Süddeutsche Zeitung
19.6.2002

Ein großer Dieb
Mozarts milder Vorläufer: Righinis „Don Giovanni" in Mainz

Höllensohns tolldreiste Reise: als Spielball übermächtiger Naturgewalten spuckt ihn ein tobender Meeressturm ans rettende Ufer, der heiratslustigen Fischerin Elisa direkt vor die Füße. Noch ein letztes heftiges Beben durchzuckt seine Lenden. Dann, in postkoitaler Depression, verschläft der total erschöpfte Wüstling beseligt ihren Arienbeginn. Alle Erregungen aus der Ouvertüre und der Introduktion, gespickt mit feurigem Skalenwerk, aufpeitschenden „Rauschern" und querständiger Harmonik, beruhigen sich im lieblich-naiven Kanzonetten-Ton ihres A-Dur- Andantinos, durchsetzt mit Seufzern der Angst und der Hoffnung.

„...der schreibt recht hüpsch...„ Was Wolfgang Amadeus Mozart schon im „Idomeneo"-Jahr 1781 über seinen Altersgenossen Vincenzo Righini (1756-1812) bemerkte, bestätigt dessen Erstlingsoper noch heute. „Il Convitato di Pietra ossia Il Dissoluto" (Das steinerne Gastmahl oder der Ruchlose) bietet eine stilistisch bemerkenswerte frühe Lesart des Don-Giovanni-Stoffs. Das zweiaktige „Dramma tragicomico" kam 1776, elf Jahre vor Mozarts „Don Giovanni, seinem Opus summum, gleichfalls in Prag heraus und wurde alsbald in Wien sowie in Esterháza unter Joseph Haydn nachgespielt, der übrigens auch Einlageszenen hinzu komponierte. Hier wirkte Righinis (und Haydns) Librettist Nunziale Porta als Operndirektor, und diese Esterháza-Quellen (heute liegen sie in Budapest, das Prager Material blieb vorerst unzugänglich) sind die Grundlagen der ebenso ambitionierten wie animierenden Mainzer Neuproduktion.

Freilich schimmert sowohl im Personal wie im Handlungsaufbau noch viel alte Schauspieltradition hindurch, von Tirso de Molina bis Carlo Goldoni. Daher auch die erwähnte Fischerin, auf die bereits Gazzanigas Oper (Venedig 1787), Mozarts unmittelbares Giovanni-Modell, verzichtet. Wogegen Arlecchino, Giovannis Diener, namensgenau der commedia dell’ arte entspringt. Dass beide aber samt dem Komtur in hoher Tessitura singen – „drei Tenöre" – das klammert sich ebenso an Buffa-Konventionen fest, wie umgekehrt in Donna Annas Rache- Arie und ihrer bedeutenden Ombra-Szene der koloraturenreiche Gestus der Opera seria fortlebt. Weiter sind dem Gesamtspektakel dienlich: die so bewährten Würzstoffe aus Zauberoper und barockem Maschinentheater wie auch die einleitende „tempestà di mare" oder Höllenszenen und Furientänze in schlüssig geformten Finali. Kurzum: Mozarts Diktum über Vincenzo Righini, der sei „nicht ungründlich, aber ein grosser dieb...", scheint nicht gänzlich aus der Luft gegriffen.

Komponist gegen Napoleon

Sicherlich ist Righini in der heutigen Praxis fast ein Unbekannter. Chordirigenten schätzen noch immer sein großes Berliner Te Deum von 1809 – die monumentale Anti-Napoleon-Feier. Eher peripher indes kennen ihn die Pianisten aus Beethovens frühen Bonner Arietten-Variationen WoO 65, die in Mainz verlegt wurden, als Righini hier um 1790 die Hofmusik leitete – und wo Mozarts „Don Giovanni" zur deutschsprachigen Erstaufführung gelangte. Dass Mozarts Klarinettenquintett erstmals in Wien erklang ausgerechnet als Pausenfüller zu Righinis Kantate „Die Geburt Apolls", ist nur ein musikhistorisches Apercu. Im Opernhorizont freilich interessieren eher die späteren Stücke wie „La selva incantata" (Der Zauberwald) aus Righinis letzter Berliner Dekade.

