Reimende Helden Von Stefan Schickhaus Karneval ist längst vorbei, doch karnevaleske Dinge geschehen auch nach dem Aschermittwoch. So hat, stand eben erst in der Zeitung, ein Geschäftsmann Millionen ergaunert, indem er sich als Treuhänder eines erfundenen Landes ausgab. Ähnliches brachte auch Sancho Pansa zustande, der bäuerliche Knappe des Ritters Don Quichotte: Er wurde von einem verschlagenen Hofvolk zum Statthalter einer nicht existierenden Insel ernannt und regierte dort klüger, als man dachte. Der venezianische Barockkomponist Antonio Caldara hat aus dieser Cervantes-Episode eine Karnevalsoper gemacht, und das Staatstheater Darmstadt brachte diese jetzt deutlich nach Aschermittwoch auf die Bühne - in einer frei montierten Fassung aus neuen, deutschen Texten, weiteren Caldara-Arien und Szenen aus einer zweiten Don-Quichotte-Oper aus gleicher Hand. Ein typisch barockes Pasticcio also, abendfüllend angereichert, weil die ursprüngliche Sancio Panza Governatore dell'Isola Barattarja zu kurz gewesen wäre. Jetzt ist es ein wenig zu lang, eine barocke Klamotte mit Wagner-Dauer. Mit Raoul Grüneis hat Darmstadt einen Kapellmeister, der sich äußerst effizient in die Alte Musik-Materie eingearbeitet hat. Nach Vivaldis Orlando der vergangenen Saison ist nun dieser Caldara seine zweite Barockoper, und wieder ist es ihm gelungen, das Darmstädter Orchester überaus stilsicher musizieren zu lassen. Das Ensemble ist klein und mit Theorbe und Barockgitarre (Johannes Vogt) farbig besetzt, Grüneis leitet es geschmeidig vom Cembalo aus. Seine Instrumentalisten folgen ihm präzise und mit sprechendem Ton, doch manchmal musste jetzt bei der Premiere Grüneis' Dirigierhand ungewohnt insistierend das pure Metrum schlagen. Denn nicht alle Sänger auf der Bühne waren sich ihres Parts wirklich sicher. Sancho Pansa ist ein sympathischer, grundguter Kerl, symbiotisch klebt er per Klettband an seinem Esel: Der holländische Bariton Peter Bording spielt Caldaras Titelfigur herzhaft einnehmend, ein Knappe mit der Melancholie eines Clowns. Doch in seinen Arien läuft alles aus dem Ruder, metrisch vergaloppiert er sich da mit der Sturheit von Sanchos Maultier. Der letzte Satz, den er hier als Insel-Statthalter zu singen hat, mutet fast prophetisch an: "Von selbst wird sich nichts zum Bessern wenden." Wie ritterlich dagegen sein Baritonkollege Georg Nigl als Don Quichotte! Der Gast aus Wien ist hörbar vertraut mit barocken Figuren und Koloraturen, und darstellerisch steht er dem in nichts nach - eine sagenhafte Doppelbegabung. Wie Nigl singen die übrigen Protagonisten auf ausgezeichnetem Niveau, allen voran Hege Gustava Tjønn als Lucinde und Thomas Fleischmann als Haushofmeister. Da hat man in Darmstadt geschickt ausgewählt - längst nicht alle Stimmen (auch das konnte hier in Nebenrollen bewiesen werden) sind fürs Barocke gleich geeignet. Nicht Rezitative verbinden die wunderbaren Caldara-Arien, sondern schön gereimte neue Zwischentexte, nicht so platt wie in der Bütt, aber ähnlich in der Ansprache - schließlich ist's eine Karnevalsoper. Musikdramaturgin Helga Utz, maßgeblich für die neue Form dieser Oper verantwortlich, hat sie verfasst, ein paar Straffungen könnte man sich vorstellen. Und auch etwas Unterstützung durch die Regie (Jan