "ThéCtre-Italien" komponiert, und zwar just zur Feier der Krönung jenes Königs, den die 14 Personen in der Oper nicht erreichen. Ein typisches Gelegenheitswerk also, heute gewiss nicht leicht auf die Bühne zu bringen. Umso gespannter durfte man deshalb auf die Inszenierung von Dale Duesing sein. Der amerikanische Bariton, der in Frankfurt beispielsweise noch durch seine Auftritte als Alban Bergs Wozzeck oder als Beckmesser in Wagners "Meistersingern" in Erinnerung ist, hat sich mit Rossini als Regisseur vorgestellt. Und um es vorwegzunehmen: Duesings Regie-Debüt wurde vom Premierenpublikum enthusiastisch gefeiert. Gewiss bietet bereits das Bühnenbild von Boris Kudlicka eine charmante Grundlage für eine insgesamt flotte Inszenierung bei spärlicher Handlung: Eine runde Fläche, unter der reichlich Wasser auf der Bühne Platz findet, dazu ein mondäner Aufzug, und aus den Appartement-Kästen des so angedeuteten Kurbadhotels strömt man bereits morgens zur gruppenweisen Körperertüchtigung ganz im Stile der einstigen Aerobic-Bewegung (Kostüme: Nicky Shaw). Überhaupt gibt es wenig Stillstand in Duesings Inszenierung, die auch mit kleineren Spielereien für sich einnimmt: Da wird zum Beispiel eine Arie zwischen einem Dutzend Gepäckstücken gesungen - durchaus als Anspielung an die von Rossini so geschätzten "Kofferarien" zu verstehen, also jene Nummern, die einfach von einer Oper in eine andere übernommen werden. In Sachen Arbeitsökonomie musste der viel beschäftigte Rossini zwangsläufig Meister sein. Und doch verfügt die "Reise nach Reims" über musikalische Preziosen, die heute allein noch ihre Aufführung rechtfertigen. Das lange vergessene und für die Wiederaufführung 1984 in Pesaro erst wieder rekonstruierte Werk bietet zum Beispiel ein Ensemble für 14 Solo-Stimmen - als vokales Feuerwerk gesungen, nachdem die Nachricht vom Platzen der Reise nach Reims auf der Bühne eingetroffen ist. Aber auch mit seinen zahlreichen anderen Ensembleszenen steht das Werk in der Oper Frankfurt zum richtigen Zeitpunkt auf dem Programm, hat man dort doch in der jüngsten Vergangenheit den Wiederaufbau eines Stamm-Ensembles stark vorangetrieben. Und an solchen Abenden zahlt es sich eben hörbar aus, dass sich die Darsteller auf der Bühne bestens zu verstehen scheinen. So gewinnt die Aufführung in vokaler Hinsicht eher durch eine auf solidem Niveau geschlossene Gesamtleistung als durch bemerkenswerte Spitzenleistungen an Qualität; anstelle einzelner der 14 Solisten sei insoweit das Ensemble gewürdigt. Bestens koordiniert wird es von dem Gastdirigenten Maurizio Barbacini, der das Museumsorchester zudem zu einem geschmeidigen, sängerfreundlichen und farbenreichen Rossini-Klang anhält. Man darf sich mit dieser Produktion also bestens unterhalten lassen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. |
Frankfurt frischt Rossini und Schubert auf von Uwe Wittstock Eine Oper wie Konfetti: sehr bunt, sehr leicht. Gioacchino Rossinis "Reise nach Reims" schürft nicht eben tief. Man schreibt den 29. Mai 1825: Im vornehmen Kurort Plombières entschließt sich eine zufällig zusammengewürfelte Gruppe von Badegästen an der Krönungsfeier Karls X. in Reims teilzunehmen. Umgehend wollen sie aufbrechen, doch in der ganzen Stadt sind keine Pferde zu bekommen. Also muß die Reise ausfallen und ersatzweise feiert die Gesellschaft dort, wo sie sich gerade befindet - das ist schon die gesamte Handlung. Als Regisseur für dieses luftig-flüchtige Belcanto-Werk hat die Frankfurter Oper den amerikanischen Sänger Dale Duesing gewonnen, der hier die erste Inszenierung seines Lebens