Wo park ich mein Ross? VON STEFAN SCHICKHAUS Der französische Philosoph André Glucksmann ließ das Wort neulich in einem Interview fallen: Götterdämmerung. Er gebrauchte es in einem gerade hoch brisanten Zusammenhang, er sprach über die Ausschreitungen in den Pariser Vororten. Diese Parallele des Gesellschafts- und Sozialpolitischen mit Richard Wagners Ring des Nibelungen, der in der Götterdämmerung kulminiert, konnte einem bekannt vorkommen. Schließlich hat der Regisseur John Dew seine 2002 in Wiesbaden begonnene Ring-Inszenierung genau in diesem Kontext angelegt: Walhall war als Kernkraftwerk gezeigt, Siegmund gab den Rebell, Siegfried den Hippie, Generationen und Werte prallten aufeinander, eine Mauer lieferte Feindbilder. Wären brennende Autos in den Banlieues nicht ein gutes Schlussbild für die Götterdämmerung? Intrigen, keine Kämpfe Nein, nicht für John Dew. "Das Schicksal der Welt wird nicht von Klassenkämpfen entschieden, sondern von belanglosen Intrigen", schreibt er im Programmheft zu seinem Ring-Finale, das jetzt am Wiesbadener Staatstheater Premiere hatte. Eigentlich schade, das mit den belanglosen Intrigen. Denn so geht diese überaus aufregende, extrem treffend bebilderte Ring-Tetralogie mit einer vergleichsweise belanglosen Götterdämmerung zu Ende. Da spitzt sich nicht zu, was seit dem Rheingold geschickt aufgebaut worden war, da löst sich nichts im großen Clash auf. Dews Ring wird immer reduzierter, dabei aber nicht intensiver. Siegfried ist in der Welt des Business angekommen. Musste sein Vater Siegmund noch am Einbauküchenherd im 60er-Jahre-Mief Zuflucht suchen und sich mit dem reaktionären Betonkopf Hunding schlagen, stellt Siegfried jetzt die Weichen am Laptop. Auch er hat eine Küche, doch sitzt man hier auf Barhockern und lässt sich von Brünnhilde einen Espresso servieren, Alessi stellt das Design. Der Blick durch die Fenster verrät die Bankenmetropole, doch dass es nun wirklich ausgerechnet die detailliert nachgezeichnete Skyline von Frankfurt sein muss, die zum Walhall-Schlussbild Feuer fängt, wäre vermeidbar gewesen. Das Feuer, eine gleißende Verpuffung, bläst Hitze in die Gesichter des Premierenpublikums. Immerhin, man spürt etwas. Es bleibt ein Sternenhimmel und der Baumstumpf der Weltesche, aus dem ein neuer Trieb sprießt. Belanglos-subjektive Intrigen taugen eben nicht für jene starken, poetischen, auch verschmitzten Bilder, mit denen Dew und sein Bühnenbildner Peter Schulz die ersten drei Ring-Opern so sehr belebt hatten. Das Jonglieren mit den Metaphern und Symbolen wird selten. Bei Grane, dem Pferd, das der Held von Brünnhilde im Tausch gegen den Ring bekommen hat, blitzt diese Kunst noch einmal auf. "Wo berg ich mein Ross?" fragt Siegfried, als er in seinem Banker-Büro angekommen ist, und zieht dabei einen Autoschlüssel mit angehängten Pferdchen aus der Tasche. Hagen wird für ihn parken. Das hohe Niveau halten, das mit der Walküre 2003 und mehr noch mit dem Siegfried 2004 in Wiesbaden etabliert worden ist: Vor dieser Herausforderung stand auch das Sängerensemble und das Orchester unter Marc Piollet. Bei letzterem hatte man lediglich im ausladenden ersten Akt den Eindruck von gelegentlichem Rückschritt. Siegfrieds Hornruf