Das Vexierbild eines Verlorenen Von GERHARD R. KOCK Der Komponist Roman Haubenstock-Ramati hat in seiner Kafka-Oper „Amerika" die Szenenfolge nicht exakt festgelegt, sondern ließ „aleatorische" Ad-hoc-Positionsverschiebungen ausdrucklich zu. Er begrundete these Dramaturgie nicht nur mit dem Hinweis auf die „offen" bleibende Anlage des Romans, sondern auch autobiographisch: Sein (Uber-)Leben sei durch so viele absurde Zufälle bestimmt worden; irgendeine Planmäßigkeit könne er beim besten Willen nicht erkennen. Er hat damit quasi ein Credo geliefert: Das lineare Erzähltheater bleibe mehr oder minder eine Lüge gegenüber Chaos und Unheil der Geschichte. Doch selbst wenn man Kunst nicht so politisch versteht, ist evident, daß das neue, radikale Musiktheater der Darstellbarkeit einer fortlaufenden, in sich sinnstiftenden Handlung auf der Basis eines literarischen Textes mißtraut. Zumindest erfährt die „Literatur-Oper" Wellen von Ablehnung and widerstrebender Anerkennung. Und gerade bei literarischen Figuren wie Vorlagen wahren manche Komponisten entschieden Skepsis gegenüber der Vorstellung, ein Text liege sich narrativ bebildern, ein Verlauf nachstellen oder auch nur wörtlich vertonen. Peter Ruzicka, Intendant der Salzburger Festspiele and als Leiter der Münchner Biennale mit Tendenzen wie Vertracktheiten der musikalischen Theater-Avantgarde innig vertraut, hat sich für sein erstes Bühnenwerk eine Situation zwischen Scylla and Charybdis gesucht. Eine Zentralfigur für ihn ist seit je Paul Celan gewesen, der rumänisch-jüdische Lyriker, der deutsch schrieb, in Paris lebte und dort 1970 seinem Leben, vielfach verzweifelt, ein Ende setzte. Ruzikka hat ihn kurz vor seinem Tod noch kennengelernt, schon lange vorgehabt, sich ihm musiktheatralisch zu nähern, doch ist vor zwei Gefahren zurückgezuckt: der vertonten Biographie wie der vertonten Lyrik - der gar kolportagehaft nachgezeichneten Vita wie der tonend nachempfindenden Verdopplung der Gedichte. Das eine schien ihm zu trivial, das andere unmöglich, zumindest unergiebig, wenn nicht kontraproduktiv. Am konsequentesten ist er der zweiten Klippe ausgewichen: LyrikKomposition findet nicht statt. Doch das Leben eines Verlorenen erscheint auf der Bühne reflektiert, wenn auch als Vexierbilt. Der Regisseur Peter Mussbach hat den Text für „Celan" geschrieben, ein „Musiktheater in sieben Entwürfen". So wie Brecht theatralische „Versuche" als Gegenentwurf zum großen Uberwaltigungs-Theater präferierte, so sieht Ruzicka in den „Entwurfen" auch das Bekenntnis zum Fragmentarischen, das Eingestandnis, daß das große, „rundum gelungene" Kunstwerk nicht mehr möglich ist, zumal bei einem solch deprimierenden Sujet. Kaleidoskop-, ja puzzlehaft springen die bald vierzig Kurz-Szenen der sieben „Entwürfe" vorund rückwärts durch Zeiten und Raume, spielen mal in Bukarest, mal in Paris, mal in Deutschland, auch dem heutiger Neonazis. Bei allem filmschnittartigen Kürzelcharakter mancher „Einstellungen" entsteht dock so etwas wie ein biographisches Porträt: Der junge, gutaussehende Frauenfreund, der an seinem Schuldgefühl, nicht genügend für die Rettung seiner Eltern vor dem Holocaust getan zu haben, Leidende, der von Claire Golls Plagiatsprozeß gegen ihn unrettbar Gekränkte, die Unentrinnbarkeit des Erinnerns an Auschwitz, das Entsetzen über die „Schwamm drüber"-Mentalität, schließlich der Sprung in die Seine addieren sich im Kopf zum Bild des Hoffnungslosen. Das Werk ist symmetrisch angelegt, der vierte Entwurf („Das Grauen - bildlose Welten ferner GewiBheit") bildet die Achse als erratisches Chortableau einzig über das Wort „Jerusalem". Musikalisch ist vieles unerhört eindringlich in der weiten Fächerung unversöhnlicher Klang-Attacken mit viel Schlagzeugrepetitionen, die mitunter martialischer klingen, als es Ruzickas sonstigem Stil entspricht, bis hin zu mahlerschen „Abgesangs"-Gebärden, für die dann auch D-Dur, a-Moll and cis-Moll zitiert werden.
