Kreuzzug und Storchenbotschaft Ein kämpferischer Monteverdi-Abend: Religionen und Kulturen gegeneinander, Frauen gegen Männer. Und obendrein ein sehr aktueller Abend angesichts des moslemisch-europäischen Karikaturenstreits und der Nachwuchsverweigerung in der deutschen Gesellschaft. Besser als in seiner vorjährigen, noch recht unbeholfenen Inszenierung von Claudio Monteverdis Orfeo gelang es nun dem Hans-Neuenfels-Schüler David Hermann in seiner Inszenierung für die Oper Frankfurt, ein einleuchtendes Konzept bühnenpraktisch umzusetzen. Das zeigt sich schon in der sinnvollen Vernetzung dreier disparater Bestandteile von Monteverdis Werk. Der baßbaritonal sonore Magnus Baldvinsson fungierte in Combattimento di Tancredi e Clorinda als Kreuzzugsprediger, in Ballo delle ingrate pikanterweise als geistlicher Höllenfürst Pluto, der die liebesverweigernden Frauen an die Vergänglichkeit ihrer Schönheit erinnert. Dieser kirchliche Rahmen wird verstärkt durch jeweils drei Nummern aus Monteverdis Marienvesper, die den tödlichen Kampf zwischen Tancredi und Clorinda umfangen. Hermann gewinnt dadurch Klangraum für Pro- und Epilog nach weiteren Texten aus Torquato Tassos La Gerusalemme liberata, der Quelle des Combattimento. In der Vorgeschichte träumt Clorinda von der Peinigung durch den Taufzwang, dem die muslimisch aufgewachsene Tochter christlicher Eltern bisher entging. Großartig verkörperte die Tänzerin Gail Sharrol Skrela, die insgesamt choreographisch mitarbeitete, den Kampf der Religionen und Kulturen in Clorinda selbst, gepeinigt von zwei, dann drei auf sie herabschmetternden Säulenengeln ("Duo Seraphim"). Ihr Taufwunsch im Tod gewinnt dadurch eine neue Dimension als Zurückfinden zu ihrer christlichen Ur-Identität. Im Schluß-Pendant verliert Tancredi dagegen seine christliche Selbstgewißheit, die ihn zum Morden antrieb. Halbnackt und wahnsinnig fühlt er sich von den Marienvesper-Klängen, zumal den fast schneidenden "Gloria Patri"-Rufen, gefoltert. Eine weitere Klammer besorgte der Kinderchor der Frankfurter Oper als Kinderkreuzzug in Combattimento, sodann als Schar der ungeborenen Kinder, die im Ballo den wieder im Hades verschwindenden undankbaren Frauen nachwinken. Auf der zentralen, das Orchester umrundenden, mit zwei Laufstegen ins Auditorium verlängerten Spielfläche im Bockenheimer Depot (Ausstattung Christof Hetzer) war der Kampf zwischen Kreuzritter und Sarazenenprinzessin in beklemmend tödlicher Steigerungsdramaturgie verkörpert. Beide Figuren waren in pantomimische Tänzer (außer Gail Sharrol Skrela der nicht minder grandiose einstige Frankfurter Forsythe-Ballettänzer Tamas Moricz) und Sänger (Juanita Lascarro, Peter Marsh) verdoppelt, die freilich nur wenige Takte zu singen haben. Nach Taufe und Tod aufersteht Clorinda zur schwarzen Madonna auf einer Säule – vielleicht anspielend auf die hier nicht mitverwendete Hohelied-Vertonung "Nigra sum" aus der Marienvesper. Die zentrale Rolle des Testo gestaltete der Tenor Christian Dietz, Studierender an der Frankfurter Musikhochschule, intensiv und variabel im Sprechgesang zwischen distanziertem Bericht und packendem Espressivo. Im Vergleich zum Combattimento-Drama wirkt Il ballo delle ingrate nach der Pause, im grotesken Gehalt beschnitten, wie ein harmloses Divertimento. Tragfähig war immerhin die Idee, den Ballo als Tierfabel zu verkleiden – angeregt durch die einst weltweit verbreitete Vorstellung von der Storchengöttin als Inbild der Frau und dem Vogel als Glücks- und