Umso wertvoller jetzt der Mainzer Einsatz für „Don Giovanni Tenorio", wie der Titel des rund zweistündigen Werkes lautet. Überraschend die Volten des Titelhelden (John Pierce als halbe Elvis-Parodie), dessen Exzesse geradezu hogarthisch in den Angstvisionen seiner Wahnsinnsarie „Perchè dal cielo un fulmine" gipfeln. Stets neckisch durchtrieben der als weißer Pulcinella gekleidete Arlecchino von Mark Dostert. Pathetisch auftrumpfend Britta Ströher als tragisch getönte, triebgehemmte Donna Anna, die weder einen Gatten will noch den schlafenden Mörder Giovanni töten kann. Ihr Vater, der Komtur (Thomas Löffler), bleibt blass wie seine Karl-Lagerfeld-Imago. Quirlig hingegen die Fischerin Elisa (Dorothea Marx), schnippisch die Wirtin in der Tafelszene, während der Kellner einen kannibalischen Höllenfraß brät.

Minimalistische Bilder

Regisseurin Anouk Nicklisch hat nur stellenweise ein wenig überzogen, bleibt fast immer streng und genau in der Führung ihrer Eleven (bis auf Profi John Pierce alle vom Fachbereich Musik der Universität). Im optisch klar geordneten Bühnenbild und den Glitterknitter-Kostümen (mit Brustharnisch der unverführbaren Damen) regiert wohltuend Rosalies Offenbacher Hochschul- Ästhetik. Simple Versatzstücke signalisieren blaue Meereswogen oder rot züngelndes Flammenmeer, während der rettende Liebesfelsen vom Beginn zuletzt zum Senkstein à la „Aida" mutiert. So gibt sich die Bildsprache vorteilhaft minimalistisch. Unter Michael Hofstetters Leitung geriet die trotz vieler Stereotypen vitale Musik zwar nicht gerade zum Ohrenkitzel. Dennoch ließen die metierkundige Machart der Partitur wie ihre unerwarteten „serioridicolo"- Pointen immer wieder aufhorchen. Wie schrieb doch Zelter nach Vincenzo Righinis Tod an Goethe: Der sei „vielleicht von etwas frischerem Wesen als Salieri, aber an Breite und Höhe ziemlich gleich".

HEINZ-HARALD LÖHLEIN

 

Frankfurter Rundschau
18.06.2002

Dreifacher Bühnentod
Überzeugender Nachwuchs am Werk bei Vincenzo Righinis
Opernerstling "Don Giovanni Tenorio" in Mainz

Von Andreas Hauff

In Mainz ist Don Giovanni ein Tenor, und so heißt auch die Oper: Seinen Don Giovanni Tenorio schrieb 1770 der 20-jährige Vincenzo Righini für die Opera Buffa in Prag. Zuletzt erklang das Werk 1783 in Braunschweig, vier Jahre später feierte in Prag ein anderer Don Giovanni Premiere: Mozarts Erfolgsoper stellte seither alle anderen Versionen in den Schatten. Dennoch lohnt die Begegnung mit Righinis Opernerstling, den das Mainzer Staatstheater wieder auf die Bühne bringt. In der ungarischen Nationalbibliothek in Budapest fanden sich Aufführungsmaterialien, die Joseph Haydn 1781 und 1782 für das Hoftheater auf Schloss Esterházy benutzte.

Mit seiner Righini-Ausgrabung beschwört das Mainzer Staatstheater jene kurze Ära unter dem Mainzer Kurfürsten Friedrich Carl Joseph von Erthal wieder herauf, als in Mainz ein Nationaltheater von überregionalem Rang existierte, das auch die Stadt Frankfurt mitversorgte. Im Vergleich zu Mozart ist Righinis Don Giovanni musikalisch schlichter und eingängiger, aber doch getragen von einem starken dramatischen Akzent. Inhaltlich decken sich die Grundlinien der Handlung, doch die Auswahl der Szenen, ihre Gestaltung im Detail und auch das dramatische Personal unterscheiden sich.

