Alter Schwede, ist das ein Theater! Von Susanne Benda Feiert, Klassik-Freunde - feiert, kauft und feiert! Wenn ein Schöpfer großer Musik 250 Jahre (nahezu) unbeschadet überlebt hat, dann ist das Anlass genug für lange Feste und langes Gedenken - umso mehr, wenn man im Jubeljahr lernen kann, dass es nicht nur den einen wahren Mozart, sondern gleich drei davon gibt. Dass sich deren Lebensdaten geringfügig unterscheiden, lassen wir mal unbeachtet: Wolfgang Amadé Mozart wurde am 21. Januar 1756 in Salzburg geboren und starb am 5. Dezember 1791 in Wien, der "Odenwälder Mozart" und der "schwedische Mozart" lebten vom 20. Juni 1756 bis zum 15. Dezember 1792. Sie sind tatsächlich ein und derselbe - doch der andere Mozart sind sie, auch wenn die Lebensdaten vergleichbar scheinen, ganz und gar nicht. Es gibt keinen Grund für Namenspartnerschaften. Deshalb: Weg mit dem "Odenwälder Mozart", weg auch mit dem "schwedischen Mozart", weg mit der fatalen Suche nach Übereinstimmungen - und her mit dem ganz anderen Zeitgenossen Mozarts, der kein Klassiker, kein Unsterblicher, vielleicht kein Genie, dafür aber einer jener richtig aufregenden Künstler war, die zwischen Mannheimer Schule und Empfindsamkeit, Gluck und Beethoven die Liste der (zu Unrecht) vergessenen oder vernachlässigten Komponisten des 18. Jahrhunderts füllen. Joseph Martin Kraus, der andere, noch blasse Jubilar des Jahres 2006, wuchs in Buchen auf (dort gibt es eine Kraus-Gedenkstätte, und dort ist auch der Sitz der Joseph-Martin-Kraus-Gesellschaft) und machte in Stockholm Karriere. Nachdem man seine stürmenden und drängenden Sinfonien schon in den späten 80er und frühen 90er Jahren wieder entdeckte, gilt jetzt das Augenmerk endlich auch seinen Opern: Im Juli gelangt "Aeneas in Karthago" an der Stuttgarter Staatsoper zur späten Uraufführung (!), und in Kooperation mit dem Staatstheater Mainz und den Wuppertaler Bühnen wurden jetzt die Schwetzinger Festspiele mit "Proserpina" von 1781 eröffnet. In ebendiesem Jahr ging "Idomeneo" erstmals in Szene - doch welche Welten liegen zwischen Mozarts singendem Verweilen und Kraus" an Gluck geschulter nervös-theatralischer Expressivität! Dem Ausdruck und der Wahrhaftigkeit der Textdeutung allein fühlt sich Kraus verpflichtet, und da es in "Proserpina" um ein turbulentes doppeltes Beziehungsgeflecht zwischen Männern und Frauen der Ober- und der Unterwelt geht, hat seine Musik allen Grund, in Dynamik, Tempi, melodischer Gestaltung und harmonischer Füllung ständig auf dem Sprung zu sein. So hoch dramatisch geht es in Kraus" Partitur zu, dass man es Christoph Sperings Neuem Orchester unbedingt nachsehen muss, wenn seine Streicher - zumal in der unvorteilhaft trockenen Akustik des Schwetzinger Rokokotheaters - gelegentlich weniger geschmeidig und punktgenau spielen, als es dem kontrast- und konturenreichen Werk gut täte. Schließlich werden die Instrumentalisten hier immer wieder an Grenzen des instrumental Darstellbaren getrieben - das Grenzwertige, Experimentelle ist eine von Kraus" großen Qualitäten. Dass man dem Opus eine deutsche Übersetzung angedeihen ließ, merkt man, weil sehr wenig textverständlich gesungen wird, leider kaum. Am überzeugendsten unter den Sängern wirken Alexandra Coku als Proserpina und Nikolay Borchev als Pluto, und auch der Chorus Musicus Köln leistet Exzellentes. Anschaulich und anschaubar sind die dienliche Inszenierung und das barockisierend-verspielte