„Celan", vor genau zwei Jahren an der Dresdner Semperoper kreiert, erfuhr nun eine eindringliche Zweitaufführung im Staatstheater Mainz. Hatte in Dresden Claus Guth Licht and Schatten auch als Realitäts-Reflexe verteilt, bis in die vorgesehenen Filmeinspielungen, so hat nun Gottfried Pilz die dunkle Abstraktion vorgezogen, sogar ein Maler-Vorbild anklingen lassen: Mark Rothko. Schwarz bleibt die Bühne, im magischen Quadrat, mal weiß, mal blutrot, stehen immer wieder die Figuren. Wände verschieben sich à la Poe, eine Fahrplantafel fängt an kinetisch zu flimmern, kopfüber Fallende werden zu Baselitz-Sequenzen, die Finsternis vereinheitlicht Figuren and Konstellationen, auch im Video, entfaltet fatalistische Sogkraft: Der Abgrund der Geschichte reicht unversöhnt bis heute. Celan, dreigespalten als Knabe, Dreißigjähriger (Vadim Volkov) and Fünfzigjähriger (Richard Salter), wird über alle Identifikations-Skepsis zur Zentralfigur. Auch die zahlreichen anderen Partien sind plastisch besetzt. Unter Catherine Rückwardt agierte das Orchester engagiert, wuchtig and gegen Schluß auch immer zarter. Doch war dies nicht nur eine große Leistung des Mainzer Staatstheaters, sondern verdankte sich auch der Koproduktion mit dem Darmstädter Staatstheater. Die Chöre beider Häuser wirkten zusammen. Auch als Zusammenwirken über Landesgrenzen hinaus, gemeinsam mit der Initiative Metropolitana Rhein-Main, hat die Arbeit Modellcharakter. |
31.3.2003 Multimediales Grab in den Lüften Von Bernhard Uske Celan vertonen - eine mit Klängen untermalte Todesfuge oder musikalisierte "Silbenasche" ? Peter Ruzicka hat uns mit seinem 2001 in Dresden uraufgeführten musikdramatischen Werk den Schauder erspart, der einen ob des Gedankens an klingende Celan-Literatur nahezu automatisch überläuft. Entstanden ist mit Celan - Musiktheater in sieben Entwürfen keine Celanliteratur-Veroperung, sondern ein Künstlerdrama, das auf die abgewandte Seite der Lyrik, auf biografische Umstände und lebensgeschichtliche Zwänge des durch Selbstmord ums Leben gekommenen Dichters abzielt. Das tut es im übrigen nicht als eine tönende Chronologie, die im November 1920 in Czernowitz beginnt und im April 1970 mit dem Sprung vom Pont Mirabeau in die Seine endet, sondern als ein Patchwork aus kurzen Handlungsfäden und Tableaus - teils in Vor- und Rückgriffen, teils in Zeitüberlagerungen. Das Libretto hat der Regisseur Peter Mussbach verfasst und dabei Abstand davon genommen, die Opernhauptfigur in Celan-Versen reden und singen zu lassen. Gleich zwiefach wird Celan von Mussbach in Szene gesetzt: als 30- und 50-Jähriger, der sich als Opfer deutscher Gemütszustände erfährt. Die doppelgängerische, von schizophrener Atmosphäre umfangene Persönlichkeit, die nicht nur im disparaten Umgang mit Frau und Geliebter, sondern auch mit sich selbst entzweit ist und sich in Paranoia und Anerkennungskonflikten bewegt, ist der beachtlichste Teil des Texts, dem holzschnitthafte, platte Täter-Opfer-Dialoge und -Szenen immer wieder den Rang ablaufen. Dabei hat sich Gottfried Pilz bemüht, die ob ihres logistischen Aufwands gemeinsam von den Staatstheatern Mainz und Darmstadt bewerkstelligte Produktion, die einen üppigen Chor, zahlreiche Solisten, ein umfängliches, schlagzeugbewehrtes Orchester und mancherlei multimediales Knowhow erfordert, nicht ausufern zu lassen. Bei den von Ruzicka geforderten vielen Filmeinblendungen zu Themen wie Krieg, Flucht, Liebe hat man sich in Mainz auf chiffrenhafte Computeranimation, die den gesamten Bühnenbereich umfaßt, beschränkt (perfekt realisiert von Gabor Prusci, Mark Gläser und Mirko Belbez). Wie kräftige Regenschauer rieseln Schreibmaschinentypografien hernieder, zoomen sich wie auf einer Bogner-Schaukel stereotype Körper bedrängend den Zuschauern entgegen, entweichen die realpräsenten Bühenakteure als Körperschatten gleich einem Himmelfahrtskommando ins offene Nichts des Schnürbodens zum "Grab in den Lüften". Hier, dank des medialen Abstraktionsniveaus ganz unpeinlich, wurden trotz aller sonstigen Lyrik-Abstinenz dann doch noch Verbindungen zum ästhetischen Ausdruck Celans gegenwärtig - zu eben der Todesfuge oder der Himmelschlucht, wo die "Himmelswracks" "mit erdwärts gesungenen Masten