Nunziato Portas Libretto belässt die Figuren im Typenhaften; und Righini setzt dazu das musikalische Vokabular der Zeit passgenau ein. Don Giovannis Diener heißt Arlecchino und kommt direkt aus der Commedia dell'Arte; seine Späße sind gröber, aber auch lustiger als die von Mozarts Leporello. Als Don Giovanni in Erwartung des steinernen Gastes Ablenkung sucht, fordert er Arlecchino zum Singen auf. Der reagiert mit der Parodie eines Accompagnato-Dialogs im Stil der Opera Seria, bei dem er mit Bruststimme den Vater und im Falsett die Tochter singt. Der Herr hört das nicht gern: hat er sich doch jüngst bei der versuchten Vergewaltigung von Donna Anna als "Fels in der Brandung" selbst zum Seria-Helden stilisiert.

Mit scharfem Blick für Situationen und Personenkonstellationen arbeitet Regisseurin Anouk Nicklisch heraus, wie Don Giovanni irritiert den Verlust der eigenen Aura spürt. Dass er aus der Sicherheit des Instinktmenschen in Selbstzweifel und Trotz fällt und damit als einzige Figur des Stückes eine persönliche Entwicklung durchmacht, wird dennoch unterhaltsam, mit leichter Hand vorgeführt.

Mit dem schauspielerisch und sängerisch ungemein beweglichen Tenor John Pierce vom Ensemble des Staatstheaters ist die Hauptrolle glänzend besetzt; stilsicher realisiert er auch die Verzierungen seiner im Notentext schlicht gehaltenen Arien. Die übrigen Darsteller stammen aus dem Fachbereich Musik der Johannes-Gutenberg-Universität und dem Peter-Cornelius-Konservatorium; sie gehören dem Jungen Ensemble an, das das Staatstheater in Kooperation mit den beiden Instituten im März begründet hat.

Doch nur in wenigen Momenten merkt man, dass hier Nachwuchs am Werk ist. Britta Ströher etwa realisiert die anspruchsvolle dramatische Sopranpartie der Donna Anna mit großer Sicherheit und Ausstrahlung, und Marc Dostert gibt einen witzigen Arlecchino, dem gleichwohl anzumerken ist, dass er sich als Clown nicht besonders wohl fühlt.

Den Chor bildet das Vokalensemble des Fachbereichs Musik, und im Graben sitzt das dazugehörige Orchester. Michael Hofstetter arbeitet den Affektgehalt der Partitur plastisch heraus. Insbesondere durchschlagende Einsätze von Trompeten und Hörnern scheinen zu Righinis kompositorischem Konzept zu gehören, während die Holzbläser nur an wenigen Stellen ihre charakteristische Färbung entfalten dürfen.

Sehr lebendig begleitet Claudia von Lewinski die Rezitative am Hammerklavier, dessen Klang leider zu schnell verschwimmt. Gesungen wird in italienischer Sprache - mit deutschen Übertiteln, die allerdings zu knapp gehalten sind, um die Dialoge wirklich verfolgen zu können.

Den Tod des Komturs hat Righini mit identischem Text in drei unterschiedlichen Versionen als Secco-Rezitativ, Accompagnato und Arie komponiert. Thomas Löffler führt in dieser Rolle vor, wie man, ohne komisch zu wirken, einen dreifachen Bühnentod als allmählichen Übergang ins Jenseits sterben kann.

