Kaija Saariahos "L'amour de loin" in Darmstadt Von Elisabeth Schwind Einen denkbar zeitlosen Stoff hat die Finnin Kaija Saariaho für ihre erste Oper gewählt: die Liebe. Es ist eine Liebe, die zu schön, zu vollkommen ist, um wahr zu sein, und die deswegen unerreichbar bleiben muss - eine Liebe aus der Ferne. Ein exzellenter Opernstoff also, aus dem der Librettist Amin Maalouf für "L'amour de loin" ein Stück anrührender Poesie geformt hat. Saariahos Oper wurde 2000 in Salzburg aus der Taufe gehoben und erlebte kürzlich unter der Regie von Philippe Arlaud in Darmstadt ihre deutsche Erstaufführung. In "L'amour de loin" versucht der Dichter Jaufré umsonst, sich der fernen orientalischen Geliebten zu nähern, deren Bild er selbst entworfen hat. Kaum begegnet er der Frau, die er für die Verkörperung seiner poetischen Erfindung hält, stirbt er auch schon - und wird seinerseits zum angebeteten Idol der zurückgelassenen Clémence. Dass Maalouf die Geschichte aus der überlieferten "Vida" des provenzalischen Troubadours Jaufré Rudel entwickelt hat, macht sie zu einem Stück über die "hohe Minne", über das Werben um eine unerreichbare, weil gesellschaftlich höher stehende Frau - ein Topos der höfischen Literatur. Doch wie immer man das Lied an die ferne Geliebte nennen möchte, seit Walther von der Vogelweide bis hin zu Smokies "Living next Door to Alice" bleibt sein Inhalt als menschliche Grunderfahrung so allgemein gültig, dass eine Festschreibung auf das 12. Jahrhundert auch für "L'amour de loin" eine bestenfalls marginale Bedeutung hat. Allerdings gibt sie der Komponistin Gelegenheit zu einigen Ausflügen in die Klanglichkeit des Mittelalters und insgesamt zu einer musikalischen Aura, die dem spirituellen Mittelalterbild unserer Gegenwart entgegenkommt. Nicht nur zeitlos ist der Stoff, sondern auch beinahe handlungslos. Man schreitet bedächtig von Szene zu Szene und lauscht den eingehenden, oft in melodische Exotismen gewandeten Gesprächen zwischen Jaufré (Hans Christoph Begemann), Clémence (Mary Anne Kruger) und dem die beiden Welten verbindenden Pilger (Katrin Gerstenberger). Man kann förmlich zuschauen, wie der Funke der Liebe zündet und zuerst Jaufré, später auch Clémence entflammen lässt - und wie mit der Liebe der Zweifel am eigenen Tun wächst. Die Dramen spielen sich nicht in der äusseren Handlung, sondern im Innern der Personen ab. Und es gehört zu den Vorzügen der von Stefan Blunier geleiteten Darmstädter Interpretation, dass eine entsprechende Dramaturgie in der Musik hörbar wird. Diese mag insgesamt den Eindruck einer meditativen Haltung hinterlassen, im Detail jedoch kennt sie durchaus den dramatischen Ausbruch und die innere Zerrissenheit. Und die meditative Sprache wiederum mag zwar hier und da etwas esoterisch parfümiert wirken - insbesondere wenn die Chöre ihre "Aahs" seufzen oder Elektronik den Raum aufplustert -, doch grundsätzlich verlässt Saariaho den soliden Boden avantgardistisch geschulter Klangerkundung nicht. Philippe Arlaud, verantwortlich für Regie, Bühne und Licht, beantwortet diese Mischung aus Süsslichkeit und Strenge mit abstrakten, geometrischen Formen im Bühnenaufbau, die er mit einer Flut an Videoprojektionen (von Flerence Grandidier) - rosa Wölkchen, weisse Tauben, Allusionen an Renaissance-Malerei - überziehen lässt. Hier wäre weniger sicherlich mehr gewesen. Interessant jedoch ist Arlauds Lesart der Figur des Jaufré. Nicht gerade mit dem Inbegriff an Attraktivität haben wir es hier zu tun, vielmehr mit einem greisen, etwas verwirrten Dichter mit ungepflegten langen Haaren (Kostüme: Andrea Uhmann), der mitten im Papiermüll seiner poetischen Auswüchse lagert wie der Alkoholkranke zwischen den Bierdosen. In einer virtuellen Welt hat er sich eingerichtet und weiss offenbar nicht mehr, wie er in die Realität zurückfinden soll. Auf dem reinen Gefühl, der reinen, religiös unterfütterten Liebe, die "L'amour de loin" auf den ersten Blick zu beschwören scheint, lastet der Schatten einer krankhaften Weltflucht. Möglicherweise hat Arlaud damit einen Gedanken aufgegriffen, den die Komponistin selbst so formulierte: "Bei der Auseinandersetzung mit diesem Stoff musste ich oft an die jungen Leute denken, die über das Internet persönliche Verbindungen zu Menschen aufbauen, die sie noch nie gesehen haben. Wie schafft man sich ein Bild von einem andern? Zu welchen Konflikten führt das? Können die Menschen Wunsch und Realität noch auseinanderhalten?" |
Troubadours Witwe Von Bernhard Uske Wo einfach alles gut und edel ist, da muss zuletzt die opernobligatorische Rolle des Bösewichts Gott selber spielen. Dank seiner Ignoranz nämlich gegenüber der Verwirklichung der "fernen Liebe", die sich zwischen dem Troubadour, Prince Jaufré Rudel, und Clémence, Comtesse de Tripoli, entsponnen hat, kommt wenigstens mit dem Todessiechtum des zum Ziel seiner Verehrung gereisten Minnesängers noch etwas Würze in ein knapp dreistündiges "drame statique", das sich seiner Herkunft aus der Werkstatt aller kontinentalen Klang-Nazarener der Gründerzeit nicht schämt. Nicht allein Geneviève de Brabant und Pelléas et Mélisande sondern auch der sieche Tristan samt Amfortas stehen hier Pate und natürlich Olivier Messiaen. Dessen Franziskus-Oper vor allem hat die seit langem in Paris lebende Finnin Kaija Saariaho nacheifern wollen. Im Gegensatz zu ihrem großen Vorbild ist die 1952 geborene Komponistin "nicht religiös aber spirituell". So kann sie ihr der Welt Adé sagendes Mitglied der feudalen Upperclass nicht in einer Heiligenvita à la Augustinus, Bernhard oder eben Franziskus situieren, sondern muss den eher trivialen Entbehrungstod eines Reisestrapazen hinter