Fernweh mit Sogwirkung Ausblick: Philippe Arlaud inszeniert die Oper „L’amour de loin" von Kaja Saariaho am Staatstheater Darmstadt – Premiere ist am Samstag (26.) Von Sandra Binder DARMSTADT. Dem Regisseur Phillippe Arlaud gehen die Worte aus, wenn er das Bühnenlicht beschreibt, in das er seine neue Produktion am Darmstädter Staatstheater tauchen will. „Gigantisch", auch „übergewaltig" fällt ihm ein. Das Werk, das Arlaud begrifflich zu fassen versucht, ist die Oper „L’amour de loin" (Die Liebe aus der Ferne) der finnischen Komponistin Kaja Saariaho (Jahrgang 1952). Saariaho beschwört mit ihrer Musik eine poetische Welt; sie tut dies mit einem melodischen Klangfluss, der „L’amour de loin" von anderen zeitgenössischen Opern unterscheidet. In Darmstadt ist die Oper am Samstag (26.) in der Deutschen Erstaufführung zu sehen. Zeitgenössische Opern, sagt Arlaud, seien immer wieder eine Herausforderung. Mit Henzes „Elegie für junge Liebende" war er 1997 schon einmal in Darmstadt zu Gast. Seitdem arbeitete Arlaud in ganz Europa; sein „Tannhäuser" eröffnete vergangenes Jahr die Bayreuther Festspiele. Arlaud ist Regisseur, Bühnenbildner und Lichtdesigner in Personalunion. In „L’amour de loin" setzt er die Poesie der Musik in Licht und Projektionen um. Die Bühne bleibt Projektionsfläche. „Ich will ein volles Haus", sagt Arlaud, „ich will das Publikum mitnehmen auf eine Entdeckungsreise in ein unbekanntes, neugeborenes Werk." Saariahos Werk ist eine Reise in eine sanfte Tonsprache, in eine mittelalterliche Welt, in der Liebe einen lebensfüllenden, ideellen Wert hat. Erzählt wird eine Liebesgeschichte aus dem zwölften Jahrhundert, die um Jaufré Rudel kreist – eine historische Person, die schon viele Dichter inspirierte. In Südfrankreich sehnt sich Jaufré, Troubador und Prinz von Blaye, nach einer fernen Liebe und singt in seinen Liedern von einer Frau, an die er selbst nicht glaubt. Doch dann erzählt ihm ein Pilger, dass diese Frau im Morgenland tatsächlich existiert. Jaufré widmet daraufhin sein Leben den Liedern. Der Pilger reist zwischen den Welten, im Morgenland erzählt er Clémence, der Gräfin von Tripoli, von dem Prinzen, der sie in seinen Liedern als die „Liebe aus der Ferne" besingt. Als Jaufrè erfährt, dass Clèmence von ihm weiß, macht er sich auf den Weg nach Tripoli. Er kommt dort schwerkrank an und stirbt in Clémences Armen. Die Sehnsucht nach der Ferne: Ein Thema, das die finnische Komponistin, die in Paris lebt, ebenso beschäftigt wie den Regisseur Arlaud, einem Franzosen mit irischem Pass mit Wohnsitz in Wien. Das Libretto stammt von Amin Maalouf; er ist ebenfalls ein Wanderer zwischen den Welten. Geboren im Libanon, floh er vor dem Krieg nach Frankreich und bereiste als Journalist mehr als 60 Länder. Saariaho integriert die für sie typischen elektronischen Elemente in einen flächigen Orchesterklang, den der Dirigent Stefan Blunier als „einlullend" beschreibt. „Es ist eine sakrale Musik, jedoch mehr spirituell als religiös", sagt er. Lange Liegetöne, feine Nuancen und viele Szenen, die im Pianissimo enden, verbreiten eine sogartige Wirkung. Im ganzen Stück entdeckte Blunier nur eine Melodie. „Minimal Music auf höherem Niveau" nennt er es. Kent Nagano, der Dirigent der Salzburger Uraufführung im Jahr 2000, bezeichnete „L’amour de loin" als das schwerste Stück, das er je dirigiert hätte. Blunier konnte sich beim ersten Blick in die Partitur den Grund dafür nicht vorstellen. „L’amour de loin" ist ein sängerfreundliches Stück und bietet kaum handwerkliche Stolpersteine für das Orchester. Nach der Probenarbeit der vergangenen Wochen jedoch fühlt Blunier ähnlich wie Nagano: „Unendliche Ruhe transportieren zu wollen, ohne sich selbst bezirzen zu lassen, erfordert absolute Konzentration", sagt er. Häufige Taktwechsel erschweren die Orientierung in einem Stück, in dem die Geigen manchmal nach 200 Takten Pause 96 Takte lang den selben Ton aushalten müssen. „Man weiß machmal nicht mehr, wo man ist", sagt Blunier. Den Zuschauern werde es ähnlich gehen, vermutet er. „Nach einer halben Stunde entscheidet sich, ob man sich dem Sog überlässt und anfängt zu träumen." |