Mit Suse Kuehnhold, Katja Maier und Marie-Thérèse Jossen vom Studienschwerpunkt Bühnen- und Kostümbild der Hochschule für Gestaltung in Offenbach zeichnet auch für die Ausstattung der Nachwuchs verantwortlich. Der geschickte Umgang mit Vorhängen ermöglicht flinke Wechsel. Organisch aus dem Inszenierungskonzept entwickelt, ist das Bühnenbild ebenso ökonomisch wie aussagekräftig.

In der Eingangsszene werden Don Giovanni und Arlecchino schiffbrüchig an Land gespült. Die Wellen des Meeres werden später nicht nur zu den Flammen der Hölle; sie dienen auch als Bühnenvorhang, Friedhofsmauer oder Anrichte. Und aus dem Felsen, auf dem die charmante Fischerin Elisa (Dorothea Marx) sitzt, wird später der Stein, der sich über den sich tapfer dagegenstemmenden Don Giovanni legt. Hinter den Furien der Hölle aber erkennt man eine leicht sterile barocke Festgesellschaft, die sich über die Wiederherstellung der Ordnung freut.

Weitere Aufführungen im Großen Haus des Staatstheaters Mainz am 19., 28., 30. Juni.

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Copyright © Frankfurter Rundschau 2002
Dokument erstellt am 17.06.2002 um 21:41:36 Uhr
Erscheinungsdatum 18.06.2002

 

Allgemeine Zeitung
17 Juni 2002

Die Faszination des Höllenfeuers
Aus dem Archiv-Dunkel ins Mainzer Bühnenlicht:
Righinis unbekannter „Don-Giovanni"-Vorläufer

Von unserem Mitarbeiter
Alexander Losse

Wie aus dichtem Nebel treten die ersten Umrisse hinter dem Gazevorhang hervor: Wogende Wellen, eine Frau auf dem Felsen, zwei Männer in Seenot. Einer der Geretteten hat sich der Fischerin Elisa (Dorothea Marx) –ein Herz hängt am Angelhaken – kaum vorgestellt, da beginnt er auch schon, sie zu betören, sein wissendes Opfer unter edlen Gelöbnissen auszuziehen ...

Doch das bleibt der einzige Sieg dieses sympathischen Draufgängers in Vincenzo Righinis früher Don-Juan-Oper „Il Convitato di Pietra o sia Il Dissoluto" („Das steinerne Gastmahl oder der Ruchlose") von 1776, die jetzt, inszeniert von Anouk Nicklisch, von Studierenden des Fachbereichs Musik der Mainzer Universität im Kleinen Haus aufgeführt wird. Die Schöne Donna Anna (Britta Ströher) durchschaut Don Giovannis gespielte Reue über den Mord an ihrem Vater, dem Commendatore (Thomas Löffler), der den streckbrieflich gesuchten Wüstling mitten im Gefecht der Verführung in seinem Hause ertappte. Im Verbund mit den Furien der Hölle gelingt Don Alfonso (Alexander Trauth) die Rache. Der einstmalig rettende Liebesfelsen drückt den Treulosen schließlich in die Tiefe.

Das Notenmaterial der zugrunde gelegten zweiaktigen Esterháza-Handschrift, nach welcher auch Joseph Haydn die Oper aufführte, wurde eigens für die Mainzer Aufführung ediert. Damit wird auch ein Stück rheinland-pfälzischer Kulturgeschichte ausgegraben, wurde Righini (1756-1812) doch 1787 zum Hofkapellmeister und Musikdirektor von Mainz ernannt, wo er bis 1792 zumal auch als kirchenmusikalischer Komponist wirkte und mit der Mainzer Hofkapelle überregionales Interesse weckte.