sich habenden Troubadours zu einem Martyrium der säkularen Innerlichkeit stilisieren. "Ich bete an die Macht der Liebe" ist die philanthropische Botschaft des Abends im Großen Haus des Staatstheaters Darmstadt. Wohl selten hat dabei Neue Musik so erhaben rückwärts geschaut wie hier - ohne jedes postmoderne Augenzwinkern, aber auch ohne eine neubegründete Form. Hier wallfahrt eine schön ausgehörte, farbdezente Klangprozession, sanft und raumgreifend alles umhüllend. Arabische Intonationen sind in die engmaschigen und flachgehaltenen Bewegungs- und Harmoniefelder eingewoben und stiften eine ethnomusikalische Verbindung, die in der szenischen Realisierung eher abstrakt ist. Philippe Arlaud, der für Inszenierung, Bühne und Licht verantwortlich zeichnet, hat versucht, dem wabrigen Klangbild des vor zwei Jahren bei den Salzburger Festspielen uraufgeführten Werks optische Kontrapunkte zu verschaffen. Zwischen liegenden und schwebenden Kuben im offenen Raum spielt sich das oratorische Nichtgeschehen ab, bei dem nur das dominante blaue Licht auf so etwas wie "arabian nights" hindeutet. Die Comtesse de Tripoli steht meist hingebungsvoll auf einer Alkoven-Rampe, der Prinz und Troubadour liegt und sitzt auf einer Art schiefer Schreibtischebene. Um Prinz Jaufrés Lager herum sind zahllose zerknüllte Manuskriptseiten des Minnemühens, das sich in seiner sentenzenhaften Größe und pastoralen Einfalt auch auf weiten Strecken des Librettos von Amin Maalouf findet. Gènevieve: "Er bringt sein Leben einer fernen Unbekannten zum Opfer und begnügt sich dafür mit einem Lächeln, das ihm geschenkt wird. Wenn du zu einem Wesen wie ihm nicht großherzig bist, Herr, zu wem wirst du es dann sein?" Nein, der Herr lässt nicht mit sich reden, weshalb Komponistin und Librettist einen hehren aristokratischen Kreuzestod gemäß liebesseliger Privatreligion zurechtbasteln mussten. Wie peinlich das ritterlich-amouröse Golgatha hätte ausfallen können, machte die glücklicherweise nicht weiter ausgeschöpfte Projektion eines Kruzifixus auf dem Portalschleier der Bühne deutlich. Der christlichen Leidensikone waren diverse venus- und madonnenhafte Gesichter, Wolkenzüge, geistergleiche Flatter- und Krabbeltiere samt galoppierenden Reitern vorausgegangen. Größer war in Darmstadt der verdoppelnde Bildervorrat einer angestrengten Videoclip-Ästhetik Gott sei Dank nicht, der zur Zeit der letzte Schrei auf mancher Opernbühne zu sein scheint. Dort, wo die Oper ohne religiöse Ersatzstoffe und fremdmedialen Federschmuck auf ihre eigenen Waffen vertraute, war ihr Erfolg ungeschmälert. Die Prosodie des Saariaho-Gesangs, getragen und meist mit hymnischem Aplomb, hatte in der Darmstädter Besetzung der drei Hauptfiguren (zum Hohen Paar kommt noch die gewichtige Vermittlerrolle des Pilgers) exzellente stimmliche Verkörperungen. Wenngleich Katrin Gerstenberger (Le Pèlerin) als indisponiert entschuldigt war, hatte das Terzett der drei hochmögenden Edelleute doch eine angemessen güldene Aura in seinen weitschwingenden Klangbewegungen unforcierter Kraft. Hans Christoph Begemann, in einem reizvollen, zwischen Rittermantel und Eremitenkutte changierenden Gewand (Kostüme: Andrea Uhmann), bot in all seiner outrierten Verzücktheit und auch Verzagtheit enorme baritonale Geradlinigkeit. Die in statuarischer Pose präsente Mary Anne Kruger ließ auch in der Höhe sublimste Sopranlineaturen hören, während der Pilger-Mezzo Katrin Gerstenbergers die Vermittlungsarbeit wie in einer Synthese der beiden anderen Timbres realisierte. Die sirenenhaften Gesänge des Sphärenchors, der sich auf der Bühne als schwarzgewandeter Hofstaat mit Fez und Mensur-Visier wie auf dem Weg zum muslimischen Paukboden zeigte, war makellos. Bestens abgeschmeckt auch die finnisch-französische Küche aus dem Orchestergraben, wo Stefan Blumier, der Chef des Hauses, die Mannen seines sinfonischen Kreuzritterheers die lange Garzeit über bei voller Aufmerksamkeit hielt. • Darmstadt, Staatstheater. Die nächsten Termine im Großen Haus: 30. April, 4., 10. und 21. Mai. Karten-Bestellung unter Tel. 06 151 / 29 38 38. [ document info ]Copyright © Frankfurter Rundschau 2003 Dokument erstellt am 27.04.2003 um 18:12:13 Uhr Erscheinungsdatum 28.04.2003 URL: http://www.fr-aktuell.de/ressorts/kultur_und_medien/buehne/?cnt=201688 |
Raumschiff Liebestod Von Gerhard R. Koch Der Text mit dem verglichen „Parsifal" und „Pelleas" geradezu „dramatisch" sind, setzt auf Legendenton, nimmt alles Narrative reflektierend nach innen, schafft so Hohlräume für Musik, die Kaija Saariaho, suggestiv zu füllen weiß mit fluoreszierenden Seelen-Zustandsbeschreibungen, Multicolor-Klang-Migrationen zwischen tonal und atonal, instrumental und elektronisch, im Zwischenreich dunkel-gleißender Sonoritaten. Von Messiaen, dessen Franziskus-Oper sie animierte, ist ihre Tonsprache ebenso beeinflusst wie von der „Spektralklang"-Ästhetik am Pariser Ircam, die sich auch in den eher zart glitzernden Elektronik-Duftwolken niederschlagt. Natürlich ist Kaija Saariaho zu reflektiert, um sich massiver mittelalterlicher oder auch orientalischer Anklänge zu bedienen, auch da zieht sie feinere Alsob-Schwebungen vor. Tont ihre Musik kräftiger, gar eruptiver, dann verdankt sie dies eher flamboyant aufschrillenden Bläsergesten, auch Minimaschinen-Assoziationen à la John Adams. Harmonisch hört man, in deutlicher Abkehr vom platt Tonalen wie von spätserieller Zersplitterung, modale Modelle, wie sie nicht zuletzt Messiaen, auch via Skrjabin, entwickelt hat, dunkel liegende Akkord-Korhplexe, über denen sich schillernde Lineaturen und Obertongespinste entfalten, zumal ihr Vokalstil stark ariös gepragt, ausgesprochen