Frankfurter Rundschau
20.01.2003

Die Oper findet nicht statt oder Ariadne hat den Blues
Wie Johannes Schütz in Mainz einer "Ariadne auf Naxos" zu ungeahnter Einheit verhilft

Von Stefan Schickhaus


Vergebliche Versuche der Auftheiterung: Ariadne (Mitte) ist untröstlich. Auf unserem Bild agieren von links nach rechts: Brighella (John Carlo Pierce), Scaramuccio (Jürgen Rust), Truffaldin (Runi Brattaberg), Primadonna/Ariadne (Elisabeth Hagedorn), Harlekin (Vadim Volkov) und Zerbinetta (Janice Creswell).
Bild:Bettina Müller

Da hatte Johannes Schütz eine ganze Menge Arbeit zu erledigen. Der versierte Theatermacher war nach Mainz ans Opernhaus geladen worden, um eine "Ariadne auf Naxos" auf die Bühne zu stellen. Komplett, was bedeutet: Regie führen, Kostüme entwerfen, eine Spielbühne sich ausdenken. Was aber dies ganze besonders arbeitsam macht, liegt in der Natur der Strauss'schen "Ariadne": Sie ist ein Zwitter, besteht aus zwei eigentlich nicht zu vereinbarenden Teilen. Erst das "Vorspiel" eine Stunde lang, dann, in der Regel getrennt durch eine Pause, die "Oper". Der Bruch in der Mitte, er tut immer irgendwie weh bei dieser sicher charmantesten aller Opern von Richard Strauss.

Bei Johannes Schütz nun findet die "Oper" erst gar nicht statt. Seine wie Balsam gelungene Mainzer Inszenierung für das Kleine Haus des Staatstheaters beginnt wie gewohnt auf einer Art Hinterbühne: Schauspieler, Artisten und Sänger treffen sich, gleich soll das Opernspiel beginnen. Noch verläuft alles in klassischen Bahnen, einmal abgesehen davon, dass der Haushofmeister von einer Frau dargestellt wird (Margit Schulte-Tigges), gegen deren Willen und Willkür das Künstlerkollektiv aber erst recht nicht ankommt. Johannes Schütz lässt die Bühne leer, denn sie ist ohnehin voll von Akteuren, kaum ein anderes Stück der Opernliteratur bringt mehr Solisten an die Rampe. Dazwischen etwas Gay-Gehabe, etwas Staatsgewalt (ein robbender BGS-Beamter), also so das Übliche.

Dann folgt eigentlich der Bruch, harter Schnitt, aus dem Vorspiel (um die aufzuführende Oper) wird die Oper selbst. Und hier nun kommt Schütz' Kunstgriff, indem er zum Zeitsprung ansetzt: Nahtlos, ohne Pause, ist man wieder hinter der Bühne, das Spektakel ist gelaufen. Putzfrauen machen sauber (endlich einmal haben die Najaden eine Funktion!), die Freak-Show um Brighella (John Carlo Pierce, lupenrein!) und seine Freunde wird zum normalen Backstage-Pöbeln, Ariadne hat ihren Premierenfeiern-Blues. Alles ganz organisch - nach zwei Stunden ist diese Mainzer Kammer-"Ariadne" vorbei.

Respekt vor dieser Regielösung aus einer Hand und aus einem Guss. Und Respekt auch vor einem Mainzer Haus, das sämtliche sechzehn Rollen aus dem eigenen Ensemble besetzen konnte. Wirkliche Schwachpunkte fallen keine auf, Stärken dafür umso nachhaltiger. Wenn die letzte Viertelstunde nur noch Ariadne und Bacchus zugegen sind und die Musik in den Himmel wächst, sind Sänger von exorbitantem Format auf der Bühne: Elizabeth Hagedorn und Alexander Spemann, sagenhafte Stimmen, die alles haben. Dritte in diesem maximalen Bunde war Catherine Rückwardt am Pult des Mainzer Opernorchesters (das nur bei der Einleitung zum Opern-Teil Probleme hatte, dort allerdings gehöriger Art).