Nachwuchsbringer. Doch alles Klappern für Liebe und Kindersegen, mit dem Venus (Katharina Magiera) und Amor (Juanita Lascarro) mit leuchtkräftigen, schlanken Stimmen die spröden Damen zu überzeugen versuchen, nutzt nichts: Die Liebesfeindinnen zerschmettern die Eier, die sie zunächst sorgsam hegten. Letzten Endes konnte auch die Storchenbotschaft dem zähen Disput von Venus, Amor und Pluto um die befristete Freigabe der Damen aus dem Hades in Ottavio Rinuccinis Libretto nicht recht aufhelfen, und der Ersatz des Tanzes durch eher spröde Bewegungsspiele beflügelte ebensowenig. Immerhin nahm das Schlußlamento der undankbaren Seele im feinziselierten, ausdrucksvollen Sopranton von Tamara Weimerich, Schülerin von Hedwig Fassbender an der Frankfurter Musikhochschule, für sich ein. Wie schon bei Orfeo brachte Paolo Carignani mit seinem hochprofessionellen Ensemble aus Streichern des Museumsorchesters sowie Mitgliedern der Spezialgruppen "Ecco la musica", "Vivi Felice Barockmusikprojekte" (Bläser) und "Echo du Danube" (Continuo) Monteverdis dramatischen "Stile concitato" überaus plastisch, klangsensibel und -sinnlich zur Geltung. In den erregten, zugespitzten Tremoli und Pizzicati schien es bisweilen, als wolle Carignani aufspringen und mittanzen. ELLEN KOHLHAAS |
Duell der Turnschuh-Gläubigen VON STEFAN SCHICKHAUS Man müsste den jungen Regisseur David Hermann einen Herkules nennen, wenn er das geschafft hätte: drei so unterschiedliche Musiken von Claudio Monteverdi wie die Marienvesper, das Combattimento di Tancredi e Clorinda und den Ballo delle Ingrate zusammen zu zwingen zu einer Dreieinigkeit. So spaltet sich das Monteverdi-Projekt der Oper Frankfurt im Bockenheimer Depot, zu Combattimenti subsumiert, in zwei lediglich lose gefügte Blöcke auf - und es wurde eine runde Sache daraus. Alleine schon der erste Teil, der Ausschnitte aus der Vespro della Beata Vergine mit dem Combattimento-Madrigal fusioniert, vereinigt Disparates auf bezwingende Art und Weise. Diese Combattimenti bilden die zweite Stufe eines Monteverdi-Zyklus, den Hermann für die Oper Frankfurt im Depot realisiert. Begonnen wurde vor einem Jahr mit der Oper Orfeo, das Spielfeld jetzt ist das gleiche: Eine von den Publikumsrängen eingefasste Fläche mit einer Aussparung für die Instrumentalisten. Dort sitzt Paolo Carignani in der Mitte eines Ensembles, das sich aus Musikern des Opernorchesters und aus Spezialisten verschiedener Barockformationen zusammensetzt. Konzertmeisterin bei diesem Projekt ist Pauline Nobes, eine der ganz erfahrenen Barockgeigerinnen. Und dies gleich vorweg: Der Frankfurter Monteverdi-Klang ist kernig und agil, das musikantische Niveau ist absolut auf der Höhe der Zeit. Zweikampf der Geschlechter Das Combattimento di Tancredi e Clorinda ist das Kernstück des Abends. Es schildert einen Zweikampf der Geschlechter, Christ Tankred gegen Muslima Clorinda. Gekämpft wird hier nicht mit Schwert und Rüstung, sondern ganz sportiv in Markenturnschuhen. Mag sein, jeder der Kombattanten gehört einer Kirche an, doch die Ikonographie zeigt die Gemeinsamkeiten: Der Querbalken des Kreuzes hat den Schwung des Logos von Nike, dem Sportartikelhersteller, den die halbe Welt anbetet. Und auch der Halbmond der Gegenreligion verzerrt sich zum gleichen Nike-Schwung. Für den Sänger des Tancredi (Peter Marsh) steigt in den Ring: Tamas Moricz, Tänzer. Für die Sängerin der Clorinda (Juanita Lascarro) stellt sich ihm im choreografierten Schatten-Streetfight: Gail Sharrol