Konieczny), denn ihren Witz zog die Darmstädter Erstaufführung in erster Linie aus den Dialogen und den comic-haften Schrillheiten der Ausstattung. Etliche Buh-Rufe für das szenische Team, doch ob's dem Premierenpublikum zu viel oder zu wenig war, ist schwer zu sagen. Die Don-Quichotte-Oper, so stellt man sich in Darmstadt vor, sei geeignet für Kinder ab zwölf, wegen der schrägen Rittergrillen und des Bauerntollpatschs. Das sollten sich potentielle junge Besucher aber nochmal gründlich überlegen. Außer, sie sind jetzt schon Barockfans; oder sie wollen einmal richtig lange aufbleiben. • Darmstädter Staatstheater, 22. März, 2. April, 19.30 Uhr, Karten-Tel. 0 61 51/29 38 38. [ document info ] Dokument erstellt am 17.03.2003 um 17:36:23 Uhr Erscheinungsdatum 18.03.2003 URL: http://www.fr-aktuell.de/ressorts/frankfurt_und_hessen/kultur_rheinmain/?cnt=175350 |
Wie ein Tölpel zum Richter wird Von Klaus Trapp DARMSTADT. Verkehrte Welt: Don Quichotte, der Ritter von der traurigen Gestalt, besiegt seinen wohlgewappneten Gegner im Turnier; Sancho Pansa, sein tölpelhafter Knappe, mausert sich zum klugen Richter. Die turbulente und hintersinnige Barockoper des Venezianers Antonio Caldara, die für die Karnevalssaison 1733 in Wien entstand, hatte am Sonntag in einer textlichen und musikalischen Neufassung im Großen Haus des Staatstheaters Darmstadt Premiere. Musikdramaturgin Helga Utz und Kapellmeister Raoul Grüneis hatten das in der Österreichischen Nationalbibliothek aufbewahrte Manuskript aufgestöbert, entrümpelt, gekürzt, mit gereimten deutschen Dialogen versehen und durch zusätzliche Musiknummern angereichert. Die so entstandene Musikkomödie „Sancho Pansa und Don Quichotte auf der Insel" kann sich hören und sehen lassen, doch wären manche Längen vermeidbar gewesen, wenn man, vor allem im zweiten Akt, auf eine straffere Handlungsführung geachtet hätte. Matthias Müllers Bühnenbild suggeriert die weite Landschaft der Mancha, eine malerische Windmühle im Hintergrund weist auf kommende Ereignisse voraus. Und getreu nach dem Roman des Cervantes erkämpft sich der Ritter eine Barbierschüssel als Zauberhelm, überfällt die Pilgerschar, die er für eine Räuberbande hält, träumt von der Eroberung der holden Dulcinea von Tobosa und wird im Kampf mit den Windmühlenflügeln übel zugerichtet. Regisseur Jan Konieczny nutzt für solche Szenen geschickt die Barockmaschinerie: Dulcinea schwebt von oben herab, wenn Don Quichotte wie ein Säulenheiliger meditiert, und auch die bedrohlichen Windmühlenflügel senken sich aus blauem Himmel hernieder. Die von Karl Gölkel entworfenen Kostüme verstärken die Situationskomik. Der Ritter scheint eng verwachsen zu sein mit seinem Ross Rosinante, das er wie einen Anzug anlegt, während Sancho Pansa den Kopf seines Esels ganz nach Belieben an- und abschnallt. Skurrile Fantasie hat Gölkel in die Ausstattung der Hofdamen gesteckt: mit Haartürmen, Spitzbrüsten und Steißwülsten aufgetakelt, scheinen sie aus einer surrealen Welt zu kommen. Mit einer originellen Idee warten Regisseur und Bühnenbildner zum Ende des ersten Aktes auf, wenn die reich bestückte Wäscheleine der Bäuerin aus Tobosa zur Abgrenzung des Kampfplatzes wird, auf dem sich Don Quichotte ins Turnier stürzt. Viel Zeit verwendet die