melismenrweich ist. Im Verein mit dem mittelalterlich-esoterischen Sujet dem eher monologisierenden Legendentonfall ergibt sich ein dramaturgisch-musikalisches Amalgam von beträchtlicher Suggestivität. Aber nicht nur nähert sich der Text, vor allem gegen Schluss fast parareligiösem Kitsch, auch die Musik mit ihrem hohen Anteil seraphischer Höhenoszillationen nähert sich wabernd, glitzernden New-Age-Gefilden. So schön, so rein, so edel entrückt, wie die uber alle Maßen vollkommene Clemence-Halluzination tendiert sie bisweilen zum Ave Maria in Permanenz. Der unbestreitbare Erfolg, der „L' amour de loin" in Salzburg, Bern und nun bei der deutschen Erstaufführung in Darmstadt zuteil wurde, kommt nicht von ungefähr, entspricht ein wenig zu sehr dem Bedürfnis nach bezirzender Sinnstiftung, ein neues Himmelsreich der Edelmenschen, ästhetisch, hilfreich und schlechterdings gut. Zu diesem Eindruck überirdischen Schonheit trug freilich die Darmstädter Produktion überzeugend bei. Das Staatstheater-Orchester unter Stefan Blunier wurde dem vielfarbig funkelnden Facettenreichtum der schwierigen Partitur, entschieden eloquent gerecht, Männer- und Frauenchor exzellierten nicht minder. Und der Bariton Hans Christoph Begemann (Jaufré); die Sopranstin Mary-Anne Kruger (Cleménce) und der Mezzo Katrin Gestenberger (Pilger) sangen außerordentlich beredt und stimmschön, zudem in mehr als nur akzeptablem Französisch. Dass das Premierenpublikum so angetan war, lag auch an Philippe Arlauds Inszenierung, die effektvoll mit Videozauber aller Art aufwartete. Nimmt man die Mainzer Aufführung von Peter Ruzickas „Celan"-Oper dazu, kommt man nicht umhin, wieder das Loblied auf die so mutige wie kreative „Provinz" zu singen. |
Magie der Liebe, Magie der Töne Von Heinz Zietsch DARMSTADT. Oft wird sie besungen, die ferne Geliebte. Beethoven hat ihr in einem gleichnamigen Lied ein Denkmal gesetzt. Vielleicht war sie sogar nur ein Fantom, eine imaginäre Liebe, die der Künstler brauchte, um Sehnsucht in Musik umsetzen zu können. Kaum anders ergeht es dem Troubadour Jaufré Rudel im 12. Jahrhundert, der in Worten und Tönen sich seine Ideal-Geliebte erträumt. Doch der Traum ist ihm nicht genug, er begehrt sie, nachdem er von einem Pilger erfahren hat, wo sie lebt: Er reist übers Meer nach Tripolis, um seine Geliebte aufzusuchen. Doch er zerbricht an der Sehnsucht und am Bewusstsein, die gebotene Distanz des Minnesängers nicht gewahrt zu haben. Er stirbt in den Armen von Clémence, der Gräfin von Tripoli. Jetzt sind wir schon bei Kaija Saariahos „L’amour de loin", auf Deutsch: „Liebe aus der Ferne". Und das war auch schon der karge Inhalt dieser Oper, mit der die finnische Komponistin, die seit den achtziger Jahren in Paris lebt, vor drei Jahren bei den Salzburger Festspielen einen sensationellen Erfolg erzielte. Am vergangenen Samstag brachte das Staatstheater Darmstadt im Großen Haus die Deutsche Erstaufführung dieses Werkes in der Inszenierung von Philippe Arlaud heraus. Gesungen wurde in französischer Sprache – die deutsche Übersetzung wurde auf eine Tafel am oberen Bühnenrand projiziert. Am Ende der mit Pause etwa zweidreiviertel Stunden dauernden Oper der Komponistin, die 1986 bei den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik in Darmstadt mit dem Kranichsteiner Musikpreis ausgezeichnet wurde, applaudierte das Publikum lange und begeistert. Den Beifall konnten Saariaho und ihr Librettist, der ebenfalls in Frankreich lebende Libanese Amin Maalouf, am Samstag persönlich entgegennehmen. Viele waren fasziniert von der bezaubernden Magie der Töne, die Saariaho in ihrer Oper entfaltet, von der geradezu betörend schönen und gesanglich-sinnlichen wie vielfarbig schillernden Musik. Man hörte aus dem Publikum aber auch Stimmen, die meinten, das Werk wäre zu langatmig. Vordergründig wirkt die Musik statisch, doch im Innern klingt sie gespannt und bewegt, es gibt dramatische und rhythmische Ausbrüche, sogar illustrative Momente: Wenn im Text von der Angst und vom Tod die Rede ist, ertönen pulsierende Rhythmen, die an Herzschläge erinnern. Die Komposition gleicht einem Baum, der immer wieder neue Äste austreibt. Das Ähnliche wird jedesmal neu beleuchtet, als entwerfe die Komponistin eine ständig sich erneuernde ewige Klangfarbenmelodie. Dass ihre Partitur derart vielfarbig erscheint, kommt nicht von ungefähr: hat doch die 1952 geborene Komponistin zunächst Malerei studiert. Behutsam reichert sie ihre Partitur mit Elektronik (auch Live-Elektronik) an und spielt mit Modellen aus der mittelalterlichen wie der orientalischen Musik (arabeskenhafte Wendungen der Holzbläser, tanzartige Sätze). Generalmusikdirektor Stefan Blunier entwirft mit dem hochmotivierten Orchester des Staatstheaters geradezu glühende, farbintensive, raffiniert abgestufte Klangbilder, die der Emotionalität nicht entbehren. Dennoch bleibt die Musik klar durchhörbar. Eine großartige Leistung, die der von André Weiss vorzüglich einstudierte Opernchor noch unterstützt. Auf der Bühne sichtbar, sowie unsichtbar aus einem Nebenraum intonieren die Choristen stets blitzsauber. Außerordentliches bieten die drei Sänger, allen voran Katrin Gerstenberger als Pilger, die trotz einer Erkältung glänzend die Höhen meistert und ihrem Gesang wohltönende Form verleiht. Mary Anne Kruger strahlt als Clémence Ruhe aus, betört mit ihrer wunderbar weichen, warmen und reich konturierten Sopranstimme. Eine ideale Partie für diese Sängerin. Mit Hans Christoph Begemann ist die Rolle des Troubadours Jaufré Rudel nicht weniger ideal besetzt. Man spürt den Liedgestalter, wenn er jeden musikalischen Winkelzug nachzeichnet. Am Ende hat