Eine Thema für sich, bei jeder "Ariadne auf Naxos"-Produktion, ist die Figur der Zerbinetta. Von Johannes Schütz ist sie hier recht konventionell gezeichnet als leichtes Mädchen im nicht weiter kürzbaren Lederrock. Alleine schon optisch trefflich besetzt, will man meinen, von Janice Creswell. Jung ist sie, hübsch, mit noch zukunftsträchtiger, aber jetzt schon sehr guter Stimme - die Zerbinetta-Arie "Großmächtige Prinzessin" ist schließlich eine Paraderolle jeder Koloratursopranistin, ein Zwölf-Minuten-Feuerwerk der hohen Töne. Keine Frage, stimmlich hielt Janice Creswell dem stand, doch szenisch fehlte es noch an der nötigen Präsenz. Von femme fatale keine Spur, laszives Hüftkreisen bleibt ohne jede Wirkung - da mag sie Johannes Schütz noch so chronisch dauerhaft kreisen lassen. Ein paar Buh-Rufe für Schütz, von links oben.

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Dokument erstellt am 19.01.2003 um 17:24:23 Uhr
Erscheinungsdatum 20.01.2003

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Frankfurter Neue Presse
21.01.2003

Die Oper "Ariadne auf Naxos" von Richard Strauss hatte im Kleinen Haus des Mainzer Staatstheaters Premiere.
Die Opern-Partitur landet prompt im Müllbeutel

Von Rudolf Jöckle

Kleines Haus, das versprach den rechten Raum für dieses ja vornehmlich kammermusikalisch disponierte Werk. Umso unerwarteter trafen die fast schweren Klangschwelgereien, die – bei zügigen, manchmal treibenden Tempi – Catherine Rückwardt als Dirigentin auslöste. Gewiss gewann sie schon durch die Orchestereinleitung den dramatischen Impetus, aber solche "Ekstasen" ließen immer wieder die klangliche Raffinesse, das Funkeln in dieser Musik, die Transparenz verkümmern.

Ob dies auch der nackte Raum – das Bühnenbild von Regisseur Johannes Schütz beschränkt sich auf ein paar Stühle, ein Pult und einen zentralen Sessel, im zweiten Teil weitet es sich nach hinten aus – mit bewirkte? Jedenfalls waren delikate Zwischentöne eher Raritäten, so hingebungsvoll das Orchester auch spielte. Johannes Schütz zeigt während der ersten Musiktakte gleichsam die szenische Geburt. Nacheinander kommen die Protagonisten auf die Bühne, zeigen charakteristisches Verhalten, verschwinden, tauchen wieder auf – man gleitet gleichsam mühelos ins Spiel, wobei der Haushofmeister eine Frau (Margit Schulte-Tigges verhalten markant) ist, warum? Natürlich wird der Komponist zum Zentrum des Vorspiels, Patricia Roach singt und spielt ihn überzeugend mit jünglingshaftem Temperament und Inbrunst. Seine Partitur wird auf dem Boden ausgelegt, Zeichen für bürgerliche Missachtung der Autonomie des Kunstwerks – prompt wird sie von dem in der Oper als Putzfrauen auftretenden Nymphen-Terzett in den Müllbeutel gestopft.

Praktisch ohne Pause setzt die "Oper" ein, Ariadne in dunklem Kleid bleibt einfach im Sessel sitzen, lange tut sie das, ehe sie Zerbinetta heraus lockt. Die lustige Commedia-Gesellschaft, voran Vadim Volkov als sonorer Harlekin, hat es einmal mehr nicht leicht mit der Lustigkeit, macht aber ihre Sache ganz pfiffig, am kräftig Erotischen hat sie ohnehin ihren Spaß.