fahren". Die operale Mainzer Multivision ging allerdings zu Lasten dessen, was auf dem kargen Boden der requisitenlosen Bühnenrealität sich abspielte, denn dort, wohin sich normalerweise alle Aufmerksamkeit richtet, war angesichts der bewegten Großbilder der sinnbeeindruckende Radius vergleichsweise klein und, angesichts der Kürze der Szenen, die oft schemenhaft und bloß gesetzt wirkten, ohne Möglichkeit, sich intensivieren zu können. Erst gegen Ende gelang es einigen der Protagonisten, über ihre Funktion als bloße Ideen- und Rollenträger hinauswachsen, bekamen sie ein spezifisches Profil, das mehr war als lediglich Dokumentation der musiktheatralischen Rasterfahndung, die auf Zerrrüttung, Entfremdung, Gewalt aus war. Besonders die Celan-Frauen Christine, Hilde und Rahel (mit schönen Stimmen Patricia Roach, Kerrie Sheppard und Sonja Gerlach) sowie die beiden Celan-Sänger Richard Salter und Vadim Volkov konnten so schließlich doch noch einen nachhaltigen Eindruck vermitteln. Der schwarze Bühnenkasten bot harte Lichtkontraste, wobei von den Celan-Farben nur scharz weiß und rot dominierten, wozu jedoch viel Gelb (Judenstern und Feuer?) kam. Die Wände wie auch der Boden waren in vielfältigen Bewegungen des sich Öffnens, der trichterförmigen Verengung, der mauerhaften Abriegelung begriffen. Von erratischem Pathos die große Chor-Exklamation etwa in der Mitte des Stücks, wo sich das Sch'ma Jisroel aus Arnold Schönbergs Ein Überlebender aus Warschau als das Vorbild einer Art monströsen ruzickaschen Monumentum pro Celan erwies. Die wie in einer Vernichtungszelle dichtgedrängt stehenden Staatstheaterchöre Darmstadts und Mainz' realisierten hierbei eine an Wucht und düsterer Strahlkraft schwerlich zu überbietende Manifestation, die in dem Wort "Jerusalem" gipfelte. Bei einer anderen Szene, wo es im Text um Gas und Gewalt ging, durften dann natürlich einschlägige Wagner-Intonationen nicht fehlen. Großartig und vom Publikum berechtigterweise mit dem stärksten Beifall bedacht: die Leistung aus dem Orchestergraben, wo Ruzickas Partitur so etwas wie avantgardistisches Heavy Metal bot. Der Abnützungseffekt des Dauer-Bruitismus hielt sich allein deshalb in Grenzen, weil Catherine Rückwardt mit dem pausenlos geforderten Philharmonischen Orchester des Staatstheaters Mainz eine Klang- und Rhythmusprägnanz gelang, die einen mit artistischer Aufmerksamkeit in das gut zwei Stunden währende Opernleben Paul Celans einband. • Nächste Termine am 6., 15., 17. und 29.4. jeweils 19.30 Uhr; Tel. 06131/ 2851-222. [ document info ] Dokument erstellt am 30.03.2003 um 17:45:05 Uhr Erscheinungsdatum 31.03.2003 URL: http://www.fr-aktuell.de/ressorts/kultur_und_medien/konzertkritiken/?cnt=184517 |
Die Oper "Celan" von Peter Ruzicka hatte am Mainzer Staatstheater Premiere. Die Sprache der Mörder Von Rudolf Jöckle Fast genau zwei Jahre nach der Dresdner Uraufführung ist dies die erste Inszenierung dieses Werks, zweifellos ein bedeutendes Engagement in der "Provinz" und nicht genug zu preisen. Freilich: Aus eigener – finanzieller – Kraft allein hätten es die Mainzer nicht geschafft. So kooperierten sie mit dem Staatstheater Darmstadt, das in gleicher Besetzung am 12. Juni Premiere feiert. Ruzicka – auch Librettist zusammen mit Peter Mussbach – erzählt hier nicht einfach die Geschichte des Dichters Paul Celan, der erfahren musste, dass seine Eltern im KZ umgebracht wurden, während er als Zwangsarbeiter in Rumänien überlebt. Als Überlebender fühlte Celan sich zeitlebens schuldig. Und geblieben ist für ihn der unlösbare Zwiespalt, dass er weiter in seiner Muttersprache, also der Sprache der Mörder seiner Eltern, dichtete, auch in Paris, wohin er nach dem Krieg geflohen war. Im April 1970 machte er seinem Leben ein Ende. Kurz davor war Peter Ruzicka dem Dichter noch begegnet. Der "Stoff" lies ihn nun nie mehr los. "Celan" formte er zu sieben "Entwürfen" als Reflexionen, Spiegelungen, als Erinnerungsplätze quer durch die Zeiten. Im Zentrum, also Entwurf 4, steht "Das Grauen – bildlose Welten ferner Gewissheit", die künstlerische Darstellung des Holocaust, ohne Text, in dichter Weise abstrahiert. Man hört nur das dreifache "Jerusalem" des Chors, der kompakt und fast verborgen