Clémence den Part des Troubadours übernommen und besingt den Geliebten, der ihr durch den Tod in die Ferne gerückt ist. Auch in der Kleidung (Andrea Uhmann hat die stark stilisierten Kostüme entworfen) hat sie sich am Ende ihrem toten Geliebten angepasst: Ihr Kleid ist jetzt wie seines mit Schriftzeichen übersät. Der Regisseur und Bühnenbildner Philippe Arlaud gliedert mit Würfeln, die auch von oben herunterhängen, und Projektionsflächen geschickt die Bühne. Mit einer intensiven, in Darmstadt bisher so nicht gekannten Farb- und Lichtregie, unterstützt von Foto- und Videoprojektionen von Florence Grandidier, entspricht er den magischen Klängen der Komponistin. Fast entwirft Arlaud virtuelle Bilder mit mehrfach gebrochenem Vorder- und Hintergrund, wie man sie sich per Computer ins Haus holen kann. Das Stück nähert sich so dem modernen Medienzeitalter an. Heute gibt es ja Menschen, die sich noch nie gesehen haben, aber mittels Computer eine Beziehung anbahnen: Liebe aus der Ferne im Stil des 21. Jahrhunderts. Mit der Personenregie verfährt Philippe Arlaud indes weniger glücklich, hier tut er mit übertriebener Aktion und Bewegung des Guten zu viel. Und wenn er den problematischen und allzu spirituell wie religiös angehauchten langatmigen Epilog noch zu überhöhen trachtet mit Szenen des Gekreuzigten und anderen Szenen aus der christlichen Ikonographie, dann wirkt dieser Schluss doch arg aufgesetzt und letztlich kitschig. Weitere Aufführungen am 30. April sowie am 4., 10. und 21. Mai – jeweils 19.30 Uhr. |
Darmstadt: Kaija Saariahos "L'amour de loin" Von Axel Zibulski Es ist eine so ungewöhnlich einfache wie phantastische Geschichte. Ein mittelalterlicher Troubadour verliebt sich in eine Frau, die er nicht kennt, nie gesehen hat - und die es doch gibt. Im fernen Morgenland lebt sie; das weiß ein Pilger, der drei Akte lang der Mittler zwischen den Liebenden Der Troubadour verliebt sich und stirbt bleibt. Als der Troubadour sich auf die lange Reise zu der orientalischen Comtesse namens Clémence begibt, erkrankt er und stirbt schließlich in ihren Armen. So geschieht es in der Oper "L'amour de loin", mit der die finnische Komponistin Kaija Saariaho an Sujets wie in Richard Wagners "Tristan und Isolde" oder Claude Debussys "Pelléas et Mélisande" anknüpft. "L'amour de loin" ("Die Liebe aus der Ferne") erlebte jetzt im Staatstheater Darmstadt, drei Jahre nach der Uraufführung bei den Salzburger Festspielen, die deutsche Erstaufführung. Regisseur Philippe Arlaud hat zu der sparsamen äußeren Handlung eine an Lichteffekten und Video-Einblendungen umso reichere Inszenierung entwickelt, bis hin zu grellen Farbgewittern im vierten der insgesamt fünf Akte, als der Troubadour die Überfahrt zu der fernen Geliebten antritt. Viele der Einblendungen bleiben abstrakt, Vorsicht bei der Entschlüsselung Vorsicht ist geboten beim Versuch, die konkreten Bilder zu entschlüsseln: Zackig wuselnde Achtfüßler oder ein leitmotivisch auf den Gaze-Vorhang projizierter Reiter in hektischen Bewegungen. Indem Arlaud diese optischen Effekte bis zur Überreizung einsetzt, entwickelt er einen spannungsvollen Kontrapunkt zur organischen Musik der 1952 geborenen Kaija Saariaho. Fast eine Art unendlicher Melodie hat sie geschrieben, die beinahe soghaft wirkt mit ihren langen Liegetönen der Streicher, ihren über Lautsprecher eingeblendeten Chor-Vokalisen und den unaufdringlich beigemischten elektronischen Klängen. Das Orchester des Staatstheaters Darmstadt setzt unter der Leitung von Stefan Blunier die Partitur mit langem Atem und berückenden Momenten tönender Ruhe um. Und vielleicht weil die Musik so einnehmend und in sich harmonisch wirkt, erlebt man am Ende der Aufführung eine durchweg zustimmende Reaktion, einen äußerst lang anhaltenden, intensiven Beifall des Darmstädter Publikums. Er erstreckt sich auch auf den (von André Weiss einstudierten) Opernchor, vor allem aber auf die gerade drei Protagonisten, die das französische Libretto des libanesischen Autors Blass unter der langen weißen Perücke Amin Maalouf vorsieht. Die Sopranistin Mary Anne Kruger singt die Partie der Clémence mit so reinem vokalen Wohlklang, so betörend schönen Höhen, dass daneben der Jaufré Rudel von Hans Christoph Begemann ein wenig blass bleibt - und das nicht nur wegen der langen weißen Perücke (Kostüme: Andrea Uhmann), die ihn wie einen früh gealterten Liebenden aussehen lässt. Von einer angekündigten Indisposition lässt Katrin Gerstenberger in der Partie des Pilgers kaum etwas spüren, sodass diese deutsche Erstaufführung sich insgesamt zu ein fesselnden musikalischen Bühnen-Ereignis entwickelt. |
Kaija Saariahos Oper "L'amour de loin" am Staatstheater Darmstadt / Deutsche Erstaufführung Von Johannes Bolwin "Wer gibt Dir das Recht, mich zu lieben?", fragt Clémence, Gräfin von Tripoli. Gerade hat sie erfahren, dass Jaufré Rudel, ein Troubadour, beflügelt von einer vagen Vorstellung ihrer Schönheit, die Reise übers Meer gewagt hat, um sie zu sehen. Wütend spöttelt sie, nennt ihn den "Törichten". Doch bald empfindet sie eine seltsame Zuneigung zum greisen Barden, der seinen ganzen Lebenszweck darin erblickte, an den Worten und Sätzen seiner Elogen auf die meist unerreichbaren Frauen zu feilen. Jetzt, da er "der Sonne", dem Objekt der Begierde, gegenübersteht, verlässt ihn die Kraft: Krank und geschwächt von der Überfahrt, stirbt er. Clémence versinkt in tiefe Trauer, klagt Gott an. Das Podest mit dem aufgebahrten Troubadour sinkt in die Tiefe, ein riesiges, auf den Bühnenhintergrund projiziertes Bild des Gekreuzigten rutscht langsam schräg nach unten - eine plakative Drastik, die aber eine