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Immer bereit für etwas Unkonventionelles Das Bockenheimer Depot wird zur „wüsten Insel". So zumindest heißt die wenig bekannte Oper von Joseph Haydn, die die Oper Frankfurt dort bis Anfang Juli spielen wird. Am Pult und stilecht am Continuo-Instrument steht beziehungsweise sitzt Roland Böer, Jahrgang 1970, seit kurzem Kapellmeister am Frankfurter Opernhaus. Böer hat in Frankfurt schon mit der Kammeroper gearbeitet und das Collegium Musicum geleitet. Die Haydn-Oper ist eine Rarität, und sie wird ungewöhnlich serviert: Mit einer dramatischen Kantate als Prolog. Mit Roland Böer sprach Mitarbeiter Stefan Schickhaus. FR: Herr Böer, die Haydn-Oper "L'isola disabitata", die Sie im Bockenheimer Depot dirigieren, bekommt eine etwas ungewöhnliche Ouvertüre: Sie haben die Kantate "Arianna a Naxos" für Mezzosopran und Klavier vorangestellt, ebenfalls von Joseph Haydn. Wie kommt es zu dieser Kombination zweier verschiedener Stücke und auch verschiedener Gattungen?Roland Böer: Die Verbindung zwischen der Oper und dem Kantatenstoff wird von Haydn beziehungsweise seinem Librettisten Metastasio selbst hergestellt. Im Vorwort zur Opernpartitur heißt es, die Protagonistin Constanza würde auf ihrer wüsten Insel leben und leiden wie die berühmte Arianna auf Naxos. Die Kantate selbst schrieb Haydn allerdings erst zehn Jahre später. Der Regisseur Guillaume Bernardi und ich kamen dann unabhängig voneinander auf die Idee, die beiden Stücke zu kombinieren. Mit der Kantate lässt sich gleich zu Beginn bereits jene Inselhaftigkeit der Oper herstellen: Nur eine Frau, ein Klavier, ganz reduziert, konzentriert auf das Einzelschicksal. Man kann das als Vorgeschichte sehen oder auch als Zusammenfassung des Folgenden. Die immerhin 20 Minuten der Kantate begleiten Sie am Klavier, dann wechseln Sie zum Orchester. Für eine inszenierte Oper ist solch ein Wechsel der Sphären ja eher ungewöhnlich. Aber genau dieser instrumentale Aspekt verbindet die beiden Werke auch wieder. Denn bei beiden Stücken erprobt Haydn eine für damalige Zeit moderne, fast kühne Art der Instrumentierung und damit Klanggestaltung. Für die Kantate verlangt er kein Cembalo, sondern explizit einen Hammerflügel, dieses damals ganz junge Instrument, mit dem eine ganz neue Farbigkeit möglich ist. Und auch in der Oper verzichtet er auf das sonst übliche Cembalo als Rezitativinstrument, er komponiert so genannte Accompagnati für alle Orchesterinstrumente. Das Orchester gestaltet quasi durchkomponiert die Szenen. Für Haydn ist dieses Beispiel einzigartig, weder vor noch nach L'isola disabitata hat er so etwas je gemacht. Wer sich ein bisschen mit Oper auskennt, dem wird diese Kombination aus wüster Insel, Vorspiel und Ariadne-Thema so ganz unbekannt nicht vorkommen. Die Version von Richard Strauss ist ebenso aufgeteilt, erst kommt das Vorspiel, dann die Oper. Eine zufällige Verwandtschaft? Da haben Sie ins Schwarze getroffen. Ich habe die Ähnlichkeit auch noch weiter betont, weil ich in der Haydn-Ouvertüre eine Stelle gefunden habe, die exakt einem Ausschnitt des Strauss-Opernvorspiels gleicht. Da habe ich originalen Strauss eingeflickt: Gleiche Taktart und Tonart, ähnliche Motivik, gleiche Orchestrierung - das ist ganz irre, wie das passt! Dieser Haydn ist Ihre zweite