steht, während die schier gewalttätige Musik des Auftakts die Szene durchdringt . Diese von der großen Perkussion bestimmten Ausbrüche bis zur Schmerzschwelle, von langen Klanglinien eingerahmt, durchziehen ohnehin das gesamte Werk, sie erscheinen wie Äußerungen des Zorns, einer schier wütenden Trauer, auch der Ohnmacht. Die Szene stemmt sich nicht dagegen, sie schreit nicht mit, sie "unterläuft" die Musik eher. Regisseur Gottfried Pilz, zudem auch als Ausstatter und für Licht- und Farbenkonzepte verantwortlich, hat sie unaufgeregt entwickelt, fasslich, freilich nie realistisch. Der offene und dunkle Bühnenraum passt sich durch die sich verschiebenden Wände, durch deren immer neue Gliederungen (bisweilen fährt auch der Bühnenboden hoch) den Situationen an, so, wie das eindrucksvoll gesteuerte Licht auf die Situationen reagiert, eine Ordnung, in der sich auch die filmischen Einblendungen – mit einem gewaltigen Himmelssturz des Menschen – sicher einfügen. Mühelos und schlüssig vollziehen sich so die ständigen Übergänge, führen zu immer wieder eindrucksvollen Momenten auch dank des plastischen Spiels der Sängerinnen und Sänger: Wobei fast durchweg (Ausnahme: Celans einsame Ehefrau Christine im leisen, dunkel-poetischen Finale) Sprechgesang herrscht. Die Begegnung Celans mit dem zwielichtigen Ober – Wartesaal in Deutschland, Kaffeehaus in Bukarest – , auch die des 50-jährigen Celan mit sich selbst als 30-Jährigem, die heute noch sehr nahe Szene der Leute im Kino, die sich beschweren, dass sie Bilder von diesen "alten Geschichten" nicht mehr sehen könnten, seien als anrührende szenische Momente hervorgehoben. 20 Solopartien nennt das Programm. Überragend Richard Salter als Celan, er findet sicher die Linie zwischen Not und Hoffnung, Leichtigkeit in der Begegnung mit den Frauen und dem unentrinnbaren Leid. Eindrucksvoll geschlossen wirkt das Ensemble, Vadim Volkov als jüngerer Celan, Patricia Roach als Christine und Hans-Otto Weiß als Ober seien besonders erwähnt. Catherine Rückwardt hielt das Philharmonische Orchester Mainz in steter Hochspannung, führte es leidenschaftlich und mit erstaunlicher Präzision. Nicht weniger beeindruckend bewältigten die vereinigten Chöre der Oper von Mainz und Darmstadt ihren schwierigen Part. Gemessen auch an den Längen, die sich dennoch einschlichen, eine bewundernswerte Gesamtleistung. Einige gingen vorzeitig, am Ende starker Beifall. |
Schreiben, um zu sterben Premiere in Mainz: Peter Ruzickas Musiktheater „Celan" als Koproduktion der Staatstheater Mainz und Darmstadt Von Klaus Trapp MAINZ. In sieben „Entwürfen" umkreisen Peter Mussbachs Libretto und Peter Ruzickas Musik die Figur des Dichters Paul Celan. Sie bilden die Anfechtungen und Verfolgungen eines Künstlers ab, den die Erinnerung an den Holocaust, dem seine Eltern zum Opfer fielen, und das Gefühl dauernder Verfolgung in den Selbstmord treiben. Diese zweite Inszenierung von „Celan" – nach der Uraufführung am 25. März 2001 in der Dresdener Semperoper unter Marc Albrecht – im Staatstheater Mainz betont die Ausweglosigkeit einer Situation, in der sich der aus Rumänien stammende jüdische Lyriker im Paris der sechziger Jahre befand. Gottfried Pilz, der bei der Koproduktion der Staatstheater Mainz und Darmstadt Regie führte und zugleich die Ausstattung sowie das Licht- und Filmkonzept entworfen hatte, lässt die über vierzig kurzen Szenen vor schwarzem, kahlem Hintergrund wie Momentaufnahmen wirken, in denen sich blitzartig die Begegnungen Celans mit seiner Umwelt und mit sich selber abzeichnen. Immer wieder erhellen Videoprojektionen das Geschehen, das auf einen durchgängigen Handlungsfaden verzichtet. Da rieseln Buchstaben herab, die zu jenem Fahrplan gerinnen, der für die Flucht des Dichters von Wien nach Paris steht. Da lodern Flammen auf, Menschen werden durch das Dunkel gewirbelt, und Filmausschnitte flimmern über die Leinwand. Pilz betreibt eine Kunst der symbolischen Anspielungen, die auch in den sich rasch verändernden Räumen sichtbar wird: Die Wände sind verschiebbar, schmale Türen öffnen und schließen sich, die Ebenen fahren auf und ab, als sei die Welt aus den Fugen. Pilz lässt Platz für die Musik Peter Ruzickas, die sich mittels drastischer, fast