Bühnenbild des derzeitigen Mainzer Intendanten und künftigen Basler Operndirektors Georges Delnon, der ab 2008 als Nachfolger Klaus-Peter Kehrs Musiktheaterchef der Schwetzinger Festspiele werden soll. Was bleibt zurück von der Schwetzinger "Proserpina"? Ein starker Eindruck - von einer hoch expressiven Musik des dramatischen Augenblicks, die um der Wahrhaftigkeit willen bei keinem Gefühl, keiner Idee lange verweilen will. Das ist Qualität und Defizit zugleich. Wer Kraus (be-) greifen will, muss seinen vielen kleinen Fluchten in die Untiefen der Dynamik (vor allem des Leisen), seiner von Reizen prallen Musik häufig und mehrfach lauschen. Das lohnt. Schließlich trifft Kraus den Nerv auch unserer Zeit: Verweile nur, wenn du nicht nur schön, sondern auch wahr bist. |
Proserpina-Raub mit Klage-Pathos Schwetzinger Festspiele graben Oper des Mozart-Zeitgenossen Joseph Martin Kraus aus Von Markus Häfner
SCHWETZINGEN Alljährlich präsentieren die Schwetzinger Festspiele einen besonderen Grabungsfund aus der Musikgeschichte: Zur Saisoneröffnung 2006 ist dies die Oper "Proserpina" des Mozart- und Gluck-Zeitgenossen Joseph Martin Kraus (er wurde 1756, im selben Jahr wie Mozart geboren), welche 1781 am schwedischen Königshof Gustavs III. nur eine einzige, wenn auch erfolgreiche Aufführung erlebte und seither lediglich 1980 im Schlosstheater Drottningholm in Szene gesetzt wurde. Dem Libretto über den Raub Proserpinas (der Tochter der römischen Fruchtbarkeitsgöttin Ceres) durch Pluto, den Herrscher der Unterwelt, steht man heute mit einiger Irritation gegenüber: Dessen handlungsarmes Klage-Pathos, dessen fatalistischer Grundanstrich und Verzicht auf jegliche komischen Momente sprechen aus einer großen historischen Distanz zu uns. Doch stört uns dies ja auch nicht etwa bei Glucks "Alceste"; selbst Mozarts viel spannungsärmerer "Ascanio in Alba" konnte vor zwei Jahren in Mannheim - durch eine kluge Ausdeutung der ewig gültigen Aussagen des Mythos´ seitens der Regie - eine interessante, moderne Wirkung entfalten. George Delnons Inszenierung der "Proserpina" in Schwetzingen geriet da weniger überzeugend. Statt die (durchaus vorhandenen) zeitlos-aktuellen Motive wie Treuebruch, Widerstreit zwischen Vernunft und Gefühl, Reue und Umkehr beim Schopf zu packen und klar zu zeigen, verlor sie sich in einem zu abstrakt-steifbeinigen, alles nur halb andeutenden, ausschließlich auf die Darstellung der Isolation der Figuren bedachten Konzept. Das auf einen keilförmigen Raum aus klapp- und drehbaren Wandteilen gestützte Bühnenbild (Marie-Thér´Zse Jossen) rief in seinem strengen Kontrastspiel zwischen Schwarz und Weiß, in das gelegentlich bunte Farbfelder projiziert werden, zwar bisweilen stimmungsvolle Momente hervor. Doch konnten sich die Personen darin nicht in freier Emotionalität entfalten, sondern verloren sich und ihre Motivationen in der Weite des Raums, indem sie nie bis nach vorne an das Auditorium herantreten durften. Die unglückliche Distanz der Figuren wurde weiter verstärkt durch die Steifheit der Personenführung und einen niemals gelüfteten, grau-transparenten Bühnenvorhang, der die Mimik stark eintrübte. Kraus´ leidenschaftlich-melodienselige, immer auf szenische Dramatik ausgerichtete Musik brodelte nur unten, im Orchestergraben: Gleich die zarte Oboenstimme in den ersten Takten der Ouvertüre warb eindringlich um einen Dialogpartner, und die vielen