Ein schöner Schwindel Ausblick: Am Sonntag (16.) hat Caldaras Oper „Don Quichotte und Sancho Pansa auf der Insel" im Darmstädter Staatstheater Premiere DARMSTADT. Barocke Oper ist oft schwer verdaulich: Lange, eintönige Rezitative wechseln mit Arien, in denen sich die Personen wahlweise über ihren Kummer, ihre Freude oder ihre Verliebtheit auslassen. Das Staatstheater versucht in Caldaras Oper „Don Quichotte und Sancho Pansa auf der Insel" einen anderen Ansatz: unbekanntes Barock der leichteren Art, übersetzt, gestrafft und bearbeitet. Die Musikdramaturgin Helga Utz hat Antonio Caldara aus den Archiven geholt, dessen Opern heute vergessen sind. Über 100 Caldara-Opern hätten in der Österreichischen Nationalbibliothek überlebt, sagt Utz. „Caldaras Musik wird reich durch verschiedene Kompositionstechniken", sagt Utz; „er verwendete die Harmonik des Mittelalters genauso wie die melodische Eleganz des galanten Stils." Sie wählte für Darmstadt eine Don Quichotte-Oper aus, die Caldara 1733 für den Karneval schrieb. „Don Quichotte ist ein nahe liegendes Thema", sagt sie, „viele kennen den Ritter und seinen Diener Sancho Pansa." In der Oper „Don Quichotte und Sancho Pansa auf der Insel" kämpfen sie allerdings nicht gegen Windmühlen, sondern fallen einer ausgebufften Täuschung zum Opfer. Ein Herzog gaukelt vor, den Bauern Sancho zum Statthalter einer Insel zu ernennen und stiftet ein ganzes Dorf zu dieser Illusion an. Die Bewohner machen sich einen Spaß daraus, Sancho zu quälen. Er durchschaut den Schwindel bis zum Schluss nicht, genau wie sein Dienstherr Quichotte. Was für andere eine vergnügliche Maskerade, ist für Sancho und Don Quichotte bitterer Ernst; sie können aus ihrer Einbildung nicht ausbrechen. Aus dem Gegensatz zwischen ihrer Innenwelt und der Realität ergibt sich die Komik – und die Tragik. Die Inszenierung von Don Quichotte könne in zwangloser Art das Barocke sowie Heitere mit Dramatik verbinden, sagt Utz. „Heute ist das Komische fast ausschließlich ins Fernsehen abgewandert, was ich sehr schade finde", sagt Utz, „Theater konzentriert sich zu oft auf ernste Stoffe." Auch Regisseur Jan Konieczny, der zum ersten Mal eine Oper in Darmstadt inszeniert, reizt das Zwiespältige in der Figur Don Quichotte. „In ihm verwandelt sich Irrationalität in Poesie", sagt Konieczny. Die Komik, so sagt er, entstehe in der Darmstädter Inszenierung in der Situation. „Aber auch die Sprache ist leicht und wirkt direkt." Die Absurdität der Handlung spiegele sich auch in den Kostümen wider, die die Mode der sechziger Jahre überspitzen. Caldaras Oper wird im Staatstheater in einer stark bearbeiteten Fassung aufgeführt. Die Texte hat Helga Utz ins Deutsche übersetzt. Dabei habe sie sich eng an eine Don Quichotte-Übersetzung von 1817 gehalten. Die Rezitative wurden komplett gestrichen, der Text wird von den Sängern gesprochen. Außerdem wurden Arien aus einer anderen Don Quichotte-Oper eingefügt. „Ein so starker Eingriff ist immer problematisch", sagt Utz, „aber es war uns wichtig, die Handlung zu transportieren." saab Die Premiere ist am Sonntag (16.) um 19.30 Uhr im Großen Haus des Staatstheaters. Regie: Jan Konieczny, Bühnenbild: Matthias Müller, Kostüme: Karl Gölkel, Dirigent: Raoul Grüneis. Mit Pause dauert die Aufführung etwa zweidreiviertel Stunden. Die Premiere ist am Sonntag (16.) um 19.30 Uhr im Großen Haus des Staatstheaters. Regie: Jan Konieczny, Bühnenbild: Matthias Müller, Kostüme: Karl Gölkel, Dirigent: Raoul Grüneis. Mit Pause dauert die Aufführung etwa zweidreiviertel Stunden. | |
"Man kann nicht tun, als wäre seit Fischer-Dieskau nichts passiert" FR: Herr Grüneis, in Wiener Archiven und Bibliotheken liegen Partituren zu etwa 100 Caldara-Opern. Muss man die alle durcharbeiten, um genau die richtige zu finden, die für ein Haus wie Darmstadt passt?Raoul Grüneis: Unsere Musikdramaturgin Helga Utz ist zufällig auf diesen Don- Quichotte-Stoff gestoßen: auf eine einaktige Karnevalsoper, die nun allerdings aufgefüllt werden musste. Und um da dann sozusagen die zweite Hälfte zu finden, eine zweite Caldara-Oper zur selben Thematik, mussten doch einige hundert Manuskripte durchgesehen werden. Der Venezianer Caldara hat sich also zwei Mal mit dem Spanier Cervantes und seinem Don-Quichotte-Roman beschäftigt? Ja, wir fügen zwei Don-Quichotte-Opern zu einem Opernabend zusammen. Die eigentliche Sancho-Pansa-Oper hat nur eine bestimmte Episode als Handlung - aber wir dachten, der Kampf gegen die Windmühlen oder die Figur der Dulcinea dürfen einfach nicht fehlen. Und weil wir dann ohnehin schon in der Tradition des barocken Pasticcio waren, haben wir noch zwei weitere Caldara-Arien mit eingebaut. Barockopern sind ja eher gerne als überlang verschrien. Sie aber mussten noch zusätzlich verlängern? Ich bin zwar kein Fachmann dafür, aber