Die verschiebbaren Wellen, die roten Höllenfeuer und der riesige Felsen formten ein zumeist von angenehmen Rundungen geprägtes Bühnenbild (Suse Kuehnhold, Katja Maier), waren optische Kontraste zu den stählernen Wänden von Don Juans ästhetisch-kühlem Trauerzimmer. Bühne und die sprechenden, aufwendigen Kostüme entstanden an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach (Professor Rosalie). Versiert und klangschön agierten unter Leitung von Michael Hofstetter die Orchestermusiker der Universität – Righinis dramatische Motivik verbleibt im Vergleich mit den Meistern allerdings eher in klassischen Stereotypen. Claudia von Lewinski am Hammerklavier gab eine schön ausmalende Rezitativbegleitung. Einer der gesanglichen Höhepunkte ist Donna Annas Arie am Grab des Vaters, wo sie den schlafenden Don Giovanni entdeckt, den John Pierce (Tenor) vom Opernensemble des Mainzer Staatstheaters schauspielerisch großartig und mit starkem Organ darstellte.

Reizend zumal die erotischen Posen, das Nacheinander von ergebendem Herankriechen, gierender Bemächtigung und Abkehr. Eine hervorragende Inszenierung, die sich Opernfreunde nicht entgehen lassen sollten!

Aufführungen: 17., 19., 28. und 30. Juni. Karten unter Tel. (06131)2851-222

 

Main Echo
Montag 17. Juni 2002

Klangfülle des Nachwuchses

Vincenzo Righinis »Don Giovanni Tenorio« in Mainz

Von Stefan Schickhaus

Wo gibt es denn sowas? Don Giovanni, der Gewissenlose, zeigt plötzlich Skrupel. Er reflektiert sein unmoralisches Treiben, er spürt, zu weit gegangen zu sein. Visionen bedrängen ihn, er krümmt sich von ihnen gepeinigt am Boden vor den Füßen der Marmorstatue des Komturs. Wo es soetwas gibt? Nicht bei Mozart. Aber sehr wohl bei seinem Komponistenkollegen Vincenzo Righini, der zwölf Jahre vor Mozart den Stoff vertont hatte. »Der schreibt recht hüpsch«, urteilte Mozart über den Mainzer Kapellmeister.

Überzeugen kann man sich davon derzeit in Mainz, wo die frisch aus der Esterháza-Handschrift edierte Righini-Oper »Don Giovanni Tenorio – Il Convitato di Pietra o sia Il Dissoluto« für das Kleine Haus inszeniert wurde. »Der schreibt recht hüpsch«, so Mozart, und »ist ein großer Dieb« – wobei der stilistisch Beklaute wohl Mozart selbst sein könnte, wäre Righini nicht ein paar Jahre vorher dran gewesen. Es ist eine aparte Kammeroper, sehrBuffo-lastig trotz des großen Themas (dafür mitverantwortlich die Regisseurin Anouk Nicklisch), unterhaltsam und geschmeidig. Dramaturgisch zum Teil recht wirr, musikalisch spritzig, und im Kleinen Haus durchaus am rechten Ort.

Eine »Righini-Renaissance« wird dieser »Don Giovanni Tenorio« nicht auslösen, muss auch wirklich nicht sein. Aber bei dieser Mainzer Produktion steckte das Besondere auch erst in zweiter Linie in der Partitur; der Fokus gehört vielmehr auf diejenigen, die musizierten, sangen und gestalteten. Denn das waren nicht (oder nur zum kleinen Teil) die gewohntenProfikräfte des Mainzer Staatstheaters, sondern Studierende aus Mainz undOffenbach. Nach dem hellsichtigen Max-Reinhardt-Satz »So wie man zum Klavierüben ein Klavier braucht, braucht man zum Theaterüben ein Theater« gibt es in Mainz das »Junge Ensemble«: Qualifizierte junge Sänger bekommen hier eine Ausbildung und ein Forum für das Szenische. Das Staatstheater stellt das Know-how, die Mainzer Gutenberg-Universität und das städtische Konservatorium das Musikerpotenzial, und die Offenbacher Hochschule für Gestaltung mit ihrer renommierten Ausstattungs-Professorin Rosalie übernimmt das Bühnen- und Kostümbild. Echte Profis waren also nur wenige dabei, darunter der Dirigent Michael Hofstetter, seine Continuo-Hammerklavierspielerin Claudia von Lewinski oder auch der Hauptdarsteller des Don Giovanni, derTenor John Pierce vom Solistenensemble des Staatstheaters. Und an ihm konnte man gut abmessen, wie groß der Unterschied zwischen »Junges Ensemble« und »Solistenensemble« wirklich ist – nämlich auffällig unauffällig. Pierce' Bühnenpräsenz ist ein Stück aktiver, und vor allem ist seine Deklamation klarer und präsenter. Doch ist das Niveau seiner Bühnenpartner in der Tat beinahe ebenbürtig – und das, obwohl Mainz nicht einmal über eine Musikhochschule verfügt.