Klarinetten-, Flöten- und Hornsoli (Dirigent Christoph Spering und das "Neue Orchester" setzten auf den reizvollen Klang historischer Instrumente) in den Arien und Rezitativen boten sich gleichfalls für einen innigen Zwiegesang mit den Vokalsolisten an. Diese aber erwiderten die Lebendigkeit des Orchesters zu wenig. Die emotionale Reserviertheit der Regie schien sich auf den vokalen Ausdruck der Solisten zu übertragen. Am wenigsten galt das noch für Alexandra Coku, die mit grazilen Koloraturen und angenehm warm timbriertem Sopran die Reinheit und Unschuld der Proserpina überzeugend ausdeutete, und den sehr präsent agierenden "Chorus Musicus Köln". Silvia Weiss als Cyane, Johanna Stojkovic als Ceres und Nikolay Borchev als Pluto hingegen sangen ordentlich, aber eben zu unterkühlt; Johannes Chums "Atis" und Thomas Laske als "Jupiter" kämpften zudem mit vielen technischen Schwierigkeiten ihrer Partien. So hinterließ dieser Opernabend insgesamt einen merkwürdig hölzernen Gesamteindruck und schoss dadurch an Kraus´ lebendigem, musikdramatischem Impetus, der ihn mit Gluck verbindet, weit vorbei. Am 20. Mai wird diese Produktion als letzte Premiere dieser Spielzeit in Mainz zu sehen sein. |
SCHWETZINGER FESTSPIELE: Von Hans-Günter Fischer Ein Kulturschock: Im erst kürzlich publizierten Lexikon des anspruchsvollen Wochenblatts "Die Zeit" mit seinen stolzen 20 Bänden findet man zwar einen Eintrag über "Silke Kraushaar, Rodlerin", über den Komponisten Joseph Martin Kraus dagegen keinen. In Schwetzingen aber setzt man sich unverdrossen für ihn ein. Man tat es schon vor 50 Jahren, anlässlich des 200. Geburtstags, und tut es diesmal wieder. Konnte man vor einer Woche bei der Aufführung der Kraus-Oper "Proserpina" durchaus noch Zweifel am dramatischen Temperament des "Odenwälder" - und Stockholmer - Mozarts haben, fegt sie das Concerto Köln oft schon nach ein paar Takten weg. Und das geschieht in Kraus' Orchesterwerken, die die Originalklinger gleich an zwei Abenden mit echtem Mozart kombinieren. Sie verfahren so, wie sie bereits mit vielen halb und ganz Vergessenen verfahren sind: Sie spielen sozusagen auf der Stuhlkante. Ihr mittlerweile fast schon altbewährter Grundsatz, die Akzente zu verschärfen und dabei auch noch das Tempo anzuziehen, führt zu unerwarteter Brisanz, Dynamik, Spannung. In den schnellen Sätzen jedenfalls, und selbst beim originalen Mozart: Im finalen Presto seiner "Haffner-Sinfonie" gehen Rasanz und Präzision ein nahezu perfektes Bündnis ein. Man hat es selten oder nie derart furios gehört. Der mitreißende Drive, der manchmal über das erstaunte Publikum hinweg brettert, hat nicht zuletzt mit Anton Steck zu tun. Er waltet beim Concerto Köln in ziemlich weitem Sinne als Konzertmeister. Wenn er vor jedem Stück zu seinem Kombattanten eilt, den Kammerton neu zu justieren, bringt er nicht nur die korrekte Stimmung in die Instrumentengruppe, sondern auch das Feuer. Optisch wirkt er wie ein Paganini des historisch informierten Geigenspiels. Oder auch wie ein Rocker, der - weil Mozart noch nicht für die Leadgitarre komponiert hat - Violine lernen musste. Etwas überflink und glatt, mit wenig "Körper", werden einige Andante-Sätze abgespult. Und dass aus Mozart Mozart wurde, Wolfgang Amadeus Superstar, aus Kraus jedoch, dem Mann mit den fast gleichen Lebensdaten, lange Zeit nur eine Fußnote der abendländischen Musikgeschichte, wird bisweilen durchaus