oder dem ein oder anderen Holzbläsersolo mangelte es an Konzentration, wobei die orchestrale Lässigkeit, die unter Piollets Vorgänger 2003 noch geherrscht hatte, kein Thema mehr zu sein scheint. Die folgenden Akte der gut fünfeinhalbstündigen Götterdämmerung gerieten dann meisterhaft, die Tempi ruhig, der Klang - vor allem bei Siegfrieds Todesmusik - unerhört kernig. Ähnlich viel Applaus wie Dirigent Piollet bekam Barbara Schneider-Hofstetter für ihre Brünnhilde, eine Riesenleistung. Zwar merkte man ihr gegen Ende die Erschöpfung doch etwas an, ihre Stimme aber blieb immer weich geführt, nie suchte sie ihr Heil in der bloßen Kraft. Damit passte sie gut zu Alfons Eberz, der in Siegfried im vergangenen Jahr die Titelrolle vielleicht noch etwas modellierter sang, der als Götterdämmerung-Siegfried aber auch alle Härten vermied und das Lyrische betonte. Starker Dritter war Christoph Steppinger als uniformierter Hagen, sein Bass wuchs Stunde um Stunde. Von der Regie völlig ohne Aufgabe belassen war Andrea Baker als etwas unrund-schneidende Waltraute, ebenfalls szenisch blass bleiben musste die stimmschöne Ute Döring als Gutrune. Der Gunther von Joachim Seipp dagegen war eine ebenso eindringliche Bühnengestalt wie der Alberich von Carlo Hartmann. Und als purer Luxus kreuzte für etwa zwei Minuten noch der schweigende Ralf Lukas die Bühne, jener Wotan/Wanderer, der den drei Ring-Teilen zuvor seinen baritonalen Feinschliff zur Verfügung gestellt hatte. Zum Schlussapplaus gab es die seit dem Rheingold gewohnten Buh-Rufe für John Dew und dessen Kusshändchen als Erwiderung, dazu etliche Bravi als Gegengewicht. [ document info ] Dokument erstellt am 14.11.2005 um 16:33:28 Uhr Erscheinungsdatum 15.11.2005 |
Mit ironischer Note in die Apokalypse Von Volker Milch
WIESBADEN Es knallt und raucht, und der Feuerball, der auf der Bühne des Großen Hauses aufsteigt, sieht schon bedrohlich aus. Ist in der Wiesbadener "Götterdämmerung" vielleicht das Atomkraftwerk in die Luft geflogen, das im "Rheingold" vom Spannungsverhältnis zwischen Mensch und Natur kündete? Das finale Feuerwerk von John Dews "Ring"-Inszenierung greift nicht auf das Staatstheater über, sondern setzt lediglich Frankfurts Skyline in Brand. Wir lernen: Walhall ist zwar nicht Wallstreet, aber immerhin Bankfurt, die Stadt des großen Geldes. Soll man nun sentimental werden und sich an politisch bewegte Zeiten erinnern, als die Feindbilder klarer und die Regisseure jünger waren als heute? Apropos Erinnerung: Sieht Siegfried nicht ein bisschen aus wie Joschka in einem gut genährten Lebensabschnitt? Und gibt´s beim Thema Vergessenstrank, der ihm in der "Götterdämmerung" spendiert wird, nicht erstaunliche Parallelen zur mentalen Befindlichkeit mancher Entscheidungsträger? Dem langhaarigen Helden war 2004 in "Siegfried" noch militanter Widerstand gegen die gepanzerte Staatsgewalt zuzutrauen, in der "Götterdämmerung" nun scheint er sich endgültig zum nadelgestreiften Leser der Börsenkurse gemausert zu haben. "Rötlicher Glutschein" also illuminiert nach der Explosion das Bühnenbild von Peter Schulz, ganz wie Wagner sich das für das Ende der "Götterdämmerung" wünschte, für das letzte Werk der Tetralogie "Der Ring