Marc Dosterts Leporello (der bei Righini Arlecchino heißt und eine überaus komödiantische Rolle ist) oder Britta Ströhers Donna Anna sind hervorragende Sängerdarsteller und zeugen von der richtigen Stoßkraft der Mainzer Nachwuchsarbeit. Kompromisse machen musste da schon eher der Alte-Musik-Experte Michael Hofstetter im Orchestergraben. Man merkte dem Uni-Orchester den »ad hoc-Charakter« doch an, nichts ist da selbstverständlich, manch schönes Solo ging verloren. Den straffen Zug und die durch Naturtrompeten betonte vitale Klanglichkeit aber konnte Hofstetter weitgehend realisieren – damit dieser etwas andere Don Giovanni nicht nur »hüpsch« klingt, sondern auch potent.

 

Wiesbadener Kurier
19 Juni 2002

Staatstheater Mainz: „Don Giovanni Tenorio"
Eine Ausgrabung, die sich lohnt

Von Axel Zibulski

Die „Oper der Opern" hat Vincenzo Righini zwar nicht geschrieben – dieses Prädikat steht allein dem „Don Giovanni" von Wolfgang Amadeus Mozart zu. Jedoch: Auch Righini, der aus Bologna stammt und wie sein berühmter Kollege 1756 geboren wurde, vertonte den populären Stoff um den wüsten Frauenheld, und zwar unter dem Titel „Il Convitato di Pietra". Uraufgeführt wurde die Oper 1777 in Prag, ebenso wie Mozarts zehn Jahre jüngerer „Don Giovanni".

Das Staatstheater Mainz hat nun Righinis Opernerstling ausgegraben; als „Don Giovanni Tenorio" ist das Werk in der Inszenierung von Anouk Nicklisch auf der Bühne des Kleinen Hauses zu sehen: Eine sparsam ausgestattete, gleichwohl suggestive Produktion, die in Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Musik der Universität Mainz entstanden ist: Das Fachbereichs-Orchester setzt unter der Leitung des früheren Wiesbadener Kapellmeisters Michael Hofstetter ein stilgerechtes Fundament von leicht aufgerauter, transparenter Gestalt. Einige wenige Requisiten genügen der Regisseurin, um mit den jungen Sängerinnen und Sängern dank einer ausgereiften und gründlich erarbeiteten Personenführung spannendes Musiktheater zu präsentieren.

Zwischen den holzgeschnittenen Wellen im Bühnenbild von Suse Kuehnhold und Katja Maier können sich die Nachwuchs-Künstler angemessen entfalten: Unter den Fachbereichs-Mitgliedern ist vor allem der Sopran Britta Ströher (Donna Anna) hervorzuheben, die ihre beiden Arien koloraturensicher und empfindungsstark gestaltet. Auch Thomas Löffler, der als Komtur länger als bei Mozart am Leben bleibt, nämlich bis zum Ende des ersten Akts, singt hoch kultiviert. Buffoneske Qualitäten beweist Marc Dostert als Don Giovannis Diener, der bei Righini nicht Leporello, sondern Arlecchino heißt. Ein weiterer Unterschied zu Mozarts „Oper der Opern": Die Titelpartie ist bei Righini mit einem Tenor besetzt. Als einziges Mitglied des Staatstheater-Ensembles ist mit John Pierce ein vokal wie darstellerisch sehr beweglicher Don Giovanni zu erleben.