einsichtig. Aus seiner C-Dur-Sinfonie von 1780, die sich zwischen Violinkonzert und Sinfonia concertante nicht so recht entscheiden kann, wird auch bei Steck & Co kein schlackenloses Meisterwerk. Umso verblüffender ist, was Simone Kermes aus zwei Kraus-Arien herausholt. Völlig unbekannten Arien, wohlgemerkt. Die Sopranistin schießt im Rokokotheater ihre Ziertöne raketengleich nach oben, schaut ihnen verwegen-angriffslustig nach. Sie gibt sich selbstironische divenhaft und zelebriert die freiwillige Komik großer Kunstgeschöpfe. Kermes kann aus jeder kleinen Arie eine eindrucksvolle Szene machen. Ohne Bühnenbild. Die Solo-Stimme im Fagottkonzert von Mozart klingt da deutlich weicher, dünner, brüchiger. Lorenzo Alperts Instrument kommt scheinbar frisch aus dem Museum, bettet sich akustisch so tief ins Orchester ein, dass nicht mehr viel herausschaut. Auch die frühe B-Dur-Sinfonie könnte die These stützen, dass selbst dieser Meister, unser aller Mozart, nicht vom Himmel fiel. Als Höhepunkt gedacht - und auch gespielt - ist dann die c-Moll-Sinfonie von Kraus. Seine Beziehungen, seine Bekenntnisse zum "Sturm und Drang" waren hier greifbar. Dieses Stück des "Odenwälders" könnte auch vom Wiener Mozart sein. Oder von Haydn. Der hat Joseph Martin Kraus einst sehr gelobt. Er war halt Fachmann. |
Schwetzinger Zeitung 26.04.2006 Musik und Location begeistern die Schüler Von Ralph Adameit Die deutschen Schüler sind nicht so schlecht wie ihr Ruf! Diesen Eindruck konnte man zumindest gestern Nachmittag im Rokokotheater gewinnen. Nicht unruhig auf ihren Sitzen hin und her rutschend oder gar tuschelnd und lärmend, sondern ruhig, ja fast schon andächtig, folgten gestern rund 200 Schüler der Inszenierung der Oper "Proserpina". Zwar war es keine offizielle Aufführung, sondern "nur" die Orchesterhauptprobe, doch das störte die Jugendlichen kein bisschen. Im Rahmen der Schüleraktion der Schwetzinger Festspiele hatten sich die meisten von ihnen bereits im Vorfeld mit der Oper von Joseph Martin Kraus im Unterricht oder in Workshops beschäftigt. Um den Einblick in diese Festspiel-Produktion zu vertiefen, waren sie zu dieser letzten Probe vor der Generalprobe eingeladen worden. Schon beim Einlass - ganz offiziell mit Eintrittskarte - staunten einige Schüler nicht schlecht ob der "geilen Location", wie ein Siebtklässler die Räumlichkeiten im nördlichen Zirkelsaal lässig titulierte. Regisseur Georges Delnon wies die Besucher explizit darauf hin, dass es sich um eine Probe handle. "Es kann durchaus sein, dass die Aufführung unterbrochen wird, wenn eine Katastrophe passiert - in diesem Fall bitte trotzdem ruhig bleiben", bat der zukünftige künstlerische Leiter der Festspiele. Bei Fragen zum Inhalt könne man ihn gerne anmailen, fügte Delnon in Richtung der jüngeren Opernbesucher hinzu. Gut möglich, dass einige von ihnen von diesem Angebot auch Gebrauch machen werden. In der Pause war dessen Inszenierung natürlich das Gesprächsthema Nummer eins. "Meine Schüler und ich sind durchaus überrascht von der modernen Inszenierung", meinte Musiklehrerin Hildegard Grau im Gespräch mit unserer Zeitung, nachdem sie mit ihren Schützlingen aus der elften und zwölften Klassenstufe sowie vom Schulorchester des Hockenheimer Gauß-Gymnasiums diskutiert hatte. "Einfach klasse, auch die Musik", kommentierte ein junges Mädchens, dass - kaum von der Zuschauerempore in den Vorraum getreten - schon von