Neuinszenierung darauf, den im Spaß unversehens zum Statthalter einer Insel ernannten Sancho als salomonischen Richter zu zeigen. Da gibt es lange Dialoge ohne Musik und schale Slapstickszenen, die wenig zum Gang der Handlung beitragen. Die musikalische Dichte nimmt erst wieder zu, wenn Sancho sich entschließt, sein Amt aufzugeben, um der Niedertracht und Kälte der Menschen zu entgehen. Hier gewinnt das Stück endlich jene Dimension hinzu, die den Wert der Dichtung des Cervantes ausmacht. Hinter allem Klamauk steckt der Glaube an das Gute im Menschen im Sinn eines unzerstörbaren Idealismus. Caldaras Musik spiegelt die Farbigkeit des Vorwurfs, pendelt zwischen ausgreifenden Arien für Don Quichotte, knappen, liedhaften Strophen für den Knappen, ziselierten Ariosi für die Damen und deftigen Einwürfen für die Nebenfiguren. In manchen Passagen kündigt sich der Geist einer neuen, empfindsamen Zeit an, die das Ende des Barock bedeutet. Raoul Grüneis, der das Kammerorchester vom Cembalo aus dirigierte, schärfte solche Kontraste, auch wenn nicht immer ein nahtloser Kontakt zur Bühne gelang. Besondere Farben zum Grundklang der Streicher steuerte ein Bläsertrio mit zwei Oboen und Fagott bei. Das Ensemble wirkte sängerisch homogen, wie das Madrigal belegte, mit dem die Pilger ihre Wallfahrt bestreiten. Hier waren acht Akteure in Büßergewänder geschlüpft und übten sich erfolgreich in musikalischer Eintracht. Mit dem schlanken Barockstil der Arien kamen die Damen besonders gut zurecht. Susanne Reinhard als Dulcinea, Hege Gustava Tjønn als liebende Lucinda, Ulrike Leithner als büßende Leonissa und Elisabeth Hornung als würdige Altisidora glänzten mit beweglichem Gesang und treffsicherer Darstellung. Der Bariton Georg Nigl war ein recht jugendlicher Don Quichotte, der sich in seinem Pferdekostüm gewandt bewegte. Er sang sauber und biegsam, immer darauf bedacht, das Verhältnis von Wort und Ton zur Deckung zu bringen. Ein frischer, gewitzter Sancho Pansa war Peter Bording. Er brachte seine knappen Arien sängerisch auf den Punkt und agierte überzeugend auch in den Szenen als Statthalter. Bewegend vermittelte er die Resignation am Ende, wenn die Freude über das Amt in bittere Enttäuschung umschlägt. Mit brillanten Charakterstudien, teilweise in Doppelrollen, warteten weitere Ensemblemitglieder auf: Horst Schäfer als Herzog und stattlicher Zeremonienmeister, Thomas Fleischmann als energischer Haushofmeister und derber Viehzüchter, Fred Hofmann als Ramiro, verliebter Sekretär und Geheimschreiber des Statthalters, Hans Joachim Porcher als verschrobener Leibarzt und, in einer Gerichtsszene, als langbärtiger Greis im Streit mit seinem Antipoden Horst Schäfer. Als Barbier und als Ritter Tosilos maß sich Rüdiger Osterholt mit Don Quichotte. Die gereimten Dialoge wurden durchweg pointiert und auf die Musik hinführend gesprochen. Nach einer Spielzeit von dreieinviertel Stunden gab es viel Beifall für den Dirigenten, das Orchester und die Akteure, darunter Bravorufe für die Hauptdarsteller. Beim Erscheinen des Regisseurs und der Ausstatter waren auch kräftige Buhs zu hören. Weitere Aufführungen am 22. März, am 2. und 16. April jeweils ab 19.30 Uhr. |
18.03.2003 Premiere im Staatstheater Darmstadt:
Er ist nicht weniger ein Ritter von der komischen als von der traurigen Gestalt, dieser Don Quichotte: Er braucht, Ross und Reiter in einer Person, nur mit seinem um die Hüfte gegürteten Stoffpferdchen über die Bühne zu traben, um die Lacher im Publikum auf seiner Seite zu haben. Es ist eine zunächst putzmuntere Ausgrabung, die jetzt am Staatstheater Darmstadt Premiere hatte: "Sancho Pansa und Don Quichotte auf der Insel" heißt die Oper von Antonio Caldara, die 1733 für die Wiener Karnevalssaison komponiert wurde. Lang schlummerte in der Österreichischen Nationalbibliothek das Manuskript, das nun als Grundlage für die Darmstädter Aufführung dient. Denn eigentlich haben die Dramaturgin Helga Utz und der Kapellmeister Raoul Grüneis ein barockes Pasticcio erstellt, indem sie einige Nummern aus der Insel-Oper herauskürzten und dafür Teile aus anderen Bühnenwerken Caldaras integrierten. Das Resultat ist in seiner episodenhaften Anlage durchaus reizvoll, auch wegen manch pointierter Einfälle des Regisseurs Jan Konieczny. Zum Beispiel der Kampf gegen die Windmühlen. Sie hängen, wir schlüpfen da kurz in die Perspektive Don Quichottes, in bedrohlicher Übergröße vom Bühnenboden, wo doch sonst nur ein kleines Mühlchen die angenehm sparsam (von Matthias Müller) ausgestattete Bühne ziert. Und später genügt für einen Szenenwechsel schon einmal das Aufhängen von einigen Bettlaken - im Zentrum stehen ohnehin stets Cervantes' und Caldaras Figuren. Sie werden von den Sänger-Darstellern, die Damen mit gewaltigen Perücken (Kostüme: Karl Gölkel), auch durchweg liebevoll charakterisiert: Georg Nigl gibt einen Don Quichotte, der mit ernstem Blick hinter jeder Schimäre eine Gefahr wähnt. Sein Begleiter Sancho Pansa wird von Peter Bording angemessen schlitzohrig verkörpert - nur nimmt sich der Sänger doch bisweilen recht freizügige Tempi gegenüber dem Orchester, das unter Raoul Grüneis sauber und dezent spielt. Susanne Reinhard gibt eine glockenhelle Dulcinea; unter den zahlreichen anderen Ensemblemitgliedern, die teils in mehreren Partien zu erleben sind, ist die stil- und koloraturensichere Sopranistin Hege Gustava Tjonn (Lucinda) hervorzuheben. Wenn das Geschehen dann tatsächlich auf der (vorgeblichen) Insel angelangt ist, auf der Sancho Pansa zum Statthalter ernannt worden ist, dann verliert der Abend allerdings ein wenig an Unterhaltungswert. Recht lang geraten hier, im zweiten der beiden Akte, die gereimten (deutschen) Dialoge. Und nach gut drei Stunden Aufführungsdauer hat sich irgendwann auch die Kreativität der Regie erschöpft. Der Gesamteindruck spricht trotzdem an. |
18.03.2003 "Sancho Pansa und Don Quichotte auf der Insel": Seltene Barock-Oper in Darmstadt Die Liebe im Zeichen der Windmühle Von Markus Häfner Zunächst kniet die Bäuerin vor ihrem Wäschekübel und ignoriert hartnäckig Sancho Pansas Wunsch, seinem Herren Don Quichotte "Dulcinea del Toboso, die schönste Frau der Welt" vorzuspielen. Sanchos Knittelverse ("Wie spritzet so herrlich der Schaum deiner Seife, als ob Venus, gerade geboren, ab ihn sich streifeƒ") kommentiert sie knapp ("geh mir nicht an die Wäscheƒ"), spannt unbeeindruckt eine lange Leine vor die klappernde Windmühle im Hintergrund, hängt Laken für Laken darauf. Erst ab dem fünften etwa hört sie Quichottes inbrünstig vorgetragener