schon plakativer Mittel in die Ohren bohrt. Da attackieren schneidende Blechbläserklänge und donnernde Paukenwirbel fanfarenartig den Zuhörer, flirrende hohe Streichertöne deuten die fortwährende Peinigung des Dichters an, tickende Ostinati stehen für die wachsende innere Bedrohung des Schriftstellers. Solche Klänge erhalten fast leitmotivische Bedeutung, wenn sie in den sich variativ wiederholenden Szenen an früher Gehörtes anknüpfen. Darin liegt auch eine Gefahr, denn im zweiten Teil des Werkes führen die fragmentarischen Wiederholungen – vor allem in „Entwurf 5" – zu einer gewissen Ermüdung. Die letzte Szene gewinnt wieder an musikalischer Dichte, wenn Christine, Celans Frau, allein zurückbleibt und eine weit ausgreifende Streicherkantilene zugleich Schmerz und Verlassenheit signalisiert. Die Regie lässt dazu ein Video laufen, in dem allmählich, wie von Geisterhand gezeichnet, eine abstrakte Grafik von Gisèle Celan-Lestrange, der Ehefrau des Dichters, entsteht; der Titel „Rencontre – Begegnung" wirft ein letztes Licht auf das Verhältnis Celans zu den Menschen um ihn. Catherine Rückwardt, Mainzer Generalmusikdirektorin, führt das Philharmonische Orchester des Staatstheaters Mainz sicher durch die vertrackte Partitur, die neben dem traditionellen Instrumentarium ein großes Schlagzeugaufgebot verlangt, und sorgt vor allem für starke Schlagkraft in den dramatischen Szenen und farbiges Aufleuchten in den knapperen lyrischen Abschnitten. Durchweg achtet sie auf eine ausgewogene Balance zwischen Bühne und Graben. Im Zentrum der Oper steht als „Entwurf 4" jene Szene, in der die Koproduktion der beiden Bühnen am deutlichsten wird: Die Chöre der Staatstheater Mainz und Darmstadt, einstudiert von Sebastian Hernandez-Laverny und André Weiss, gestalten gemeinsam einen weit ausgreifenden Gesang, der aus Aufschrei und Klage sich zusammenfügt, gegründet auf das eine Wort „Jerusalem", das litaneiartig wiederholt wird. Gerade die statuarische Aufstellung des Chores auf dunkler, nur durch langsam aufsteigende Lichtbänder erhellten Bühne macht die packende Wirkung dieser Szene aus, die auf den Holocaust anspielt. Der zwischen glückhaften Momenten und Phasen tiefer Verzweiflung schwankende Dichter, der „schreibt, um zu sterben", ist in dieser Oper in zwei Figuren unterschiedlichen Alters aufgespalten. Der Bariton Richard Salter als etwa 50 Jahre alter Celan zeichnet die Stimmungsumschwünge überzeugend nach, ohne je zu übertreiben. Salter, ein Spezialist für die Neue Musik, singt sauber und flexibel zugleich, er spricht vorzüglich, so dass die eingeblendeten Übertitel für seine Person fast entbehrlich sind, und er verleiht seiner Rolle enorme szenische Präsenz. Sein jüngeres Spiegelbild, der etwa 30 Jahre alte Celan, ist Vadim Volkov, der vor allem in den Begegnungen mit dem älteren Ich seine stimmliche und körperliche Gewandtheit einbringt. Der zwielichtigen Figur des Kellners, des „Mannes, der immer wiederkehrt", gibt Hans-Otto Weiß das unheimliche Profil; er vertritt gleichsam die Stimmen jener, die Celan verfolgen und in den Tod treiben. Weniger deutlich sind die Frauengestalten charakterisiert, die dem Dichter in rasch wechselnden Situationen begegnen. Patricia Roach als seine Frau Christine gewinnt zumal im expressiven Schlussbild sängerisches Gewicht. Kerrie Sheppard als Hilde, „die schöne junge Deutsche", und Sonja Gerlach als Rahel, „eine Jugendfreundin", bleiben schon von der Anlage des Librettos her blasser. In vielen weiteren, kleineren Rollen zeigte das Mainzer Ensemble, dass es sich auf neue Aufgaben zwischen Oper und Schauspiel, wie sie Ruzickas „Musiktheater" erfordert, prägnant einzustellen vermag. Diese zweite Inszenierung von „Celan" bewies jedenfalls, trotz einiger Längen, die Lebendigkeit und Zeitnähe eines Unternehmens, das bewusst gegen das Vergessen antritt. Das Premierenpublikum feierte nach gut zwei Stunden einhellig die Akteure, das Leitungsteam und besonders auch den anwesenden Komponisten. Weitere Aufführungen in Mainz am 6., 15., 17. und 29. April, am 28. Mai, 1. Juni sowie am 6. Juli, jeweils um 19.30 Uhr. In Darmstadt finden bei freiem Verkauf nur zwei Vorstellungen statt: am 12. und 14. Juni, ebenfalls um 19.30 Uhr. |