Dass die Nymphen-Putzfrauen ausgerechnet beim "Es gibt ein Reich" weiter hantieren müssen, stört, doch singen die Damen dann recht angenehm bei gedrosselter Emphase. Elizabeth Hagedorn ist eine junge, "moderne" Ariadne, bei allem Schmerz und allem Jubel immer auch ein wenig kontrolliert, nachdenklich. Der leicht metallische Sopran besitzt weniger Schmelz, dafür schöne Leuchtkraft und Geschmeidigkeit. Geschmeidigkeit besitzt auch Janice Creswell als kindlich-kokette Verführerin Zerbinetta. Dröhnend fallen ins Finale die "Circe"-Rufe von Bacchus-Alexander Spermann, der das enorme Material voll einsetzt. Dabei hat er für die Konversation mit Ariadne durchaus angenehme Mezzo-Zwischentöne – einer der wenigen Momente der Aufführung, da man auch Text versteht. Die Aufführung bleibt zwiespältig. Bravos für die Musik, ein paar Buhs für die Regie.

 

Wiesbadener Kurier
20.01.2003

Kein Vergleich: "Die lustige Witwe" in Wiesbaden und "Ariadne auf Naxos" in Mainz
Gemeinsam einsam im Seelen-Raum

Von Volker Milch

Nach diesem Musiktheater-Wochenende in Wiesbaden und Mainz könnte man zum Entsetzen seriöser Opernfreunde zu dem Schluss kommen, dass Richard Strauss und Franz Lehár mehr miteinander zu tun haben, als man gemeinhin wahrnimmt. Während in Mainz der Bühnenbildner und Regisseur Johannes Schütz das subtile Spiel der Stilebenen der "Ariadne auf Naxos" zeitweise in arg repetitiven Sexualklamauk abgleiten lässt, entdeckt der junge Regisseur Christian von Götz am Staatstheater Wiesbaden die Melancholie der Wiener "Nervenkunst" in Franz Lehárs Operetten-Dauerbrenner "Die Lustige Witwe". Der Schluss ist von größter poetischer Intensität, hat aber den Haken, dass Hanna und Danilo sich sehr deutlich nicht "kriegen". Ist dies, neben vielen anderen Deutlichkeiten, die immer wieder mit bösen Zwischenrufen kommentiert werden, der Grund dafür, dass das Publikum von Götz und Gabriele Jaenecke (Ausstattung) gnadenlos ausbuht?

Dabei inszeniert der Regisseur mit guten Gründen gegen Zustände, die Volker Klotz in seinem richtungsweisenden Opus über die "unerhörte Kunst" der Operette vor zehn Jahren diagnostiziert hat: "Nur ein winziger Bruchteil der guten Operetten wird aufgeführt, und die werden meist jämmerlich unterfordert." Seitdem ist in Sachen Operette eine ganze Menge passiert. Man erinnert sich an den Skandal um die Dresdner "Csardasfürstin", als Peter Konwitschny die Handlung in die Schützengräben verlegt hatte. Freilich ist "Die lustige Witwe" auch schon vor Wiesbaden gegen den Strich gebürstet worden, so von Béjart 1963 in Brüssel oder von Harry Kupfer 1986 in Berlin.

Kitschentzug gibt es jetzt auch in Wiesbaden: Die lustige Witwe Hanna, von Gabriela Künzler in grandioser Mischung aus erotischem Temperament und distanzierter Verletzlichkeit gegeben, schwebt kaum erreichbar auf der Schaukel. "Ich hab' dich lieb - Du hast mich lieb!": Aber der schöne Danilo, dem Thomas de Vries die rechte amouröse Rastlosigkeit verleiht, erreicht am Schluss höchstens ihre Füße und macht sich bald auf den Weg ins Maxim, den Ort seiner Träume, der konsequent als puffrote Männerphantasie erscheint. Darin schwingen die Mädchen in spritziger Choreografie (Iris Limbarth) das Tanzbein, denn die Inszenierung ist trotz ihres im Programmheft formulierten und unter anderem mit Hofmannsthal-Texten unterstützten Anspruchs keine Kopfgeburt, sondern durch und durch effektvoll, vital, lebendig.