Werbearie aufmerksamer zu. Beim achten Laken hat der selbsternannte Ritter sie schließlich doch bezirzen können. Zumindest vorübergehend erhört sie ihn - mit dem koloraturensicheren Mezzo Susanne Reinhards. "Sancho Pansa und Don Quichotte auf der Insel" ist in dieser Form eine Neuschöpfung des Staatstheaters Darmstadt. In den Archiven der Österreichischen Nationalbibliothek hat die Musikdramaturgin Helga Utz eine einaktige komische Oper von Antonio Caldara (1670-1736) ausgegraben: "Sancio Panza Governatore dell'Isola Barattarja", die bislang nur ein einziges Mal (1733 zum Karneval am Wiener Hof Kaiser Karls VI.)aufgeführt worden ist. Diesem Kern wurden Elemente einer weiteren Quichotte-Oper Caldaras hinzugefügt, ergänzt um einige italienische Arien des Komponisten aus Parisottis Sammlung "Arie antiche". Ergebnis ist ein überraschend homogener Opernzweiakter, den Jan Koniecny mit viel Humor und abwechslungsreicher Personenführung inszeniert. Ein phantasievoller Kostümbildner (Karl Gölkel) stand ihm zur Seite; die in warme Pastelltöne verliebte Bühne hat Matthias Müller gebaut. Wie Giovanni Pergolesis ebenfalls 1733 uraufgeführte "La serva padrona" ist auch Caldaras "Sancio Panza" ein Beispiel aus der Kinderzeit der sich im frühen 18. Jahrhundert profilierenden Opera buffa. An komisch-derben, volksnahen Bühnenwerken erfreute sich zuerst nur das Bürgertum - zum Beispiel im Hamburger Opernhaus unter Reinhard Keiser -, bevor über den Umweg von "Pausenfüllern" oder eben Karnevalsspielen schließlich auch der Adel sein Vergnügen am heiteren Musiktheater eingestand. Die Ausgrabung dieses "Sancio Panza" hat sich aber nicht allein aus historischem Interesse gelohnt. Denn die Musik ist erfrischend kurzweilig, verzichtet auf virtuose Koloraturreiterei und ist statt dessen in intime und melodienselige Miniaturen gefasst. Wenn Sancho Pansa (Peter Bording singt ihn mit sonorer, schlank geführter Tenorstimme) schließlich in einem zarten, nur auf der Theorbe (Basslaute) begleiteten Arioso seinen Abschied von der Insel beschließt, da er die Einfalt und Gewaltneigung ihrer Einwohner nicht länger erträgt, dann treten auch nachdenkliche Stimmungsmomente eindrucksvoll hervor. Das nur 22-köpfige Orchester spielt zwar auf modernen Instrumenten. Dennoch gelingt eine barockisierend schlanke, grazile Artikulation. Kapellmeister Raoul Grüneis, der vom Cembalo aus dirigiert, kann sich auf sein bis in die Nebenrollen hervorragend besetztes Sängerensemble erlassen. Georg Nigl singt einen anmutigen, höhen- und tiefensicheren Don Quichotte. Brillant auch der glockenklare Sopran von Hege Gustava Tjonn (Lucinda). Elisabeth Hornungs charaktervolle Altisidora und Thomas Fleischmanns kultivierter Alvaro seien stellvertretend für andere genannt. Nächste Auff. 22. März; Karten unter 06151/293838 |