31.03.2003 Premiere am Mainzer Staatstheater: Peter Ruzickas "Celan" In bildlosen Welten Von Axel Zibulski Nur ein einziges Wort ruft der Chor. Wieder und immer wieder: "Jerusalem!" Es ist die zentrale Szene in Peter Ruzickas Musiktheater "Celan". "Das Grauen - bildlose Welten ferner Gewissheit" ist sie überschrieben. Und die "bildlosen Welten", eine Annäherung an den Holocaust, erschüttern als Theater, das allein aus Musik besteht: Das Orchester brandet immer wieder auf, drei Hammerschläge erklingen, wie sie seit Gustav Mahlers sechster Sinfonie untrennbar mit unaussprechlichem Grauen, mit Vernichtung verbunden sind. Diese Szene bildet den vierten von insgesamt sieben "Entwürfen", aus denen Peter Ruzickas erstes Werk für die Opernbühne besteht. Vor zwei Jahren hat die Semperoper Dresden "Celan" in der Regie von Claus Guth uraufgeführt. Am Staatstheater Mainz wagte nun Gottfried Pilz die zweite Inszenierung des schwierigen und aufwändigen Werks; das Darmstädter Theater hat sich daran am sichtbarsten mit der Bereitstellung seines Opernchors beteiligt. Ruzickas Oper ist keine tönende Biografie des Dichters Paul Celan, dem der Komponist kurz vor dessen Tod noch persönlich begegnete. Vielmehr kehren biografische Augenblicke stets wieder: Ein Kaffeehaus in Bukarest, wo der Dichter erste literarische Erfolge feierte, ein deutscher Wartesaal, eine Pariser Brücke als mutmaßlicher Ort von Celans Feritod im Jahr 1970. Wie in einer Fugen-Form (Todesfugen-Form?) wiederholen sich diese Spielorte bei abgewandeltem Geschehen. Die eigene Bühnenausstattung von Regisseur Pilz bleibt dabei sparsam und abstrakt genug, um die filmschnittartigen Zeitsprünge realisieren zu können: Gleich zweifach tritt dabei der Dichter selbst auf: Im Jahr seines Todes (von Richard Salter vor allem spielerisch glaubhaft gezeichnet) und als junger Mann (mit balsamischen Tiefen: Vadim Volkov). Nach dem zentralen vierten Entwurf treffen beide zusammen, miteinander im Streit. Mit der formalen Anlage der Oper korrespondieren in Mainz die wiederkehrenden filmischen Einblendungen. Eine brennende Seite eines Eisenbahn-Kursbuchs, surreal auf- und abgleitende Schattenrisse menschlicher Körper etwa. Hingegen stehen in anderen Szenen, in denen Peter Mussbachs Libretto filmische Umsetzungen verlangt, die leibhaftigen Bühnenfiguren im Vordergrund: Celan selbst, vor einem weißen Licht-Quadrat, in der Flucht-Szene des ersten "Entwurfs", seine deutsche Geliebte Hilde in der Liebes-Szene des zweiten. Kerrie Scheppard verkörpert diese Figur ebenso tadellos wie Sonja Gerlach die Partie von Celans Jugendfreundin Rahel und Patricia Roach die seiner Ehefrau Christine. Unter den zahlreichen anderen Solisten ist vor allem der glaubhaft dämonische Hans-Otto Weiß ("Der Mann, der immer wiederkehrt") zu nennen. Das Publikum, manche haben das Theater schon während der pausenlos zweistündigen Aufführung verlassen, spendet dem anwesenden Komponisten kaum, dem Regisseur Gottfried Pilz einige, der Dirigentin Catherine Rückwardt zahlreiche "Bravo"-Rufe. Dies ganz zurecht, denn Rückwardt hat die fiebrige, schlagzeugsatte Partitur Ruzickas mit dem hellwachen Mainzer Orchester aufreibend umgesetzt - und am Ende mit dem exakt durchformten Streicher-Abgesang von Mahler'scher Adagio-Schönheit einen bewegenden Schlusspunkt gesetzt. |
31.03.2003 Psychogramm eines Schuld- und Holocaust-Traumas: Peter Ruzickas Oper "Celan" am Staatstheater Mainz/Kooperation mit der Oper Darmstadt Von Johannes Bolwin Starker Tobak! Keine Handlung - dafür albtraumhafte Fetzen, visionäres, gehetztes Flackern, Bewusstseinsfragmente. Nichts, was an Melodie erinnert - dafür über zwei pausenlose Stunden lang bizarre Klänge aus Regionen jenseits der Musik. Klänge, die mit metallischer Schärfe, maschinenhaftem Rasseln und entfesselter Urgewalt über das Publikum hinwegrauschen. Zurück bleiben weiße, leere Flächen und ein Gefühl von lähmender Beklommenheit. Peter Ruzickas Oper "Celan", ein Musiktheater-Zyklus in sieben Entwürfen, verlangt dem Publikum viel ab; nicht nur gedankliche Konzentration und ein großes Vorwissen, etwa mit Blick auf die Plagiatsaffäre, der sich der Dichter Paul Celan (1920-1970) ausgesetzt sah. Hoch ist die generelle