einem SWR-Fernsehreporter interviewt wurde. Etwas differenzierter sah die Inszenierung Hermann Hoffmann, der die zwölfte Klasse des Schwetzinger Hebel-Gymnasiums besucht. "Die Aufführung ist schon sehr interessant, aber manchmal ist es auch etwas anstrengend, der Handlung zu folgen, da man nicht immer genau versteht, was gesagt wird", fand er. "Beeindruckend", "total unerwartet" und "echt super" hießen dagegen die Urteile von Schülern des Östringer Leibnitz-Gymnasiums, denen die Schrift- und Bilderprojektion auf den durchsichtigen Bühnenvorhang gefallen hatte. Dass die Mädchen und Jungen den Stoff und die Handlung von "Proserpina" bereits vorher im Unterricht mit ihren Lehrern besprochen hatten, war sicherlich kein Nachteil - ansonsten wäre es dem einen oder anderen manchmal vielleicht doch etwas langweilig geworden. Aber die Musiker, Solisten und der Chor schafften es, die größtenteils jugendlichen Besucher fast über die gesamten 150 Minuten in ihren Bann zu ziehen, wofür sie am Schluss mit einem lang anhaltenden und ehrlich gemeinten Applaus bedacht wurden. |
KULTUR HEUTE Joseph Martin Kraus' "Proserpina" bei den Schwetzinger Festspielen Von Frieder Reininghaus Die Schwetzinger Festspiele widmen sich dem deutschen Komponisten Joseph Martin Kraus. Kraus war als Dirigent maßgeblich am Ruf der Stockholmer Oper als einer der damals herausragenden Opernbühnen Europas beteiligt. Seine 1781 uraufgeführte Oper "Proserpina" war lange in Vergessenheit geraten und wurde vor einem viertel Jahrhundert in Drottningholm wieder ausgegraben. In Schwetzingen ist sie als deutsche Erstaufführung zu sehen. Bekanntlich wollte der König sich und seine Untertanen delektieren, fortbilden und amüsieren - auf hohem Niveau. Daher installierte der von absolutistischem Denken geprägte und mit umfassendem Machtwillen begabte Gustav III. die bis heute renommierte Schwedische Akademie, ließ erstmals ein prächtiges Opernhaus in Stockholm errichten - das erste große Theater dieser Art in Skandinavien - und richtete rauschende Maskenbälle aus, von denen ihm dann einer im März 1792 zum Verhängnis wurde. Mit dem, was ihm ein Jahrzehnt zuvor bei einer Voraufführung der von ihm konzipierten Oper "Proserpin" auf seinem Lustschloss Ulrichsthal vorgeführt wurde, war er offensichtlich aber nicht zufrieden. Gustav wünschte, wie der 25-jährige Komponist Joseph Martin Kraus an seine Eltern in Amorbach schrieb, dass "in der Eintheilung der Poesie noch etwas abgeändert werden soll", das Werk aber zur Uraufführung anlässlich der Einweihung des Stockholmer Pracht-Theaters Anfang 1782 bestimmt sei. Offensichtlich änderte der Monarch dann jedoch seine Absichten und bestellte beim frisch ernannten Hofkapellmeister Kraus "Aeneas i Carthago". Da auch dieses Projekt zunächst nicht realisiert wird, nimmt das Staatstheater Stuttgart Anfang Juni dieses Jahres die Gelegenheit wahr, diese Version von "Dido und Aeneas" erstmals zu präsentieren. Der König hatte, sichtlich unter dem Einfluss von Glucks "Orpheus und Eurydike", eine verwandte Geschichte für das Musiktheater bearbeitet: die aus dem klassischen Altertum überlieferte und damals sattsam bekannte Sage vom Raub der Persephone oder Proserpina, einer Tochter des Zeus beziehungsweise Jupiter und der von den Römern Ceres genannten Erd- und Fruchtbarkeitsgöttin Ceres. In die höchst attraktive Jungfrau göttlichster Abstammung verliebte sich der ganz irdische