abliefert. Er macht aus der "Reise nach Reims" den herrlich schwungvollen, beschwingten, mitunter beschwipsten Abend: Einige postmoderne Erholungssucher scheitern daran, aus ihrem Wellness-Hotel zu einem großen Party-Event aufzubrechen - doch sie machen sich (und dem Publikum) unverdrossen einen schönen Abend. Duesing führt und verführt seine Darsteller zu erstaunlichen Leistungen. Nur selten wird auf Opernbühnen so lebendig und mitreißend geschauspielert wie an diesem Abend auf der Frankfurter. Und selten wird im Musiktheater mit so viel - intelligentem - Witz inszeniert. Duesing läßt der Oper ihren federleichten Charme und zeigt doch mit unaufdringlichen Mitteln, wie selten das Glück ist, das Rossinis Party-Gesellschaft genießt: Fast die ganze zweite Hälfte spielt auf einer kreisrunden Bühne mitten im Wasser - auch eine kleine Insel der Seligen. Der Chor ist in Hotel-Uniformen gehüllt und deutet mit stummem Spiel immer wieder an, wieviel Arbeit dahinter steckt, andere unbeschwert feiern zu lassen. Der Dirigent Maurizio Barbacini präsentiert Rossinis Musik ungemein effektvoll und den Sängern ist anzumerken, daß die von Duesing geweckte Spielfreunde bei ihnen beeindruckende Sangeslust erzeugt: Von Silvia Tro Santafé über Yasu Nakajima bis zu Anna Ryberg und Juanita Lascarro war Außerordentliches zu hören. Das ganze Ensemble glänzt, tanzt, strahlt. Eine Oper wie Konfetti: sehr bunt, sehr leicht - sehr schön. Doch das ist nicht die einzige gute Erfahrung, die das Frankfurter Musiktheater zurzeit mit einem Darsteller als Regisseur macht. Der Schauspieler Udo Samel hat seit Frühjahr 2003 nach "Die schöne Müllerin" und "Winterreise" jetzt den dritten Liederzyklus von Franz Schubert auf die Bühne gestellt: "Schwanengesang". Im Gegensatz zu den beiden vorangegangenen Inszenierungen beschränkt sich Samel diesmal sehr und zeigt ein schon demonstrativ armes Theater: Die drei Sänger Christian Voigt, Florian Plock und Franz Mayer singen nicht nur vom Unglück, vom Schmerz, vom Scheitern am Leben, sondern werden von Samel als Clochards mit Plastiktüten, schmuddeligem Schlafsack und Schnapsflaschen auf die Bühne gestellt. Samel holt Schuberts Zyklus so aus der hochartifiziellen Welt des Kunstliedes und stellt ihn mit beiden Beinen in die Gegenwart. Die Liebes- und Lebensnot, von der hier gesungen wird, erhält damit eine ungewohnte Dringlichkeit und Direktheit. Eine Wirkung, die Samel auch akustisch unterstreicht: Wenn zwischen den Liedern die Plastiktüten knistern, Flaschen leise gegen den Bühnenboden klirren oder der Reißverschluß des Schlafsacks sirrt, werden die Ohren sensibilisiert für die ungeheure Kunstanstrengung, mit der Schubert schreiendes Leid in klingende Musik verwandelte. |
Rossinis "Il viaggio à Reims" an der Frankfurter Oper Im Kurhotel des französischen Badeortes Plombières hat sich eine Gesellschaft europäischer Bonvivants versammelt, die nach Reims zur Krönung des neuen Königs Karl X. reisen möchte. VON STEPHAN HOFFMANN Diese Reise kann aber nicht stattfinden, denn es sind keine Pferde verfügbar. Das sei etwas wenig als Handlungsgerüst einer gut zweieinhalbstündigen Oper, meinen Sie? Für Gioacchino Rossini war es vollkommen ausreichend, er machte aus dieser Geschichte, die ja eigentlich eine Nichtgeschichte ist, eine der verrücktesten Opern, die je geschrieben wurden. Zu besetzen ist "Il viaggio à Reims" (Die Reise nach Reims) nur mit größten Anstrengungen, deshalb wird die Oper auch so selten aufgeführt. Rossini musste auf Geld und folglich auf Besetzungsbeschränkungen keinerlei Rücksicht nehmen, er schrieb 14 Solisten