Frankfurter Rundschau
19.12.2002

Aus dem Schädelinneren
Dirigent Johannes Debus über Salvatore Sciarrinos neue Oper "Macbeth", die er von heute an am Schauspiel Frankfurt dirigieren wird

Johannes DebusDer italienische Komponist Salvatore Sciarrino gilt als Meister raffiniertester Reduktion, dessen Werke sich inzwischen auf den internationalen Opernbühnen erfolgreich etabliert haben. In Schwetzingen wurde im Sommer sein "Macbeth" uraufgeführt, als Koproduktion der Festspiele mit "Musica per Roma" und der Oper Frankfurt, die nun Achim Freyers Inszenierung übernimmt. Dirigieren wird der Frankfurter Kapellmeister Johannes Debus, der auch schon die Uraufführung leitete. Mit ihm sprach FR-Mitarbeiter Tim Gorbauch.

FR: In Shakespeares Macbeth wird gemordet und gemordet und gemordet. Wie viel Anteil nimmt die Musik daran?

Johannes Debus: Die Morde passieren immer hinter der Bühne. Sie werden nicht offen gezeigt und auch von Sciarrino nicht klangmalerisch illustriert. Seine Musik ist alles andere als blutrünstig. Aber der Schrecken des Todes, der hohe Grad an Verantwortungslosigkeit ist durchaus in ihr präsent. Das Geheimnisvoll-Unheimliche ist der rote Faden der Oper. Aber nicht im Sinne eines üppigen Klanggemäldes, sondern als sorgsam auskomponierte Spannung.

Können Sie die Arbeitsweise Sciarrinos beschreiben?

Er arbeitet gerne mit Floskeln. Ähnlich einem Setzer, der aus seinem Setzkasten Buchstaben herausholt, um Worte zu bilden. Das Faszinierende an Sciarrino aber ist, dass er nie schematisch wird. Kaum glaubt man, eine Regelmäßigkeit entdeckt zu haben, ist sie schon wieder weg. Sciarrino spielt mit Elementen, die einem vertraut scheinen, aber es doch nicht sind. Ich finde seine Musik genial.

Shakespeare hält in "Macbeth" die Waage zwischen der äußeren dramatischen Aktion und der inneren Handlung, die sich im Kopf der Protagonisten vollzieht. Wohin tendiert Sciarrino?

Sciarrino hat selbst das Libretto geschrieben und das Drama dabei unerhört konzentriert und verdichtet. Musikalisch tendiert er zu einer für mich fast unglaublichen und ganz intimen, herzzerreißenden Fragilität, mit der er sich dem Innenleben von Macbeth und Lady Macbeth zuwendet. Auf der anderen Seite gibt es im zweiten Akt geradezu brachiale Ausbrüche, die Sciarrino aber aus dem Innern seiner Figuren herleitet. In diesen Momenten, sagt er, zerreiße es Macbeth förmlich den Schädel.

Aber das Eruptive ist für Sciarrino doch eher ungewöhnlich.

Auch für die Oper. Die meiste Zeit bewegen wir uns im ruhigen Zeitmaß. Die Musik ist von vielen Pausen durchsetzt und bedient sich der leisen, zurückhaltend geführten Klänge. Wenn ich ihr einen einzigen Begriff zuordnen müsste, dann wäre es Zerbrechlichkeit.

Sciarrinos Stücken wird gerne etwas Sogartiges, Sucht erregendes zugesprochen. Woran macht sich das fest?

Ich selbst fühlte mich sofort gefangen, als ich Sciarrino das erste Mal hörte, wie in einen klingenden Raum versetzt. Man ist dieser Musik nicht konfrontiert, sondern sofort von ihr umgeben. Und das liegt sicher auch daran, dass er ganz enorm den Klang auskomponiert, etwa mit Schlägen auf eine gedämpfte große Trommel, die wie Herztöne anmuten. Seine Musik wird dadurch plastisch, sie beginnt zu leben. Sie wirkt unmittelbar - und dem kann zumindest ich mich nicht entziehen.

Umgekehrt wirft man Sciarrinos Musik auch Gleichförmigkeit vor.

Ich empfinde das nicht so, aber ich weiß, dass es diese Meinung gibt. Vermutlich verfällt man der Musik in den ersten zwei Minuten oder man bleibt außen vor. Die Erfolgsgeschichte Sciarrinos gerade in den letzten Jahren zeigt aber, dass eine Mehrheit so denkt und fühlt wie ich.

In einem Interview hat Sciarrino Macbeth als eine gleichsam ewige politische Parabel beschrieben, die heute gültiger sei denn je. Ist sein Macbeth denn moralisch?

Er erhebt nie den Zeigefinger. Er zeigt uns bestimmte Vorgänge, er bringt sie uns nahe mit seiner Musik. Aber er bewertet nicht. Zum Schluss fügt er noch ein Vokalstück an, das einem Text Hegels folgt und behauptet, man könne das Geschehene gar nicht in Worte fassen. Also können wir uns auch nicht zum moralischen Richter aufspielen.

Und die Musik übernimmt, dem alten romantischen Topos gehorchend, das Unsagbare?

Ja. Und das Faszinierende ist: sie schafft as auch.

Salvatore Sciarrinos Oper "Macbeth" hat heute, 19. Dezember, Premiere im Schauspiel Frankfurt. Weitere Vorstellungen am 20., 21. und 22. Dezember. Beginn jeweils um 20 Uhr. Karten unter 069-1340400.