Jüngling Atis, der deshalb seine Verlobte Cyane verlässt. Doch Pluto, Chef der Unterwelt, raubt und entführt sie in den Hades, worauf sich Atis in höchster Verzweiflung durch die Kraterschluchten des Ätna in die Hölle stürzt - dort aber von der früheren Verlobten abgeholt wird, da die noch ein Versprechen bei Pluto gut hatte. Jupiter diktiert am Ende, und das deutet den allegorischen Ambitus der Sage aus, einen historischen Kompromiss zwischen dem Herrn der Tiefen und der Erdmuttergottheit: Die vier Wintermonate soll Proserpina jeweils als Plutos Gattin in der Unterwelt verbringen, im Frühjahr aber wieder bei der Mutter im Sonnenlicht erblühen. Ceres - in Schwetzingen überzeugend dargestellt und hervorragend gesungen von Johanns Stojkovic - hatte so intensiv geklagt, dass ihr die größere Hälfte der Besitzrechte zuerkannt wurden. Die Musik von Joseph Martin Kraus, dessen Lebensdaten sich recht genau mit denen Mozarts decken und der auch ein bedeutender Lyriker war, hat im Jahr der "Entführung aus dem Serail" eine "Proserpina"-Musik komponiert, die alle erdenklichen kompositorischen Errungenschaften der Zeit kompiliert - die Opernschreibweisen Hasses, Paërs, Salieris, die Novitäten des Mannheimer Orchesters, vor allem auch die Empfindsamkeit Carl Philipp Emanuel Bachs und die Chor-Behandlung Glucks. Kraus war ein origineller Kopf und schrieb eine in ihrem Verlauf zunehmend originelle Partitur, die jetzt in Schwetzingen von einem etwas zusammengestoppelt wirkenden Orchester unter Leitung von Christoph Spering noch nicht ganz perfekt wirkt - wie das ganze Werk nicht, das ja noch nachgebessert werden sollte, was aber offensichtlich unterblieb. Daher rührt wohl der Charakter des Inhomogenen. Georges Delnon, noch Intendant in Mainz (und demnächst in Basel), ist als Regisseur alles andere als ein Bilderstürmer oder gar Berserker. In einer schlichten Installation beweglicher weißer, dann teilweise auch schwarzer Wände wird die alte Geschichte ohne Bezugnahmen zur Gegenwart als etwas Ferngerücktes erzählt - mit Schriftbändern, die etwas mythologische Vor- und Nachgeschichte nachtragen. Das wohlsituierte Premierenpublikum zeigte sich von dieser Ausgrabung und ihrer Aufbereitung entzückt. Und musiktheaterhistorisch ist die Produktion gewiss von Interesse. |
Eine Entführung, die glimpflich ausgeht Von Christoph Wurzel So viel Glück hätte sich Mozart nur im Traum vorstellen können: kurzerhand den Auftrag für eine Oper zu erhalten und nach der ersten musikalischen Präsentation vor dem herrscherlichen Auftraggeber in einem Brief an die Eltern schreiben zu können: "Sogleich nach geendigter Musik unterhielt sich der König über eine Viertelstunde mit mir, machte mir erst ein recht artiges Kompliment, frug mich nach dem und jenem und maß mich mit seinen großen Augen von Kopf bis Fuß, und ich nach meiner alten löblichen Weise nahm mir die Freiheit, den großen Monarchen durch zu gaffen, und das hat ihm just wohlgefallen." Auch die Musik hat dem König gefallen und kurzerhand wurde der Briefschreiber mit dem Titel Kapellmeister und einem Salär von 300 Dukaten jährlich engagiert. Der Auftrag: außer Kompositionen zu liefern soll er sich dem Aufbau der Hofoper widmen und zu diesem Zweck zuerst einmal die europäischen Metropolen besuchen, die namhaftesten Komponisten der Zeit treffen und den dortigen Opernbetrieb kennen lernen. Joseph Martin Kraus hatte dieses Glück und die