Das Auge kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus, wenn sich Danilos Lied ("Da geh' ich zum Maxim") in ein einsames, nur von einem Overhead-Projektor illuminiertes Nachtstück verwandelt, während der Brachialcharakter des Marsches ("Ja, das Studium der Weiber ist schwer") sozusagen am Objekt der Begierde demonstriert wird. Der Raum, den Christoph von Götz und Gabriele Jaenecke für ihre Sicht der Geschichte gefunden haben, zitiert wieder den Geist des Fin de Siècle: Die Halle des "Hotel Angst" in Bordighera. Hier gilt es, verschüttete Seelen-Schichten freizulegen.

Die latente Melancholie der Szene und die Unmöglichkeit der Liebe geht auf die traumatisch nachwirkende erste Begegnung zwischen Hanna und Danilo in der Vorgeschichte zurück: Danilo hatte aus Gründen der Familienräson einst die mittellose Hanna verschmäht. Diese Verletzung ist in Anziehung und Abstoßung der Liebenden stets präsent, bis hin zum bockigen Reiterduett, in dem der Puls der Musik kongenial in Bewegung umgesetzt wird. Das ist natürlich auch einem hervorragenden Ensemble zu verdanken, das vom Staatsorchester unter Enrico Delamboye mit Verve begleitet wird: Neben dem Haupt-Paar Gabriela Künzler und Thomas de Vries glänzen u. a. eine zauberhafte Thora Einarsdottir als Valencienne und Andreas Scheidegger als ihr Camille, Richard Panzner als Zeta und Franz Nagler als Njegus, Erik Biegel als Cascada und Thomas McAlister als St. Brioche.

Eine reife Ensemble-Leistung unter der Leitung von Catherine Rückwardt wird man auch die Mainzer "Ariadne" nennen können: Hohe vokale Beweglichkeit zeigt Janice Creswell als Zerbinetta, von der Würde der Kunst durchglühtes Arioso der Komponist der Patricia Roach. Der Seelen-Raum, den die Inszenierung mit einer weiten Halle in ganz ähnlicher Weise suggeriert wie die Wiesbadener Operetten-Produktion, wird in der Inszenierung von Johannes Schütz zwar weniger überzeugend ausgeschritten, ist aber in Elizabeth Hagedorns und Alexander Spemanns finaler Liebes-Apotheose ein Ort der fast schon spektakulären vokalerotischen Verwandlung. Alle Achtung, großer Beifall. Wenigstens ein Happy End an diesem Wochenende.

 

Allgemeine Zeitung
20.01.2003

Richard Strauss' Kammeroper "Ariadne auf Naxos" aus der Sicht des Regisseurs und Bühnenbildners Johannes Schütz
Auch die Putzfrauen sind reif für die Insel

Von Johannes Bolwin

"So lasset mich doch sterben! Oder was wollet ihr, dass mich jetzt stärke bei solch hartem Schicksal?" - düster, weltverzagt lässt Monteverdi seine Hauptperson im "Lamento d'Arianna" (1607) klagen, so dass selbst dem Herzlosesten ganz beklommen wird. Bei Richard Strauss, gut 300 Jahre später, geht das Stück, frei nach der wonneproppigen Zerbinetta, so: Eine Prinzessin wird von ihrem Bräutigam sitzen gelassen, und ihr nächster Verehrer ist vorerst noch nicht angekommen. Die Bühne stellt eine wüste Insel dar, auf der sich zufällig eine muntere Gesellschaft befindet.

Als fein schattiertes Seelendrama präsentierte Jossi Wieler "Ariadne" vor eineinhalb Jahren bei den Salzburger Festspielen; streng untergliedert, führten in der preisgekrönten "Oper des Jahres" die Satire des Vorspiels und das Trauerstück jeweils ein markantes Eigenleben. Alles verdunkelte sich, eine helle, optimistische Auflösung des Verwirrspiels war nicht in Sicht.

