Frankfurter Rundschau
25. September 2002

Sehnsucht nach einer besseren Welt
"Oper extra" zur bevorstehenden Premiere von Schuberts Oper "Fierrabras"

Von Annette Becker

Wenn einer "Oper Extra" macht, dann will er was erzählen. Manchmal muss er das auch. Vor allem, wenn er mit der lange kaum beachteten Oper Fierrabras von Franz Schubert die Saison eröffnet: Gleich zwei dieser informativen Veranstaltungen nahm die Frankfurter Oper ins Programm ihrer ersten Spielzeit unter Intendant Bernd Loebe, um den schauerromantisch schwerterklirrenden Ruf der Ritter-Oper um den besiegten Maurenprinzen Fierrabras und seine unglückliche Liebe zur schönen Emma zurecht zu rücken.

Sechs Mann stark und unterstützt durch drei Musiker präsentierte das Produktionsteam das Ergebnis seiner Auseinandersetzung mit dem 1823 komponierten, 1897 in einer gekürzten Fassung und erst 1982 in der Originalfassung uraufgeführten Werk. Dessen Libretto aus der Feder des Schubert-Freundes Josef Kupelwieser enthält laut Dramaturg Christoph Esch "Elemente des Konfusen" und scheiterte zu Schuberts Lebzeiten, wie auch dessen andere Versuche, das Musiktheater zu erobern, am italienisch orientierten Geschmack des Wiener Publikums.

Wer eine solche Oper aufführen will, die erst 1988 bei den Wiener Festwochen in einer Produktion von Claudio Abbado und Ruth Berghaus ihren ersten wirklichen Erfolg erzielte, macht neugierig. Warum er sich im Gespräch mit Loebe für Fierrabras und gegen Alban Bergs Lulu entschieden habe, stellte Eschs Kollege und Matinee-Moderator Zsolt Horpácsy dem Regisseur Tilmann Knabe die rhetorische Gretchenfrage. Und bekam die enthusiastische Antwort: All seine Sehnsüchte, Ängste und Wünsche habe Franz Schubert 1823 in dieses Werk hineingetragen! Zentrale Motive seien Freiheit und Hoffnung, aber auch ihr Gegenteil, Eingesperrtsein und Enge. Untergegangen sei jener "glorreiche Freiheitsgedanke, der noch bei Beethoven glühte", zur Zeit Schuberts und seiner Freunde, mit denen der Komponist sich in Gaststätten-Separées zur versteckt gegen die Restauration opponierenden "Unsinnsgesellschaft" traf.

Beklemmung und depressives Moll prägen die Atmosphäre in Fierrabras, in der sich laut Regisseur Knabe immer wieder "Fenster" zur Freiheit öffnen und die Stadt Rom für das Glück steht.

Und natürlich in der Musik. "Ein musikalisch leuchtender, strahlender Ausblick" sei der Choral der gefangenen Ritter, der bereits in der für Schubert ungewöhnlich schroffen, düsteren Ouvertüre anklingt, erläuterte Roland Böer, musikalischer Leiter der zweiten Aufführungsreihe im Januar (die erste dirigiert Paolo Carignani). Von der Vielfalt der in Fierrabras verwendeten Ausdrucksformen zeigte Böer sich geradezu begeistert: Natürlich gebe es Arien und Duette im üblichen Sinne, aber auch Ensembleszenen mit rasch wechselnden Stimmungen, dazu liedhafte und melodramatische Momente mit gesprochener Sprache, unterlegt von oder im Wechsel mit Musik.

Etwa zeitgleich entstanden die Lieder Der Wanderer, Der Sieg und Liebesbotschaft, die Bariton Simon Bailey vortrug. Zum Vergleich sang Fierrabras-Darsteller Tenor William Joyner eine Arie. Pianist Hartmut Keil zeigte, wie Schubert ein Motiv aus dem dritten Akt des Fierrabras in einem Impromptu aufgreift.