des Nibelungen". Die Sprengung Frankfurts dürfte einen echten Wiesbadener eigentlich nicht nachhaltig schockieren, aber trotzdem bestraft das Publikum den "Ring"-Regisseur am Schluss mit einem gnadenlosen Buh-Gewitter. Womöglich hat es einfach keine Lust mehr, wie schon so oft die zwielichtige Götter- und Heldengesellschaft in Kostüm und Anzug zu sehen, in Konzern-Zentralen und vor Hochhaus-Kulissen. Da hilft irgendwann auch nicht mehr die ironische Note John Dews, der Brünnhildens Ross Grane zum Schlüsselanhänger und Siegfrieds Schwert zum Klappmesserchen schrumpfen lässt. Und da hilft auch nicht das Stückchen Hoffnung, das nach dem apokalyptischen Finale aus dem Stumpf der Weltesche keimt: Ein Bäumchen, das so tröstlich-niedlich in die Zukunft schaut wie die Kinderchen weiland bei Harry Kupfer zu Bayreuth. Aber zurück zum Anfang: Nach der Nornenszene treffen sich Brünnhilde und Siegfried vor der picobello geputzten Einbauküche. Sie im Morgenrock und noch ganz im Banne einer bewegten Nacht, er im Business-Anzug und mit dem Herzen schon im Büro. Nicht nur die Heil-Rufe, die sich Barbara Schneider-Hofstetter und Alfons Eberz hier entgegenschmettern, haben es in sich. Neben der vokalen Schwerathletik der Partien finden sich Momente anrührender Zwischentöne, wie in Siegfrieds finaler Verzückung oder in Brünnhildes Schlussgesang, dem nach den letzten Takten der Tetralogie Bravorufe für Barbara Schneider-Hofstetter und das ganze Ensemble folgen. Potent besetzt ist die "Götterdämmerung" auch mit Joachim Seipps bürokratisch verklemmtem Gunther, Carlo Hartmanns zersaustem Alberich und dem Hagen Christoph Stephingers: Die Dunkelmänner begegnen sich im kargen Raum einer Kaserne, deren Mobiliar die kalte Seele des Uniformträgers Hagen spiegelt: Auf dem Spind das Modell eines Kampfflugzeugs. Andrea Baker (Waltraute und 1. Norn, Ute Döring (Gutrune/2. Norn), Annette Luig (3. Norn) und die munteren Rheintöchter (Emma Pearson, Sharon Kempton, Sandra Firrincieli) tragen ihren Teil zur musikalisch runden Sache bei. Der Erfolg, den Wiesbadens Generalmusikdirektor Marc Piollet bereits mit seinem "Siegfried"-Dirigat hatte, konnte er nun noch einmal steigern. Wahre Stürme der Begeisterung schlagen ihm und dem Staatsorchester entgegen, und tatsächlich ist ganz erstaunlich, wie sich das Klangbild unter seiner Leitung wandelt, an Fülle, Farben und Wärme gewinnt, selbst wenn intonatorisch im Orchester nicht alles glückt und der kraftvolle Mannenchor energisch diszipliniert werden muss. Manchmal wünscht man sich, dass auf der Bühne mehr zu spüren ist von dem insistierenden Ernst, der hier im Orchestergraben und im Kontakt mit dem Ensemble waltet: Im delikaten Holzbläser-Detail ebenso wie in den grimmigen Schlägen des Trauermarschs oder der bohrenden Intensität, mit der Marc Piollet nach der Nornenszene die Cello-Linie des Orchesterzwischenspiels verfolgt. Nein, konzeptionell ist Dews "Ring" kein ganz überzeugender Wurf, und der ironische Plauderton seiner Erzählung, dem in den übrigen Teilen der Tetralogie doch fabelhafte Momente zu verdanken waren, trägt in der "Götterdämmerung" nicht mehr. Einfälle, über deren Triftigkeit sich trefflich streiten ließe, können dieses