Skrela, Tänzerin. Ringrichter ist der "Testo" Christian Dietz, ein trotz seiner jungen Jahre bereits erfahrener Monteverdi-Tenor, der wie alle Beteiligten nicht nur stilistisch absolut überzeugt. Das Combattimento wird hier also zum Markenakt, die Taufe der sterbenden Clorinda besteht im Tausch des Stirnschweißbandes, und ein Klebestreifen macht ihr Nike-Zeichen zum Kreuz. Die Rahmenmusiken "Duo Seraphim" und "Gloria Patri" begleiten einen Exorzismus, Engelsgestalten singen auf die sich windenden Körper ein. Kinderkreuzzug mit Plüschtieren Was das Verwunderliche dabei ist: Nichts, weder die Vesper-Musik noch das Madrigal noch das Thema an sich wird durch diesen sehr körperlichen Zugang marginalisiert. Und wenn zur "Sonata sopra Sancta Maria" eine Kinderkreuzzug aufmarschiert, mit Holzschwertern und Plüschtieren an große Kreuze gebunden, kommt regelrecht Beklemmung auf. Nein, auf die zu leichte Schulter hat David Hermann dieses Combattimento nicht genommen, trotz aller Fetischbilder aus unserer Welt. Danach der Ballo, der "Tanz der undankbaren Frauen", er übernimmt den Part der Groteske. Eigentlich geht es dabei um die verblichenen spröden Damen, die von ihrem Unterweltwächter Pluto kurz an die frische Luft gelassen werden, um ihre noch lebenden Geschlechtsgenossinnen warnen zu können: benehmt euch nicht so undankbar und abweisend, lasst die Männer auch mal ran. Im Bockenheimer Depot wurde daraus eine skurrile Kirchenpredigt: Seid fruchtbar und mehret euch! Denn die Schattenwesen hier sind moderne junge Frauen, die mit dem Priester (dem mächtig sonoren, vom Unterwelt-Instrument Regal begleiteten Magnus Baldvinsson) kein Tänzchen wagen wollen. Wahrscheinlich sind es Akademikerinnen, gänzlich frei vom Kinderwunsch. Selbst wenn der Priester die Soutane lüpft und die Ballo-Schritte vormacht, tanzen die Frauen aus der Reihe, der Kirchenmann muss das Orchester abwinken. Doch die Groteske kennt die Lösung. Als Störche sind Amor (Juanita Lascarro) und Venus (Katharina Magiera) mit im Spiel, sie tragen einen Korb mit Eiern. Und setzen jeder der gebärunfreudigen Frauen eines in die vagina-förmigen Nester, die um deren Oberarme geschnallt sind. Die Liebe zum Mutterglück erwacht, der Kinderchor kommt, die Eier zerplatzen (es sind echte) - so komprimiert wird die merkwürdige Geschichte erzählt. Sie wirkt herrlich bizarr und keineswegs albern. Eigentlich ein Wunder. |
Ein Christ tötet eine Muslimin Von Andreas Bomba Die Archive quellen über von wenig bekannten, eine Aufführung lohnenden Opern. Dennoch schmieden sich Regisseure und Dirigenten gerne eigene Stücke zusammen. Wie anders als im künstlichen Kontext lernten wir sonst Stücke wie Claudio Monteverdis „Combattimento di Tancredi e Clorinda" oder den „Ballo delle Ingrate" kennen? Anlass- und Saisonmusik des 17. Jahrhunderts, als die neue Gattung Musik- und Tanztheater sich erst in Form und Inhalt zurechtzufinden begann. Der Regisseur David Hermann hat die beiden Stücke für eine Produktion im Bockenheimer Depot zusammengefasst. Das Publikum sitzt auf vier Seiten um die Bühne herum, das kleine Orchester mit dem altertümlichen Instrumentalklang in ihrer Mitte. „Combattimento" dramatisiert eine Episode aus Torquato Tassos Kreuzfahrer-Epos „La Gerusalemme Liberata" (Das befreite Jerusalem). Die beiden Gegner, Kreuzritter und Sarazenen-Amazone, treffen im Kampf aufeinander. Sie entdecken ihre Liebe, aber es muss so sein: Die Muslimin fällt von der Hand des Christen. Ein „Testo" (vorzüglich: Christian Dietz) erzählt diese erschütternde, außer einer Anspielung von wohlfeilen Aktualisierungen gottlob freie Geschichte, Gail Sharrol Skrela und Tamas Moricz tanzen sie in lehrstückhaft übertriebenen Posen. Juanita Lascarro und Peter Marsh singen, was an direkter Rede für sie übrig bleibt. Flankiert wird diese Geschichte durch je drei Stücke aus Monteverdis „Marienvesper", die eine sakrale Aura um das Kreuzzugsgeschehen verbreiten. Drei Heiligenfiguren in Tunika singen entrückt, von Podesten herab, der Kinderchor agiert, karnevalesk als Fanclub arrangiert mit Holzkreuzen und Transparenten. Großartig, wie ihnen die vertrackte Rhythmik beim cantus firmus der „Sonata sopra sancta Maria" gelingt, und ebenso vorzüglich, was Generalmusikdirektor Paolo Carignani der Musik an Dramatik entlockt, die bei oratorischen Aufführungen gerne einer pietätvoll aufs Detail bedachten Zurückhaltung weichen muss. Das in diesem Stück beschäftigte Personal lauscht nach der Pause dem „Ballo", dem „Tanz der undankbaren Frauen", eine andere Variation barocker Liebespraxis. Amor und ihre Mutter Venus, als Störche verkleidet Lust und Fruchtbarkeit verkörpernd (vorzüglich: Juanita Lascarro und Katherina Magiera), steigen herab in das Reich Plutos (mit schlank schwarzem Bass: Magnus Baldvinsson). Sie bitten ihn, die von ihm eingekerkerten hochmütigen, das heißt der Liebe entsagenden Frauen auf die Erde zurückzuholen. Amor möchte, aus eindeutigem Grund, den frigiden Germanenfrauen zeigen, wohin ihr abweisender Stolz letztlich führt – welch ein Sujet für eine Oper! „Schönheit ist vergänglich" lautet die Botschaft dieses Stücks – bis zur Vergänglichkeit aber lauert die Versuchung. Hier: die Versuchung intensiv und nicht ohne Witz inszenierten Barocks. Viel Beifall! |
Mönche in Turnschuhen Zwischen zwei abendfüllenden Opern eine Monteverdi-Collage: Im Bockenheimer Depot hat Regisseur David Hermann vergangene Spielzeit den "Orfeo" des italienischen Erfinders der Gattung Oper inszeniert, für kommende Saison ist mit der "Rückkehr des Odysseus ins Vaterland" die Aufführung eines weiteren Bühnenwerks geplant. Eine reizvolle, durchaus humorvolle Zwischenstation bedeutete jetzt die Premiere von "Combattimenti". Natürlich: Es gibt keine Oper von Monteverdi mit diesem Namen. Diese "Combattimenti" sind vielmehr eine neue Zusammenstellung geistlicher sowie weltlicher Werke des einst in Mantua und Venedig wirkenden Komponisten. Im ersten Teil der Aufführung rahmen einige Sätze aus der "Marienvesper" die knappe Szenerie "Il Combattimento di Tancredi e Clorinda" ("Der Kampf zwischen Tankred und Clorinda"), die Monteverdi einst für die Aufführung im Palast eines venezianischen Patriziers entwarf. Der Stoff wirkt heute freilich geradezu brisant, schildert er doch den Kampf zwischen einem christlichen Kreuzritter und einer muslimischen Sarazenin. Stoff hat brisante Aktualität gewonnen Auf der Spielfläche im Bockenheimer Depot gehen Hermann und sein Ausstatter Christof Hetzer das Stück gleichwohl so sportlich wie zuweilen frech und humorvoll an: Zur Marienvesper stehen träge Mönche mit klobigen Turnschuhen auf Kanzeln, über denen der Heiligenschein schon vormontiert ist. Der Haken einer bekannten Sportmarke ziert die christlichen Kreuze; ein Kinderkreuzzug in Gestalt des exzellent von Apostolos Kallos einstudierten Kinderchors verweist mit dem Transparent "Jerusalem oder nichts" auf zeitlos Konfligierendes. Den eigentlichen Kampf zwischen Tancredi (gesungen von Peter