Einblicke in Schuberts Leben im Entstehungsjahr des Fierrabras, das zugleich den Beginn von Schuberts letztem Lebensabschnitts markiert, gab Michael Authenrieth mit Auszügen aus Briefen: Am 18. Februar 1823 erwähnt Schubert erstmals seine Krankheit, die Syphilis, der er 1828 sterben wird. Schubert wechselt seinen Verleger, schreibt unterwürfige Bittbriefe, beklagt sich bei Freunden über den Niedergang der Stimmung bei der "Unsinnsgesellschaft". Tiefe Sehnsucht nach einer besseren Welt spricht aus seinem Gedicht Mein Gebet vom 8. Mai 1823. Vom 25. Mai bis 26. September entstehen die 530 Partiturseiten von Fierrabras. Jetzt muss nur noch die Premiere überzeugen.

Bei der zweiten "Oper extra" zu Fierrabras am 3. Oktober um 11 Uhr werden auch GMD Paolo Carignani und Kostümbildnerin Birgitta Lohrer-Horres am Gespräch teilnehmen; Premiere ist am 6. Oktober.

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Dokument erstellt am 23.09.2002 um 21:41:15 Uhr
Erscheinungsdatum 24.09.2002

 

Tilman Knabe
Der gebüburtige Mainzer studierte Theatherregie and der Musikhochschule München, wo er 1993 zum Abschluss Heiner Müllers Hamletmaschine inszenierte, sowie katholische Theologie. Zu seinen bisherigen Arbeiten gehören u.a. Rhims Die Eroberung von Mexico 1994 sowie Hoffmanns Erzählungen 1997 in Innsbruck und die Uraufführung von Eggerts Helle Nächte bei der Münchner Biennale. 1998 folgte Ariadne auf Naxos in Nürberg, im Jahr darauf Glanerts Josef Süß in Bremen, 2000 Pintchers Thomas Chatterton an der Wiener Volksoper und 2001 Nabucco in Geselkirchen. An der Staatsoper Stuttgart inszenierte er Die Fledermaus und Keisers Masaniello Furioso, gefolgt von Korngolds Die tote Stadt in Bremen (2002). Im nächsten Jahr ist Il trovatore and der Hamburgischen Staatsoper geplant.

Frankfurter Rundschau
5. Oktober 2002

In jeder Figur steckt ein Teil Schubert

Regisseur Tilman Knabe über die vergessene Oper "Fierrabras", mit der in Frankfurt die Saison eröffnet wird

Als erste Premiere der neuen Spielzeit bringt die Oper Frankfurt Franz Schuberts Fierrabras heraus - die "heroisch-romantische Oper" eines Komponisten, den man so wenig mit Musiktheater in Verbindung bringt wie kaum einen zweiten. Regisseur Tilman Knabe hat dabei die Aufgabe übernommen, das dramatische Potenzial des Liederkomponisten Schubert auf die Bühne zu bringen. Darüber sprach mit ihm FR-Mitarbeiter Stefan Schickhaus.

FR: Herr Knabe, auf welches Alter schätzen Sie die Operngänger, die Ihre Premiere jetzt am Sonntag verfolgen werden?

Knabe: Ich nehme an: so um die 50?

Der Musikkritiker Eduard Hanslick hat 1858 über Franz Schuberts Oper "Fierrabras" geschrieben: "Es wird ein vollständiger Kindheitszustand des Publikums vorausgesetzt..."

Ich habe höchstens eine Ahnung was er damit meint, und das hat mit einem Klischee zu tun: die angebliche dramaturgische Schwäche aller Schubert-Opern. Vielleicht aber beschwört er den Kindheitszustand auch wegen der romantischen Rittergeschichte, die dem Ganzen zugrunde liegt.