vor, davon elf in größeren Rollen. Deshalb verdanken wir dieser Oper auch das einzige 14-stimmige Solisten-Ensemble, das die Musikgeschichte kennt - und zwar aus dem banalsten Anlass, den die Musikgeschichte kennt: Das Ensemble ist die Reaktion auf die Meldung, dass keine Pferde aufzutreiben seien. Als Beobachter kann man unmöglich alle Hauptrollen einzeln würdigen. So bleibt nichts übrig, als einige Sänger herauszugreifen, und im Übrigen zu versichern, dass die Produktion geradezu brillant besetzt ist. Elzbieta Szmytka als Madama Cortese, die Besitzerin des Badehotels, krÀ¶nte das wunderbare Ensemble mit ihren gestochenen Koloraturen. Ein Riesenkompliment muss auch dem Frankfurter Museumsorchester unter Maurizio Barbacini gemacht werden: Hier fand manchmal wirklich ein orchestraler Tanz auf der Nadelspitze statt. Der amerikanische Bariton Dale Duesing bewies bei seiner Debüt-Inszenierung, dass er auch Regie führen kann. Er gab den Sängern Gelegenheit und Raum zur stimmlichen Entfaltung und überfrachtete das Stück nicht mit Bedeutungen, die es nicht hat. Während die Reiselustigen auf die Abreise warten, die dann gar nicht stattfindet, schlagen sie die Zeit tot, indem sie sich verlieben, ihrer verloren geglaubten Garderobe nachtrauern oder aus irgendwelchen Gründen in Ohnmacht fallen - alles mit der musikalischen Geste größtmöglicher Ernsthaftigkeit. Das Stück ist eine einzige Selbstironisierung der Figuren und der ganzen Gattung Oper. Da muss der Regisseur nicht mehr tun, als diese Ironisierung szenisch diskret anzudeuten. Viel mehr machte Dale Duesing nicht - aber genau diese Zurückhaltung tut dem Werk ausgesprochen gut. Das Stück selber ist schon aufgedreht genug. Deshalb beschließt die Reisegesellschaft ja auch, wenn es schon mit Reims nicht klappt, dann eben mit der Linienkutsche nach Paris zu fahren. Denn das sei, wie ja jedermann wisse, ohnehin die Hauptstadt der Welt. |
Satire auf die Wohlfühlgesellschaft Gioacchino Rossinis Oper "Die Reise nach Reims" in der Regie von Dale Duesing in Frankfurt Von Siegfried Kienzle Wenn renommierte Sänger sich im Regiefach erproben, reihen sie oft Erinnerungsstücke aus Aufführungen aneinander, worin sie selbst auf der Bühne standen. Nicht so der amerikanische Bariton Dale Duesing in seiner Erstlingsregie: In "Il viaggio a Reims" (Die Reise nach Reims) von Gioacchino Rossini brennt er ein Feuerwerk komödiantischer Einfälle ab und nimmt mit satirischem Biss die Wohlfühlgesellschaft der Reichen und Schönen aufs Korn. Die Handlung ist weniger als ein Nichts. Noble Kurgäste langweilen sich im Hotel, vertreiben sich die Zeit mit Liebesromanzen und Eifersüchteleien, wollen zur Krönungsfeier nach Reims abreisen, aber alles geht schief - höchst arios und koloraturenbeschwingt in atemlosem Crescendo. Zur Krönung des französischen Königs Karl X. 1825 in Reims hat Rossini die Oper als Auftragswerk geschrieben und eher subversiv das Scheitern dieser Huldigung komponiert. Aus aller Herren Länder kommen die Reisenden, sitzen fest im Hotel "Zur goldnen Lilie". Rossini macht sich lustig über ihre nationalen Marotten. Zuletzt präsentieren die Figuren musikalisch jeweils ihre Nation von "God save the Queen" bis zur anachronistischen Deutschlandhymne und einer folkloristischen Jodler-Einlage - ein "Grand Prix d´Eurovision" als Lachnummer. Augenzwinkernd verdeutlicht die Regie, wie Rossini lustvoll die Dekonstruktion der Opernkonventionen betreibt: da kippen die Gesangs-szenen ins Absurde, wird in all der musikalischen Hektik der Stillstand sichtbar. Bühnenbildner Boris Kudlicka stellt Badekabinen an