Ritter von komischer Gestalt Von AXEL ZIBULSKI Er ist nicht weniger ein Ritter von der komischen als von der traurigen Gestalt, dieser Don Quichotte. Wenn er mit seinem um die Hüfte gegürteten Stoffpferdchen über die Bühne trabt, den Sancho Pansa samt auf die Brust gepapptem Eselskopf im Schlepptau, dann haben beide sofort die Lacher im Publikum auf ihrer Seite. Zunächst putzmunter wirkt die Ausgrabung dieser Don-Quichotte-Oper, die jetzt am Staatstheater Darmstadt Premiere hatte: Mit vollem Namen heißt das Stück "Sancho Pansa und Don Quichotte auf der Insel"; der Venezianer Antonio Caldara hat die musikalische Komödie 1733 für die Wiener Karnevalssaison komponiert. Lang schlummerte das Manuskript in der Österreichischen Nationalbibliothek. Für die Darmstädter Aufführung haben Dramaturgin Helga Utz und Kapellmeister Raoul Grüneis nicht nur den Staub von Text und Noten geblasen, sondern auch einige Nummern aus der Insel-Oper herausgekürzt und dafür Teile aus anderen Bühnenwerken Caldaras integriert. Das Resultat ist fast schon ein barockes Pasticcio, in seiner episodenhaften Anlage durchaus unterhaltsam anzuschauen. Ob Don Quichotte einen harmlosen Dorfbarbier oder ein Grüppchen schwarz gewandeter Büßer angreift – Regisseur Jan Konieczny setzt das in Darmstadt weniger klamaukhaft als bildstark um. Zum Beispiel den Kampf gegen die Windmühlen. Sie hängen, wir schlüpfen da kurz in die Perspektive Don Quichottes, in bedrohlicher Übergröße vom Schnürboden, wo doch sonst nur ein kleines Mühlchen die angenehm sparsam (von Matthias Müller) ausgestattete Bühne ziert. Und später genügt für einen Szenenwechsel schon einmal das Aufhängen von einigen Laken, hinter denen dann der bizarre Staat des Herzogs, die Damen mit gewaltigen Perücken (Kostüme: Karl Gölkel) Platz nimmt. Im Zentrum von Koniecznys Regie stehen ohnehin stets Cervantes' und Caldaras Figuren. Sie werden von den Sänger-Darstellern auch durchweg liebevoll charakterisiert: Georg Nigl gibt einen Don Quichotte, dem man fast aufsitzt, wenn er mit ernstem Blick hinter jeder Schimäre eine Gefahr wähnt. Sein Begleiter Sancho Pansa wird von Peter Bording angemessen schlitzohrig verkörpert – nur nimmt sich der Sänger doch bisweilen recht freizügige Tempi gegenüber dem Orchester. Das spielt, im erhöhten Orchestergraben sitzend, unter der Leitung von Raoul Grüneis tadellos sauber und klanglich dezent. Susanne Reinhard gibt eine glockenhelle Dulcinea; unter den zahlreichen anderen Ensemblemitgliedern, die teils in mehreren Partien zu erleben sind, ist die stilsichere Sopranistin Hege Gustava Tjønn (Lucinda) hervorzuheben. Wenn das Opern-Geschehen dann tatsächlich auf der (vorgeblichen) Insel angelangt ist, auf der man Sancho Pansa zum Statthalter ernannt hat, dann verliert der Abend allerdings ein wenig an Unterhaltungswert. Recht lang geraten hier, im zweiten der beiden Akte, die gereimten (deutschen) Dialoge. Und nach gut drei Stunden Aufführungsdauer hat sich irgendwann auch die Kreativität der Regie erschöpft. Der Gesamteindruck spricht trotzdem an. Freundlicher Beifall für die Sänger und das Orchester; nur einem einzelnen kräftigen Buh-Rufer scheint die Regie so gar nicht gefallen zu haben. |
egotrip.de Humorvolles Singspiel um Sancho Pansa Miguel de Cervantes "Don Quichotte", eins der wichtigsten Werke der Weltliteratur, hat im Laufe der Zeit unzählige Künstler verschiedener Richtungen zur Weiterbearbeitung animiert. Einer von ihnen war Antonio Caldara (1670-1736), der in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts für den Wiener Hof eine Reihe von vorklassischen Opern komponierte. Eine von diesen stellt die beiden komischen Figuren des spanischen Dichters in ihren Mittelpunkt.