Oper, die er als Examensgabe für seine Lebensstellung ablieferte und welche 1781 und privatissimum im Kreise der königlichen Familie eine halbszenische Aufführung erlebte, hieß in der schwedischen Originalsprache "Proserpin". Der König, der sich hier so mäzenatisch zeigte, war Gustav III. und hatte den Plot, eine Variante des mythologischen Stoffs von der Entführung der Proserpina höchstselbst entworfen. Später ist er sogar selbst zur Opernfigur geworden, in Verdis Maskenball fällt er einer privaten Intrige zum Opfer. Seine Bedeutung als Begründer der schwedischen Operntradition und andererseits seine Konflikte mit dem schwedischen Adel, die 1792 zu seiner Ermordung - also aus politischen Gründen - führten, sind eine eigene Geschichte. Dieses Attentat geschah tatsächlich auf einem Maskenball, wobei Kraus sogar Augenzeuge gewesen sein soll
Wesentlich für die musikalische Entwicklung von Joseph Martin Kraus dürfte gewesen sein, dass die hohe Wertschätzung der Opern Christoph Willibald Glucks in Stockholm zu jener Zeit den jungen Komponisten stark beeinflusst haben dürfte. Und eng am Vorbild Glucks orientiert ist hörbar auch die Musik zu Proserpina. Besonders zu spüren ist dies in der Gestaltung der Entführungsszene, die musikalische Ähnlichkeiten zur Furienszene in Glucks "Orfeo" aufweist. Bei Kraus steht zuerst eine kurze Idylle, in der Porserpina die Schönheit der Natur preist. Dann folgt eine dramatisch bewegte Entführungsmusik, in der der Chor der Höllengeister in absteigenden Linien den um Proserpina werbenden Pluto unterstützt. Es folgt ein düsterer Moll-Klagechor der Nymphen, der eindrucksvoll eine Trauerstimmung vor allem durch die Orchesterfärbung erzeugt. So nahe Kraus auch der Gluckschen Diktion zu stehen scheint, so ist er doch auch unverkennbar am Mannheimer Stil geschult. In Mannheim hatte er noch als Gymnasiast erste musikalische Erfahrungen gesammelt. Hier schlägt musikalischer Sturm und Drang durch, mit jähen Wechseln in Dynamik und Agogik scheint er den Mannheimer Stil noch übertreffen zu wollen. Formal zeigt sich Kraus recht unorthodox, er war ein erklärter Gegner der Da-capo-Arie, seine Arien sind deutlich vom emotionalen Gehalt des Textes und der dramatischen Situation bestimmt. So kommt Kraus einer musikdramatischen Wahrhaftigkeit schon sehr nahe, wenn er für den Schäfer Atis, der Proserpina liebt, aber erkennen muss, dass sie nun mit Pluto in die Unterwelt verschwunden ist, eine lange Szene auskomponiert, in der dieser sich vor Verzweiflung in den Ätna stürzen will. Verwandt mit Glucks "Orfeo" ist auch der Stoff der Handlung: Es ist die berühmte Geschichte um die Nymphe Proserpina, Tochter der Ceres und des Jupiter, die von Pluto in sein Schattenreich entführt wird und dort dann auch in "Liebesglück" , wie wir erfahren, mit ihm lebt. Angereichert ist dieser mythologische Kern mit einer Eifersuchtsgeschichte: eine andere Nymphe, Cyane, hat nämlich Pluto verraten, wo er Proserpina am besten erwischen kann, um ihren untreuen Geliebten Atis wiederzukommen, der nämlich nun Proserpina liebt. Auch Ceres alias Demeter spielt eine Rolle: sie beklagt den Verlust der Tochter so sehr, dass sich Jupiter erweicht, ein salomonisches Urteil zu sprechen, wonach Proserpina nämlich ein halbes Jahr in der Unterwelt verbringen soll und ein halbes Jahr auf der Erde leben darf. Immer wenn sie dann wiederkehrt, beginnt dort der Frühling zu erblühen.