eine Wasserfläche. Aus diesen Zellen schießen die Figuren wie Springteufelchen heraus. Wie die Göttererscheinungen in der Barockoper schwebt die Hotelchefin (Elzbieta Szmytka als kapriziöser Wirbelwind mit fabelhafter Stimmtechnik) zu ihren Geschöpfen nieder. Corinna (Juanita Lascarro mit geschmeidigen Koloraturen) hat als Pop-Ikone mit Mikro, die umbalzt wird von der Männerwelt, ihren Auftritt. Mit viel Spielwitz setzt Duesing seine Gags: da segelt das extravagante Hütchen durchs Wasser, um die Modenärrin Folleville (Anna Ryberg papageienbunt und mit lyrischer Leuchtkraft) zu entzücken. Silvia Tro Santafé spielt als Melibea die Männer gegeneinander aus. Yves Saelens ist ein selbstgefälliger tenoraler Papagallo. Giovanni Furlanetto ersingt sich mit seiner Plapperarie, die die verschiedenen Dialekte karikiert, Sonderapplaus. Der Dirigent Maurizio Barbacini, der die Oper bereits im Vorjahr in Helsinki mit dem Nobelpreisträger Dario Fo herausgebracht hat, sorgt für Spritzigkeit und Tempo. Dieses Fest der Stimmen, so spielfreudig und ironisch, wird mit viel Jubel aufgenommen. |
Kurzweil beim Warten Operette: Niedliche Nettigkeiten: Rossinis „Reise nach Reims" in Frankfurt Von Albrecht Schmidt FRANKFURT. Das Warten gehört zu den Lieblingsbeschäftigungen der Menschheit: Am 29. Mai 1825, dem Tag des Geschehens in Gioacchino Rossinis Oper „Die Reise nach Reims", wartet eine illustre Reisegesellschaft ungeduldig – und letztlich vergeblich – auf Kutschen und Pferde, um vom Kurhotel „Die Goldene Lilie" in Plombières zur Krönung des französischen Königs Karls X. aufzubrechen. Die Warterei kommt in der Frankfurter Oper mit munterer Kurzweil daher – und das, obwohl die Oper außer harmlosem Geplänkel, Amouren und Amüsement nichts zu bieten hat. Immerhin macht der amerikanische Bariton Dale Duesing in seinem Regie-Debüt aus kümmerlichen Nichtigkeiten kuriose, niedliche Nettigkeiten. Die Bühne, von Boris Kudlicka streng symmetrisch auf eine Wasserfläche gebaut, kombiniert eine mondäne Hotelhalle mit Umkleidekabinen, die über Holzstege zu erreichen sind. Dort gibt es für die knallbunt gekleideten Badegäste (Kostüme: Nicky Shaw) ein komfortables Wellness-Angebot mit Fango, Fußbad, Massage, Yoga und Frühsport. Mit Witz und Ironie zeichnet Dale Duesing die in unsere Zeit transportierten Figuren, und der baritonal großartige Giovanni Furlanetto als Faktotum vom Dienst porträtiert die gesamt-europäische Schickeria: französischer Charme und Eleganz (Anna Ryberg als sopranhelle Contessa, Yves Saelens mit tenoralem Höhenfieber als liebestrunkener Cavalier Belfiore), polnisches Temperament (Silvia Tro Santafés Pracht-Mezzo als Marchesa Melibea), russische Rätselhaftigkeit (der Tenor Yasu Nakajima als unglücklich verliebter Conte di Libenskof), spanisches Heißblut (Nathaniel Websters Don Alvaro), italienische Grandezza (harfenumglänzte Lyrismen von Juanita Lascarro), englische Reserviertheit (Simon Bailey als Lord Sidney) und schließlich deutsche Gründlichkeit und Organisationsgabe (Johannes Martin Kränzle als Baron Trombonok). Maurizio Barbacini dirigiert diesen Aufmarsch der Nationen mit südlichem Feuer. Mechanische, letztlich ermüdende Reihungen und Wiederholungen kann er nicht verhindern: Sie sind in Rossinis Buffa begründet, die sich – ursprünglich als Huldigungskantate komponiert - auf Belcanto- und Koloraturfutter am Fließband beschränkt. Dem großen Versöhnungsfinale, bei dem im Sauseschritt und mit Hymnenzitaten ein vereintes Europa herbeigejubelt wird, folgte bei der Premiere einhellige Zustimmung für eine glückliche Reise ins Operettenland. |