kuriose, pietistisch-demutsvolle Wendung erfährt. Im Raum steht die Frage nach göttlicher Gerechtigkeit, die hier mit dem Streben des Menschen nach dem irdischen Glück verknüpft wird. Die 1952 geborene finnische Komponistin Kaija Saariaho hat ihrer 2000 in Salzburg uraufgeführten Oper den poetischen Titel "L'amour de loin" - "Die Liebe aus der Ferne" gegeben. Erstmals in Deutschland ist die über zweistündige Komposition nun am Staatstheater Darmstadt zu sehen. Regie, Licht und Ausstattung liegen in den Händen von Philippe Arlaud. Er verdammt die Hauptpersonen auf zwei spitzwinkelige, quaderartige Inseln. Dort verharren die am Ende unglücklich Verliebten (souverän in den schwierigen Gesangsparts: Mary Anne Kruger, Hans Christoph Begemann) meist in Bewegungslosigkeit - ein Manko des Textes. Überhaupt herrscht, vom zwischen den Welten pendelnden Pilger und einem kommentierenden Chor abgesehen, oft Stillstand; statt dessen inhaltsschweres Philosophieren über die Tragik der Liebe und des Glücks, das nur neue Sehnsüchte gebiert. Deutlich klingt die Ikarus-Sage an. Der dünne, leicht auf die Hälfte kürzbare Text Amin Maaloufs birgt nur wenig zeitlos Erwägenswertes, ist in der monothematischen Kopflastigkeit strapazierend. Wenig erhellend sind die vielen, teils rätselhaften Video- und Foto-Projektionen, die offenbar zum modernen Musiktheater gehören wie das Glitzerpapier zum Schoko-Ei. Ohne die mystische, sich in weiten gotischen Bögen übers Geschehen spannende Musik würde das Stück glatt stranden; Darmstadts Musikchef Stefan Blunier und das Theaterorchester leisten hier lobenswerte Rettungsdienste. Aufführungen: 4., 10., 21. Mai. Karten: (06151)293838 |
Troubadour liebt aus der Ferne Fesselnde deutsche Erstaufführung der Oper "L’amour de loin" in Darmstadt Von AXEL ZIBULSKI Das erlebt man nicht gerade häufig bei der Premiere einer zeitgenössischen Oper: In der Pause bleibt der Exodus des Publikums aus, und am Ende werden Komponistin, Regisseur, Dirigent und Sänger mit ungeteilter Zustimmung gefeiert. So geschehen im Großen Haus des Staatstheaters Darmstadt, wo "L'amour de loin" der finnischen Komponistin Kaija Saariaho ihre deutsche Erstaufführung erlebte. Das Stück bietet eine so einfache wie fantastische Geschichte. Ein mittelalterlicher Troubadour verliebt sich in eine Frau, die er nicht kennt, nie gesehen hat - und die es doch gibt. Im fernen Morgenland lebt sie; das weiß ein Pilger, der drei Akte lang Mittler zwischen den Liebenden bleibt. Als der Troubadour sich auf die lange Reise zu der orientalischen Comtesse namens Clémence begibt, erkrankt er und stirbt schließlich in ihren Armen: Nicht zufällig denkt man da an Richard Wagners "Tristan und Isolde" oder Claude Debussys "Pelléas et Mélisande". "L'amour de loin" ("Die Liebe aus der Ferne"), vor drei Jahren bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt, wurde in Darmstadt von Philippe Arlaud in Szene gesetzt. Der Regisseur, der im vergangenen Sommer einen neuen "Tannhäuser" auf Bayreuths Bühne brachte, hat zur sparsamen äußeren Handlung des Bühnenwerks eine an Lichteffekten und Video-Einblendungen umso reichere Inszenierung entwickelt - bis hin zu grellen Farbgewittern im vierten der insgesamt fünf Akte, wenn der Troubadour die Überfahrt zur fernen Geliebten antritt. Viele Einblendungen bleiben abstrakt, Vorsicht ist geboten beim Versuch, die konkreten Bilder zu entschlüsseln: Zackig wuselnde Achtfüßler oder ein leitmotivisch auf den Gaze-Vorhang projizierter Reiter in hektischer Bewegung. Indem Arlaud diese optischen Effekte bis zur Überreizung einsetzt, entwickelt er einen spannungsvollen Kontrapunkt zur organischen Musik der 1952 geborenen Kaija Saariaho. Fast eine Art unendlicher Melodie hat sie geschrieben, die beinahe soghaft wirkt mit ihren langen Liegetönen der Streicher, ihren über Lautsprecher eingeblendeten Chor-Vokalisen und den unaufdringlich beigemischten elektronischen Klängen. Das Orchester des Staatstheaters Darmstadt setzt unter Stefan Blunier die Partitur mit langem Atem und berückenden Momenten tönender Ruhe um. Und weil die Musik zwar nicht gestrig, aber doch in sich harmonisch wirkt, erlebt man eben die durchweg zustimmende Reaktion des Publikums. Sie erstreckt sich auch auf den (von André Weiss einstudierten) Opernchor, vor allem aber auf die gerade drei Protagonisten, die das französische Libretto des libanesischen Autors Amin Maalouf vorsieht. Sopranistin Mary Anne Kruger singt die Partie der Clémence mit so reinem vokalen Wohlklang und betörend schönen Höhen, dass der Jaufré Rudel von Hans Christoph Begemann ein wenig blass bleibt - und das nicht nur wegen der langen weißen Perücke (Kostüme: Andrea Uhmann). Von der angekündigten Indisposition lässt Katrin Gerstenberger in der Partie des Pilgers kaum etwas spüren - insgesamt eine fesselnde deutsche Erstaufführung. |
Keine Mittelalter-Romantik Nicht wenige Kritiker fanden die Geschichte des liebes- und lebenskranken Troubadour Jaufré Rudel und seiner Gräfin Clémence von Tripolis befremdend, als „L’amour de loin“ von Kaija Saariaho und Amin Maalouf bei den Salzburger Festspielen 2000 seine Uraufführung erlebte. Ein Mann aus dem Hochadel mit musischen Neigungen, überdrüssig seines luxuriösen, aber im Grunde bedeutungslosen Lotterlebens, schafft sich eine imaginäre Frau. Sie beginnt in seiner Fantasie zu leben, gewinnt betörende Züge und einen makellosen Charakter. Da erfährt er von einem Pilger, dass diese Frau existiert, auf der anderen Seite des Mittelmeers. Er wird ganz krank vor Liebessehnsucht; sie dagegen, als sie von eben demselben Pilger von ihrem unbekannten Verehrer erfährt, ist zunächst reichlich befremdet.