Am Mainzer Staatstheater zeigt nun Johannes Schütz (Regie, Bühne, Kostüme) im Kleinen Haus eine ganz andere Fassung. Wohl auch eine Spar-Fassung, denn vor allem die Ausstattung vertreibt jede Sinnesfreude. Der Einheitsort ist ein lieblos provisorisches, pseudo-modernes Irgendwo mit Durchgangshallen-Ambiente - reduktionistische Kargheit, die sich gegen das zarte Schweben und die Farbigkeit des Stoffes stellt, ohne Details zu erhellen. Man hat den Eindruck, dass es ständig zieht.

Dabei ist das Grundkonzept stimmig: Schütz verzahnt, dicht an Hofmannsthals Text-Intention entlang, die beiden Teile des Einakters aufs engste. Bezeichnend ist der Übergang: Nicht der Musiklehrer schaut dem entnervten, vor Zorn davon stapfenden Komponisten konsterniert nach, sondern die Primadonna. Und noch während der Komponist durch einen Vorhang abtritt, öffnet sich wie in einer filmischen Überblendung der Blick auf "die Insel": Die Arbeiter der Regievorlage verschwinden, und aus der eitlen Diva von eben wird nahtlos die vor sich hinbrütende Ariadne. Klug gemacht.

Am Ende entführt Bacchus die kindlich ergriffene Schöne. Doch das imaginäre Elysium ist hinter Holztüren versteckt. Radikal wird alles ausgeblendet, was auch nur entfernt nach Sternenflug, Sphärenwandel oder Höhlengleichnis klingen könnte. Ariadnes Heimstatt ist ein dröger Stuhl, und die Nymphen, das nebst einem Mini-Aquarium einzige Wasserrelikt, wandeln als real existierende, klokachelblau gewandete Putzkolonne daher. Statt in bunter Commedia dell'arte-Maskerade treten die Komödianten durchgehend als protzig-ordinärer, hantelnder Macho-Haufen in Erscheinung; Truffaldin (Rúni Brattaberg) ist ein grober, fastnachtstauglicher Falstaff-Verschnitt aus pinkfarbenem Kaubonbon mit blonder Dauerwelle und wanstigem Sumo-Ringer - derlei derbe, alles durch den Kakao ziehende Possen-Ästhetik passt hier kaum. Verlässlich immerhin und mit einer an ihre Elsa-Darstellung im "Lohengrin" erinnernden, leicht unterkühlten Reflektiertheit kleidet Elizabeth Hagedorn ihre dunkel timbrierte Titelpartie; sehr schön die Ensemble-Gesänge der drei Nymphen ("Töne, töne süße Stimme"). Solistischer Höhepunkt ist die Bravour-Arie der Zerbinetta, "Großmächtige Prinzessin": Janice Creswell singt diese hochanspruchsvolle Sopran-Arie mit clownesker, soubrettenhafter Geschmeidigkeit.

Die optische Tristesse, die über dieser Inszenierung liegt, hellt sich auch in der Begleitmusik nur bedingt auf. Manche sinfonische Aufwallung ebnet filigranes Rankenwerk ein, vor allem im quirlig-flotten Vorspiel. Deutlichere Piano-Abstufungen im von Catherine Rückwardt geleiteten Orchester könnten da helfen, nicht nur die glutvollen Melodiebögen etwa der Solo-Streicher und das aparte Instrumentarium, sondern auch den gesamten Wortwitz besser zum Zuge kommen zu lassen. So aber kämpft selbst der tapferste Komponist trotz beachtlicher stimmlicher Kapazitäten (Patricia Roach als Gast) auf verlorenem Posten. Wie im Stück.

Aufführungen: 20., 29. Januar. Karten: Tel. (06131) 2851-222.