Defizit nicht ausgleichen: Brünnhilde wird, indem sie Siegfried im Moment des Mordes umarmt, sehr konkret zu Hagens Komplizin. Ihre folgende, ausführliche "Sterbebegleitung" nimmt der Tristesse seines Todes allerdings die Wirkung. Übrigens taucht Wotan/Wanderer als ein Überraschungsgast im Trauermarsch wieder auf. Brünnhilde kann ihn an Siegfrieds Bahre nur mit rhythmischen Speerstößen vom Ring fernhalten, dem Objekt seiner Begierde. Das Wiesbadener Publikum hat es da leichter: Seinen kompletten "Ring" bekommt es im nächsten Frühjahr zyklisch und ohne Gefahr für Leib und Leben. |
Götter bitten zur Apokalypse Von Rudolf Jöckle Damit ist Dews "Ring des Nibelungen" komplettiert, eine wahrhaft stolze Leistung des Staatstheaters. Es ist in der Wirksamkeit der vier Abende ein recht unterschiedlicher "Ring" geworden, auch die "Götterdämmerung" macht sich nicht gänzlich davon frei. Der Gewinn: Wieder bestätigte Dew seine Kunst, die Szenerie mit Leben zu füllen, Begegnungen zwingend und spannungsvoll aufzubauen, auch in der scheinbaren Lockerheit der Protagonisten die existenzielle Bedrohung spüren zu lassen. Beispielhaft für Präzision und zugleich menschliche Tiefe steht die Szene des Vergessenstrankes, die man in Entwicklung wie Konsequenz so überzeugend noch nie sah. Andererseits: Der wohl intendierte Antagonismus von "gut bürgerlichem" Raum (Bühnenbild: Peter Schulz) und höchster Not flachte doch etwas ab, das "Steingemach" als Küche, in der "Businessman" Siegfried eine große Frankfurter Zeitung liest, ein höher gelegter "Guckkasten" (die Sänger werden’s danken) wie die Giebichungenhalle – einmal mehr Arbeitszimmer des Konzernherren mit Blick auf gläserne Hochhäuser. Diese "Götterdämmerung" spielt ohnehin eher am Main: Der tote Siegfried liegt vor der Skyline Frankfurts aufgebahrt, die in einem Feuerball – im Theater wohl so noch nie erlebt – untergeht. Noch verengter scheint dann der Umgang mit den mythischen Requisiten, die – zugegeben – immer Pein schaffen. Doch das Schwert Nothung zu einem vergleichsweise winzigen Klappmesser zu reduzieren, vermindert auch das (optische) Gewaltpotenzial. Vom Ross Grane als eine Art Schlüsselanhänger ganz zu schweigen. Dafür ist der Ring dann überdimensioniert: ein gut gemeinter Akt der Erhellung. Und immer wieder überraschende Einblicke, vor allem zu Siegfrieds Sterben, das Brünnhilde schmerzvoll-zärtlich begleitet, bei dem auch der gealterte "Wanderer" (Wotan) auftaucht. Verblüffend das Ende: Hagen und seine Begleiter, die ganze gierige Welt stürzen sich auf Brünnhilde, die den Ring hält, während die Wasser – ein riesiges Tuch – alles unter sich begraben und die Rheintöchter (die drei beweglichen und schön singenden Damen Emma Pearson, Sharon Kempton, Sandra Firrincieli) das glänzende Stück an sich reißen. Dann nur noch bleiche Fläche und eine Art Milchstraße. Keine staunende Menge. Erlöst wird niemand. Seine musikalische Kontur hat der Wiesbadener "Ring" erst durch Marc Piollet im "Siegfried" gewonnen. Die "Götterdämmerung" hat dies mit ihren klaren, höchst differenzierten Klängen nur bekräftigt, ein Musizieren, das den langen Atem besitzt (manchmal bis an die Grenze lang wie in der Waltrauten-Szene mit der expressiven