Die Oper ist übrigens nicht zum ersten Mal in Mainz zu erleben: Vor mehr als 200 Jahren stand Righinis „Don Giovanni" schon einmal auf dem Spielplan, als der Komponist dort zwischen 1787 und 1793 als Hofkapellmeister engagiert war. Gelohnt hat sich die Ausgrabung durchaus, denn Righini hat Gespür für eingängige Melodien, für dramatisch packende Momente. In Anouk Nicklischs Inszenierung wird Don Giovanni am Ende unter einem großen Stein begraben – Gleiches hätte Righinis Werk nicht verdient.

 

Darmstädter Echo
19.6.2002

"Don Giovanni Tenorio" von Vincenzo Righini
Kleines Haus des Staatstheaters Mainz: Oper des einstigen Mainzer Hofkapellmeisters

Von Siegfried Kienzle

Für einen zwanzigjährigen Anfänger ist diese Oper schon ein imponierender Wurf: 1776 - 11 Jahre vor Mozarts "Don Giovanni" - hat Righini seine Erstlingsoper "Das steinerne Gastmahl oder Der Ruchlose" in Prag erfolgreich uraufgeführt.

Später verschlug es den Komponisten aus Bologna 1787-92 als Kapellmeister an den kurfürstlichen Hof nach Mainz. Und weil Righini in der Mainzer Musikgeschichte verankert ist, führte die historische Spurensuche zu dieser reizvollen Neuentdeckung. Die Partitur, eine von Haydn redigierte Fassung, musste erst in der ungarischen Nationalbibliothek aufgestöbert werden,

Die Realisierung in Mainz wurde den Nachwuchssängern und Instrumentalisten vom Fachbereich Musik der Universität Mainz anvertraut. Die Titelrolle hat der Tenor John Pierce aus dem Ensemble des Staatstheaters übernommen: In Ledermontur federt er als Freibeuter der Liebe meist das Florett zustechend in der Faust über die Bühne. Packend gelingt der Monolog seiner Angstvisionen. Hier beeindruckt Righinis kompositorische Eingebung, wenn die Orchesterstimmen wie in Panik dahinjagen.

Lebendig und emotional unmittelbar treiben die Rezitative die Handlung voran. Beim Gastmahl erfreut Arlecchino als Giovannis Diener mit einer pfiffigen Parodie auf die musikalischen Stereotype der Barockoper.

Righini begann als Operntenor, so schreibt er alle männlichen Hauptrollen von Giovanni, Arlecchino bis zum Commendatore für die ihm vertraute Stimmlage. Marc Dostert trumpft nicht nur vokal, sondern auch komödiantisch auf in der Rolle des aufschneiderischen und drolligen Arlecchino, der in der Zofe Lisetta (Tiljana Grujic) zuletzt die soubrettenhaft schnippische Ergänzung erhält.

Thomas Löffler vertritt als Commendatore statuarisch hinter Sonnenbrille die väterliche Moral. Dass das Konterfei für den Steckbrief des Wüstlings sich als Leporello aufblättert, ist ein hübscher Seitenblick der Regie von Anouk Nicklisch auf Mozart. Auf meist leerer Bühne gibt sie den jungen Sängern viel Raum für Körperaktion.

Überaus fantasievoll ist das Bühnenbild von Suse Kuehnhold/Katja Maier von der Offenbacher Hochschule für Gestaltung (Klasse: Rosalie). Es zitiert von Papiertheater und Scherenschnitt Stilelemente aus dem Rokoko. Eine Klippe, die gerundet ist wie ein Apfel als Werkzeug der Verführung, wird schließlich zum Felsblock, der Don Giovanni zermalmt.

Vincenzo Righinis Musik hätte allerdings mehr Feinschliff und auch Biss verdient, als das bemühte Ensemble unter der Leitung von Michael Hofstetter hören ließ. Dennoch: Eine lohnende Ausgrabung und inspirierte Gesamtleistung.