 

Darmstädter Echo
29. Januar 2003

Oper: Johannes Schütz inszeniert „Ariadne auf Naxos" von Richard Strauss im Staatstheater Mainz und versetzt die Figuren in die derbste Trivialität unserer Gegenwart
Im Warteraum der Gefühle

Von Siegfried Kienzle

MAINZ. Ironie und Witz, Spiel mit den Brüchen zwischen Burleske und Tragödie, Bildmagie und traumhafte Verzauberung - so hat man dieses Opernkleinod in Erinnerung; ein reicher Mäzen befiehlt, dass sein Auftragswerk mit der Klage der verlassenen Ariadne gleichzeitig aufgeführt wird mit der Posse um Zerbinetta und ihre balzenden Liebhaber.

In seinem Libretto hat Hugo von Hofmannsthal in der melancholischen Rückschau als Bildungsbürger die Figuren mit theaterhistorischen Zitaten angereichert und eine Selbstreflexion des Genres Oper über ihre eigenen Grenzen angeregt. In Mainz hingegen versetzt die Regie von Johannes Schütz die Figuren in die derbste Trivialität unserer Gegenwart: das sanfte Nymphenterzett (Kerrie Sheppard, Sonja Gerlach, Edith Fuhr) sind diesmal Putzfrauen, die mit Gummihandschuhen und Desinfektionsflaschen hantieren. Die Buffofiguren aus der Commedia dell’arte kommen als halbnackte Muskelpakete aus der Welt der Catcher. Rot angestrahlt wie in einer Sex-Show demonstrieren sie ihre Männlichkeit und reißen in der Hatz nach Zerbinetta dem Lustobjekt die Strumpfhose vom Leib, während Richard Strauss als musikalische Leihgabe aus dem „Rosenkavalier" den Mariandl-Walzer aufrauschen lässt. Die Ankunft des Bacchus wird als Schlagzeile aus der Zeitung verkündet. In dieser Inszenierung hat die Jetztzeit Strauss gründlich niedergewalzt.

Schütz begann als Bühnenbildner und verweigert sich offensichtlich jeder Versuchung, optisch zu verzaubern. Für das Vorspiel baut er einen leeren schwarzen Warteraum, spärlich erhellt von einer nackten Glühbirne. Ohne Pause schließt die Oper an das Vorspiel an – dafür öffnet sich der Hintergrund und zeigt wie ein Spiegelbild nochmals den gleichen Raum, nur in klinischem Weiß gestrichen; erneut baumelt eine einsame Glühbirne in die Szene. Eine Stuhlreihe an der Seitenwand, ein Lehnstuhl in die Mitte.

Darin kauert Elizabeth Hagedorn als Ariadne und steigert ihren Verzweiflungsmonolog zur Psychostudie einer Wahnsinnigen. Zerbinettas Überredungskünste und die Schlussszene mit Bacchus, der sie zu neuer Liebe ins Leben zurückführt, wirken wie die sachlich abgestimmten Schritte einer Therapie. Hagedorn, die im Vorspiel mit Einkaufstüten einer Boutique hereingeschneit kam, füllt expressiv und strahlend die elegischen Legato-Bögen. Alexander Spemann (Bacchus) schlendert zum Erlösungswerk herbei als derangierter Partylöwe und bewältigt kraftvoll die tenoralen Höhenflüge. Mit Leder-Mini und Kulleraugen zeigt Janice Creswell die Zerbinetta als Flittchen. Virtuos zwitschert sie ihre große Arie. Darstellerisch einprägsam der Komponist von Patricia Roach. Mit unruhiger Stimmführung bleibt Roach der Figur musikalisch allzu viel schuldig. Weiblich besetzt ist diesmal der Haushofmeister: Margit Schulte-Tigges näselt ihre Direktiven hinter der Zeitung hervor.

Catherine Rückwardt fächert das Linienwerk der Partitur kammermusikalisch auf. Mal spottend, dann wieder emphatisch pointiert sie die Handlung. So verhilft das Orchester dem subtilen Reiz und dem Doppelsinn dieses Werks wieder zu seinem Recht.

Weitere Aufführungen heute (29.) sowie am 2., 4., 9., 11., 16., 18., 23. und 25. Februar.