Für überholte Mittelalter-Romantik hält die finnische Komponistin ihr Sujet aber nicht, wie sie im Programmheft erläutert: „Ich musste oft an junge Leute denken, die über das Internet persönliche Verbindungen zu Menschen aufbauen, die sie noch nie gesehen haben. Wie schafft man sich ein Bild von einem andern? Zu welchen Konflikten führt das? Können die Menschen Wunsch und Realität auseinander halten?“ Lyrischer Wohlklang bestimmt dieses erste Libretto des libanesisch-französischen Autors Amin Maalouf, aber er versteht es auch, in die leuchtenden Farben überbordender erotischer Gefühle dunklere Bänder einer obsessiven, manischen Selbstbespiegelung einzuflechten. Die von ironischen Untertönen modulierte Stimme der Vernunft teilt er einem Pilger und dem in der Darmstädter Aufführung frisch und präzise agierenden Chor zu. Der mahnt in Gestalt von Jaufrés Gefährten, seine „Lippen suchen nicht mehr den Hals der Flasche noch die Lippen der Frauen ...“, und als Chor der Tripolitanerinnen sortiert er der Gräfin energisch die Unterschiede zwischen (gesunder) weiblicher Hingabe und (ungesunder) Selbstaufgabe aus-einander. Kaija Saariaho arbeitet in „L’amour de loin“ ganz aus dem Klang. Das Orchester entfaltet bei der Darmstädter Aufführung unter Stefan Blunier ein überwältigend reiches und fein ausdifferenziertes Klangspektrum. So wie Maalouf Lieder des historischen Troubadours Rudel verarbeitet, lässt Saariaho gelegentlich mittelalterlich anmutende Bordunklänge und Gesangsmodi durchscheinen, ohne direkt zu zitieren. Nicht nur im Sujet, vor allem im Verhältnis von Musik und Handlung zeigt sich ihre erste Oper Wagners „Tristan und Isolde“ verwandt: Die Musik ist die eigentliche Szene. Sie kanalisiert unmerklich den Übergang von Jaufrés Überdruss und Lebensmüdigkeit in die irreale, selbstbezogene Fantasieliebe; sie ahnt schon vor den Worten, wie sein Liebeswahn zwangsläufig in den Tod führen wird, den er, endlich in Tripolis ankommend, in den Armen von Clémence erleiden wird. Philippe Arlaud inzeniert weniger als dass er die Musik mit einem psychedelischen Video-Clip begleitet. Weiße Quader in verschiedenen Größen bis sechs, sieben Meter Kantenlänge, schräg in den Raum gekippt und aus dem Schnürboden herabhängend erinnern an Robert Wilson. Einer davon dient dem Bariton Hans Christoph Begemann in der Rolle des Jaufré Rudel als schräge Spielfläche, die er wie seine Obsession nicht verlassen wird; auf der Kante des benachbarten Riesenwürfels hält Mary Anne Kruger im grotesk überstilisierten Kostüm als Gräfin Clémence Hof. Videoprojektionen in stupender Perfektion überziehen die Szene mit einer stetigen Flut ineinander fließender Visonen: Sie beschäftigen das Auge, wenn die spärliche Aktion des Protagonisten pausiert. Mit feinabgestuften Lichtwechseln strukturiert Arlaud die wechselweisen Besuche des Pilgers bei Rudel und Clémence, akzentuiert das Aufeinandertreffen von Realität und Liebestraum. So verfolgt man halb hypnotisiert, halb eingelullt den von Hans Christoph Begemann formidabel gesungenen und gespielten Untergang des Jaufré Rudel und die langsame Erweckung der Gräfin Clémence, die Mary Anne Kruger mit klar geführtem, bei aller Strahlkraft nuancenreichem Sopran singt. Karin Gerstenberger gibt die Mezzo-Partie des Pilgers mit einer musikalischen Souveränität und Selbstverständlichkeit und einer intelligenten Rollendarstellung, die nichts zu wünschen läßt – bestenfalls den Mut, mehr der Darstellungskunst solcher Sänger zu vertrauen und weniger der beständigen Bilderflut, die immer am Rande gefälliger Illustration operiert. Mit dem Orchester, das unter dem Darmstädter GMD Stefan Blunier souverän und spielfreudig die farbreiche Partitur zum Leben erweckte und wie alle Mitwirkenden bei der Premiere mit Standing Ovations gefeierte wurde, und dem von André Weiss hervorragend einstudierten Chor hatte Arlaud dazu die richtigen Partner. |
egotrip.de Mystik und Musik - modern Im 18. und 19. Jahrhundert war die zeitgenössiche Oper ein fester Bestandteil des Repertoires, um nicht zu sagen, der Normalfall. Das Publikum erwartete geradezu mit Spannung die neuesten Werke von Mozart oder Verdi, um nur zwei zu nennen. Rauschende Erfolge gehörten ebenso dazu wie durchgefallene Produktionen, auch mäßiger Applaus war durchaus nicht unüblich. Undenkbar jedoch, dass die überwiegende Mehrheit des Publikums zeitgenössischen Opern generell kritisch oder ablehnend gegenüber gestanden hätte. Die Rezeption sieht heute jedoch grundsätzlich anders aus. Auch heute erleben wir in vielen Opernhäusern rauschende Premieren-Erfolge, nur stehen meist die selben Werke dahinter wie früher, will sagen Mozart, Verdi, Wagner und ihre Zeitgenossen. Schon Richard Strauss, eigentlich ein Klassiker, findet heute nur geteilte Zustimmung des Publi- kums. Ganz selten hört man gar von begeistert aufgenommenen zeitgenössischen Opern, zumal bei ihrer Uraufführung. Letzteres war, um es gleich vorweg zu sagen, bei der deutschen Uraufführung der Oper "L´amour de loin" Ende April 2003 in Darmstadt der Fall. Der Hessische Rundfunk hatte den seltenen Fall einer Erstinzenierung