In dieser Oper führt Caldara neben den üblichen Episoden - der Kampf mit den Windmühlen, der Angriff auf eine irrtümliche für eine Räuberbande gehaltene Prozession und der Raub des Barbierbeckens als Helm des berühmten Helden Mambrin - auch eine weniger bekannte Nebengeschichte aus dem Roman über den verspäteten Ritter ein: der von Don Quichottes "Heldentaten" äußerst amüsierte Herzog lässt ihn in einem Zweikampf gegen einen jungen Ritter antreten und verspricht seinem Knappen Sancho Pansa die Herrschaft über eine ganze Insel, falls sein Herr das Duell gewinnt. Wie der Zufall es will, gewinnt Don Quichotte tatsächlich, weil der junge Ritter nur Augen für die schöne Leonissa hat. So kommt Sancho Pansa plötzlich und unversehens zu Gouverneur- Ehren. Den Einwohnern der Insel passt dies überhaupt nicht, weil neue Besen bekanntlich gut kehren, und sie versuchen sofort, ihn nach allen Regeln der Kunst einzuwickeln. Doch beim ersten offiziellen Gerichtstermin beweist Sancho mit seinem gesunden Menschenverstand erstaunliches Augenmaß, entlarvt eine betrügerische Dirne und einen lügenden Greis und zeigt sich als unangenehm unbestechlich. Als jedoch Don Quichotte in seinem unübertroffenen Edelmut der jungen Lucinde die Flucht vor ihrem ungeliebten Bräutigam Rezio ermöglicht, unterstellt man ihm flugs Entwie Verführung und verprügelt ihn samt Knappen gründlich. Sancho ist darauf der Statthalterschaft endgültig überdrüssig und Don Quichotte körperlich schwer lädiert. Zum Abschluss steckt Sancho das Bestechnungsgeld der reuigen Insel-Bürger Lucindes wahrem Geliebten Ramiro zu, der dadurch plötzlich an Stand gewinnt, und verschwindet mit Don Quichotte zu neuen Abenteuern. Zugegeben, die Handlung ist nicht gerade sehr ausge- fallen und phantasievoll. Hier tobt sich eher die "Opera buffa" aus, die mit handfesten Scherzen und vorder- gründigen Klischees arbeitet. Die Knittelverse verbeiten bereits eine eigene Art von Humor, die jedoch - besonders so kurz nach der närrischen Zeit - inhaltlich wie formal oftmals deutliche Nähe zu Büttenreden aufwei- sen. Die Dramaturgie der Oper selbst ist eher als Schauspiel mit Musik angelegt. Jede Szene wird mit ausführlichen Dialogen eingeleitet und dem Publikum vorgestellt, nur um dann in einer Arie einer der Haupt- darsteller zu enden. Man sieht, dass diese Opern für die Sänger zugeschnitten wurde und daher nach jeder Arie genug Handlungsleerlauf für ausgiebigen Beifall lässt. Regisseur Jan Konieczny hat die Oper um Sancho Pansa herum aufgebaut. Nicht sein Herr ist dramatur- gischer Chef im Ring sondern der Knecht. Sancho hat von Anfang an Gelegenheit, seine geradlinige Den- kungsart vorzuführen, die sich eher aufs Essen als auf nebulöse Heldentaten konzentriert. Schon wenn Don Quichotte ihm befiehlt, den Palast der Dulcinea in Toboso aufzusuchen und für ihn um sie zu werben, wendet er nur kurz ein, dass Toboso ein stinkendes Nest ohne jegliche palastähnliche Gebäude sei, und begibt sich dann folgsam davon, nur um sich hinter der nächsten Ecke auszuschlafen und anschließend seinem Herrn die erwünschten Geschichten von Dulcineas Palats zu erzählen. Im Weiteren kommen- tiert Sancho trocken die Verrücktheiten Don Quichottes - natürlich sieht man diesen auch gegen gewaltige