Andrea Baker). Das Orchester folgt Piollet nicht nur bedingungslos, sondern mit einer Intensität, in der sich die vielfältigen Klangfarben zwingend öffnen. Nicht nur für ein Haus wie Wiesbaden eine Glanzleistung. Glanzleistungen auch im Ensemble: Barbara Schneider-Hofstetter als Brünnhilde bewahrt die immense Ausdrucksfülle ihrer Stimme, in der auch im Jubel immer eine Spur Trauer nachzuwirken scheint, bis in den großes Schlussgesang, keine Heroine, sondern ein menschliches Wesen. Wie sie hat auch Alfons Eberz, der Siegfried, Bayreuth-Erfahrung, begabt mit einer hellen, kräftigen Stimme, die er in der Attacke nicht forcieren muss, sicher in der Intonation und mit der Neigung, in der Konversation einzelne Töne allzu locker zu verschleifen. Christoph Stephinger als markanter, nicht "schwarzer" Hagen oder Joachim Seipp, der den Schwächling Gunther sicher in der Balance hält, auch Ute Döring als Gutrune fügten sich hervorragend in das erstaunlich hochrangige Vokalensemble ein. Großer Jubel, Buhs für Dew. |
„Der Ring des Nibelungen" von Richard Wagner Wiesbaden: John Dew vollendet seine Sicht auf Wagners Tetralogie mit der „Götterdämmerung" Von Heinz Zietsch WIESBADEN. Wotan kann’s nicht lassen. Wenn Brünnhilde den toten Siegfried in den Armen hält und um ihn trauert, läuft der Wanderer Wotan um sie herum wie die Katze um den heißen Brei. Aus Mitleid tut er das nicht, nein, er lauert auf eine günstige Gelegenheit, sich des Rings zu bemächtigen. Nur mit dem Speer, mit dem Hagen Siegfried getötet hat, kann sie ihren macht- und geldgierigen Vater davon abhalten. Doch der, müde und alt geworden, gibt auf und geht mit hängenden Schultern von dannen. Aufgebahrt vor dem Stumpf der maroden Weltesche liegt Siegfried im letzten Bild. Im Hintergrund erstrahlt gespenstisch die nächtliche Silhouette Frankfurts. Auch Hagen und seine Mitmenschen können’s nicht lassen und gieren nach dem Ring. Brünnhilde, die Siegfried den Ring abgenommen hat, wird umzingelt, derweil Hagen von den Rheintöchtern bezwungen wird. In höchster Not zündet Brünnhilde, die um die Macht des Ringes weiß, eine infernalische (Atom)–Explosion; die Rheintöchter haben den Ring wieder, die Stadt-Silhouette sackt in sich zusammen, ein gewaltiger Sternenhimmel kommt zum Vorschein, und aus dem Stumpf der Weltesche, die wie eine Insel aus den Fluten herausragt, wächst ein Bäumchen. Keim für die Erneuerung der Natur, ein neues, ein besseres Leben? Die Rheintöchter haben ihren Ring wieder. Noch einmal versucht der Ringräuber Alberich, sich ihnen zu nähern. Doch diesmal passen sie auf und lassen ihn in den Fluten untergehen. Jetzt, nach der endgültigen Zerstörung der Umwelt durch den Menschen, kommt die Natur wieder zu ihrem Recht. Das ist jedenfalls die Sicht des Regisseurs und Darmstädter Intendanten John Dew auf Richard Wagners Tetralogie „Der Ring des Nibelungen". Mit der „Götterdämmerung" hat sich der Ring geschlossen, den Dew mit Bühnenbildner Peter Schulz, Kostümbildner José-Manuel Vazquez und dem Dirigenten Marc Piollet geschmiedet hat. Nach der fünfeinhalbstündigen Premiere am vergangenen Sonntag im Großen Haus des Staatstheaters Wiesbaden gab es überwältigenden Beifall für die musikalischen