zum Anlass für einen "Live"-Bericht aus dem Großen Haus des Staatstheaters Darm- stadt genommen und gut daran getan, da die anschließenden Interviews vor quasi "vollem Foyer" stattfanden. Doch nun zum Gegenstand der Begeisterung: die Oper basiert auf einer alten Legende um den französischen Troubadour Jaufré Rudel, der sich in eine fremde Frau in der Ferne verliebt. Als er erfährt, dass sie von seiner Liebe weiß, reist er zu ihr, erkrankt jedoch auf der Reise schwer und stirbt in ihren Armen. Wäre sie nicht mystisch, könnte man diese Geschichte schlicht für sentimental wenn nicht kitschig halten. Aber die Kondensierung allgemeiner Erfahrung mit den elementaren Gefühlen der Men- schen in einer einfachen Geschichte immunisiert die Handlung für solche Kritik, und eine Inszenierung, die sich auf das Allgemeine hinter der vorder- gründigen Handlung konzentriert, liefert ihren Beitrag zu einem Kunstwerk eigener Prägung und Wertigkeit. Der arabisch-französische Schriftsteller Amin Maalouf hat aus diesem Stoff ein Libretto geformt, das sich auf die drei Personen Jaufré, Clémence (die Angebetete) und den zwischen den beiden vermittelnden Pilger beschränkt. Der Chor vertritt die jeweilige Öffentlichkeit und kommentiert das Geschehen oder warnt die Protagonisten vor Fehlern. Die finnische Komponistin Kaija Saariaho - mit Wohnsitz in Paris - hat dazu die Musik geschrieben, die Stefan Blunier mit dem Orchester des Staatstheaters einstudiert hat. Regisseur Philippe Arlaud, in Darmstadt wohl bekannt, hat die Insze- nierung einschließlich Bühnenbild übernommen und Andrea Uhlmann die Kostüme. Die Oper wird in Französisch mit deutschen Übertiteln gesungen.
Der erste Akt zeigt Jaufré (Hans Christoph Begemann) als eines zügellosen Wohllebens überdrüssigen Prinzen, der das Absolute, Sinnhaltige sucht. Seine Freunde, dargestellt durch den Chor, wollen ihn für das alte Treiben zurückgewin- nen, als der Pilger (Katrin Gerstenberger) ihm von einer Gräfin im fernen Nordafrika erzählt, die an Schönheit, unverstellter Vornehmheit und echter Frömmigkeit nicht zu überbieten sei. Nahezu unmittelbar verfällt der für eine große Aufgabe geradezu konditionierte Jaufré in Liebe zu dieser Frau, malt sich Ihre Vorzüge aus und verfasst immer neue Huldigungslieder auf sie. Auf seiner nächsten Reise nach Afrika trifft der Pilger die Gräfin Clémence (Mary Anne Kruger) und berichtet ihr von dem fernen Verehrer. Die anfangs ob dieser "virtuellen" Zudringlichkeit indignierte Clémence fühlt sich jedoch bald geschmeichelt und beginnt, sich für diesen Fremden zu interessieren. Doch möchte sie ihn nicht treffen, um nicht in Konflikte zu geraten. Auch sie macht sich jedoch ein Bild von ihm und verdrängt die Möglichkeit einer Bindung. Als der Pilger nach seiner Rückkehr Jaufré die Entdeckung seiner Liebe und den Namen der Frau mitteilt, beschließt dieser nach anfänglichen Vorwürfen über die Indiskretion des Pilgers, die Frau unter dem Vorwand eines Kreuzzugs in Afrika zu besuchen, und besteigt mit dem Pilger ein Schiff. Auf der Reise erkrankt er schwer und landet als Sterbender im Zielhafen. Dort eilt die vom Pilger über die Situation informierte Clémence zu dem Sterbenden, erweckt ihn noch einmal aus seiner Agonie, entdeckt ihre eigene Liebe zu ihm und lässt einen Glücklichen in ihren Armen sterben. Nach einem heftigen Ausbruch gegen den ungerechten Gott und Vorhaltungen des Chors beschließt sie, den Rest ihres Lebens demütig in einem Kloster zu verbringen. Kaija Saariaho hat dazu eine so zeitgenössische wie süffige Musik geschaffen. Vieles erinnert dabei an "minimal music" á la Philip Glass: kurze Motive wiederholen sich insistierend, nur wenig oder gar nicht variiert. Die Komponistin arbeitet dabei ex- tensiv mit Klangbildungen, für die sie unterschied- lichsten Instrumente heranzieht. Dabei verzichtet sie weit gehend auf den "tutti"-Klang und lässt immer wieder das einzelne Instrument in den Vordergrund treten, vor allem die Flöte und andere Blasinstrumente. Die eher kammermusikalische, bisweilen solistisch anmutende Partitur unterstützt und interpretiert dabei die Emotionen auf der Bühne "hautnah". Besonders die schrankenlose und in gewissem Sinne ungerichtete Sehnsucht der Protagonisten kommt in den gewählten Instrumenten und den Motiven schlackenlos zum Ausdruck. In Augenblicken heftiger Gefühlsausbrüche schreckt sie auch vor einem überfallartigen, expressiven Einsatz des gesamten Orchester nicht zurück. Doch alles fügt sich in den Rahmen der äußeren und inneren Handlung ein und wirkt nie unmotiviert. Die Musik Saariahos wirkt wie ein Sog, der Perso- nen und Publikum in sich hineinzieht. So hörte man auch in den leisen Passagen kaum einen Huster. Besonders eindrucksvoll beendet sie die Oper mit einem über hundert Sekunden ausgehalten Schlusston der Violine, begleitet von einem leise vibrierenden Kontrabass, der zum Schluss fast unhörbar ausklingt, wenn Clémence langsam in den Bühnenboden versinkt - Metapher für den Gang ins Kloster - und ein assoziatives Standvideo auf der Gaze- vorhang immer kleiner wird und scheinbar in der Ferne verschwindet.