Windmühlenflügel kämpfen - und den Höhepunkt findet Sanchos Vernunft schließlich in den lebensnahen Richtersprüchen und danach im weisen Abschied von der garstigen Politik. Trotz aller Komik und vieler guter Einfälle leidet die Inszenierung doch unter der Überlänge der einfach gereimten Sprechszenen. Da hätte man noch viel kürzen können, denn der Witz der Knittelverse erschöpft sich schnell und erinnert - wie bereits erwähnt - doch etwas zu sehr an die Fastnacht. Warum musste man zum Beispiel drei Gerichtsszenen zeigen? Eine oder zwei hätten zum Verständnis der Handlung auch gereicht. Und viele Dialoge hätte man gefahrlos kürzen können. So jedoch zieht sich das Stück vor allem nach Pause etwas quälend in die Länge, da die Situationskomik sich nicht ent- scheidend fortentwickelt. Zwar sind einige Szenen recht gut geglückt, so wenn der Doktor auf der Insel dem hungrigen Sancho aus medizi- nischen Gründen jegliche Nahrungsaufnahme verbietet oder wenn der selbstgefällige Herzog das folgsame Lachen seines liebedienerischen Hofs dirigiert, aber jeder Witz wird ausgiebig ausgewalzt, als ob das Publikum ihn beim ersten Male nicht verstehen würde. Auch das Zusam- menspiel von Handlung und Musik folgt zwar exakt der Partitut, doch lange Orchesterpassa- gen zwischen zwei "Strophen" eines Vortrages lassen die Darsteller auf der Bühne wie "lebende Bilder" bis zum nächsten EInsatz erstarrt dastehen.
Die Musik selbst wird vom Orchester unter der Leitung von Raoul Grüneis mit sehr viel Sorgfalt und Akzentuierung vorgetragen. Sie stellt einen wesentlichen Aktivposten der Inszenierung dar. Man wartete geradezu ungeduldig auf den nächsten Einsatz des Orchesters, wenn die Handlung auf der Bühne sich zu sehr in die Länge zog. Die Darsteller machten das Beste aus ihren Rollen, vor allem der dem Darmstädter Publikum aus früheren Tagen (Figaro) wohl bekannte Peter Bording, der hier als Schelm wieder einmal in seinem Element war. Man sah ihm förmlich an, wieviel Spaß ihm der Auftritt als bauernschlauer Sancho Pansa machte. Ihm standGeorg Nigl als Don Quichotte wenig nach, der die Rolle des verwirrten Ritters mit stolzgeschwellter Brust und viel Gefühl für die tragikomische Seite dieser Figur gestaltete. Elisabeth Hornung gab die resolute Ehefrau des Haushofmeisters Alvaro, den Thomas Fleischmann als kleinen Patriarch karikierte. Horst Schäfer als selbstgefälliger Herzog, Hege Gustava Tjønn als Lucinde, Fred Hoffmann als Ramiro und Hans-Joachim Porcher als Arzt Dr. Rezio alias "Robert T-Online" mit gelbem Haarschopf rundeten das Ensemble ab. Die Kostüme von Karl Gölkel betonen das Groteske der Szenerie, wenn die Frauen mit weit ausladenden spitzen Brüsten und riesigen, entenhaften Hinterteilen auftreten. Dazu tragen alle Darsteller außer den beiden Protagonisten übergroße Haarfrisuren. Das Bühnenbild vom Matthias Müller zeigt entweder die kahle Ebene der Mancha mit der unvermeidlichen Windmühle im Hintergrund oder eine gemäßigt spanische Umgebung. Das Publikum verabschiedete das Ensemble mit mehr als freundlichem aber nicht begeistertem Beifall, konnte sich jedoch einige Buhs für die Regie nicht verkneifen. Das war wohl die Reak- tion auf die Überlängen bei den Sprechszenen und die zeitweise platten Knittelverse. |