gedanklich-künstlerische Abstraktion. Nein, dieser "Celan" ist nicht unterhaltsam, mit Sicherheit auch nichts für jeden Geschmack. Aber das ist auch nicht die Aufgabe moderner Theater-Regie, die zum Glück in Mainz obwaltet. Hilfreich sind die deutschen Übertitel, auch wenn Peter Mussbachs fragmentarischer Text eher zum Rätselhaften neigt. Dem gegenüber steht freilich eine teils drastische Konkretheit, etwa gleich zu Beginn, der einen handgreiflichen Celan zeigt: "Was wollen sie von mir? Lassen Sie mich!" - "Na hören Sie mal" - Celan: "Ich soll diesen Mann lassen? Er hasst Juden!" Wie ein gigantischer, schroff klirrender Totentanz mutet die Musik an. Spiralförmig umkreist sie die vielschichtige Figur des Dichters, der, von komplexen Schuldgefühlen gejagt, 1970 seinem Leben ein Ende setzte. Immer wieder werden auf engstem Raum Energien angestaut, die sich abrupt entladen. Unheilvoll pocht im Untergrund das markante, leitmotivische "B-A-C-H"-Zitat. Zusammen mit der ausgeprägten Chromatik und der clusterartigen, Blitzen gleich in extremste Dynamik- und Tonlagen-Gefilde ausbrechenden Klanggestaltung ergibt sich der prägende Grundakkord. In einer gewaltigen, fast überdehnten Chorpassage (Theaterchöre aus Darmstadt und Mainz) ballt sich alles zu kaum steigerungsfähiger, betäubender Intensität. Zynisch klingt angesichts dieser Wucht die himmlische, endloses Blau vorgaukelnde Celesta. Peter Ruzicka präsentiert die Summe dessen, was Neue Musik gegenwärtig beinhalten kann. Dabei kommt dem illustren, aus privilegierter Position heraus komponierenden Leiter der Münchner Biennale und der Salzburger Festspiele zweifellos zugute, dass er aufgrund seiner Funktionen seit Jahren engsten Kontakt zur internationalen Kunst-Elite hat. Gefördert hat Ruzicka nicht nur einen Rihm oder Lachenmann, gelernt hat er nicht nur von Henze. In Regisseur Gottfried Pilz steht ihm ein virtuoser Licht- und Filmdramaturg zur Seite: Die teils betörend schönen, teils verstörenden Videosequenzen grenzen mitunter an Zauberei; es öffnen sich magische Türen zu tief liegenden Bewusstseins- und Wahrnehmungsfeldern. Etwa wenn Schatten plötzlich ein von den Personen losgelöstes, gespenstisches Eigenleben entfalten. Oder wenn sich eine klobige Grobrasterung allmählich zum Bild Paul Celans verdichtet, das aber im Zuge des stetigen Fusionsprozesses seinerseits schrumpft, bis es jäh von der Bildfläche verschwindet, also im eigenen Bild untergeht. Großen Anteil am Erfolg der mit Spannung erwarteten, von der Mainzer Generalmusikdirektorin Catherine Rückwardt souverän geleiteten Mainz-Darmstädter Opern-Kooperation haben die stark geforderten Musiker. Das Mainzer Philharmonische Orchester spielt agil, vital, dynamisch und mit selten erlebter Elastizität. Aus der stattlichen Solisten-Riege ragen Richard Salter und Vadim Volkov (Celan 1, 2), Patricia Roach (Celans Frau Christine), Kerrie Sheppard (Hilde, eine junge Deutsche) und Sonja Gerlach (Rahel, eine Jugendfreundin Celans) heraus. Im eisigen Hauch winterlicher Poesie, vielleicht die schönste Sequenz der Oper, endet diese trotz vereinzelter Längen packende, ungewöhnliche Ton-Bild-Komposition: Christine, Celans Frau, taumelt umher, auf der Suche nach einem Haltepunkt, nach einer Spur ihres Mannes. Rätselhaft, was sie rezitiert: "Die Sonne gelb, der Himmel weit. Die flaue Aue, das wilde Reh - sie weiß nicht warum. Die Lerche singt - du weißt es genau." Und während das unwirklich zirpende, qualvoll gedehnte Unisono der Streicher Wagnersches Tristan-Melos verströmt, verkehrt sich das chiffrenhafte Gewimmel aus eben noch leuchtenden Schriftzeichen an der Wand ins rußschwarze Gegenteil. Doch ein Liebestod? Scheiterndes Verzweifeln an der Wirklichkeit? Übrig bleibt das verkohlte Negativ einer seltsamen, aus dem Diesseits führenden Spur, deren Urheber verschollen, vereinsamt ist. "Die Welt, ein Tor zu tausend Wüsten", schleicht Nietzsches Nihilismus heran. "Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben", klang zuvor Rilke an. Einmal mehr sind im Großen Haus des Staatstheaters Mainz, wie schon im September 2001 bei Händels "Saul", die aktuellen weltpolitischen Bezüge mit den Händen greifbar. Aufführungen in Mainz: 6., 15., 17., 29. April; 