Marsh) und Clorinda (Juanita Lascarro) bestreiten als Tänzer Gail Sharrol Skrela und Tamas Moricz: Das ist plausibel, richten die Kämpfenden doch kein einziges Wort direkt zueinander. Ein Erzähler, in Frankfurt der tadellose junge Tenor Christian Dietz, berichtet vom Geschehen, das im Bockenheimer Depot so szenisch plastisch dargestellt wird, dass es der eingestreuten Tasso-Zitate, die eine arg schläfrige Stimme aus Lautsprechern beisteuert, gar nicht mehr bedurft hätte. Schläfrig wirken auch die Mönche im zweiten Teil des Abends, der allein dem 1608 uraufgeführten "Ballo delle Ingrate" ("Tanz der undankbaren Frauen") vorbehalten ist. Dieses Stück soll den Damen im Publikum zeigen, was undankbaren Frauen passiert - sie landen nämlich in Plutos Hölle und müssen auch noch tanzen, wenn gerade Amor (Juanita Lascarro) und Venus (Katharina Magiera), hier im Storchengewand als Fruchtbarkeitssymbol, am Höllentor vorbeikommen. Das lässt sich heute natürlich nur mit reichlich Ironie zeigen. Und so darf man sich amüsieren, zum Beispiel über einen im christlichen Gewand moralisierenden Pluto (Peter Marsh), der sich vollends lächerlich macht, wenn er die "undankbaren Damen" zum Tanz bittet: Das Kernstück dieser Monteverdi-Szene wird von Dirigent Paolo Carignani, Streichern des Museumsorchesters und einigen Gästen an den historischen Blasinstrumenten so frisch, sauber und zügig untermalt wie der ganze, mit Pause gerade knapp zwei Stunden dauernde Abend. AXEL ZIBULSKI |
Der Kreuzritter als Kickboxer Von Siegfried Kienzle FRANKFURT Der Kinderchor in Spielzeugrüstung wird vom Priester auf den Kreuzzug geschickt und hat seinen Teddy ans Holzkreuz gebunden. Der Kreuzritter Tancredi treibt als Kickboxer seinen sarazenischen Gegner in den Tod und erkennt zu spät, dass er die von ihm geliebte Clorinda getötet hat. Man sieht: der Krieg der Kulturen zwischen Abendland und Islam in der dramatischen Kantate "Il combattimento di Tancredi e Clorinda" (Der Kampf zwischen Tankred und Clorinda) ist in vollem Gang. Claudio Monteverdi schrieb das Werk 1624 nach einer Episode aus Torquato Tassos Epos "Das befreite Jerusalem". Für das Experimentierfeld der Oper Frankfurt im Bockenheimer Depot verbindet der Regisseur David Hermann dieses Spiel von Tod und Liebe mit einem satirischen Nachspiel: "Il Ballo delle Ingrate" (Der Tanz der undankbaren Frauen) hat Monteverdi fast 20 Jahre zuvor als Festspiel für eine Fürstenhochzeit am Hof von Mantua komponiert. Frauen, die spröde das Liebeswerben der Männerwelt verschmähen, werden zur Strafe in die Unterwelt verbannt. Venus (Katharina Magiera) als Göttin der Liebe und ihr Sohn Amor (Juanita Lascarro) staksen als rotbehoste Störche daher und bedrängen mit spitzem Schnabel Plutone, den Gott der Unterwelt, damit er den undankbaren Frauen einen Denkzettel verpasst. Plutone gibt Magnus Baldvinsson mit schwarzem Bass und katholischer Soutane, als wäre die Unterwelt eine Abtei. Als Tanzmeister zwingt er die Frauen in eine Tango-Formation, doch sie brechen aus und verwirklichen ihren Bewegungsdrang lieber in einer Balgerei. Hauptwerk des Abends ist "Il Combattimento di Tancredi e Clorinda", das vornehmlich aus dem Sprechgesang des Erzählers (Christian Dietz mit variablem und eindringlichen Tenor) besteht. Der Dirigent Paolo Carignani hat Teile aus Monteverdis "Marienvesper" einbezogen. Wenn die sterbende Clorinda sich zum Christentum bekehrt, ertönt triumphierend das "Gloria". Dazu wird der Sarazenin brutal das Kreuz