Auf die Bühne gelangte diese Oper erst 199 Jahre nach ihrer Entstehung 1980 im Schlosstheater in Drottnigholm. Nun hat "Proserpina" im Schwetzinger Rokokotheater anlässlich der diesjährigen Festspiele zu ersten Mal deutschen Boden betreten. Die Inszenierung besorgte Georges Delnon, noch Intendant in Mainz und ab der nächsten Spielzeit in gleicher Funktion in Basel. Auch für die Opernproduktionen in Schwetzingen wird er ab 2008 verantwortlich sein. Vom Gegensatz von Schwarz und Weiß hat er sich leiten lassen für eine ansonsten unspektakuläre, bisweilen uninspirierte Inszenierung, in der zu viel stilisiert und zu wenig agiert wird. Allerdings macht das Libretto des schwedischen Hofdichters Kellgren es einem Regisseur auch nicht gerade leicht, denn die Handlung ist kaum dramaturgisch stringent angelegt, sondern besteht - hier noch ganz barock - eher aus Tableaus, Szenen ohne Entwicklung. Ein etwas weniger abstraktes Bühnenbild (die trichterförmigen Wandelemente verändern sich zu geschlossenen Räumen oder öffnen Gassen zur Seite hin) hätte dem ziemlich leblosen Spiel sicher mehr Atmosphäre verliehen. Einzig in der Entführungsszene kommt eine Spannung zustande, die man in den meisten Szenen vermisst. Dafür hat sich der Regisseur ein paar Gags erlaubt, die aber kaum beeindrucken können. So lässt er Jupiter am Schluss als Deus es machina mit einem Hubschrauber einfliegen, den man aber zum Glück nur brummen hört. Zu Gesicht bekommt man dagegen Ceres` verzweifelten Appell an die Mitwelt, ihr ihre Tochter zurückzugeben, den sie per TV-Botschaft verkündet.
In den letzten Szenen kommt immerhin noch etwas Ironie ins Spiel, wenn sich die Götter wie alte Kumpels begrüßen. Und schöne Licht- und Schattenwirkungen gibt es. Die Kostüme sind dagegen eher geschmäcklerisch und etwas gewollt bedeutungsvoll. Die Nymphen tragen nach Art der Londoner Palastwache hohe Hauben aus Buchsbaumzweigen, wohl eine Anspielung an den barocken Schlossgarten um das Schwetzinger Schloss herum.
Die musikalische Realisierung hatte Christoph Spering übernommen und das von ihm gegründete und geleitete Neue Orchester mitgebracht, ein Originalklangensemble mit breitem Repertoire. Gut durchgearbeitet wurde die Partitur präsentiert, das differenzierte Klangbild war transparent zu hören, der Ton durchweg schlank und schön. Dabei schlug Spering mit seinem Orchester insgesamt aber eher moderate Töne an. Anders als durch Concerto Köln in den 2 begleitenden Konzerten mit Kraus-Sinfonien wurde weniger der stürmerisch-drängende Kraus betont als der Gluckianer. Schön kam dadurch jedoch der auch empfindsame Charakter in Kraus´ Musik zum Tragen. Der Chor hatte nicht immer die wünschenswerte Präzision, vor allem war der Text undeutlich artikuliert und schlecht verständlich. Die Solisten konnten zumeist überzeugen. Die Frauenrollen schnitten dabei insgesamt gut ab: Eine lyrisch sanfte Proserpina sang Alexandra Coku mit jugendlicher Stimme. Als Ceres bewies Johanna Stojkovic Koloratursicherheit und Silvia Weiss sang die Partie der Cyane mit viel Gefühl. Die beiden Götter Pluto (Bass) und Jupiter (Tenor) waren gut besetzt mit Nikolay Borchev und Thomas Laske. Johannes Chum sang die Rolle des Atis mit etwas zu leichter Stimme und blieb im Ausdruck hinter den Möglichkeiten der Musik zurück. Als Mercurius hatte Thomas Jakobs nur ein paar Textzeilen, um grundsolide den Ratschluss des Olymp zu verkünden. FAZIT |