28. Mai; 1. Juni; 6. Juli. Im Juni zweimal in Darmstadt. Kartentelefon Mainz: (06131)2851-222; Darmstadt: (06151)293838 Musik am Rande des Verstummens Von Frank Wittmer "Diese Oper lässt uns teilhaben am Schicksal Paul Celans", schreibt Gottfried Pilz über das Musiktheater, das er inszeniert. Das Komponistenporträt von Peter Ruzicka, zu dem das Staatstheater Mainz in den Bismarck-Saal der Kellerei Kupferberg lud, war eine hochinteressante Vorbereitung zur besseren Erfassung des Kunstwerkes "Celan". Der Dirigent und Musikwissenschaftler Peter Gülke, Professor der Musikhochschule Freiburg, ist schon lange Freund und ganz offensichtlich bekennend-begeisterter Fan von Ruzicka - was sich prompt als Moderations-Manko erwies. Das Gespräch der beiden Musiker und die länglichen Solo-Betrachtungen Gülkes wurden gegliedert durch live dargebotene Kammermusiken und Bandeinspielungen von Werken Ruzickas. Es war die Musik selbst, die letztlich überzeugte, und nicht die Verbalelogen an der Grenze zur Werbetext-Lyrik, die jegliche Distanz mied. Fragment-Ästhetik So konnte das Publikum von Ruzickas tiefem, Verständnis der Musik und seiner künstlerischer Position profitieren: angefangen bei der von Adorno herrührenden Fragment-Ästhetik Ruzickas, seinem Herantasten an den "Rand des Verstummens", über die Wiederentdeckung des Melos bis hin zu seiner "Musik über Musik" mit selbstreferentiellen Zitaten - ein ideales Feld für die Erforschung komplexer musikalischer Verwobenheit. Der zweite Teil des Porträt-Gesprächs widmete sich schließlich ganz Ruzickas langjähriger Beschäftigung mit Celan, den er, 19jährig, kurz vor dessen Freitod traf, sowie dem überaus vielschichtigen Konzept der Oper. Das Philharmonische Quartett aus den Reihen des Theaterorchesters und Klarinettist Ates Yilmaz leisteten mit ihren engagierten Darbietungen von Werken, die bereits Bestandteil des Kammerkonzertes im Februar waren, ebenso beredt Fürsprache für den Komponisten wie Gülke. Ein Komponist, dessen Werke Geist wie Sinne ansprechen, von dem man gerne noch mehr kennenlernen möchte. |
opernnetz.com Welttheater Peter Ruzickas expressive Musik mit Peter Mussbachs intensiven Texten ist bedrängendes Welttheater über den geschundenen Teil der Menschheit, die Biografie des verzweifelnden Paul Celan in "sieben Entwürfen" als ungemein verdichtete Vorlage. In Mainz ist eine kongeniale Realisierung durch den nachdenklichen Gottfried Pilz mit erschütternder Wirkung zu erleben: Pilz inszeniert einen Celan, verfolgt von traumatischen Erinnerungen, in Schizophrenie endend, dessen Lebenskraft durch das Holocaust-Trauma und eine feindliche Umwelt zerstört wird. Die Bühne wirkt mit schwarzer Grundfarbe, eingespielten metaphergleichen Filmen, strukturierenden Neonbahnen und claustrophobischen Räumen beklemmend bis an die Schmerzgrenze (wenn sich die Wände zur Gaszelle brutal verengen). Richard Salter ist der alte Celan: gefangen in Depressionen, mit dem Tod der Eltern, dem KZ, dem Plagiatsvorwurf, den unbewältigten Beziehungen zu Frauen das Leiden an der Welt und sich selbst bis zum Verstummen interpretierend: eine darstellerische und sängerische Leistung, die höchste Bewunderung verdient. Vadim Volkov steht als junger Celan - beide Rollen ineinander verwoben - dieser imaginierenden Präsenz kaum nach, wie das gesamte Ensemble (zwanzig Rollen!) des Mainzer Ensembles höchste Anerkennung verdient - ebenso wie der ungemein spielfreudige und stimmsichere Chor (Leitung Sebastian Hernandez-Laverny und André Weiß)! Emotional erregend mit differenziert eingesetzten Pauken, Streichern, Flöten - musikalisch von höchster Kraft und Präzision - präsentiert sich das Philharmonische Orchester Mainz unter der fulminanten Catherine Rückwardt in beeindruckender Form. Vor dem Haus gemahnt ein Kranz an die "ohnmächtige Wut über den völkerrechtswidrigen Irak-Krieg"; ein von weither angereistes Publikum kann sich der elementaren Wucht des Geschehens nicht entziehen - es dauert einige Zeit, bis sich die bewundernde Zustimmung zu dem epochalen Musiktheater-Ereignis Ausdruck finden kann. Bleibt zu hoffen, dass bei den weiteren Aufführungen das Mainzer Publikum die hoch anspruchsvolle Herausforderung angemessen aufnimmt. (frs) |