angeheftet. Sie steigt an einem Pfeiler empor und steht dort als Säulenheilige. Prompt wird dazu der Heiligenschein elektrisch zugeschaltet. Derart intelligent satirisch hinterfragt die Regie die ideologischen Implikationen in diesem frühbarocken Erlösungsstück. Faszinierend ist Monteverdis einfallsreiche Musiksprache: das Getrappel der Pferde, die rasselnde Rüstung, ein wildes Kampf-Furioso und das gedehnte Innehalten des Entsetzens in der Erkennungsszene - suggestiv vermittelt Carignani mit seinem kleinen Ensemble, wie psychologisch tiefschürfend Monteverdi als Wegbereiter der Oper war. |
Unter Glaubenskriegern Musiktheater: Monteverdis „Combattimenti" im Bockenheimer Depot in Frankfurt Von Heinz Zietsch FRANKFURT. Tancred hat genug von den Glaubenskriegen zwischen Christen und Moslems, nachdem er seine Geliebte, die Muslima Clorinda, die er nicht hat erkennen können, im Zweikampf getötet hat. Sie lässt sich vor ihrem Tod taufen, doch er reißt sich die christlichen Symbole vom Leib und hält sich die Ohren zu, weil er das „Gloria Patri" (gesungen vom Kinderchor) als Hohn empfindet und den Widerspruch zwischen Glaube und Realität nicht mehr aushält. So lässt David Hermann im Bockenheimer Depot seine für die Oper Frankfurt erarbeitete Inszenierung von Monteverdis „Il combattimento di Tancredi e Clorinda" enden. Unter dem Titel „Combattimenti" hat Hermann die beiden aus verschiedenen Madrigalbüchern Monteverdis stammenden Stücke „Il combattimento di Tancredi e Clorinda", eine Mischform aus Madrigal und Kantate, und „Il ballo delle ingrate", eine Art Hof- und Opernballett, zusammengefasst (Ausstattung: Christoph Hetzer). Da Hermann im 1624 uraufgeführten „Combattimento" die Zeitlosigkeit der Glaubenskriege anvisiert – Clorinda könnte ebenso gut eine palästinensische Selbstmordattentäterin von heute sein –, bettet er das Stück in Teile aus Monteverdis „Marienvesper" (1610) ein und breitet dazu die Vorgeschichte wie den Epilog des verzweifelten Tancred aus. Die Titelrollen sind gedoubelt: Tancred und Clorinda werden sowohl von Sängern (Juanita Lascarro und Peter Marsh) wie von Tänzern (Gail Sharrol Skrela und Tamas Moricz) dargestellt. Die Choreografie wirkt allerdings aufgesetzt und nervös, weil sie zwischen übertriebenem Ausdruckstanz und modernem Video-Clip-Gehampele hin- und herpendelt. Hermann macht aus dem „Combattimento" ein spannendes Stück Musiktheater. Es ist auch die stärkere, szenisch packendere Komposition. Vielleicht auch das modernste, folgenreichste Werk Monteverdis. Was Monteverdi hier an Klängen zaubert, ist eine Vorform des modernen Instrumentaltheaters, da der Komponist seine neuen Spieltechniken (Tremolo, Pizzicato und Decrescendo) nach den szenischen Vorgängen ausrichtet. Monteverdi ist ein Espressivo-Musiker par excellence. Um so mehr verflacht Hermanns mit allzu gewollten Symbolen angereicherte Inszenierung des „Ballo delle ingrate" (1608), wo es darum geht, dass Frauen sich nicht undankbar zeigen sollen gegenüber ihren Männern – und, bitte schön, für den Nachwuchs bereit zu stehen haben. Mit dem Frankfurter Museumsorchester, unterstützt von den Blechbläsern „Ecco la musica" und dem Ensemble „Viva felice Barockmusikprojekte", zeigt Paolo Caringani am Dirigentenpult viel Einsatz und sorgt für transparenten, spannungsgeladenen Klang. Hinzu kommt ein stilistisch sicheres Sängerensemble. Das alles verlebendigt die Musik und lässt die mit Pause eineinhalb Stunden dauernde Aufführung spontan und unmittelbar wirken. |