Leistungen, für den Regisseur mit seinem Team war der Applaus geteilt: die einen riefen Buhs, die anderen konterten mit Bravos. Noch immer wehren sich manche Opernbesucher, sobald ein Stück in unsere Zeit verlegt wird, wie das Dew im „Ring" unternimmt. Dabei eignet sich kaum ein Musiktheaterwerk besser dafür als Wagners vierteiliger Zyklus. Ist er doch nichts anderes als die Menschheitsgeschichte vor mythologischem Hintergrund. Gerade die Verlegung des Stoffs in die Gegenwart mit ihren Umweltzerstörungen, der Gefahr der Erderwärmung und terroristischer Anschläge bis hin zum Atomwaffeneinsatz bringt uns Wagners Stoff näher. Wie hat sich doch Siegfried gewandelt, der im dritten Teil noch wie ein harmloser, unbedarfter Hippie daherkommt: Jetzt, in der „Götterdämmerung", ist er ein smarter Manager mit Laptop-Aktenkoffer. Wotan, der einen neuen Menschen schaffen wollte, ist gescheitert und hat nichts mehr zu sagen. Siegfried hat sich der Welt angepasst, deshalb sind ihm die Rheintöchter gleichgültig, als sie ihn bitten, den Ring wieder zurückzugeben. Weil er wie alle weiterwurstelt, ist sein Untergang nur noch eine Frage der Zeit. Noch etwas ist Dew mit seinem Wiesbadener „Ring" gelungen: Er verdeutlicht die Nähe der Tetralogie zum Christentum, wenn er Brünnhilde und den sterbenden Siegfried wie eine Pietà zusammenbringt. Auch Siegfrieds Ruf „mich dürstet" macht diese Verbindung offensichtlich. Schließlich ist Wagners Versuch einer Weltdeutung nicht denkbar ohne den Verweis auf das Christentum als „stärkste geistige Kraft der westlichen Welt", wie Dew in seinem klugen Programmheft-Beitrag formuliert. Indem der Regisseur auf den „Ring" die umweltzerstörende Kraft des Menschen projiziert, nähert er sich in diesem Zusammenhang auch der Sicht heutiger Theologen, die den Begriff der Sünde als Abkehr von Gottes Schöpfung interpretierten. So gesehen ist es auch kein Wunder, sondern im Gegenteil durchaus konsequent, dass Wagner anschließend den „Parsifal" komponierte. Und es dürfte wohl auch nur noch eine Frage der Zeit sein, bis sich Dew mit diesem letzten Werk Wagners beschäftigt. Wiesbadens Generalmusikdirektor Marc Piollet hatte bei der Premiere die musikalischen Abläufe sicher im Griff. So leise und so fein abgestuft hat man das Wiesbadener Orchester bislang bei Wagner kaum vernommen. Großartig, wie der Dirigent vom kammermusikalischen Ton zum hochdramatischen Opernton wechselte, auf den Wagner in der Götterdämmerung wieder zurückgreift, etwa im Duett mit Brünnhilde oder beim Trunk auf Blutsbrüderschaft mit Gunther. Alfons Eberz meisterte den Part des Siegfried mit beachtlichem tonlichem Durchhaltevermögen und artikulierte sicher und sauber. Was man von Barbara Schneider-Hofstetter nicht behaupten kann, die oft etwas schrill wirkte. Großartig und stimmlich sehr wandlungsfähig Andrea Baker als Walkürenschwester Waltraute und erste Norn. Christoph Stephinger verlieh dem Hagen mit voluminösem und wohl abgerundetem Gesang eine markige Statur. Herrlich Carlo Hartmann als gierig sabbernder Alberich. Er, der in Darmstadt derzeit den Falstaff auf die Bühne wuchtet, wirkte in Wiesbaden so, als hätte sich just dieser Falstaff in die „Götterdämmerung" hineinverirrt. |