soviel ich weiß gab es damals noch keine abendfüllenden komischen Opern. Das Komische diente nur als Einschub, als Intermezzo. So würde auch das Caldara-Orignal kaum einen kompletten Akt abgeben. Bei der vor etwa 15 Jahren einsetzenden Renaissance der Barockoper war Caldara nicht mit von der Partie. Händel wird heute regelmäßig, Vivaldi hin und wieder auf die Bühne gebracht, Caldara aber nie. Woran kann das liegen? Zu seiner Zeit wurde Antonio Caldara außerordentlich geschätzt, was man daran erkennen kann, dass seine Werke äußerst sorgfältig archiviert wurden. Vier Fünftel der gesamten barocken Musikproduktion dürfte verloren sein, von Caldara aber ist noch fast alles da. Doch er war nicht in erster Linie als Opernkomponist berühmt, sondern wegen seiner Kirchenmusiken. Die werden in Wien auch heute noch gespielt. Caldara ist da eine feste Größe. Wann kam dann Ihr persönlicher Erstkontakt? Ich selbst kannte bis dahin auch nur sein Stabat mater, und natürlich die Arien, die Parisotti im 19. Jahrhundert im Geiste der italienischen Kulturpflege in seine Sammlung Arie antiche aufgenommen hatte. Diese Caldara-Arien waren das Berührendste des ganzen Büchleins. Nun ist aber bekannt, dass jener Parisotti auch selbst einiges dort unter fremden Namen, etwa dem Pergolesis, mit hineinkomponiert hatte. Darum mussten wir uns absichern, denn wir wollten einige dieser wunderschönen Arien mit in unsere Caldara-Oper aufnehmen. Die sind so schlicht und direkt ansprechend, da hätte man schon an eine Fälschung denken können. Aber nach mühsamen Quellenstudien konnten wir jetzt die authentischen Fassungen nachweisen und können sie zum ersten Mal in der originalen Gestalt aufführen. Da sind wir schon ein wenig stolz darauf. Als Caldara 1736 starb, hieß es am Wiener Hof: "Dem Kaiser (Karl VI.) würde kein anderer Komponist jemals wieder gefallen." Was hatte Caldara, was andere nicht hatten? Was unterschied seine Musik von der etwa Händels oder Vivaldis? Im Falle des Kaisers muss da etwas ganz Persönliches gewesen. Die Quellen sind sehr schütter, man weiß wenig Biografisches über ihn. Musikalisch kann man sagen: Auf die virtuosen Elemente eines Händel oder Vivaldi, auf dieses Feuerwerk an Tönen verzichtet Caldara völlig. Bei ihm herrscht das Schlichte, der ganz reduzierte melodische Duktus. Also eine Natürlichkeit, die eigentlich dem Wesen des Belcanto jener Zeit widerspricht? Ganz genau. Caldara komponierte Romanzen, ja beinahe Lieder im Schubertschen Sinne. Seine Arien sind filigrane Miniaturen, mitunter nur eine halbe Minute lang, ganz intim. Und sie verlangen einen entsprechend filigranen Singstil. Sie behaupten, kein Fachmann zu sein, und dennoch haben Sie sich tief in diese Materie eingearbeitet. Wenn, wie im letzten Jahr mit Vivaldis "Orlando", in Darmstadt Barockoper gemacht wird, übernehmen Sie das. Nur eine Verlegenheit kann das ja nicht sein. Nein, es ist schon so etwas wie mein heimliches Steckenpferd geworden. In Freiburg hatte ich zwar bereits mit dem Barockorchester und Thomas Hengelbrock zusammengearbeitet, doch erst durch meine Opernarbeit bin ich sozusagen richtig eingestiegen. Ich denke, wenn ein Opernhaus eine Barockoper macht, kann sie das heutzutage einfach nicht mehr irgendwie machen. Spezialisierte Barockensembles geben hier ein derart atemberaubendes Niveau vor, dass man da ganz schön gefordert ist, um wenigstens einigermaßen mitzuhalten. So habe ich mich mit Barockgeigern und -sängern zusammengesetzt, habe die Quellen und Traktate gelesen, habe mir sagen lassen, was man auf die modernen Instrumenten übertragen kann und was nicht. Man muss diesen Anspruch einfach haben und kann nicht so tun, als wäre nichts passiert, seit Fischer-Dieskau und Wunderlich diese Sachen gesungen haben. Das Material, das Ihnen hier zur Verfügung steht, ist ein normales Opernensemble. Wie bekommen Sie von diesem einen Barockklang? Die erste und wichtigste Voraussetzung ist schon mal gegeben: Die Sänger und Musiker wissen, dass sie sich ganz schön umkrempeln müssen, wenn sie heute Puccini und morgen Caldara singen sollen. Sie wissen, dass sie viel von dem vergessen müssen, was eigentlich ihr tägliches Brot ist, und sich stattdessen auf vieles konzentrieren müssen, was eigentlich vergessen ist. Doch Qualitäten wie Transparenz oder kammermusikalisches Musizieren kommt dann wiederum auch dem Puccini zugute. Das Schöne ist, dass wir nach der Vivaldi-Oper des letzten Jahres jetzt ein ganz anderes, differenziertes Barockbild zeigen können: Barockmusik nicht nur als Feuerwerk der Koloraturen und Pfauenrad der Kadenzen und Kaskaden. [ document info ]Copyright © Frankfurter Rundschau 2003 Dokument erstellt am 13.03.2003 um 17:32:02 Uhr Erscheinungsdatum 14.03.2003 URL: http://www.fr-aktuell.de/ressorts/kultur_und_medien/konzertkritiken/?cnt=173124 | |