Video-Installationen spielen bei dieser Inszenierung eine wesentliche Rolle. Schon zu Beginn überdecken bewegte Videosequenzen auf dem vorgelagerten Gaze-Vorhang die statischen Szenen auf dem zweiten Vorhang. Später symbolisieren schwimmende Rochen - mancher hat sie anfangs für fliegende Tauben gehalten - die Wanderung der Gedanken über die Entfernung und Galopp-Passagen eines übergroßen Pferdes mit Reiter die Reise. Im Hintergrund erscheinen alte Portraits eines Troubadours oder einer schönen Frau - streng und eindringlich wie im Mittelalter üblich - oder abstrakt-surrealistische Gebilde aus verschlun- genen Figuren und drohenden Wolken symbolisieren phantastische Träume. Das statische Bühnenbild ergänzt die Videos in idealer Weise. Zwei große kubisch-quaderförmige Blöcke charakterisieren Burg und Bühne (des Troubadours), unterschiedlich große, weiße Würfel hängen wie surrealistische Planeten im Bühnenraum als Metaphern für die Einsamkeit des Einzelnen im menschlichen Universum. Die Beleuchtung wechselt je nach szenischer Atmosphäre zwischen warmen Orangetönen - für Clémence -, einem satten Blau als Bild des männlichen Intellekts, expressionistischen Farbspielen bei Gefühls- wallungen und einem fahlen Grau-weiß, wenn Jaufré stirbt. Die Liebesgeschichte selbst verbildlicht die Vergeblichkeit einer fernen Liebe, die sich ein Idealbild von dem Anderen zusammenbaut, das der Realität selten entspricht und zum Ersterben der Liebe beim tatsächlichen Aufeinandertreffen führen muss. Damit wäre jedoch nur eine Interpretation der Geschlech- terbeziehung und ihrer Gefahren gegeben. Über diese eher lebensnahe Deutung hinaus steht der Ablauf des Geschehens jedoch auch für das menschliche Streben nach Erkenntnis. Die Frau symbolisiert dabei die absolute Er- kenntnis dessen, "was die Welt im Innersten zusammenhält", und die Liebe das Streben danach. Erkenntnis des Wahren ist nur zum Preis des Lebens möglich oder "der Weg ist das Ziel". Wenn wir dort angelangt sind, müssen wir sterben, ähnlich Moses, der nach vierzig Jahren angesichts des gelobten Landes seinen Lebenslauf vollendete. Die Darmstädter Inszenierung hat all dies angelegt, ohne eine bestimmte Interpretation plakativ in den Vordergrund zu stellen. Gerade die unprätentiöse aber eindringliche Darstel- lung der Protagonisten und ihrer inneren Ge- fühlswelten eröffneten einen breiten Interpretationsspielraum, ohne deshalb der Gefahr der Unverbindlichkeit zu verfallen. Eine gut erzählte Geschichte spricht für sich selbst und schafft ihren Bedeutungsraum aus sich selbst heraus. Die Darsteller meisterten ihre Rollen durchweg glänzend. Mary Anne Kruger verlieh der Clémence das richtige Maß an Stolz und unerfüllter Sehnsucht. In dieser Rolle konnte sie ihre lyrischen Fähigkeiten besonders gut ausspielen. Hans-Christoph Begemann hatte einen von Emotionen zerrissenen Jaufré darzustellen, der alle Bewusstseinszustände zwischen Sehnsucht, Verzweiflung, Todesangst und höchstem Glück durchläuft. Er wurde dieser Rolle in hohem Maße gerecht und nahm dafür auch von allen Darstellern den größen Beifall entgegen. Katrin Gerstenberger, laut vorheriger Ansage durch eine kurzfristige Erkältung indisponiert, ließ davon allerdings nichts spüren und meisterte ihren Part des Pilgers ebenfalls souverän. Der Chor war von André Weiß war wie immer hervorragend eingestellt und zeigte sowohl stimmliche als auch szenische Sicherheit. Das Orchester unter der Leitung von Stefan Blunier hatte einen besonders schweren Part zu bewältigen, stellt die auf unterschiedlichste Klangfärbungen beruhende Wirkung von Kaija Saariahos Musik doch höchste Anforderungen. Im Gegensatz zur klassischen Musik fehlen feste Takteinteilungen fast völlig und müssen duch erhöhte Aufmerksamkeit und musikalisches Einfühlungsvermögen aller Beteiligten ersetzt werden. Dazu ist den einzelnen Stimmen immer wieder genügend Raum zur Entfaltung ihrer Wirkung einzuräumen. Nicht zuletzt auch die intensive Nutzung von Pausen - eine dauerte fast eine Minute ohne irgend - welche szenischen Aktivitäten - stellten höchste Anforderungen an das Ensemble. Die Musiker wurden diesen Ansprüchen in höchstem Maße gerecht, und Stefan Blunier nahm dafür den verdienten Beifall des Publikums entgegen. Neben ihm und den Darstellern erhielt diesmal - eine Seltenheit - auch die Regie uneinge- schränkten Beifall. Im Rund des Großen Hauses war kein einziges "Buh" zu hören. Einhellig entbot das Publikum dem gesamten Ensemble sowie den ebenfalls anwesenden Kaija Saariaho und Amin Maalouf "standing ovations". In der anschließenden "Talkshow" des Hessichen Rundfunks im Foyer hatten die Zuschauer dann noch Gelegenheit, einigen Ausführungen von Regie, Musik und Autoren zu lauschen und den Beifall noch einmal zu bekräftigen. Copyright für alle Bilder dieser Rezension bei Cornelia Illius |