Im nächsten Satz nennt Hanslick eine weitere Voraussetzung, um "Fierrabras" hören zu können: nämlich die "ebenso vollständige Resignation auf alles, was Poesie, Geschmack und Zusammenhang heißt." Muss man jetzt, wenn Ihre Inszenierung in Frankfurt zu sehen ist, alles an der Garderobe abgeben, was mit dem Streben nach Logik und Zusammenhang zu tun hat?

Herr Hanslick in allen Ehren, aber da hat er wohl ein etwas anderes Verständnis von Oper und Handlung gehabt. Uns hat jetzt bei der Arbeit an dieser Oper selbst überrascht, wie gut das Stück überhaupt funktioniert. Das stimmt einfach nicht, dass die Dramaturgie oder auch der Text so schwach wären. Das ist ein ganz lebendiges Spiel, und es wird ganz klar, worum es Schubert hier ging.

An die 17 Opern hat Franz Schubert geschrieben, oder zumindest angefangen...

...und wir wissen ja, wie alt er nur geworden ist! Ja, er hatte ein ganz starkes Interesse daran, auf den Olymp des Komponierens zu kommen, und das ging damals eben nur mittels der Oper.

Interesse allein genügt aber nicht.

Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass die deutsche Oper in diesen 1820er Jahren überhaupt keine Chance hatte. Alleine Rossini war da in Mode, kaum etwas anderes wurde gespielt. Und nach Fidelio und Freischütz war es mit der deutschen Oper auch schon wieder vorbei, selbst Webers Euryanthe ist durchgefallen. Schubert hatte für Fierrabras sogar schon einen Vertrag, aber der Wiener Opernintendant traute sich dann nach dem Euryanthe-Flop doch nicht. Wir haben hier in Wien eine regelrechte lost generation, junge frühromantische Komponisten um die 20, die nicht gegen die Großen, Beethoven und Rossini, ankommen, und auch nicht gegen die Zensur des Metternich-Systems. Und da haben Schubert und sein Librettist Josef Kupelwieser Chiffren gefunden, und diese Situation zum Ausdruck zu bringen. Wenn man das dechiffriert, bekommt man ein Stück über eine Generation, die nicht klarkommt mit der Vätergeneration. Das einzige Gegenmodell, das sie finden, ist die Liebe - aber damit kommt man nicht gegen ein politisches System an.

Franz Schubert als versteckter politischer Barrikadenkämpfer?

Da steckt ganz viel von Schuberts Biografie drin. In jeder Figur der Oper findet man einen Teil dieses Komponisten wieder, das ist sehr, sehr spannend. Der 23-jährige Schubert hatte gerade den ersten Krankeitsschub seiner Syphilis gehabt, die Haare sind ihm ausgefallen, und er wusste, was existenzielle Nöte sind. Und die finden sich in der Partitur in einer ganz dramatischen Weise, der Sog dieses Stücks ist ungeheuer.

Dennoch, kaum ein Haus traut sich an eine Schubert-Oper heran. Ist es schwer, so etwas zu inszenieren?

Ja, sicher, weil es eine große Vorbereitung erfordert. Die Wandlung, die die Titelfigur Fierrabras durchmacht, muss man erst einmal selbst verstehen. Man muss zwischen den Zeilen lesen, und, ja: man muss dem Kupelwieser eine Chance geben! Sein Textbuch ist nicht immer beste Theatersprache, das stimmt schon, aber es ist nicht so schlecht, wie es immer heißt.

Also, mit einem Wort: Franz Schubert hatte das Zeug zum Opernkomponisten, entgegen der üblichen Lehrmeinung?

Da gibt es gar keine Frage, alles andere ist absoluter Quatsch. Er hatte die Mittel, und er setzte sie sensationell gut ein.

• Die Premiere am Sonntag, 6. Oktober, beginnt bereits um 18 Uhr. Weitere Termine am 9., 11., 14., 17., 19. 25., 27. Oktober, Karten-Tel. 13 40 400.

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Dokument erstellt am 04.10.2002 um 21:41:53 Uhr
Erscheinungsdatum 05.10.2002