Neuproduktion als Kapellmeister der Oper Frankfurt, der "Walzertraum" von Oscar Straus vor einigen Monaten war die erste: Sind Sie hier am Haus so etwas wie der Mann für die Zwischenwelten, die Zwittergattungen? So habe ich das noch gar nicht gesehen. Da vertraue ich zunächst einmal auf den weisen Ratschluss des Intendanten Bernd Loebe, der gut einschätzen kann, welches Stück für welchen Dirigenten passt. Aber bislang entsprach alles recht genau meinen Neigungen, denn ich bin immer bereit, mich auf etwas Unkonventionelles, Abseitiges einzulassen. Gerade dieser Haydn jetzt ist so detailliert und farbig und voll von Nuancen, das kommt meiner Kreativität wirklich sehr entgegen. Sie sind seit eineinhalb Jahren Kapellmeister an der Oper Frankfurt, ebenso wie Ihr Kollege Johannes Debus. Nun stellt man sich unter einem Kapellmeister eher einmal einen erfahrenen alten Kämpen vor. Aber beide Frankfurter Kapellmeister sind um die 30 Jahre alt, und damit jünger als die meisten Musiker im Orchestergraben. Das Wort vom Kapellmeister hat sich im Volksmund verselbstständigt. Man spricht von der alten Kapellmeisterschule und meint damit einen reifen, erfahrenen Dirigenten, der alles schon einmal dirigiert hat, und der zwar routiniert, aber auch etwas fade und bieder arbeitet. Das ist die Volksvokabel. Aber eigentlich sind wir einfach nur Dirigenten, die fest mit dem Haus verbunden sind, dort präsent sind, und die dort Aufgaben bekommen, an denen sie wachsen können. "Erfahrungen machen" ist aber natürlich keine Frage des Alters, das macht man ein Leben lang. Vor fünf Jahren waren Sie Dirigent der Kammeroper Frankfurt, kurz darauf sah man Sie am Glockenspiel sitzen bei "Zauberflöten" im Opernhaus, jetzt sind Sie dort Kapellmeister. Wenn Sie Ihre Karriere weiter so stringent hier in der Stadt fortsetzen wollten, müssten Sie demnächst Opern-GMD werden. Geht es in diese Richtung weiter? An die Notwendigkeit solch kausaler Weiterentwicklung glaube ich nicht. Nach meinen drei Jahren als Korrepetitor hier in Frankfurt war ich ja auch eine Zeit lang weg - war Assistent in Bayreuth, dirigierte in Düsseldorf, Brüssel und London. Ich kam jetzt nach Frankfurt zurück, ohne dass ich das vorher auch nur geahnt hatte. Wie das kam, ist ja kein Geheimnis: Bernd Loebe war der künstlerische Direktor in Brüssel, wo ich Assistent von Antonio Pappano war. Loebe verfolgte meine Arbeit wohl sehr gründlich, und als er dann Intendant wurde hier in Frankfurt, wurde ich zu einem Vordirigat eingeladen. Die lokale Bindung spielte dann ja keine Rolle mehr. Aber zurück zur Frage: Eine typisch deutsche Kapellmeisterkarriere hätte in der Tat die Position eines GMD zum Ziel. Ich will das nicht ausschließen, doch wichtiger ist es mir, so viel wie möglich eigenständig künstlerisch zu arbeiten. Und das ist erst einmal unabhängig von einer Funktion oder Position, ja zuviel Funktion schadet da eher. Das muss auch nicht unbedingt Oper sein? Nein, nicht unbedingt. Obwohl ich zugeben muss, dass ich doch ein Opernmensch bin. Diese Gesamtheit der Mittel ist einfach faszinierend. Premiere ist morgen, Samstag, 20 Uhr, weitere Aufführungen: 18., 21., 25., 27., 28., 30. Juni und 3. Juli. [ document info ]Copyright © Frankfurter Rundschau 2003 Dokument erstellt am 12.06.2003 um 18:28:35 Uhr Erscheinungsdatum 13.06.2003 |